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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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AUCH DAS NEUE JAHR sieht unseren akademischen Nachwuchs im Kampf um ein menschenwürdiges Dasein. Da sind einmal die Rechtspraktikanten. Allem Schein zum Trotz sind ihre Sorgen noch immer nicht aus der Welt geschafft. Die gegebenen Zusagen haben sich als eitel herausgestellt! Anfang Dezember schien es schon, als ob eine tragbare Lösung dieses leidigen und so beschämenden Problems gefunden sei: Erhöhung des Adjutums um 50 Schilling im Monat ab 1. Jänner 1952 und 300 Schilling Zulage für Weihnachten. Kurz vor den Feiertagen gab es aber eine bittere Enttäuschung. Nur die verheirateten Rechtspraktikanten sollen — so wurde bekannt — den monatlichen Zuschuß erhalten und das volle „Weihnachtsgeschenk“ — so der offizielle Terminus — von 300 Schilling wurde nur jenen zuteil, die bereits im Juli das erste Adjutum empfangen hatten. Für jeden späteren Monat des Dienstantritts wurden 50 Schilling abgezogen… 50 Schilling hin — 100 Schilling her: das ist für einen österreichischen, Jungakademiker eine ansehnliche Summe. Aber um Geld allein geht es schon lange nicht mehr. Es geht darum, daß man junge Menschen, künftige Hüter des Rechts, zuerst hinhält, dann ihnen Versprechungen macht und diese zuletzt nicht hält. Wirklich, alles wird getan, um eine Vertrauenskrise unter den jungen Akademikern heraufzubeschwören, eine Vertrauenskrise nicht diesem oder jenem Mann gegenüber, sondern unserem ganzen Land und seinem politischen System.

„DAS CHRISTENTUM HAT SEINE GRÖSSTE ZEIT NICHT HINTER SICH, SONDERN VOR SICH.“ Dieser Satz findet sich nicht vielleicht in einem christlichen Blatt, sondern in der Weihnachtsnummer des sozialistischen Zentralorgans. Von der „unversieglichen Kraft des Christentums“ ist weiter die Rede, von der „Schaffung der abendländischen Welt durch das Christentum“, von der „Rettung der Menschheit durch jene, die Christus nicht auf den Lippen tragen, sondern in seinem Geist handeln“, von dem Weihnachtsfest als der „Geburtsstunde der allgemeinen menschlichen Freiheit und der allumfassenden Menschenliebe“. Der Artikel und sein Tenor sind deutliche Zeichen dafür, wie vielfach auch jene Menschen, die bisher abseits standen, sich mit dem Christentum zu beschäftigen beginnen. Ja: in seinen Bann geraten. Der Artikel ist allerdings auch ein Zeichen dafür, wieviel an Affekten von gestern noch vorhanden ist, wieviel an falschen Ansichten. So, wenn es heißt, daß Karl Marx dem „christlichen Geist mehr gedient hat als ein Dutzend päpstlicher Enzykliken“. So, wenn der Schreiber des Artikels behauptet, die „Kraft der katholischen Kirche sei am Ende, am. Erlöschen“. So, wenn der Artikel den Christen anlastet, sie stimmten für die Todesstrafe, also für die Vernichtung schuldigen Lebens. (Wobei nicht übersehen werden soll, daß der Verfasser des „A.-Z.“- Artikels vor einigen Wochen für die Vernichtung unschuldigen Lebens, nämlich für die Abtreibung ungeborener Kinder eingetreten ist.) In vielen Teilen ist jener Artikel also ein wirres Durcheinander. Dennoch wird sich jeder Christ über ihn freuen: kann er doch daraus die Hoffnung schöpfen, daß der Sąme des Christentums auf bisher brachliegende Felder gefallen ist.

DER LANDESHAUPTMANN VON SALZBURG hat — es ist noch gar nicht so lange her — lebhafte Zustimmung gefunden, als er rasche und energische Maßnahmen gegen den Mißbrauch von Dienstautos in seinem Land ankündigte. Der damals eingeschlagene Weg äußerster Sparsamkeit mit Steuergeldern wurde inzwischen konsequent weiter verfolgt. Bevor der Salzburger Landtag auf Ferien ging, faßte er einen herzhaften Entschluß: alle Mitglieder der Landesregierung und des Landtags verzichten auf fünf Prozent ihrer Nettobezüge zugunsten des Landes. Das allein wäre schon eine Tat, würdig des Beispiels, das die Regierung Churchill bei ihrem Amtsantritt gab — Sparsamkeit predigen, aber bei der eigenen Tasche mit dem Sparen beginnen. Doch Salzburg ist damit noch nicht zufrieden, es kündigt weitere Einsparungsmaßnahmen für 1952 an. Das ist ein Ehrgeiz, der gefällt!

