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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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Schon einmal unternahm es der Staat, das 65. Lebensjahr für seine Beamten als starre Grenze ihrer Dienstverwendung zu bestimmen. Der damalige Beschluß, stammend aus der Notzeit eines schwerringenden jungen Staates nach dem ersten Weltkrieg„ war eine Art Affekthandlung, deren bedenkliche Folgen für die Verwaltung sich alsbdid zeigten: Crjährene Beamte, auf der Höhe des Wissens und Könnens für die ihnen anvertrauten Verwaltung sag enden stehend, wurden plötzlich von ihren Schreibtischen vertrieben, ohne daß in vielen Fällen in die Materie eingearbeitete Nachfolger gefunden werden konnten. Es gab Fehlleitungen m Fülle. Aber auch staatsfinanziell war der Ertrag der Maßregel schlimm. Neue Vollpensionisten wuchsen in Mengen zu und belasteten durch bedeutende Mehrausgaben das Budget. Aber es zeigte sich auch alsbald, daß man die entlassenen Experten nicht entbehren konnte; so gab es Dispensen Unentbehrlicher von der Altersgrenze und Neueinstellungen Pensionierter als Vertragsangestellte, Schließlich war der Pensionsetat, aber auch der Beamtenetat gestiegen. Die Zahl der Staatspensionisten mit höchsten Ruhegenüssen hatte eine noch nie erreichte Höhe erklommen. Das Experiment war mißlungen. — Nun wird zum 31. Dezember 1949 eine M a s s e n e n tl a s- sung ohne zulässige Ausnahmen aller derjenigen stattfinden, die 65 Jahre alt geworden sind. Die Folgen dieser jähen linearen Maßregel werden durch keine Dienstesrücksichten abgemindert. Man kann dieser Maßregel aus sozialen Gründen, aber auch im Hinblick auf ihre Rückwirkung auf die Verwaltung nur mit Sorge folgen, so achtbar und löblich die Absicht ist, durch diese Maßregel der nachrückenden jüngeren Generation Luft zu machen.

Ein Flüchtlingsmädel — so etwas gibt es Jahre nach dem Krieg noch immer — hat nach fleißiger und guter Absolvierung ihrer Schulen und nach vielem Suchen endlich eine Stellung gefunden. Mit dem ganzen Feuereifer und Glück eines jungen Menschen über eine Aufgabe macht sie sich an die Arbeit, da braust wie ein Wirbelsturm die amtliche Intervention dazwischen und unter Abspielen der alten Grammophonplatte: „Nichtösterreichische Staatsbürger haben kein Recht auf eine Lehrstelle, sie dürfen bestenfalls eine Hilfsarbeiterstelle annehmen“, wird der Traum des jungen Menschenkindes zerstört. Es wird auf die Straße gewiesen, es darf sich zu keinem im Leben brauchbaren Beruf ausbilden, denn fähige, ausgebildete und arbeitswillige Kräfte haben wir so viele im eigenen Land mit den nötigen Inlandspapieren, daß wir, so wie das Gesetz es befiehlt, ungerufene Ausländer in die. Laufbahn eines ungelernten Hilfsarbeiters verweisen müssen. — Man mag über solche Fälle und ihre Begründung rechten und streiten, so viel und so lang man will — man kann die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß damit wieder ein junger arbeitswilliger Mensch im „Apparat“ zu Flugsand zermahlen wird. Solange alle Bestrebungen der einzelnen Menschen, die vielen, vielen kleinen Wunden mit Hausmitteln zu heilen, zunichte gemacht werden, weil die zentrale Planung vorschreibt, daß das Leukoplast auf eine andere Stelle zu kleben ist, solange ist der Krieg nicht überwunden.

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Die Erschütterung, welche Löhne und Preise erlitten haben, als bestimmte Produzenten und Händler es nicht eilig genug hatten; wegen der erwarteten Regulierung des Dollarkurses unter möglichst hoher Riskenberechnung ihre Preise hinaufzu- lizitieren, ist noeh nicht völlig zur Ruhe gekommen. Sie wird zum Schaden der anständigen Geschäftswelt noch im Weihnachtsmarkt zu spürep sein. Diejenigen„ die, sich bei uns noch nicht klar darüber geworden sind, wessen sie sich mit ihren sträflichen Preismanipulationen schuldig gemacht haben, sollten sich, wenn sie schon nicht die heimischen Aussagen überzeugen, vom Ausland das Notwendige sagen lassen. Ein so ernst zu nehmendes Organ wie die „Schweizer Monatshefte“ verweisen, in ihrem Dezemberheft zwar darauf, daß die Sprecher der Österreichischen Wirtschaft — gemeint ist in erster Linie die unzweideutige Stellungnahme des Präsidenten Raab vom Wirtschaftsbund — gegen die Preisexzesse Stellung genommen haben, sagen aber, man müsse sich über „die Sorglosigkeit der Parasiten- schicht“, der Preisspekulanten, seine Gedanken machen, „deren Gier nach .business' alle Erwägungen der Räson zum Schweigen bringt. Gerade in einem Land am Eisernen Vorhang ist das ein sehr gefährlichesSpie l“.

