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Randbemerkungen zur woche

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DASS DER EINSATZ DER ATOMBOMBE unter dem ersten Eindruck der Hiobsbotschaften aus Korea von stürmisch sich erhebenden Stimmen begehrt werden würde, war zu erwarten. Die Panikstimmung, die sich eines Teiles der amerikanischen Presse und nicht weniger Mitglieder des Kongresses in Washington bemächtigt hatte, ist inzwischen einer ruhigeren Auffassung gewichen, und trotz der fortschreitenden Verdüsterung der militärischen Lage im Fernen Osten befinden sich die Befürworter einer Entfesse. lung des Atomkrieges offenbar im Rückzug. Zu dieser Wendung hoben ethische Bedenken wohl weniger beigetragen als Argumente militärischer und politischer Natur, wie sie zuerst von einipen auch in den Vereinigten Staaten viel beachteten Zeitungen Kanadas vorgebracht wurden. Diese Überlegungen lassen sich kurz wie folgt zusammenfassen. Selbst wenn es sich bewahrheiten sollte, daß Amerika Atombomben „kleinen Kalibers“ besitzt, die für eine Verwendung gegen Truppen im offenen Felde geeignet wären, so ist damit noch nicht gesagt, daß man mit solchen Bomben die chinesischen Heeresmassen am weiteren Vordringen hindern oder gar zum Rückzug zwingen könnte. Möglicherweise ergäbe sich eine ähnliche Enttäuschung wie bei dem erwarteten durchschlagenden Erfolg einer sehr starken Luftwaffe. Aber noch viel stärker fällt die Erwägung ins Gewicht, daß es kein sichereres Mittet gäbe, um die Vereinten Nationen zu spalten und zumindest ihre asiatischen Mitgliedstaaten zur Stellungnahme gegen Amerika und den europäischen Westen zu führen, als den Abwurf der ersten amerikanischen Atombombe, sei es auf chinesische Soldaten, sei es auf Städte oder Industriezentren im chinesischen Hinterland. Man würde nichts anderes erzielen als die Gewißheit, daß die westliche Welt über kurz oder lang dl letzte Position und den letzten Einfluß verlieren wird, den sie heute noch in Asien besitzt.

DIB REDE DES PRÄSIDENTEN DES GEWERKSCHAFTSBUNDES über die wirt-schaftspalitische Lage unseres Landes, mag man ihr auch nicht in allen Teilen zustimmen, ist wegen ihres Mutes zur W ahrheit eine seltene Leistung. Der alte Gewerkschafter sprach von den Anstrengungen, die wir machen müssen, um unsere Lebenshaltung in den nächsten Jahren auf der gegenwärtigen Höhe zu halt. Die Kürzung und schließlich das Aufhören der Marshall-Hilfe müßten durch eigene Kraft, durch die Steigerung der Produktion wettgemacht werden. An eine Steigerung des Realeinkommens sei für das nächste Jahr nicht zu denken. Im Gegenteil: „Härte Jahre der Arbeit und einer auch weiterhin bescheidenen Lebenshaltung liegen vor um. Ab er es ist besser, den Tatsachen ins Auge zu schauen: die Folgen des Krieges und der Nachkriegszeit können nicht in wenigen Jahren aus der Welt geschafft werden.“ Offene Worte, bittere Erkenntnisse. Trotzdem verträgt sie die Bevölkerung besser als jene in den letzten Jahren sich eingebürgerte Praxis des politischen Hinauflizitierens, der Forderunpen und Versprechungen; die Methode hat gerade im Zusammenhang mit dem vierten Lohn- und Preisabkommen wesentlich zur Mißstimmung beigetragen. Mut zur Wahrheit, auch wenn sie unpopulär ist: das ist verantwortungsbewußte Politik in einem arm gewordenen, kleinen Land.

IM ZUSAMMENHANG MIT DER VIELBESPROCHENEN THEATERKRISE hat jenes „Gratistheater“ in einem Wiener Vorort, das allabendlich vor vollbesetztem Haus durchaus nicht die schlechtesten Stücke spielt — auch Goethe. Schiller und Raimund stehen auf dem Spielplan —, zu einer interessanten Aussprache Anlaß gegeben. Der Verband der Theaterdirektoren nämlich hat sich in scharfen Worten, die nicht ohne Replik blieben, gegen dieses von freiwilligen Spenden des Publikums, nicht aber von festen Eintrittspreisen lebende Theater gewendet und die zuständigen Bühnengewerkschaften zur Verhängung des Boykotts aufgefordert. — Nun sind wir zwar nicht der Meinung, daß ein solches Gratistheater in der Theaterkrise gleichsam das Ei des Kolumbus darstellt. Aber dennoch, was ist wichtiger: daß standardisierte Eintrittspreise bezahlt werden, oder daß theatermüde oder -fremde Bevölkerungskreise überhaupt einmal zum Theaterbesuch angeregt werden? Doch wohl das letztere; und es besteht kein Zweifel, daß das Wieland-Theater in seinem Bezirk und mit den bescheidenen Mitteln, über die es verfügt, Tausenden den Unterschied zwischen klassi. schem Drama und Rührfilm zum Vorteile des guten Theaters deutlich gemacht hat. Dafür gebührt ihm immerhin einiger Dank, den man nicht durch Hinweise auf kommerzielle Bühnensitten aus besseren, aber leider schon vergangenen Zeiten schmälern soUte.

