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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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Man hat bisweilen den Eindruck, als ob die Ideale der sportlichen Ritterlichkeit, der von materiellen Erwägungen unabhängigen persönlichen Leistung des Sportlers, ihre Anziehungskraft auf die Massen verlieren würden. Dafür spricht wenigstens die Popularität, welche absonderliche Freistilringkämpfe in aller Welt — nicht nur in Wien — gewonnen haben, dafür spricht auch das gemütlich-pfiffige Lächeln, mit dem die Öffentlichkeit die Skandalaffären und Schiebereien zur Kenntnis nimmt, die immer häufiger aus Sportkreisen gemeldet werden. Und dafür zeugt schließlich die ungeteilte Freude, mit der die Einführung des Fußballtoto allgemein begrüßt wurde, der breite Raum, den die Zeitungen den Totovorhersagen und der Regelbesprechung einräumen, Es ist doch zu fragen, ob diesem zeitgemäßen Kind des Kleinen Lotto nicht etwas mehr Vorbehalt entgegengebracht werden sollte und ob die offizielle Protektion der Wettleidenschaft, die, wie etwa in Italien, alt und jung zu ergreifen droht, nicht ein schlechtes Geschenk auch für den Sport ist. Es ist nämlich nicht dasselbe, ob der Zuschauer eines Fußballwettkampfes den Sieg „seiner“ Mannschaft aus rein sportlichen Motiven oder aus Gründen des Reichwerdens erhofft. Und schließlich ist das Sporttoto sehr geeignet, die ungute Verknüpfung von Sport und Geschäft weiter zu verstärken, eine Wirkung, die kein rechter Sportler begrüßen kann. Wer weiß, ob bei diesem Spiel, bei dem viele verlieren, manche gewinnen werden, der Sport nicht der einzige wirkliche Verlierer sein wird.

In ihrer Antwort auf den österreichlscnen Protest gegen die bösartigen ungarischen Grenzvorkehrungen hat die Budapester Regierung geantwortet, diese Umwallung sei notwendig gegen das Eindringen von „Spionen und imperialistischen A g e n t e n“. Die Idee, daß sich ein Staat gegen Ausspähung mit geladenen Drahtverhauen und Kontaktminen zu schützen hat, ist ebenso originell wie ihre Ausführung kostspielig. Auf solche Weise hat sich noch kein Staat gegen Spionage und geheime Agenten zu wehren gesucht. Was werden jetzt die offenbar in hellen Scharen an der ungarischen Grenze herumlaufenden Spione und imperialistischen Agenten, gegen die solche umfassende Vorkehrungen notwendig sind, anfangen? Wie man hört, ist noch keiner von diesen also Ausgesperrten und Beschäftigungslosen an der burgenländischen Grenze gesichtet worden. Am Ende existieren sie nur in den unruhigen Träumen, von denen große Herren zu Budapest in bösen Nächten geplagt sind. Dann reduziert sich dieser Grenzschutz auf eine immerhin effektive Maßregel gegen unerlaubte Annäherung von Kühen und neugierigen Ziegenböcken.

Eine Mitteilung, die dieser Tage von der „Kath. Press“ über die Herkunft der Theologiestudier enden des Wiener Alumnats aus den verschiedenen Berufsständen verbreitet wurde, ist in mehr als einer Hinsicht interessant. Noch um die Jahrhundertwende war es der österreichische Bauernstand, der die übergroße Mehrzahl — in einzelnen österreichischen Diözesen achtzig Prozent — des Nachwuchses für den Priesterstand lieferte. Noch viel größer als in Wien war der Ausfall aus den Städten der steirischen und Kärntner Diözesen. Es läßt weitgehende Schlüsse zu, daß sich dieses Verhältnis fast durchgängig umgestellt hat. Von den 97 Theologiestudierenden des Wiener Alumnats sind — nach der zitierten Quelle — nur 9 aus bäuerlichen Familien hervorgegangen, 65 stammen aus Beamten- und Angestelltenkreisen, 23 von Eltern des Arbeiter- und Gewerbestandes. Überhaupt gibt die Herkunft aus der Stadt den Ausschlag: 69 von den 97 sind Wiener. Hier treten an einem markanten Berufe bedeutungsvolle geistige Umschichtungen in Erscheinung. Ideen, die vor zwei Generationen noch die Städte beherrschten und hier seitdem von einer erstarkenden christlichen Und sozialreformerischen Bewegung zurückgedrängt werden, halten ihren Einzug in die abgeschlossene Dorfgemeinschaft, sprengen oft genug schon die Gehege eines Traditionschristentums. Der Kommentar der „Kath. Press" sagt: „Der Schwerpunkt des kirchlichen Lebens liegt nicht mehr im .konservativen’ Bauerntum, sondern im bewußten Christentum der Großstädte.“ — Die Feststellung hat aber zugleich eine sehr ernste Bedeutung: „Die Eroberung des Dorfes", die sich nach dem ersten Weltkrieg der Sozialismus zum Ziel setzte, ist zwar diesem nur zum Teil gelungen. Aber ein gefährlicherer Eroberer ist jener merkantilistische Fremdgeist, der, begünstigt von der gebundenen Wirtschaft, in manchen Zonen des bäuerlichen Lebens durch Schwarzhandel und Übergewinne loskam.