Warum ist von der Hilfe des Bunde s- id ohn- und Siedlungsfonds in Wien so wenig von geriieinnützigen Wohnbau Vereinigungen Gebrauch gemacht worden?' Daß die Gemeinde Wien für ihre Wohnbauten die Fondshilfe nicht begehrt, macht noch nicht erklärlich, warum das genossenschaftliche Bauen in Wien, der Stadt der drückendsten Wohnungsnot, durch den Beistand des Bundeswohnbau- und Siedlungsfonds nicht stärker angeregt wurde. Die Fondshilfe wurde nicht einmal für 100 Wohnungen in Anspruch genommen; nur das Burgenland und das durch Baukriegsschäden wenig betroffene Vorarlberg haben ähnlich geringe Quoten zu verzeichnen wie die schwerbetroffene Millionenstadt. Oberösterreich hat den Bau von über 1000 Wohnungen mit Hilfe des Fonds bewerkstelligt und steht damit an der Spitze der Bundesländer in bezug auf den Wiederaufbau unter Mithilfe des Wohn- und Siedlungsfonds; es hat von den 3526 Wohnungen — Gesamtaufwand 124 Millionen Schilling — mehr als 35 Prozent für sich buchen können; Steier mark und Tirol, beide von erheblichen Schäden- betroffen, erreichten in der diesjährigen Bauperiode über je 500 Wohnungsbauten mit Fondshilfe; daß Kärnten und Salzburg nur mit je über 100 Wohnungen beteiligt sind, ist aus dem Verhältnis ihrer g Kriegsschäden verständlich; hingegen ist auffallend, daß Niederösterreich nur mit g 100 bis 200 Wohnungen unter Fondshilfe I aufscheint. Der weitaus größte Teil der Wohnbauten mit Hilfe des Fonds wurde durch gemeinnützige Baugenossenschaften geleistet (2619), nur 911 wurden von Gemeinden unter Fondsassistenz ausgeführt. — Sehr zu begrüßen ist, daß neuestens der Bau von 1200 Wohnungen für Industriesiedlungen unter anderen im Mürz- und Murtal und am Mittelberger Kupferbergbau begonnen werden konnte. — Der zweite Faktor in der Wohnbaupolitik des Bundes, der Wohnhaus-Wiederaufbau- Fonds, der mit 450 Millionen Schilling dotiert ist, hat heuer Fondsdarlehen in 1930 Fällen gewährt, die rund 20.000 Wohnungsbauten mit einem Gesamtaufwand von 450 Millionen vorsehen, von denen heuer schon 250 Millionen verbaut worden sein dürften.

Die Klagen über mangelhafte rechtliche Verankerung behördlicher Verordnungen, Erlässe und Verfügungen wollen nicht verstummen. Wie berechtigt sie leider sind, zeigt ein Bericht über die Tätigkeit des Verwaltungsgerichtshofes. Er liefert einen schlüssigen Beweis für den wertmäßigen Rückgang des einst im In- und Auslande ob seiner Verläßlichkeit und gesetzmäßigen Fundierung bekannten österreichischen Verordnungswesens. Nach diesem Berichte mußten von insgesamt 98 Verfügungen solcher Art nicht weniger als 64 — also von drei behandelten Verordnungen je zwei — a u f g e h o- ben oder — wenn sie inzwischen außer Kraft getreten waren -— als gesetzwidrig erklärt werden. Damit sind nun auch die auf Grund solcher Verordnungen erfolgten behördlichen Entscheidungen ihrerseits anfechtbar geworden, aber ebenso auch die auf Grund derartiger Entscheidungen geschlossenen Rechtsgeschäfte. Ein Rattenschwanz von rechtlichen Verwicklungen ist die Folge. Verfügen die österreichischen Amtsstellen wirklich nicht über eine genügende Anzahl fachkundiger Kräfte? Die Zahl der Beamten wie jene der bei den einzelnen Behörden bestehenden Abteilungen ist in einem Ausmaße angewachsen, daß man sich fragen muß, wie es trotzdem zu einer Unterdotierung mit tüchtigen Rechtskennern kommen kann. Die Rechtssicherheit ist ein so hohes Gut, daß ihrer Wahrung jede denkbare Anstrengung und Sorgfalt gewidmet werden muß.

Italien will die Bestimmungen über die Aufhebung des Visumzwanges im Reiseverkehr mit seinem österreichischen Nachbarn widerrufen und den Sichtvermerk im Reisepaß wieder einführen — mitsamt dem Formularwesen und den zeitraubenden Umständlichkeiten, die er im Gefolge hat. Grund: die italienischen Fremdenverkehrsorganisationen haben sich beschwert, daß allzu viele Italiener auf Urlaub in die österreichischen Alpenländer gefahren seien. — Es wäre sehr bedauerlich, wenn unser südlicher Nachbar diesem Einwand nachgeben würde. Als die Beseitigung des Visumzwanges zwischen den beiden Ländern, die von Eisernen Vorhängen umgeben sind, erfolgte, erschien sie der Welt, die mehr starre Grenzen hat als gut ist, als ein freundliches, verheißungsvolles europäisches Wunder, wie ein erstes Anzeichen, daß das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der europäischen Völker sich zu äußern beginnt. Es wäre mehr als ein Verlust für Österreich, wenn der erste kleine Stern der Hoffnung wieder erlöschen würde.

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