EIN NEUES STURMSIGNAL AUS ITALIEN erreicht uns. Es gilt diesmal nicht einer Naturkatastrophe. Eine andere Flut droht: der Kommunismus hat zwar bei den Wahlen des Jahres 1948 auf der Apenninenhalbinsel eine Niederlage erlitten, jedoch nicht das Rennen aufgegeben. Er ist mit dem Näherrücken der nächsten Parlamentswahlen eine Gefahr, über die man sich oft Täuschungen hinzugeben beliebt. In Italien, in Europa, in der Welt. Um so mehr Gewicht haben die nüchternen Tatsachen, di« der ange sehenen katholischen Schweizer Monatsschrift „Orientierung“ von zuverlässigen italienischen Gewährsleuten berichtet wurden:

„In Italien war der Kommunismus bisher eine Magenfrage. Weder die 1,3 Milliarden USA-Dollar-Hilfe noch die Ansätze zu einer fortschrittlichen Sozialpolitik konnten verhindern, daß — wie unsere Gewährsmänner sich ausdrücken — der Kommunismus allmählich vom Magen in das Gehirn der italienischen Bürger dislozierte und von dort nicht mehr s» leicht zu vertreiben sein wird. Die KP geht auf Samtpfoten durch die Gäßchen der traditions- und kirchenverbundenen Dörfer und Flecken; in den Industriestädten und Häfen aber arbeitet sie mittels Sabotage und Gewalt. Die KP legt geheime Waffenlager von unvorstellbaren Ausmaßen an: bis Februar 1951 wurden nicht weniger als 14.000 t schwere und leichte Waffen und Munition gefunden, das heißt genügend Waffen und Munition für mehrere Divisionen. Man schätzt die Zahl der partei-militärisch erfaßten kommunistischen Mitglieder auf 100.000. Nach parteieigenen Angaben hat die KP in 6647 Fabriken kommunistische Betriebszellen organisiert. Die Kader werden an drei Parteihochschulen (Fratocchio bei Rom, Bologna und Como), in Korrespondenz- und Abendkursen ausgebildet. Die Abendkurse allein zählen zirka 20.000 Schüler. Für das Frühjahr 1952 sind heute schon Bauernaufstände und Arbeiterunruhen geplant. … Die Industrie scheint dieser Entwicklung entweder blind oder ratlos, jedenfalls tatenlos, gegenüberzustehen. Wäre es sonst möglich, daß die finanziellen Mittel für eine zweckmäßige Aufklärung der Bevölkerung und eine koordinierte Abwehr des kommunistischen Angriffs nicht aufzutreiben wären? De- gasperis Parteifreunde scheinen weder seinen Weitblick noch seine Klugheit und seinen entschlossenen Mut zu teilen. Aber auch wenn dem nicht so wäre, so liegt das Schicksal Italiens heute nicht mehr in der Hand seiner Regierung allein. Es brauchte dazu: ganz bedeutende neue Auslandskredite und Wirtschaftshilfe für Arbeitsbeschaffung; neue Auswanderungsmöglichkeiten in bisher nicht gekannten Proportionen; die Revision des Friedensvertrages und der aus der Hypothek des Krieges erwachsenen Verpflichtungen; Italiens Integration in eine neue europäische Koalition wirtschaftlicher und militärischer Natur, um ihm Sicherheit und Stabilität zu geben.“

Dieser Warnungsruf verdient Beachtung. Denn der düster-pessimistische Ausspruch eines der Beobachter: „Wenn kein Wunder geschieht, wird die KP bei den nächsten Wahlen — 1953 — auf völlig legalem Wege die Macht übernehmen“, darf nicht Wirklichkeit werden.

„FÖRDERER DES POLNISCHEN VOLKES“ steht auf dem Ordensband, der höchsten Auszeichnung des kommunistischen „Volkspolen". Nun schmückt es die Brust jenes ungekrönten Vizekönigs von Polen — des allmächtigen Marschalls Konstantin Rokossowsky. Förderer des polnischen Volkes… Noch einmal, wieder einmal, steigen die Schatten der Vergangenheit auf. Warschau, Sommer 1944: im zügigen Vormarsch nähern sich Truppen der Roten Armee der polnischen Hauptstadt. An ihrer Spitze steht der erprobte sowjetische Heerführer Marschall Rokossowsky. Schon hört man deutlich den Abschuß seiner Geschütze. „Polen, der Augenblick der Befreiung ist nahe! Zu den Waffen…“ So locken, mahnen, drängen die Stimmen aus dem Äther. Da erheben sich 40.000 Mann der polnischen Heimarmee unter ihrem General Bor- Komorowski, der große Warschauer Auf- stand beginnt. Binnen wenigen Stunden steigen in allen Teilen der schwer mitgenommenen polnischen Kapitale die Fahnen mit dem weißen Adler. Da beginnt der deutsche Gegenstoß. Die Kanonen aber jenseits der Weichsel sind verstummt. Sie werden so lange schweigen, bis die tollkühne Erhebung eines gequälten Volkes unter den Trümmern von Warschau erstickt ist. Nein, die Truppen des „roten“ Marschalls wollen dem „weißen“ General nicht zu Hilfe kommen. Als amerikanische und englische Flieger Hilfe bringen wollen, wird ihnen die Landung auf den Flugplätzen der Armee Rokossowskys verweigert. Warschaus Schicksal, Polens Schicksal ist besiegelt. Mit den unter den Trümmern stürzender Häuser erstickten und in den Kanälen elendig umgekommenen Soldaten des Generals Bor stirbt auch die Hoffnung auf ein se l b,- ständiges Polen. Nach Deutschland kommt Rußland. Nach dem Gauleiter Frank Marschall Rokossowsky, der „Förderer des polnischen Volkes". Die Toten von Warschau schweigen.

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