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Randbemerkungen zur woche

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EINEN INNENPOLITISCHEN WAFFENSTILLSTAND hat Englands „great old man“ Wtnston Churchill seinem Land zu dessen Gesundung und innerer Erneuerung vorgeschlagen. Dieses Wort, gefallen mitten in einem großen politischen Waffengang, in dem sonst weniger die staatsmännische Einsicht als die politische Leidenschaft zu Wort kommt, verdient auch in Österreich aufgenommen und für österreichische Verhältnisse ausgelegt zu werden. „Muß denn das sein?“ Diese Frage drängt sich nicht wenigen und nicht gerade den schlechtesten Staatsbürgern auf, wann immer sie unfreiwillige Zeugen irgendeiner parteipolitischen Eskapade geworden sind. Und an denen fehlt es nicht. Kein Wort gegen politischen Meinungskampf, gegen das ernste Abwägen von Argument und Gegenargument, die das politische Leben vor bürokratischer Verknöcherung und totalitärer Erstarrung bewahren. Aber darum handelt es sich ja nicht. Der kleine und sehr oft auch kleinliche Zank ist es, der die Atmosphäre vergiftet, der Bitterkeit und Abneigung zwischen die Söhne eines Volkes streut. Beispiele: Der Gegner, das muß immer auch ein moralisch minderwertiger, ein schlechterer Mensch sein. Die „andere“ Partei kann nur von üblen Absichten und krassem Eigennutz geleitet werden. Wenn die Gegenwart nicht genügend Argumente liefert, dann herbei mit der Mottenkiste Vergangenheit. In ihr finden sich bestimmt einige zerschlissene Kostüme, die der böse Feind einmal getragen und durch deren Löcher man heute seine Blößen sieht. Eine übermäßige Lautstärke, eine geringe Vorsicht bei der Wahl deri Adverbien tun das übrige hinzu. So und nicht anders werden aus politischen Gegnerschaften persönliche Feindseligkeiten, die jedes ernste Gespräch zwischen den verschiedenen Zelten eines Lagers — des Vaterlandes — verhindern. Einen innenpolitischen Waffenstillstand auch in Österreich? Vielleicht. Auf jeden Fall aber täte eine Konvention gut, die bei der Austragung politischer Meinungsverschiedenheiten nur das Florett als zulässige Waffe anerkennt und den Prügel ächtet... •

VOM VERBRECHEN DER GESCHENKANNAHME in Amtssachen und einer Reihe weiterer schwerwiegender Anklagepunkte wurde Sektionsrat Dr. Jaroslav Ramb ou-s ek freigesprochen. In der ausführlichen Urteilsbegründung heißt es, „daß nach Auffassung des Gerichtshofes wohl in einigen Punkten ein disziplinares Vergehen zweifellos erwiesen sei, jedoch kein strafbarer Tatbestand, weil... ein kausaler Zusammenhang zwischen der Annahme von Geschenken und der Ausübung seiner Pflicht nicht gegeben sei... Eines habe das Beweisverfahren eindeutig ergeben: daß der Angeklagte nicht die charakterlichen Qualitäten besitzt, die man von einem öffentlichen Beamten erwarten darf und erwarten muß“. Freispruch. Schuldspruch. Am folgenden Tage erschien eine Stellungnahme des Innenministeriums, das sich gegen Pauschalverdächtigungen seiner Beamten verwahrt. „Der Innenminister drückte zunächst sein Bedauern darüber aus, daß ein Staatsbeamter sich dazu hergibt, eine Gruppe anderer Beamter ohne sichtlichen Anlaß und Grund zu verunglimpfen und zu beschimpfen.“ Das Innenministerium verweist in dieser Verlautbarung auf eine Erklärung des Staatsanwalts während des Prozesses: dieser habe von einer „verpesteten Luft Im Innenministerium“ gesprochen. Schuldspruch. Freispruch. Am nächstfolgenden Tage wurde der genaue Wortlaut der Rede des Staatsanwalts bekannt. Er hatte von „einer verpesteten Luft in der Abteilung“ des Angeklagten im Ministerium gesprochen. Freispruch. Schuldspruch. Es tut gut, sich einige Tatsachen ins Gedächtnis zu rufen. Über 1,700.000 Menschen leben in Österreich vom Staate, sind ihm verpflichtet. Ein Drittel unseres Volkes dient mittel- oder unmittelbar als Beamte. Um einen Gehalt, der oft ein bescheidenes Maß kultureller Genüsse nicht erlaubt. Seit fünf Jahren wird von einer Reform und Umschichtung gesprochen. Nichts ist bisher geschehen. Dafür mehren sich in den letzten Jahren schärfste Angriffe gegen Beamte aller Dienstgrade. Der Brand im Schloß Belvedere, Entwendung von ethnologischen Altertümern aus dem Völkerkundemuseum, der Diebstahl kostbarster Urkunden und Siegel im Staatsarchiv. Flammenzeichen waren es, ein Ruf an Österreichs Öffentlichkeit: Schützt eure wertvollsten Güter! — Keiner dieser Fälle ist bis heute restlos geklärt worden. — Ein großartiges Erbstück aus Altösterretchs Vergangenheit, um das uns viele Völker ein-und uneingestandenermaßen beneidet haben, toar der österreichische Beamte. Ein Urbild der Gerechtigkeit, der Unbestechlichkeit, der Gewissenhaftigkeit, treuester Pflichterfüllung. Die Umbrüche der letzten Jahrzehnte, die politischen Umstürze, der tiefe und regelmäßige Eingriff der Parteien und Parteiungen in die Stellenbesetzung haben den Kern der österreichischen Beamtenschaft nicht zu zersetzen vermocht. Noch dienen Abertausende treu, korrekt. Hohe, mittlere, niedere und ganz niedere Beamte. Es ist Zeit, auf sie zu sehen. Die Zeichen der Zeit sprechen eine zu deutliche Sprache. Eine Genesung unseres Volkes ist undenkbar ohne den Wiederaufbau einer gesunden, gesicherten und geachteten Beamtenschaft. Einer Beamtenschaft ohne „Fälle“, ohne Schuldsprüche, ohne Freisprüche. Hier hat nun nicht mehr der Gerichtssaal, das Publikum oder die Presse das Wort, sondern der Nationalrat. Seine Aufgabe Ist es, nach dem Rechten zu sehen: durch eine Gesetzgebung, die den österreichischen Beamten wiedererweckt. Geringer an Zahl, aber höher an Wert, wird dieser seine alten Qualitäten beweisen. Er wird ein Diener des Staates sein: korrekt, unbestechlich, vorbildlich.

