6566593-1949_52_05.jpg
Digital In Arbeit

Randbemerkungen ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

Das Wiener Stadtbauamt hat dieser Tage mit einigen recht lakonischen Worten die „Gerüchte“ abgetan die in der Bevölkerung von Mund zu Mund gehen und davon sprechen, daß man an Stelle des ehemaligen Haas-Hauses aut dem Stephansplatz ein „Hochhaus" oder gar einen „Wolkenkratzer“ errichten wolle Tatsache ist. daß an dieser Baustelle seit einigen Wochen in raschem Tempo gearbeitet wird, Tatsache ist auch daß die Öffentlichkeit. die wohl ein Recht darauf hätte bis heute nicht über die endgültige Form unterrichtet wurde, die das Gebäude erhalten soll. Nun. das Stadtbauamt spricht davon daß es immerhin um einige Stockwerke höher seir wird als das ehemalige Haas-Haus war. Das ist eine Nachricht. die die vorgebrachten Befürchtungen nicht ganz zerstreuen kann —. ein Haus mit zehn oder mehr Stockwerken ist in Wien wenigstens. schon ein Hochhaus und geeignet das Platzgefüge um eien Dom auf die empfindlichste Weise zu stören; bot doch selbst das Haas- Haus Anlaß zu Klagen daß es die Größenverhältnisse verzerre und den Dom gewissermaßen in die Erde versinken lasse Eine öffentliche Diskussion dieses Problems das nicht nur Fachleuten am Herzen liegt und keine Angelegenheit von lokaler Bedeutung ist wäre dringend zu wünschen die Bekanntgabe der Absichten des Stadtbauamtes ebenfalls. Es brauchte dann wenigstens nicht zu solch unerfreulichen Streitigkeiten zu kommen, wie sie der plötzliche Abbruch der Albertinarampe hervorgerufen hat.

Die „Gewerkschaft der freien Berufe“, der unter anderem Künstler und Journalisten angehören gibt eine ziemlich umfangreiche Zeitschrift heraus, welche die Größe eines gewöhnlichen Mitteilungsblattes einigermaßen überschreitet und deren Herstellungskosten die Mitglieder 100hl oder übel mit ihren Gewerkschaftsbeiträgen bezahlen müssen In der letzten Nummer dieser Zeitschrift nun nahm ein heftiger vier Seiten langer Angriff des „verantwortlichen Redakteurs“ gegen die Orchester der Wiener Philharmoniker und Symphoniker den ersten Platz ein. Es ging natürlich um das leidige Kunstkammerprojekt. das von seinem Initiator — der eben der verantwortliche Redakteur des Blattes ist — allen Widerständen und der Meinung d er Öffentlichkeit zum Trotz offensichtlich immer noch nicht begraben wurde. — Es scheint uns als ob eine Gewerkschaftszeitung nicht der richtige Ort wäre, diesen Streit fortzusetzen; die Gewerkschaft hat ohnedies im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen rund um die Kunstkammer keine übermäßig glückliche Rolle gespielt Es geht doch wohl nicht an. daß der Redakteur dieser Zeitung die lediglich der Orientierung der Mitglieder zu dienen hat. im Widerspruch zu den meisten von diesen, in eigener Sache das Wort ergreifend, seine eigenen Pläne als Absicht einer gewerkschaftlichen Organisation legitimieren will.

Unsere Zeit hat sich daran gewöhnt, die Leiden und Tränen der Menschheit in statistischen Zahlen auszudrücken. Ob der Menschlichkeit damit gedient ist. ist

re Frage, aber immerhin geben auch trockene Zahlen einen Einblick in das Ausmaß der Menschheitskatastrophen der letzten Jahrzehnte und in ihre Folgen. Das kleine Österreich zählt heute, nach 30 Jahren, noch immer 51.996 Kriegsbeschädigte aus dem ersten Weltkrieg, obwohl diese Bevölkerungsgruppe sicherlich besonders für frühe Sterblichkeit anfällig war. Aus dem zweiten Weltkrieg gibt es 116.313 Kriegsbeschädigte, eine Zahl, in der sich freilich nicht ausdrückt, was die Invalidität in jedem einzelnen Fall für die Betroffenen bedeutet. Dazu kommen 28.329 Kriegerwitwen aus dem ersten und 56.345 Kriegerwitwen aus dem zweiten Weltkrieg, wozu noch 46.870 Frauen treten, deren Männer noch nicht zurückgekehrt sind. Leider läßt die Statistik nicht erkennen, ob hier wiederverheiratete Frauen mitgezählt sind oder nicht. Ferner gibt es 150.943 Kriegerwaisen. Nach dem Invalidenversorgungsgesetz sind im ganzen 511.042 Personen zu versorgen, wozu noch 459.022 Zivilunfalls-

rentner und andere durch die Sozialversicherung versorgte Personen kommen, so daß insgesamt rund ein Siebentel der österreichischen Bevölkerung staatliche Unterstützung wegen Alters, Krankheit oder Krieges bezieht, Nimmt man die Kriegsopfer allein für sich, so ergibt sich, daß der Krieg eine fürchterliche Hypothek auf den Lebenden hinterläßt die sich nicht nur in der finanziellen, sondern vor allem in der arbeitsmäßigen Mehrbelastung der Überlebenden ausdrückt Aber das alles sind nur Zahlen, Hausnummern. Wieviel schwerstes persönliches Schicksal, sich forterbend noch durch lange Zeit, steht hinter ihnen!

