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Randbemerkungen zur woche

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„DAS JAHR DER KATASTROPHEN“: dieses traurige Beiwort begleitet 1951 anscheinend bis an sein Ende. Mit dem Donnern der Lawinen begann es. Der Frühling brachte so nicht nur neues Leben, sondern auch hundertfachen Tod. Blitz und Hagelschläge in übergroßer Zahl sah der Sommer. Als es Herbst werden wollte, kam die Unglücksbotschaft von Langenwang. Und nun decken Schlamm und Wasser toeite Landstriche der so fruchtbaren oberitalienischen Erde und zehntausende Menschen sind obdachlos, heimatlos. Nachrichten, die zu fassen es schwerfällt, dringen an unser Ohr: da mußten Dämme gesprengt und mehrere kleine Städte den Fluten überont-wortet werden, um eine andere Stadt vor der völligen Katastrophe zu bewahren ... Doch daneben lassen andere Meldungen aufhorchen. Sie berichten von internationalen Hilfsaktionen, von der Einrichtung einer regelrechten „Luftbrücke“ — jener Erfindung des kalt-heißen Krieges um Berlin —, yon Geld- und Sachspenden aus aller Welt für die Opfer. Unterschiede von Nationen waren plötzlich ohne Bedeutung, die Grenzlinien verblassen, der Mensch kommt dem Menschen zu Hilfe. Nun ist bei Naturkatastrophen diese menschliche Hilfe nur spät möglich. Wie ist es aber bei den großen Katastrophen der Menschheit? Hier wären frühe Bereitschaft und weitgehendes Verständnis der Menschen untereinander die Dämme, die eine Überflutung geradezu ausschließen.

EIN „OFFENER BRIEF“ des als Anwalt

Volksdeutscher Interessen bekannten Nationalrates Erwin Machunze an Herrn Hans Wagner, „ehemaligen Abgeordneten des ,Bundes der Landwirte' im Prager Parlament“, und ein» maßlose Antwort machen auf ein Übel aufmerksam, an dem die Sache der Volksdeutschen in Österreich schon seit längerer Zeit krankt. Da gibt es zunächst die einen; jene, die in unermüdlicher harter Kleinarbeit gegen alle bürokratischen oder sonstigen Widerstände die Anliegen ihrer. Landsleute verfechten und deren Eingliederung in die neue-alte Heimat Schritt für Schritt vorwärtsbringen. Und da sind auch noch andere — ihre Zahl ist allerdings sehr, sehr klein, die alle Bemühungen durch zügellose Reden und mutwillige Aktionen gefährden, Nichts kann ihnen recht ■ gemacht werden, an keiner Sache lassen sie ein -gutes Haar. Und so scheuen diese trügerischen Propheten auch nicht davor zurück, jenen nach einem Strahl der Hoffnung haschenden Menschen trügerische Bilder einer baldigen Heimkehr vorzuspiegeln. Und erst ihre Worte! Das ganze unglückselige Vokabular eines entarteten deutschen Nationalismus feiert in diesem Zirkel eine späte- Wiederkehr. Der Ungeist eines Karl Hermann Wolf geht wieder um... Dieser Weg führt nicht zur Freiheit und Gleichberechtigung, auch nicht in die alte Heimat, sondern in neues und noch größeres Unheil. Deshalb ist es nur zu begrüßen, wenn der Trennungsstrich deutlich und unmißverständlich gezogen wurde.

„WIR KRITISIEREN, GENOSSE REKTOR.“ Unter dieser Devise haben einige Teilnehmer am „Staatlichen Kurs für die Vorbereitung von Arbeitern für die Hochschuir.“ scharfe Angriffe gegen die Dozenten der tschechischen und slowakischen Literatur an der Prager Universität gerichtet und festgestellt, daß „der Unterricht der Literaturwissenschaft an der philosophischen Fakultät vernachlässigt“ werde. Der leitende Professor dieses Katheders, Rektor Professor Mukatovskf, konnte selbstverständlich nichts anderes tun, als die Berechtigung dieser Kritik anzuerkennen und zu versichern, daß diese Kritik wesentlich dazu' beitragen werde, die Erziehung der jungen „Kader“ in Hinkunft zu verbessern. Ab sofort werden die kosmopolitischen und reaktionären Ansichten, wie sie bisher in der Literaturwissenschaft vorherrschten, einer scharfen Kritik unterzogen und vor der Öffentlichkeit bloßgestellt werden; eine Diskussion über Stalins Artikel über die Sprachwissenschaft werde stattfinden, eine Reihe zusammenhängender Diskussionen werde sich sodann mit den einzelnen Strömungen der bourgeoisen Literaturwissenschaft in der Tschechoslowakei befassen, vor allem mit der kosmopolitischen, einer nationalen Kultur feindlichen Richtung der Kritik, aber auch mit der Kritik des bourgeoisen Objektivismus und Eklektizismus, Die fortschrittliche Tradition des tschechischen Volkes soll hingegen gepflegt und der heutigen kämpferischen, marxistisch-leninistischen Literaturwissenschaft dienstbar gemacht werden. Nichts könnte die Lage der Wissenschaft, die Bedeutung der Universitäten und ihrer Dozenten in den Ländern der Volksdemokratie drastischer veranschaulichen als diese kleine Episode. Denn Professor Mükarovsky, der hier so scheu vor den Angriffen einiger Studenten zurückweicht, ist nicht irgendein Überdauerer aus der bourgeoisen Hochschulära.

