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Randbemerkungen zu einer Debatte

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Mit seltener Einmütigkeit bekannten sich sämtliche Redner in der parlamentarischen Beratung des Nationalsozialistengesetzes zu der Auffassung, es sei notwendig und der Hauptzweck dieses Gesetzes, den „Mitläufern“ und „Minderbelasteten“ die Hand zu reichen zur Einordnung in den neuen Staat; nur wirklich Schuldiggewordene sollen durch das Gesetz getroffen werden, nicht aber Menschen, gegen die nichts anderes vorliegt, als daß sie zufolge einer Zwangslage oder aus Unerfahrenheit in die Parteizugehörigkeit geraten seien. Der Geist der Mäßigung und der Wille zur inneren Befriedung, die sich dabei aus dem Kreise aller drei Parteien kundgaben, sind ein guter Beitrag zum Aufbau des neuen Staates. Er darf hier mit besonderer Genugtuung verzeichnet werden; denn „Die Furche“ hat in ihrer konsequenten Vertiefung dieser nun zum Siege gelangten Auffassungen manche bösartigen Auslegungen zu bestehen gehabt.

Nicht eindringlich genug kann es immer wieder gesagt werden: Die ungeheure Aufgabe, die mit dem Wiederaufbau des mißhandelten Staates und unserer zerschmetterten Wirtschaft zu lösen ist, verlangt die geschlossene Kraft aller Österreicher; Unfriedenstiftung, Zersplitterung, gehässiger Parteigeist, demagogische Spekulationen sind Versündigungen am Staat.

Wenn es aber so ist, wird es dann nicht höchste Zeit, mit der Gewohnheit aufzuhören, Erinnerungen an die Februartage des Jahres 1934 als politischen Trumph auszuspielen, wie dies in der Debatte über das Nationalsozialistengesetz von Rednern der Linken geschehen ist? Eine unparteiische Geschichtsschreibung wird Vorhalte nach links und rechts zu machen haben. Lassen wir die Untersuchung, welche größer sein würden. Ganz abwegig ist sicher die Behauptung, viele der sozialistischen Februarkämpfer von damals hätten sich aus Opposition gegen das Dollfuß-Regime damals dem Nazismus angeschlossen. Der Bürgermeister von Linz und der gewesene kommunistische Staatssekretär für Kultur und Unterricht haben dabei schwerlich bedacht,welche Beschuldigung sie aussprachen, als sie damit Sozialisten nachsagten, sie seien Illegale geworden.

Man muß daran erinnern, was die Tätigkeit der Illegalen von 1934 bis 1938 war: zielbewußte Sabotage der österreichischen Wirtschaft, Konspiration gegen Österreich mit einem System, das in Deuschland die Sozialisten und Kommunisten ins KZ und in den Tod jagte, Bomben gegen Judengeschäfte und Flucht ins Reich, um eine „österreichische Legion“ zu bilden, welche die Grenzen der eigenen Heimat bedrohte, kurz: Vorbereitung einer nazistischen Herrschaft in Österreich unter Vergewaltigung von 70 Prozent der Österreicher, Vorbereitung zugleich des furchtbaren Krieges, wie allen Einsichtigen damals schon klar war. Eine straffe Organisation sorgte dafür, daß jeder Illegale in diesem Sinne „geschult“ wurde. '

Zu solchen Machenschaften sollen sich sozialistische Februarkämpfer hergegeben haben? Das ist im höchsten Maße unwahrscheinlich für jeden, der die Disziplin und Schulung der organisierten sozialistischen Arbeiterschaft achten gelernt hat. Venn es damals Überläufer gab, so mag es um solche Genossen dem Sozialismus nicht leid gewesen sein. Wer die Februarereignisse für die Folge eines unheilvollen Mißverstehens ansieht und jenen Kämpfern die Achtung nicht versagen will, muß in ihrem Namen gegen den verallgemeinernden Vorwurf gesinnungsloser Wandelbarkeit Einspruch erheben. Aber bedachten jene Redner in ihrem polemischen Eifer nicht, was es heißt, die Meinung aufzubringen, die Trennung zwischen dem Sozialisten von 1934 und dem illegalen Nazisten sei so schmal gewesen, daß der Sprung von der einen zur anderen Seite leicht gewesen wäre? Man muß das Ausland warnen, einem solchen unüberlegten Gerede Glauben zu schenken.

Ebenso nachdrücklich ist nach links geltend zu machen, zu welchen Folgen heute das Herumbohren an alten Wundstellen führen muß. £)as damalige unglückliche Geschehen wr durch die furchtbaren Ereignisse seit 1938 im Volksbewußtsein längst überschattet.

Viel hat dazu die unter der Hitlerherrschaft teuer erkaufte Erkenntnis beigetragen,dtt, engstirniger Parteigeist nicht zulem zum Unvermögen geführt hatte, über die Parteischranken hinweg sich zur gemeinsamen Bekämpfung des wahren Feindes zu einigen. Darum bedarf es zum Wiederaufreißen dieser Kluft so vieler Mühen, aber diese Anstrengungen werden so unablässig aufgewendet, daß man an die Absicht glauben könnte, wieder das Parteiinteresse über die Staatsraison zu stellen. Das Bedenklichste daran ist, daß sich diese Verwirrung der Tatsachen nicht auf das Inland beschränkt, sondern auch im Auslande ausgebreitet wird. Diese Propaganda schädigt mit unleugbarem, bitter empfundenen Erfolge die Stellung Österreichs vor dem Auslande, dessen Hilfsbereitschaft wir auf alle Fälle bedürfen. Ist das zu verantworten? Ist das ein paar Mandate mehr wert?

Die österreichische Demokratie ist noch nicht so stark, daß sie solche Fehlleitung der politischen Auseinandersetzung vertragen könnte, und gewiß noch nicht so ungefährdet, daß solche Erscheinungen mit Schweigen übergangen werden dürften.

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