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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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Innerhalb weniger Wochen hat das Wiener Mittagsblatt einer Besatzungsmacht in österreichische Angelegenheiten in einer Weise eingegriffen, die Befremden hervor- rufen muß, zumal die Verdienste der gleichen Besatzungsmacht für die Bewahrung der österreichischen Unabhängigkeit dankbar anerkannt sind. Es begann mit dem Startschuß in der „Affäre Oberweis“, setzte sich fort mit einer sensationell aufgemachten Rufmordmeldung über die Erkrankung eines verdienten Wiener Arztes — eine Affäre, an der „man“ schon vor zwei Jahren durch eine völlig unbegründete Kampagne nicht ganz unbeteiligt gewesen war — und fand schließlich dieser Tage seinen Höhepunkt in der unbegründeten Anschuldigung. daß das größte österreichische Kreditinstitut in eine dunkle Schiebung verwickelt sei. Es ist daher wohl am Platze, an die ursprünglichen Aufgaben der alliierten Presseorgane und ihre Grenzen zu erinnern. Die wirkliche österreichische Presse hat längst bewiesen, daß sie in ihrer überwiegenden Mehrheit verantwortungsbewußt ist, ja daß sie aus den Fehlern und Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gelernt hat. Eine sichtliche Unkenntnis der österreichischen Verhältnisse mag für die Schreibweise der genannten OrganS als Erklärung, nicht aber als Entschuldigung gelten. Auch in der ersten Republik hat es eine Publizistik gegeben, an der die österreichische Bevölkerung im Grunde ebenso wenig beteiligt war, wie dies jetzt bei diesen Entgleisungen der Fall ist. Nur ungern denkt man an sie zurück und niemand wünscht eine Wiederkehr.

„Nichts wäre törichter, als auf alten abgebrauchten Begriffen zu reiten.“ Ein Satz aus einer sechsseitigen Folge 1 der „Vertraulichen Mitteilungen des VDU-Landes- verbandes Oberösterreichs“. Ein begrüßenswertes Motto, das auf die neuen Ideen und die Noblesse der Degenführung in dem österreichischen Wahlkampf erfreuliche Aussichten zu eröffnen scheint. Sieht man freilich näher zu, wie diese Kampfansage dek Kraüs-Gruppe an die verbrauchten Praktiken verschollener Zeiten in der Praxis wirksam wird, kann man eine grausame Enttäuschung nicht unterdrücken. Der ÖVP wird in diesen Mitteilungen keine Chąnce gegeben, „mit dem AAB, der in gan Österreich ein paar Dutzend Anhänger hat, und mit den Jungfrauenvereinen ernstlich etwas gegen den Bolschewismus zu unternehmen“. Ihre Taktik wird als „Kuppelungs- und Abtreibungsmethode“ bezeichnet, ihrem „Nationalen Führerrat“ wird die entehrende Tatsache vorgehalten, daß sich in ihm kein einziger Frontsoldat befinde … Den Höhepunkt aber bildet ein Kapitel mit der lockenden Überschrift „Die Jesuiten — die letzte Hoffnung der ÖVP“. Darin wird nicht mehr und nicht weniger behauptet, als daß die ÖVP, offenbar im Rahmen des Marshall-Plans, aus dem Ausland nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch geschickte weltliche und geistliche Agenten importiere, mit deren Hilfe man im Oktober die Hürde zu nehmen gedenke. Es heißt darin unter anderem: „Die ÖVP-Bundesleitung hat sich wegen des großen Wahlerfolges der Demochristiani in Italien an diese Partei gewandt, um ihr ihre Erfahrungen (sic!) auch für den österreichischen Wahlkampf, den die ÖVP unter Biegen oder Brechen (sic!) mit allen Mitteln gewinnen will, zur Verfügung zu stellen. Wie nun bekannt wird, werden für jeden Wahlkreis italienische Parteileute der ÖVP zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus hat man jedoch auch die Zusage erhalten, nach dem großen Erfolg des italienischen Wanderpredigers Riccardo Lombardi S. J…. 150 deutschsprachige Jesuiten aus Südtirol und Süddeutschland zur Abhaltung von sogenannten Volksmissionen zur Verfügung zu stellen…, um die Landbevölkerung auf die Notwendigkeit der Stimmabgabe für die ÖVP aufmerksam zu machen.“ Dieser wahrhaft klassischen Prosa gebührt ein Nichtgenügend nicht nur wegen ihrer veralteten Syntax, sondern auch wegen ihrer sehr alten abgebrauchten Begriffe.