Seit dem Studienjahr 1949/50 steht er als Rektor an der Spitze der Prager Universität, er gehört dem Präsidium des Weltfriedensrates an und anläßlich seines 60. Geburtstages stand er im Mittelpunkt öffentlicher Ehrungen. Präsident Gottwald sprach ihm seine Wünsche für seine weitere „schöpferische wissenschaftliche Tätigkeit“ aus, Unterrichtsminister Nejedly lobte seine Erfolge auf wissenschaftlichem Gebiet und im öffentlichen Leben und das „Rudi prävo“ anerkannte das „Pathos der großen patriotischen Begeisterung“, das aus seinen Werken spricht. All diese Auszeichnungen und Anerkennungen sind vergessen, wenn ein paar geeichte Parteistudenten, die kaum die Universität bezogen haben, ihre Kritik an dem Genossen Rektor äußern. ' - •'• • DIE SOZIALEN SPANNUNGEN IN FRANKREICH verschärfen sich. Wohl hat die heurige Produktion überall jene des bisher besten Wirtschaftsjahres (192.9) überholt und auf allen Gebieten zeigen die Statistiken das Bild eines auf vollen Touren laufenden Wirtschaftsapparats. Die Lebenshaltung der Bevölkerung ist dagegen in bedrohlichem Absinken. Denn die Löhne halten beim Dreizehn- bis Vierzehnfachen der Vergleichsziffer von 1938, während die Preise auf das Ztoeiundztuanzig- bis Drei-undzu>an2igfache geklettert sind. Die Ursache? Ein Beispiel! Eine Hausfrau kauft beim Händler einen Salatkopf um 25 frs. Zu Hause angelangt, findet sie, zwischen den Blättern verborgen, einen Zettel, auf den der Bauer, der diese Pflanze gezüchtet hatte, schrieb: „Diesen Kopf habe ich für 3.50 frs verkauft.“ Ein aufgeblähter, instanzenreicher Zwischenhandel schaltet sich zwischen Arbeit und Verbrauch ein. Die Folge: jene Mißstimmung, die so schwer zu zerstreuen ist, weil sie aus täglich neu sich meldenden Beschwerlichkeiten geboren wird. Die breiter werdende Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben weiter Bevölke-rungsschichten ist auch mit Schuld an der stabilen Zahl der kommunistischen Wählerstimmen. Denn nicht jeder Stimmzettel, der für den Linksextremismus abgegeben wird, wird von der Hand eines eingeschriebenen Parteimitgliedes in die Urne geworfen. Not zieht auf die Dauer fast stets eine gewisse politische Radikalisierung nach sich. Diese „malaise“ nötigt die christlichen Gewerkschaften, mit den sozialistischen eng zusammenzuarbeiten und selbst mit den kommunistischen wenigstens Kontakt zu halten. Jedes Land hat sein besonderes Leiden, und das französische heißt Indochina. Der Krieg im Osten macht einen großen Vorteil der Marshall-Hilfe zunichte. Nun steht Frankreich vor neuen großen Staatsausgaben — die Kosten der Aufrüstung müssen aufgebracht werden, und es geht um deren sozial gerechte Aufteilung. Wie überall wird auch hier eine Politik der rechtzeitigen freiwilligen Rücksichtnahme auf den wirtschaftlich Schwächeren mehr Gutes wirken als nachträgliche, erzwungene und dadurch psychologisch fruchtlose Konzessionen.

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IN DEN DÖRFERN DES HIMALAYA spielen sich seltsame Dinge ab. Bergauf, bergab steigen die Bewohner Männer und Frauen, um eine eigenartige Zeremonie zu vollziehen. Vor Einsetzen der Winterstürme müssen sie 2um ersten Male in der Geschichte Indiens Stimmzettel in die Urne werfen. Diese beiden unerläßlichen Requisiten zur Erforschung des Wählerwillens haben sich hiebei ortsangemessen gewandelt. Die Stimmzettel tragen keine Beschriftung, sondern eine Bebilderung, jene Sinnbilder, unter denen sich die einzelnen wahlwerbenden Parteien bei ihren Versammlungen vorgestellt haben: den weißen Elefanten, den schwarzen Pflug, das Boot, das Kamel. Dieser Wähler verlangt also den Stimmzettel mit dem weißen Elefanten und schreitet mit ihm zu der mit dem gleichen Sinnbild geschmückten Urne, jener tut dasselbe mit dem der Partei. vom schwarzen Pflug. Zur Identifikation seiner Persönlichkeit muß jeder Wähler seinen Daumenabdruck in roter Tinte geben. 185 Millionen indische Wähler werden auf diese Weise ihren politischen Willen bekunden. Mit Druckerschwärze, die in Europa bei solchen Anlässen in Strömen fließt, wird bei diesem Akt kein großer Aufwand getrieben werden. Das Resultat wird bei der Größe und politischen Bedeutung des indischen Subkontinents aber möglicherweise in anderen Erdteilen zu erheblichem Verbrauch derselben führen.

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