Das Elternrecht auf die Erziehung der Kinder, das von den Anhängern der staatlichen Simultanschule, einer mitunter halb- oder ganz unreligiösen Schule in Frage gestellt wurde, auch oft und oft in der österreichischen liberalen und sozialistischen Presse, wird jetzt i m Einvernehmen der Parteien im Staate Israel gesetzlich und praktisch verankert. Wie in der von H. Halpern geleiteten österreichischen Halbmonatsschrift „Neue Welt und Judenstaat“ letztes Oktoberheft ein Mitarbeiter, Meir Faerber aus Tel Aviv ausführt, wird im Staate Israel gegenwärtig ein Schulwesen, nach Weltanschauung und Partei gegliedert, aufgebaut. Jede ideologische Richtung hat bereits ihr eigenes Schulsystem, man könnte sagen vom Kindergarten bis zur Matura. Die statistische Einteilung der Sramim war bisher die folgende:

Sogenanntes „Allgemeines Schulwesen“ 48.988 Schüler in 273 Schulen, das sind 50,2 Prozent.

Misrachi-Schulen mit religiöser Erziehung 21.935 Schüler in 174 Schulen, das sind 22,45 Prozent.

Arbeiter - Schulen sozialistisch, 26.669 Schüler in 369 Schulen, das sind 27,28 Prozent.

Gemeinsame Schulen 76 Schüler in zwei Schulen, das sind 0,07 Prozent.

Zusammen 97.668 Schüler in 818 Schulen.

Nach dem neuen Gesetz sollen die ideologischen Strömungen im Schulwesen ausgebaut werden, damitjederVaterdie

Linie der Erziehung seiner Kinder bestimmen könne; gleichzeitig soll eine Art neutrales Schulwesen mit einer „Tendenz der Tendenzlosigkeit“ geschaffen werden, die mit dem jetzigen „allgemeinen Schulwerk“ nicht unbedingt identisch sein muß. — Es ist zu beachten, daß die sozialistische Richtung das tonangebende Element im Staate Israel ist. Gelten ihre grundsätzlichen Erwägungen nur für diesen Staat?

Im Schweizer Bundesrat stand ein Interpellant auf. Er befragte die Regierung der sogenannten „Schweizerwüsten“ wegen, wie man die durch Kahlschlag entstandenen Flächen des Schwarzwaldes nennt. Den Vorwand zu den Schlägerungen lieferte der Borkenkäfer. Der Interpellant konnte freilich nicht die Schweizer Regierung für die folgenschweren Ereignisse, die Wasserführung und Klimawechsel bestimmen, haftbar machen; denn es waren die französischen Besatzungsbehörden in Westdeutschland, die das Schlagprogramm weit überschritten und sich dabei auf den Artikel 55 der Haager Landkriegsordnung beriefen. Es ist der gleiche Artikel, der angeblich auch den Abtransport von wissenschaftlichen Einrichtungen rechtfertigt. Der Sprecher der Schweizer Regierung gab dem Frager die lakonische Antwort, in Hinkunft seien erhöhte Holzimporte aus Deutschland nicht beabsichtigt.

Selten hat eine Maßnahme, wie die der Schlägerungen, bei denen neben anderen Importeuren auch die Schweizer mitwirkten, größere Erbitterung hervorgerufen. Dies um so mehr, als schon das verflossene Regime aus Gründen des Kriegspotentials Holz weit über den Ersatz einschlug. Was der Interpellant im Grunde brandmarkte, war aber weit mehr. Der sagenhafte Artikel 55 mag immerhin für den Sieger, für die Beute gelten; die Maßnahmen zwischen 1935 und 1945 waren eine — wenn auch verurteilenswerte — Handlung zur Stützung der schwankenden Zahlungsbilanz, die man durch den Bezug kriegswichtiger Rohstoffe überzogen hatte; ob der Artikel aber auch die Profitsucht angesichts des Elends eines Volkes rechtfertigt — dies war der eigentliche Sinn der Anfrage im Bundesrat. Es ging dem Abgeordneten nicht so sehr um die 800.000 Hektar umgelegten Forstes in den Westzonen, sondern um die allgemeine sittliche Einstellung des Menschen überhaupt. Emanuel Geibel hat einmal ein Gedicht geschrieben, das lange in den Schullesebüchern als Beispiel verantwortungsvoller Geisteshaltung stand: „Aus dem Walde.“ Da geht ein Förster an einem Sonntag durch den Wald und legt dem Begleiter den Segen aus, der in den Wipfeln rauscht: Was uns not ist, uns zum Heil ward’s gegründet von den Vätern; aber das ist unser Teil, daß wir gründen für die Spätem." Dieser Gemeinschaftssinn, der nicht bloß ein Volk, sondern alle Völker bewegen sollte, klang aus der kleinen Parlamentsanfrage. Und wenn sie auch — wie in diesem Falle — um fünfzehn Monate zu spät kam: es ist tröstlich, daß sie überhaupt gestellt wurde.

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