GROTEWOHL DACHTE AN ALLES, als er seine Vorschläge für eine gesamtdeutsche Wahl nach Bonn schickte, aber daran, daß Adenauer sie annehmen würde — wenn auch mit gewissen Vorbehalten —, daran dachte er nicht. Und so schien es zu einem hochpolitischen Sonntag in Berlin zu kommen, als die Regierungschefs der beiden Deutschland für denselben Tag und am selben Ort Erklärungen ankündigten. Adenauer kam und sprach von seinem und seiner Regierung ernsten Willen, die deutsche Einheit wiederherzustellen. In den Grenzen von 1937. Als einzigen Weg zu ihr sehe er aber nur von neutraler Seite kontrollierte, wirklich freie Wahlen. Auch Grotewohl hielt eine Rede. Es war allerdings nicht die erwartete Erklärung, die — so groß war die Überraschung im ostdeutschen Lager — verschoben wurde. Neben den üblichen Vorwürfen an die Bonner Adresse fiel in seinen Ausführungen der Satz auf, daß „die angebliche Fata Morgana der Wiederherstellung der deutschen Einheit unter allen Umständen“ ■ Wirklichkeit werden müsse. Unter allen Umständen? Auch unter Annahme der nur zu verständlichen Bedingungen Adenauers? Vlbrichs Flugzeug war noch nicht von Moskau zur Heimreise gestartet. Er dürfte die Antwort bringen. . . :, . •.-'•»•, L-^jk , , ■ • • ■:■

IN DEN BASAREN VON ABADAN häufen sich Kühlschränke, Musiktruhen, Hausbars — Hinterlassenschaft der britischen Beamten der ölgesellschaft, deren letzte inzwischen die Stadt verlassen haben, in der sie einen der größten Industriekonzerne der Erde aufgebaut hatten. Man hatte den Abziehenden „im Geiste der traditionellen persischen Gastfreundschaft“ ein solennes Abschiedsbankett serviert, die iranischen Zollbeamten befleißigten sich der vollendetsten Courtoisie und doch nannte einer der Evakuier“ ten den Moment, da er Persien verließ: „einen der demütigendsten Augenblicke in der Geschichte Großbritannien*“. Vergebens war der Kreuzer Mauritius an dem irakischen Ufer des Grenzstromes vor Anker gegangen, er durfte nicht in die persischen Hoheitsgewässer einfahren, um seine Landsleute an Bord zu nehmen. Vergebens war eine der berühmten Fallschirmjägerbrigaden auf Cypern gelandet worden, hatten britische Korvetten vor der unbe-wehrten persischen Küste gekreuzt. Die USA waren bemüht gewesen, einen leidlichen Ausgang zu vermitteln.... Die öl-stadt Abadan mit einem Teil der Tankerflotte, mit von der Anglo-lranian errichteten 8000 Wohnhäusern, 2500 britischen Kraftwagen, mit allen Rohrzuleitungen und Anlagen ist bis auf weiteres nun allein nationaliranischer Besitz. Schon melden sich „neutrale“ Bewerber für die Leistung der qualifizierten Facharbeiten und Abnehmer für die ölprodukte. Großbritannien hat hier einen Rückschlag erlitten, ungleich eindrucksvoller und ebenso weitreichend als die noch freiwillige Aufgabe von Indien, Burma und Ceylon. Düstere Schatten fallen von den südpersischen Bohrtürmen auf den Nahen Osten: Transjordanien, Irak und den Suezkanal... Der ägyptische Nationalismus hat seine Chance auch sofort wahrgenommen: Nahas Pascha kündigt den Vertrag mit Großbritannien, Faruk soll König von Ägypten und des Sudans werden. Eine Kettenreaktion noch unvorstellbaren Ausmaßes kann in Abadan ausgelöst worden sein...

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