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Randbemerkungen zur woche

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Das „zweite österreichische Wunder“ wurde auf dem sozialistischen Lehrertag 1949 fn Wien der seit 1945 bestehende Religionsfriede genannt, das Ende jahrzehntelanger Kämpfe zwischen der Kirche und einzelnen Parteien. In seinem Referat über das Verhältnis zwischen Sozialismus und Kirche in Österreich erklärte der Vizekanzler Dr. Schärf, in vielen anderen Ländern habe es „bemerkenswerte Konflikte zwischen der herrschenden Landeskirche und der Sozialistischen Partei nie gegeben; viele sozialistische Politiker dieser Länder betätigen öffentlich das Bekenntnis zu ihrer Religion“. „In England, wo die Katholiken eine Minderheit bilden, ist die sozialdemokratische Labour-Party die Partei, der die Katholiken ihre Stimme geben." — Warum kam es in Österreichs Vergangenheit so ganz anders? Dr. Schürf erklärt den historischen Konflikt zwischen Kirche und sozialistischer Bewegung in Österreich als Ergebnis der „reaktionären“ Einstellung weiter Teile des Klerus sowie seiner engen Bindung an die alte christlichsoziale Partei." — Kann eine solche Erklärung wirklich standhalten? Es ist doch allzu bequem, einen in tiefe weltanschauliche Gegensätze und geschichtliche Vorgänge zurückreichenden und von vielen rein persönlichen Momenten mitbestimmten Konflikt zwischen zwei großen Lagern einfach aus einseitiger Schuld erklären zu wollen. Auf solche Weise käme man dem erwünschten verträglichen Nebeneinander nicht nahe. Immerhin sei als ein Zeichen einer — wir nehmen an: nicht nur für Wahlzeiten gültigen — Absicht, der abschließende Satz aus dem Vortrage Dr. Schärfs nach der Wiedergabe in dem sozialistischen Parteiorgane zitiert: „Unser Programm ist ein kulturpolitisches Programm der Toleranz, der Verständigung. Wir gehen in den Wahlkampf nicht mit der Erweckung konfessionellen Streites, sondern mit einem Programm des Fortschritts und der Humanität.“ — Ein Programm nicht durchaus eindeutiger Ausdrücke. Man möchte wünschen, daß der gewollte Akzent auf „Toleranz“ und „Verständigung“ liegt.

Die am 3. September an den Führer des VdU gerichtete und am 10. September erneuerte Frage ist seitens des Herrn Doktor Kraus unbeantwortet geblieben. Die „Furche" hatte wiederholt einem achtungsvollen Urteil über die Persönlichkeit des Gründers der „vierten Partei“ Ausdruck gegeben und, da schwere Anschuldigungen gegen die Führung des VdU Vorlagen, zögerten wir vor Erhalt eines deutlichen Erweises mit einem abschließenden Urteil über den in Frage stehenden Sachverhalt, bei dem wir für Dr. Kraus „mehr auf dem Spiele sahen als den mehr oder weniger glücklichen Ausgang einer wahlzeitlichen Auseinandersetzung“. Doch Dr. Kraus hat zu unserer Enttäuschung geschwiegen. Und er schweigt noch, obschon es inzwischen dokumentarisch offenbar geworden ist, welche Vorteile sich der Kommunismus und seine Hintermänner von ihrer „bürgerlichen Splitterparteien“ g ew ährten Förderung

— und ausdrücklich auch der Partei des Herrn Dr. Kraus — erwarten. Damit ist wohl dieser Akt geschlossen.

Das Organ der russischen Besatzungsmacht, die „österreichische Zeitung“, machte dieser Tage in einem Leitartikel einige recht bemerkenswerte Feststellungen; es hieß dort: „Seiner Klassennatur nach ist in den Ländern der Volksdemokratie der Staat die Macht der Werktätigen der Stadt und des Dorfes mit der Arbeiterklasse und ihrer kommunistischen Avantgarde an der Spitze. Folglich ist dieser Staat eine der Formen der Diktatur des Proletariats. Die Länder der Volksdemokratie haben den Weg des Sozialismus beschritten. Ohne die Diktatur des Proletariats ist es jedoch nicht möglich, diesen Weg weiter zu verfolgen.“ — Zum erstenmal seit vielen Jahren wird mit diesen Worten von sozusagen offizieller kommunistischer Seite zugegeben, daß eine kommunistische Staatsform unweigerlich im Zeichen der Diktatur stehen muß.

Die westdeutsche Regierungsbildung geht

— wenn auch in großen Etappen — ihrem Abschluß entgegen. Die Präsidenten- und Kanzlerwahlen sind vorüber und in wenigen Tagen wird Dr. Konrad Adenauer dem deutschen Volk und der Welt seine Ministerkollegen vorstellen. Gemeinsam werden sie ein Kabinett der sogenannten „Kleinen Koalition“, das heißt einer Verbreiterung der CDU nach rechts, bilden. Die zweitstärkste Partei, die deutsche Sozialdemokratie, wird nicht zuletzt auf Grund der schroffen Haltung Dr. Schumachers, den offenbar ein hartes Schicksal zu einem starren, unnachgiebigen Mann und zu einem schwierigen Verhandlungs partner gemacht hat, in die Opposition gehen. Zurückbleibt eine nicht allzu geräumige Regierungsplattform, auf der das Fundament des neuen Staates errichtet werden soll. Wird sie ihre Belastungsprobe bestehen? Einsichtige Köpfe von hüben und drüben — undogmatische Sozialisten ebenso wie weite Kreise der christlichen Gewerkschaften — blicken nicht ganz sorgenfrei in die Zukunft und haben ihre Bedenken laut ausgesprochen.

