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Randbemerkungen zur woche

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Der Ministerrat hat den Entwurf eines Ausfuhrförderungsgesetzes zur Regierungsvorlage erhoben, die als Ausfallhaftung im Exportwesen eine Bundesgarantie von 500 Millionen Schilling vorsieht. Diese . wichtige neue Maßnahme zielt darauf ab, die Risikofreudigkeit der Exportwirtschaft zu heben und damit diesem für die Gesamtwirtschaft so wesentlichen Zweig einen neuen Auftrieb zu geben. Leider gab es während der letzten Monate trotz der verschledentllchen Bemühungen organisatorischer Förderung durch offizielle und halboffizielle Stellen gewisse Ausfälle, deren Gründe keineswegs ausschließlich vnrtschaftlicher Natur waren. Aufschluß darüber gibt die Tatsache, daß die Bundeskammer der gewerblichen 'Wirtschaft dieser Tage den einschlägigen Fachorganisationen und Firmen ein Rundschreiben übersandt hat, das sich über häufig begangene „Expo r t s ü n d e n“. offen ausspricht. Sicher bleibt im Rahmen kaufmännischer Tätigkeit vieles, ja das meiste der Tüchtigkeit und Initiative der Elnzelfirma überlassen. Die Frage der Konkurrenzfähigkeit unserer Erzeugnisse auf den ausländischen Märkten ist aber neben rein wirtschaftlichen Voraussetzungen, in hohem Maße auch einfach von der Art der Pflege der geschäftlichen Beziehungen mit den ausländischen Partnern abhängig. Zuvorkommenheit, Verläßlichkeit, strenge Redlichkeit, genaue und brauchbare Information haben in früheren Jahren zu den Grundsätzen österreichischer Wirtschaftsmorol gezählt, die während der letzten Jahre manchmal mehr als zu luiinschen übriggelassen hat und auch in der Exportwirtschaft wieder den ihr ge-büiirenclrn platz erhalten sollte. Man muß also hoffen, daß der Appell dazu Gehör findete '

Eine Umfrage des Wiener Stadtschulrates hat ergeben, daß vou den 1007 männlichen und 731 weiblichen Maturanten dieses Jahres nur ein Fünftel daran denkt, auf den Universitäten zu inskribieren. Nur 41 Maturanten, eine sehr kleine Zahl, wollen Medizin studieren — die' warnenden Hinweise auf die Überfüllung der medizinischen Hörsäle haben also doch gewirkt. Auffallend stark gestlegen ist die Anzahl derer, die nach der Maiüra eine Beamtenlaufbahn bei Staat oder Gemeinde anstreben: sie beträgt zehn Prozent. Erfreulicher ist, daß 52 Mittel-scfiulabsolveriten, erstaunlich viele also, ein H a n d W e r k erlernen wollen. Solche Beruf swiinsche wurden von Maturanten bis jetzt kaum noch geäußert; sie lassen aufhorchen. Ist es nicht so, daß auch heute, langt nach dem Krieg und seinen Arbeltszwangsmaßnahmen, sich die Grenzen ziuischen geistiger und handwerklicher Tätigkeit zunehmend verwischen? So wie der Typus des Werkstudenten auf den Universitäten längst zur selbstverständlichen Erscheinung geworden ist, so alltäglich sind Begegnungen mit graduierten Akademikern, die sich von ihrer Hände Arbeit nähren. An Wiener Krankenanstalten gibt es Hilfsärzte — tapfere Menschen —, die mit Handarbeiten für eine Textilfirma oder als Motorrennfahrer das Brot für ihre Familie verdienen, das ihnen Ihr akademischer Beruf leider noch verweigert. Die Fälle, in denen sich Intellektuelle durch ein Handwerk oder eine ähnliche Tätigkeit nicht nur vorübergehend, sondern dauernd eine Existenzmöglichkeit verschafft haben, sind gar nicht so selten. Hier zeigt ich eine Entwicklung an, die beispielsweise in Westdeutschland — dort freilich von einer weitgehenden Gewerbefreiheit be-. gvnstigt — noch deutlicher zu verfolgen ist; mag sein, daß diese Annäherung von geistiger und handwerklicher Leistung, von der allgemeinen Intellektuellennot erzwungen, einem tief er en Zeitbedürfnis entspringt und die Wünsche der Wiener Maturanten dafür ein sehr bemerkenswertes Symptom sind.

