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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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WEIT MEHR ALS EIN ZEITDOKUMENT stellt die Ansprache des Heiligen Vaters an die katholische Christenheit vom 24. Dezember 1951 dar; die willkürliche Auswahl einiger Sätze aus der zehn Seiten umfassenden Rede in der Wiedergabe durch die Weltpresse hat zumeist völlig das wesentliche Anliegen dieser hochwichtigen Stellungnahme der Kirche verdeckt. Es geht hier um nicht mehr und nicht weniger als um eine scharfe Begriffs- und Wesensbestimmung der Kirche gegenüber den weltlichen Mächten. „Die Kirche ist keine politische, sondern eine religiöse Gesellschaft.“ „Zu Unrecht“ wird sie von vielen „als eine politische Macht, als eine Art Weltreich“ angesehen, von dem man deshalb auch eine politische Stellungnahme im gegenwärtigen Weltkonflikt zwischen Ost und West erwartet, ja fordert. Mit großer Schärfe erklärt Pius XII.: „Männer der Politik und manchmal auch Männer der Kirche, die die Braut Christi zu ihrem Verbündeten oder zum Werkzeug ihrer nationalen oder internationalen Pläne machen wollten, würden an das innere Wesen der Kirche rühren und sie in ihrem ureigenen Leben schädigen. Mit einem Wort, sie würden sie auf die gleiche Ebene herabziehen, auf welcher der Streit um irdische Angelegenheiten ausgetragen wird. Das ist und bleibt wahr, auch wenn es um an sich guter Zwecke und Interessen willen geschieht.“ Frieden? Abrüstung? Allianzen der Völker? Ja, aber alle Abrüstung usw. „ist eine wenig zuverlässige Gewähr für einen dauerhaften Frieden, wenn sie nicht begleitet ist von der Abschaffung der Waffen des Hasses, der Begehrlichkeit und der maßlosen Geltungssucht“. — „Wenn man den Krieg wirklich verhindern will, muß man vor allem der seelischen Blutarmut der Völker und dem Nichtwissen um die eigene Verantwortung vor Gott und den Menschen abzuhelfen suchen…" — Gerade jene „W eit, die sich mit Nachdruck gern ,di e freie Welt' nennt“, besitzt oft nicht „die Achtung und Ehrfurcht vor echter Freiheit“. „Die christliche Ordnung als Friedensordnung ist nämlich ihrem Wesen nach eine Ordnung der Freiheit. Sie ist dys solidarische Zusammenwirken von freien Menschen und Völkern, um in allen Lebensbereichen die von Gott der Menschheit gewiesenen Ziele fortschreitend zu verwirklichen.“ Für sehr viele Menschen existiert diese wahre Freiheit nicht mehr. Diesen Gefährdungen der Freiheit durch beide Weltgegner gegenüber stellt die Kirche den Hort der wahren Freiheit dar. Auf diesem festen eigenen Standort stehend, bemüht sich heute die Kirche, „ihren Möglichkeiten entsprechend ihre guten Dienste überall anzubieten, wo ein Streit unter den Völkern auf zuflammen droht. Der Heilige Stuhl hat sich einer solchen Pflicht nie entzogen, noch wird er sich ihr je entziehe n“. Mit einem Gedenken an die „Kirche des Schweigens“ in den Ländern der Verfolgung schließt dieses Dokument, das in bisher einmaliger und erstmaliger Schärfe Ost und West mit der Freiheit der Kinder Gottes, des Christenmenschen, konfrontiert.