Seit vergangener Woche gibt es in Deutschland wieder Pressefreiheit. Ein Einschreiten ist den Besatzungsmächten nur mehr bei Bedrohung ihres Ansehens oder ihrer Sicherheit möglich, und auch dann ist für die Verfolgung des Delikts ein deutsches Gericht zuständig. Die Befürchtungen, daß die Freiheit der Presse auch zahlreiche Druckerzeugnisse zweifelhafter Art auf den Markt schwemmen wird, waren nicht aus der Luft gegriffen, denn der Botschaft von dem Ende der lizenzierten und reglementierten deutschen Nachkriegspresse folgt die Nachricht, daß auch die pornographische Presse, das Schandgewerbe in Druckerschwärze, wieder da ist.

Von der Heftigkeit der großen Auseinandersetzung des Weltkommunismus mit den „titoistischen Verrätern“ bekommt man erst das richtige „anschauliche“ Bild, wenn man die Karikaturen der sowjetischen und kominformtreuen Presse in den letzten Wochen verfolgt. Mit einer durchaus methodeverratenden Beharrlichkeit wird hier der jugoslawische Diktator als scheußliches Ungeheuer, als „Bluthündchen“ mit spitzen Ohren, mit bluttriefenden Pfoten und hakenkreuzförmigem Schweif dargestellt, wie es nach dem Happen einer Dollaranleihe schnappt, sich neben Franco und Tsaldaris zum Dollarfuttertrog drängt oder andächtig zum Bild seines „großen Lehrmeisters Hitler“ auf blickt. Ein andermal wieder sind Tito und seine Minister Rankovic und Djilas dargestellt, wie sie vor einem großen Spiegel stehen, aus dem ihnen — zugleich eine unmißverständliche Drohung! — die Totenköpfe von Hitler, Himmler und Goebbels entgegenstarren. Nimmt man dazu noch den breiten Raum, den die Anklageschrift gegen den ehemaligen kommunistischen Innen- und Außenminister Ungarns, Laszlo Rajk, in der gesamten kominformtreuen Presse einnimmt, und das Bemühen dieser Anklageschrift, immer wieder den jugoslawischen Geheimdienst — fast mehr noch als den amerikanischen — als den eigentlichen Weltbösewicht darzustellen, so erkennt man, welche Ausmaße das große Schisma innerhalb des Weltkommunismus bereits angenommen hat und welche Bedeufying man dem Ungehorsam Titos und seiner Freunde gerade im Hinblick auf mögliche Rückwirkungen in den kommunistischen Parteien der ganzen Welt zuerkennt. Tito, das große gefährliche Beispiel eines Kommunisten, der dem Kreml die Gefolgschaft aufkündigt, hat längst den Platz eingenommen, den früher einmal Leo Trotzki ausfüllte — der von den Stalinisten bestgehaßte Mann der Welt zu sein. Man braucht sich nur an den zähen, abgrundtiefen Haß zu erinnern, mit dem der sich mit Recht nirgends sicher fühlende Trotzki über den ganzen Erdball verfolgt und schließlich in Mexiko von seinen Mördern gestellt wurde, um die Tragweite und den Ernst der gegenwärtigen Auseinandersetzung zu ermessen. Und Trotzki war nur ein alter, wehrlos gewordener Mann, dem keine anderen Hilfsmittel zur Verfügung standen als seine Feder.

Der Kampf um das G r a m m o s- gebirge, jenes jahrelange Zentrum der griechischen Aufständischen, ist zu Ende. Zum ersten Male seit sieben Jahren, als sich die ELAS-Widerstandsbewegung gegen die deutsche Besatzung unter kommunistischer Führung bildete, ist Griechenland nahezu partisanenfrei. Auch der Rebellensender hat den Rückzug der Partisanen zugegeben, und zwar, wie verlautet wurde, „n ach Erfüllung ihrer Aufgabe in Griechenland“. Diese nicht unvertraut anmutenden Worte stellen also die gutklingende Version der Abschlußmeldung eines verlorenen Feldzugs dar. Welches ist der sonstige Epilog? Eine Abordnung griechischer Offiziere hat sich nach Bulgarien begeben, um hier ein gemeinsames Protokoll über die Entwaffnung der griechischen kommunistischen Freischärler durch deren bulgarische Gesinnungsgenossen zu unterzeichnen. Der bulgarische Außenminister hat eine offizielle Mitteilung darüber an den Generalsekretär der Vereinten Nationen gemacht. Eine erfreuliche Respektierung des Völkerrechts, aber peinlich unter Genossen.

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