Eine der reizvollsten Erscheinungen nicht nur der österelchischen Publizistik ist es, daß sich so manche Gestalter der sogenannten öffentlichen Meinung mit besonderer Vorliebe zur Erheiterung der Zeitgenossen auf Plätzen tummeln, die für sie Glatteis sind. So geschieht es, daß in dem Grazer Organ der Unabhängigen (Folge 17) unter großer Aufmachung der Leser über das Thema: „Zwischen Moskau und dem V atikan“ unterrichtet wird. Mit welcher tiefgründigen Kompetenz das geschieht, zeigt beweiskräftig für alle zweihundert Druckzeilen folgende Stelle, die sich mit dem Doyen des Wiener diplomatischen Korps, dem päpstlichen Nuntius befaßt: „Als D elleplane nach der Wiedererrichtung Österreichs als päpstlicher Internuntius nach Wien entsandt worden war, hatte er versucht, seine Stellung dadurch zu stärken, daß er seine W a h l i n s Do mkapit al von St. Stephan betrieb. Seine Bemühungen, die in Klerikerkreisen als höchst ungewöhnlich betrachtet wurden, waren am Widerstand Innitzers und eines Großteils der übrigen Würdenträger gescheitert.“ — „Sufficit!“ sagt der Lateiner, „mehr braucht es nicht“, um die Menschen zu ergötzen.

Schauplatz: ein gewöhnliches Wiener Miethaus im Jahre 1950. — An der Tür eines Mieters wird geläutet. Der Wohnungsinhaber selbst macht auf. Vor Ihm steht e'v kleiner Mann, der sehr höflich grüßt und gleich auch den Zweck seines Kommens erklärt: er erlaube sich, den- Herrn zu bitten, seinen Namen und seine Adresse unter die Friedenskundgebung auf dem Bogen da zu setzen, von der der Herr sicher gehört habe und die nichts anderes bezwecke, als eine Ächtung des Krieges und Insbesondere der Atombombe herbeizuführen. Der Mieter hatte tatsächlich schon davon gehört und deshalb erklärte er in ebenso höflichen Worten, daß er seine Unterschrift auf diese Liste nicht setzen könne, da sie doch nur einer parteipolitischen Propaganda diene. Doch der VJerber blieb standhaft. Aber ebenso der Mieter. Das Gespräch ging eine Weile hin und her. Schließlich sah der Werber ein, daß seine Aktion gescheitert sei. Doch er gab nicht nach. „Wenn der Herr“, so sagte er, „nicht seinen Namen und seine Adresse auf diese Liste setzen wolle — er könne dies auch verstehen —, so mache das gar nichts. Um den Friedenswillen, den er ja habe, zu dokumentieren, genüge es. wenn er — irgendeinen Namen und irgendeine Adresse auf die Liste setze!“ Der Mieter verzichtete auch darauf und schloß die Tür. Die Geschichte — eine wahre Geschichte — ist zu Ende. Erlaubt ist gewiß die Frage: Wieviel von den 600.000 gesammelten Unterschriften In Österreich sind zuverlässig richtig zustande gekommen?

Eine eigenartige Konferenz fand vor kurzem in Stuttgart statt: sechzig deutsche und französische Bürgermeister hatten sich versammelt, um sich gegenseitig kennenzulernen, über gemeinsam Interessierende Kommunalfragen zu sprechen, vor allem aber, “um eine „Verständigung von unten her“ einzuleiten. „Nichts von dem, was in einem Volke vorgeht“, — sagte einer der Sprecher —, „darf in dem anderen Volk unbeachtet bleiben; und wenn die heutige Generation noch Vorurteile gegen ein anderes Land hegt, weil sie sich noch an jene alte Zelt erinnert. In der sie physische und moralische Leiden zu erdulden hatte, so haben die Kinder klare Augen und reine Herzen, die Gutes und Böses unvoreingenommen aufnehmen.“ Regelmäßige Zusammenkünfte der Bürgermeister, Austausch von Industriearbeitern und Technikern, gegenseitige Besuche von städtischen Schauspieltruppen, Gesangvereinen und Liebhaberorchestern — statt wie bisher, nur prominenter Künstler —, Volkkunstaus-

Stellungen und die Herstellung einer engeren Verbindung zwischen den Volksbüchereien sollen diesen Zielen dienen. Und der Bürgermeister von Aisnier prägte ein kräftiges Wort: „Besser sei die Behandlung gemeinsamer Sorgen der Wohnungsund Arbeltsämter und der Pädagogen, als die bisherige Kulturpolitik „vom hohen Olymp hera b“. — Vor genau fünf Jahren stand in der „Revue de Paris“ noch die düstere Alternative: „Wenn die Völker nicht ihre mächtigen Stimmen erheben, um dort mitzusprechen, wo die Intellektuellen versammelt sind, um im Namen der Völker zu verhandeln, dann wird man nur einen Weltgehirntrust schaffen, und dieser Wasserkopf wird unfähig sein, den Körper zu lenken.“ Aber der Pessimismus wird nicht recht behalten. Der Schuman-Plan bedeutet eine moralische Umwälzung in europäischen Staatskanzleien und vielleicht sagt nicht weniger, daß sich mit dieser ernsthaften Stuttgarter deutsch-fran-tösit-him Bürgermeisterzusammenkunft ein E-rlgnls offenbarte, das vor dem Kriege seit undenklichen Generationen unmöglich gewiesen wäre.

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