Nach dem konservativen Wahlsieg in Neuseeland, der eine vierzehnjährige Mehrheitsstellung der Labour Party beendete, brachten jetzt die Parlamentswahlen in Australien ebenfalls eine eklatante Niederlage von Labour zugunsten der Liberalen nach achtjähriger sozialistischer Mehrheit. Dieses Ergebnis kam recht überraschend. Ausgelöst durch aktuelle Verstaatlichungsfragen. zeigt es einen tiefgehenden Strukturwandel der politischen Meinung in Ubersee, der nicht ohne Einfluß auf die europäischen Verhältnisse, insbesondere auf die nächstjährigen Wahlen in England bleiben wird. Eine der bemerkenswertesten Folgen der beiden Labour- niederlagen ist der Umstand, daß nun sämtliche „weißen“ Überseegebiete des britischen Weltreichs in die konservative Richtung eingeschwenkt sind, denn die australischen Liberalen sind ebenso wie die neuseeländischen Konservativen eine Sammlung der früheren Liberalen und Konservativen mit konservativem Vorzeichen. Man kann darin neue Ideenbildungen sehen, die sich in diesen weit vom Schuß befindlichen Ländern viel schneller zu vollziehen scheinen als in Europa. Endgültige Urteile lassen sich aus der Ferne heute über diesen Prozeß noch nicht abgeben, aber beachtlich ist, daß diese Veränderungen einer deutlichen Absage an den „Apparat“ zu verdanken sind Daß die kolonialen Siedlungsländer einen besonders fruchtbaren Boden für die Devise von der Freiheit des Menschen bilden, ist klar. Das entscheidende Moment für die europäische Lage ist dabei, daß Ubersee wieder einmal der Ausgangspunkt für Weltentwicklungen ist und Europa nur der nachfolgende Teil sein wird.

Gegen den phantastischen Weltbil- dungsplan der „UNESCO“ melden sich jetzt, wie zu erwarten war, sehr nüchterne Einwände. Nach dem Projekt, das auf der vierten Jahrestagung der UNESCO entrollt wurde, soll ein bis in die fernsten Inseln der Südsee reichendes Erziehungs-, Bildungs- und Kulturwerk allergrößten Stils unternommen werden. Es soll die Gesamtmenschheit die freie Entfaltung ihrer Kräfte gesichert erhalten: gesundheitliche und soziale Sicherstellung, Teilnahme am wissenschaftlichen und künstlerischen Leben der Weltkultur. Gegen dieses himmelstürmende Projekt wendet die Zürcher „Orientierung“ (Nr. 2) ein, es müsse nachdenklich stimmen, wenn man die Art und Weise sieht, mit der dieses Werk begonnen worden ist. Fast möchte man von einem etwas naiven und leichtsinnigen Optimismus sprechen, der die tiefsten Kräfte des Menschen und seine wesentlichsten Ziele entweder nicht sieht oder gar bewußt von ihnen abstrahiert. Der bekannte protestantische Theologe Dr. Reinhold Niebuhr, Mitglied der amerikanischen Delegation bei der Vierten Jahrestagung der UNESCO, urteilt in der Zeitschrift „Christianity and Crisis“ nicht anders: „In ideologischer Hinsicht ist der Idealismus der UNESCO bestimmt von einem allzu vereinfachenden Universalismus. Ihre idealistisch denkenden Mitarbeiter übersehen die tragische Le- benswirklichkei t." Das eingangs zitierte Schweizer katholische Organ sagt schließlich mit nicht mißverständlicher Unverblümtheit: „Mit allem Nachdruck müssen wir als christlich sein wollendes Volk fordern, daß in Zukunft bei der Zusammensetzung der Delegationen der christliche Anspruch besser berücksichtigt werde. Wir sind überzeugt, daß weder unser Volk, noch andere überwiegend christliche Völker bereit sein werden, Millionensummen der UNESCO zur Verfügung zu stellen, damit man dort bloßen idealistischen Illusionen frönen kann. Wir sind uns dabei auch bewußt, daß die große Zahl, der christlichen Missionäre, Schulschwestern und Krankenpflegerinnen ein Erziehungsund Kulturwerk bei den primitiven Völkern geleistet haben und immer noch leisten, das auf haltbarerer Grundlage beruht und auf die Dauer wirksamere Erfolge zeitigen wird."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung