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RANDBEMERKUNGEN zu WOCHE

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DIE STEIRISCHE ZERREISSPROBE. Dis Österreichische Volkspartei hat die Zerreißprobe der steirischen Landtagswahlen ohne Zweifel bestanden. Vierundzwanzig, das ist genau die Hälfte aller Mandate, die in der Grazer Landstube zu vergeben sind, stellen wohl einen schönen Erfolg am Abend eines Wahltages dar, dem ein mitunter hektisches Rennen Kopf an Kopt vorausgegangen war. Zwar hat es sich schon bei den Wahlen zum Nationalraf im Mai 1956 gezeigt, daß die Sozialistische Partei ihren bei den letzten Landtagswahlen errungenen Erfolg — sie führte an Stimmen und mußte ausschließlich aus Gründen der Wahlarithmetik der Volkspartei den Vortritt eines Mandates überlassen — nicht halfen, geschweige denn ausbauen hatte können. Die Wahlen vom vergangenen Sonntag zeigten, daß der Trend vom 15. Mai 1956 anhält, ja sogar die Volkspartei weiteres politisches Terrain gewinnen läßt. Unser steirischer Mitarbeiter konnte in der letzten Folge der „Furche mit Recht darauf hin- weisen, daß die grüne Mark dank der soziologischen Zusammensetzung ihrer Bevölkerung ein Abbild der gesamtösterreichischen politischen Verhältnisse bietet. Auch das hat sich am letzten Sonntag eindeutig erwiesen. Mit anderen Worten: Klare Führung durch die Volkspartei (24 Mandate), Bestätigung der SPOe als „zweite Partei" (21 Mandate), Halbierung der Freiheitlichen Partei gegenüber der WdU (3). Die Kommunisten wurden — das ist ein Unterschied — ausgeschifft. Ein Jahr nach den Nationalratswahlen zeigen also dis Wähler keine Lust, ihr Votum vom Mai 1956 umzusfoßen. Die Volkspartei kann also verhältnismäßig guten Mutes weiteren Prüfungen entgegensehen. Ueber der Mur und der Mürz aber ziehe nach den heftigen Märzböen wieder sonnigeres polifisches V/efter ein.

DAS BAROMETER FÄLLT für die Wirtschaft. Es hätte gar nicht des letzten Monatsausweises des Instituts für Wirtschaftsforschung bedurft, um das fesfzusfellen. Die Statistiken der Arbeitsämter — die dabei immer doch nur die unterstützten Kräfte ausweiisen und die große Zahl der älteren Arbeitskräfte unter den Tisch fallen lassen — haben für den Winter 1956/57 rund 8600 mehr Entlassungen notiert als für den Winter 1955/56. Die Zahl der vorgemerkten Stellungsuchenden ist im Jänner 1957 um 57.800 gegenüber dem Jänner 1956 von 46.300 gestiegen. Dabei war das Wetter, auf das man sich gewöhnlich ausredet, weitaus günstiger für Außen- arbeifen als sonst. Die Elektroindustrie findet im . Inland einen schlechten Absatz, der Export kann nur zu gedrückten Preisen erfolgen. Die Fahrzeugindustrie — die Vorgänge in Steyr waren vor Jahresfrist schon ein Warnzeichen — und die Gießereien mußten ihre Produktion einschränken und Arbeitskräfte entlassen. In der Steiermark, der „eisernen Mark”, haben die verminderten Aufträge der Bundesbahnen bei der Alpine, die eine Schlüsselposition einnimmt, ebenfalls zur Reduktion der Belegschaften geführt. Der Rückgang der Investitionsgüfernach- frage greift auf Branchen über, welche keine Möglichkeit haben, in den nicht immer erträglichen Export auszuweichen. Im Jahre 1956 litten fast alle Wirtschaftszweige unter fortschreitender Kosfenaufblähung, bedingt durch die steigenden Materialpreise und die diesen folgenden Löhn . Wenn man nun hört, daß nicht bloß der Strom, sondern auch die Transporttarife erhöht werden sollen; wenn von einer Verteuerung der Eisenpreise geredet wird; wenn die Landwirtschaft iihre Forderungen neuerlich anmeldet; wenn eine Diskussion über die Miefen ausgebrochen ist — alles Erfordernisse, die man glaubt, anderseits durch erhöhte staatliche Subventionen oder Lohnaufstockung auszugleichen; so muß man sich bedrückt fragen, welchen Erfolg denn die wiederholten Mahnungen des Bundeskanzlers zur Preis- und Lohndisziplin haben? Die Stimme des Regierungschefs Ist anscheinend in den Wind geschlagen worden, und das Ergebnis zeichnet sich ab. Das Barometer fällt, die Preise steigen. Fallendes Barometer deutet in der Wetterkunde auf stürmische Tage.

DER GROSSE SIEG DE VALERAS bei den am Dienstag abgeschlossenen irischen Parlamentswahlen dürfte der Abschluß einer großen und in ihrer Art wohl einmaligen Politikerlaufbahn sein. Irlands grand old man oder „Taoiseach” (Häuptling), wie ihn seine Landsleute ehrend nennen, kam 1882 in New York als Sohn eines baskischen Bildhauers und einer irischen Mutter zur Welf. Früh kam er nach Irland, wo er seither ununterbrochen als Freiheitskämpfer, Parfei- gründer, Mathematiklehrer (er rief den österreichischen Nobelpreisträger Schrödinger ins Land) wirkte, 1932 bis 1948 war er Premierminister und will dieses Amt nun, fast erblindet, noch einmal übernehmen. Seine nationalistische „Fianna-Fail'-Partei („Soldaten des Schicksals") erhielt 78 (bisher 67) Mandate von insgesamt 147 und damit die absolute Mehrheit. Die Konservative Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Costello erreichte 40 (48) Sitze, die Labour Party 9 (5), die Farmerpartei 3 (5), die Republikaner 1 (3). Die radikale Sinnfein-Partei, die der wegen der Terrorakte vielgenannten Irischen republikanischen Armee nahestehf, errang vier Mandate (bisher 0). Aber fast die Hälfte der Sinnfein-Kandidaten sitzt im Gefängnis wegen Teilnahme an Ueberfällen. Die Radikalen wollen auch keines ihrer Mitglieder ins „Dail" (Parlament) entsenden, um damit gegen die Unfähigkeit der großen Parteien zu protestieren, die Teilung Nord- und Südirlands zu beenden. Nur die überragende Erscheinung des 75jährigen „Taoiseach" wird hier ausgleichend wirken können. Er hat selbst ein halbes Jahrhundert für Irland gefochten, war zum Tod verurteilt, hatte lange Jahre in englischen Gefängnissen verbracht und weiß heute nach der 1948 errungenen Unabhängigkeit Irlands, daß auch hier nur der Verhandlungsweg die Wiedervereinigung ermöglichen kann.

IN GHANA GEHT ES UM AFRIKA! Bei der soeben erfolgten Gründungsfeier des neuen Staates Ghana an der Goldküste in Afrika waren prominente Vertreter aus West und Ost zugegen. England wurde durch die Herzogin von Kent, als persönliche Vertreterin der Königin Elisabeth, die USA wurden durch Vizepräsident Nixon, Rußland, China und die Oststaaten durch Minister vertreten. Sichtbar wurde so aller Welf: hier treten Ost und West zu einem Ringen um Afrika an. Der Westen hat offensichtlich den Vorzug: England hat Ghana aus der Kolonialherrschaft entlassen, der erste Ministerpräsident und Staafsführer wurde durch den letzten englischen Residenten, einen Mann von Format, aus dem Gefängnis geholt und mit der politischen Führung des Landes betraut. Die USA bieten wirtschaftliche Hilfe, die das Land gut brauchen kann. Die Dankbarkeit gegenüber den beiden führenden Westmächfen wurde denn auch in den Geburtstagsreden der schwarzen Politiker laut und deutlich zum Ausdruck gebracht. Dennoch sind die Chancen Moskaus und des Weltkommunismus nicht gering; die Häuptlingsherrschaft und das langsam, aber unaufhaltsam entstehende Industrieproletariat, die Halbbildung der sich rasch äußerlich europäisierenden Lehrer bieten hier wie in ganz Afrika zusammen mH dem jungen Nationalismus Chancen für alle, die im trüben fischen wollen. Es ist tragisch :jm den Menschen bestellt: er sieht weniger auf das, was er (wie hier) erhalten und geschenkt bekommen hat, als auf das, was er noch haben will: so kam es gleich in den Grün- dungsfagen zu kleineren politischen Unruhen, und vor allem die afrikanischen Gebiete in der näheren und ferneren Nachbarschaft Ghanas melden ihre Ansprüche an ihre bisherigen Protektoren an. Das gilt vor allem für den belgischen Kongo, der auch wegen seiner reichen Uranschätze seit langem die Augen des Kremls auf sich gezogen hat. Nicht nur die Südafrikanische Union mit ihrer extrem rassistischen Regierungspolitik unter Malan verfolgt die Vorgänge in und um Ghana mit großer Sorge. Hier wird sich zeigen müssen, daß es der Westen gelernt hat, mit großer Geduld und mit neuen Mitteln um die Seele fremder, unerschlossener Völker zu ringen. Sonst werden alle Gaben der Vergangenheit und Gegenwart nicht den Gebern und Beschenkten zufallen, sondern neuen Herren, die bereits darauf warfen, diese Menschen und ihre Länder als „Material" für ihre Pläne an sich zu reißen.

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