EIN ZWEITES OXFORD IN BRÜGGE? Die Hoffnungen auf ein baldiges Zustandekommen der Vereinigten Staaten von Europa waren verfrüht. Doch ist heute die Europäische Union gewiß keine Utopie mehr. Die Idee bewegt immer weitere Kreise. Aber entgegengesetzte Interessen, Traditionsunterschiede, engherziger Chauvinismus und wohl auch traditionelle Diplomatie ergrauter Staatsmänner ergeben Schwierigkeiten mancher Art. Wenn irgend, to bedürfte es hier junger Idealisten, die unbefangen an die große Aufgabe herantreten. Aus solchen Erwägungen entstand der Gründungsplan einer Akademie, an der Werkleute der Zukunft geistig vorbereitet werden sollen. Verhandlungen führten im Vorjahre schon zu einem Ergebnis und ermöglichten die Abhaltung eines provisorischen Probekurses. Es war ein Experiment. Doch in diesem Herbst konnte das „Europa-Kollegium“ offiziell seine Tore eröffnen, wenn man von Toren schon sprechen kann bei dem schlichten, ehrwürdigen, alten „Huis Arents“ in dem gastlichen flämischen Brügge, in dem das Institut einstweilen untergebracht wurde. Daß die Wahl auf Brügge fiel, muß symbolisch gewertet werden. War diese historische Hauptstadt Westflanderns doch jahrhundertelang der rege Mittelpunkt des europäischen ökonomischen und kulturellen Lebens. Heute ist Brügge eine stille, verträumte Stadt der künstlerischen Wunder, werke, die zu Studium und Beschaulichkeit toohl eine unvergleichliche Stätte sein mag. Brügge will ein zweites Oxford werden, geistige Rüstkammer und kulturelles Zentrum der künftigen Union. Die städtischen Behörden hoffen, dem jungen Institut bald ein neues, größeres Gebäude zuweisen zu können. Aus den zahlreichen Aufnahmebewerbern galt es eine Auswahl zu treffen. Vierzig diplomierte Studenten repräsentieren heute fünfzehn Nationen. Dr. Heinz Gleißner, Sohn des Landeshauptmannes für Oberösterreich, wird als Vertreter unseres Landes der Session des ersten akademischen Jahres beiwohnen. Als Rektor fungiert Dr. Hendrik Brugmans, als Studiendirektor Dr. Henri van Effenterre. Die Arbeit des Kollegs vollzieht sich in enger Verbindung mit den unterschiedenen Landesregierungen, den Vorständen der Uni versitäten, den gleichgesinnten Studenten-Vereinigungen und den Nationalen Räten der europäischen Bewegung. Als Studenten bevorzugt man vor allem Juristen, Histo riker und Volkswirtschaftler. Der ver heijBunpsvolle Anfang läßt Gutes erhoffen.

DIE SANFTEN HOFFNUNGEN VON LAKE SUCCESS, daß die chinesisch-koreanischen Angreifer den wilden Siegeslauf ihrer zehnfachen Ubermacht gegenüber den UN-Truppen am 38. Breitegrad stoppen würden, sind recht fraglich geworden. Der Appell von 13 asiatischen und arabischen Mächten an die chinesischen Armeen, an dieser Grenze haltzumachen, ist unbeantwortet geblieben. Der Stoß geht weiter. Eine tragische Verkehrung der Lage hat statt, gefunden. Schon einmal — als die unter dem Oberbefehl General MacArthur stehenden Truppen in ihrem Vordringen sich dem 38. Breitegrad näherten — sollte dieser die Grenze der bisher siegreichen Armee der Alliierten sein. Dafür sprach die Politik des Weißen Hauses, die damals sichtbar auf jene Beschränkung der militärischen Operationen aus politischen, auf den friedlichen Abschluß der koreanischen Intervention gerichteten Erwägungen eingestellt gewesen war. Auch das britische Kabinett teilte sehr bestimmt diese Auffassung. Damals, als durch die Rückeroberung der Hauptstadt Seoul eine sehr günstige Position für Verhandlungen erreicht worden war, schrieb die „Furch e“:

„Es wäre zu wünschen, daß diese unglückliche Grenze des 38. Breitegrades auch gegen den Willen der Südkoreaner respektiert wird und in der Nähe dieser unsichtbaren Schranke ein wirklicher Friedensschluß erreicht wird. I n dieser Situation sollen die Staatsmänner reden und nicht die Soldaten.“

Die Bedeutungsschwere der Tatsache, daß damals vor acht Wochen der große Soldat MacArthur in der Auseinandersetzung mit Truman das letzte Wort behielt, ist heute offenbar. Nicht die Staatsmänner, sondern der harte Soldat MacArthur hat damals das Übergewicht behalten. Auf die Nichtachtung jener Grenze berufen sich die Pekinger Machthaber, um behaupten zu können, daß sie eine Aggression abzuwehren haben. Ein Vorwand, eine Beschönigung für die eigene kriegerische Unternehmung? Vielleicht. Aber den Vorwand gegeben zu haben, war ein verhängnisvoller Fehler. Er muß sehr teuer bezahlt werden.

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