Das Parlament will kurz vor dem Kehraus zwei weitere gute Taten setzen. Das Unrecht der bisher unterschiedlichen Behandlung der Bundespensionisten nach dem Zeitpunkt ihrer Versetzung in den Ruhestand soll trotz der angespannten Finanzlage des Staatshaushalts im Rahmen des Pensionsüberleitungsgesetzes beseitigt werden. Der Billigkeit dieser Maßnahme ist nichts hinzuzufügen. Eine erfreuliche Korrektur hat auch der Entwurf zum Kriegsopferfürsorgegesetz erfahren: die Sätze der Regierungsvorlage für Grund- und Zusatzrenten sollen um 10 Prozent hinaufgesetzt werden. Eine Erhöhung der Einkommensgrenzen für den Anspruch auf eine Grundrente entschärft die Tatsache, daß auch das Einkommen der Ehefrau in die Bemessung einbezogen wird. Zu guter Letzt werden auch die Verkehrsunternehmen durch einen Griff in die eigene Tasche den Kriegsbeschädigten den Fortbestand ihrer Begünstigungen garantieren. Alles in allem keine fetten Pfründen, aber ein bescheidener Ausdruck des bestehenden Willens, den Opfern der Zeit ihre Bürde tragbarer zu machen.

Die im Zeichen von Hammer und Sichel gestartete „Friedensbewegung“ ist nach dem Ende der Kongresse von Paris und Prag von der Tagesordnung des allgemeinen Interesses schon lange abgesetzt. Ihre Absicht war schnell durchschaut, die Spekulation auf die große unbestimmte Sehnsucht der Millionen ohne nennenswerten Erfolg. Ein sorgfältig gezielter Propagandaschuß ist danebengegangen. Jetzt soll der Versuch wiederholt werden — in Österreich. Ein Mandatar, der seinen Sitz im Nationalrat sehr weit links einnimmt, bestieg in Zistersdorf das Podium, um der Öffentlichkeit das Schauspiel eines österreichischen Friedenskongresses unter roter Flagge nach den Wahlen anzukündigen. In der Zwischenzeit wird ein neunundzwanzigköpfiger Friedensrat sich bemühen, „Zistersdorf zu einer Festung des Friedens zu machen“ Ausgerechnet Zistersdorf. Eine ölige Sache.

In der Tschechoslowakei werden nunmehr Arbeiter nach einjähriger Ausbildung als öffentliche Ankläger, nach zweijähriger sogar als Richter Verwendung finden können. Politische Schulung ist in diesen Fristen selbstredend mit inbegriffen. Dem Volksstaat die Volksjustiz! Auf daß Recht’ werde, was dem Volke nützt. Woher klingt uns das noch im Ohr?

Der bekannte sowjetische Nationalökonom Varga hat in der Zeitschrift „Voprosy ekonomiki“ seine hart umkämpften Thesen widerrufen müssen und seinen Kritikern gegenüber „reformistische“ Irrtümer einge- Standern. Die besondere Gefährlichkeit seiner Irrtümer erfordere diesmal — so lautet der Kommentar — auch eine besondere Form der Zurückweisung. Denn Vargas Verfehlungen seien zu einem Zeitpunkt erfolgt, da die Bourgeoisie die Vertretung ihrer Interessen in verschiedenen Staaten „reformistischen Verrätern der Arbeiterklasse“ anvertraut habe Mit bösem Blick auf die Ostblockstaaten wird dazu noch angemerkt, daß dadurch auch in den „neuen Demokratien“ die dringende Notwendigkeit allgemeiner Umerziehung entstanden sei. Unter den ausdrücklich als irrig gebrandmarkten Anschaungen befindet sich vor allem die Anerkennung der von „bürgerlicher“ Seite unternommenen Verstaatlichungen, wie sie aus Vargas Schriften mehrfach hervorgehe. Über die Frage, ob solche Maßnahmen „fortschrittlich“ gelten können oder nicht, entscheidet also einzig und allein — w er sie vornimmt. Wenn zwei dasselbe tun, ist es eben nicht dasselbe.

Die Rückkehr der einheimischen Regierung nach Djogjakarta und die Räumung des Territoriums der indonesischen Republik durch die holländischen Truppen stellt einen ersten Schritt der Niederlande zu einer neuen Kolonialpolitik dar. Die Vermittlung der UNO-Kommission unter Leitung des Australiers Critchley hatte an dieser Wendung wohl ebenso viel Verdienst, wie der den Holländern durch den wenig erfolgreichen Kolonialkrieg Frankreichs in Vietnam erteilte Anschauungsunterricht. Eine Konsultativtagung, die am 1. August in Den Haag beginnen soll, wird die Übertragung souveräner Staatsgewalt an die indonesische Republik beraten. Diese Entscheidung, deren Tragweite für die Niederlande noch nicht abgeschätzt werden kann, verdient wegen ihres Mutes Anerkennung. Die seinerzeit zur Ausschaltung des wachsenden Einflusses extrem- nationalistiseher Elemente unternommene holländische „Polizeiaktion“ hat in der Weltöffentlichkeit wenig Beifall gefunden. Auch die beträchtliche Stärke der indonesischen Guerillas war kein Geheimnis. Im Zeichen der fortschreitenden Gärung in Südostasien hat Holland so, noch vor dem Spürbarwerden ernstlicher Rückwirkungen der kommunistischen Siege in China, den Weg der Verständigung mit den Kräften des asiatischen Nationalismus gewählt und durch seinen Delegierten van Royen staatsmännischer Ein- und Voraussicht, gegenüber der Sprache der Fliegerbomben und MGs, den Vorzug gegeben; zumal die letzteren im Dschungel noch weniger Durchschlagskraft als sonstwo besitzen dürften.

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