WERDEN DIE BESONNENEN UND BEWUSSTEN ÖSTERREICHER unsere Demokratie vor Unheil bewahren oder werden unsere Republik eines Tages noch die Raben fressen? Wieder einmal hat es den Anschein, als ob Recht und Ordnung als untergeordnete Angelegenheiten betrachtet würden, weil die Kommunisten eine Gelegenheit gefunden haben, einen Generalstreik anzusagen, der keiner wurde, und die Belegschaften einiger Dutzend USIA-Betriebe auf die Ringstraße zu befördern. Ernster ist, daß eine große Partei auf einen unbestritten von Rechts wegen erfolgten Entscheid des Verwaltungsgerichtshofes hin mit einem Ausnahmegesetz antworten möchte. Die Affäre läuft unter einem Namen, dessen Träger inmitten einer der leidenschaftlichsten Perioden jüngerer österreichischer Geschichte agierte. Doch es steht nicht zu Entscheid, wie der Mann damals zur Demokratie stand, wie überhaupt das Politikum seiner Persönlichkeit höchst inaktuell ist. Sondern zur Debatte steht, ob man irgend jemanden, heiße er so oder so, sei er Fürst oder Bettler, gefalle er einem oder mißfalle er, das Recht aus politischen Motiven verweigern und sogar das ihm mit richterlicher Autorität ausdrücklich zuerkannte Recht durch ein gegen dieses Judikat gerichtetes Ausnahmegesetz umstoßen kann. Jedes Ausnahmegesetz ist ein schicksalschwerer Schritt auf dem Wege vom Rechtsstaat zur Diktatur. Der Weg zum Totalstaat und zur Tyrannis ist immer noch mit Ausnahm eg es atzen und Rechts- beraubungen gepflastert gewesen und immer hat man zur Verschönerung des Unrechts wohlaufgeputzte Begründungen gefunden. Im sozialistischen Lager rollte man eingedenk sein, wie

Viele ehrliche Sozialisten in naher Umgebung unter wohlgesetzten Formeln, oft genug unter Ausnahmegesetzen, als „Landesverräter“ und „Feinde der Demokratie“ ihr Leben haben lassen müssen. Die Gesetze unserer Republik gelten für jeden und jedermann. Die Sicherheit des Rechtes ist das große Gut des kleinen Mannes, der Schwachen und Verfolgten. Die Starken und die Satten werden sich eher zu helfen wissen. Die Hut des Rechtes ist die Aufgabe aller Staatsbürger. Keine Person und keine Partei, kein Streik und kein noch so pathetisch maskiertes Ausnahmegesetz kann den Verlust der Sicherheit des Rechtes verantworten, der aus seiner offenen Mißachtung entsteht: den Verlust des Glaubens an ein unerschütterliches, unverwirkbares Recht. Auf ihm ruht die Existenz Österreichs! Das ist der Staatsvertrag, den wir alle miteinander abgeschlossen haben und für den jeder von uns Bürge sein muß. Wir dürfen diesen Staatsvertrag nicht brechen, der Laune oder dem Haß zuliebe. Ohne diesen Besitz, ohne den sicheren Schutz dieses Besitzes könnte uns auch ein anderer Staatsvertrag nicht mehr helfen.

MAXIM MAXIMOWITSCH LITWINOW, der verstorbene ehemalige Volkskommissar des Auswärtigen der Sowjetunion, war der Repräsentant einer Epoche sowjetischer Außenpolitik. Kein anderer aus der Reihe bolschewistischer Größen hätte sich mehr hiezu geeignet, den Mittler zwischen Ost und West zu spielen. Der junge jüdische Bankbeamte — sein wahrer Name war Wallach, nicht Finkelstein — mußte als aktives Mitglied der Bolschewiki schon zu Beginn des Jahrhunderts in die Schweiz und nach England emigrieren, seine 'Heirat mit einer englischen Adligen und seine Sprachkenntnisse waren ebenso seine Aktiva wie seine Anpassungsfähigkeit an alle internen Veränderungen im innersowjetischen Machtapparat. Zum ersten Sowjetbotschafter in London ernannt, von den Engländern aber nicht anerkannt, wird er gegen einen in Moskau verhafteten Engländer ausgetauscht und taucht dann als Stellvertreter Tschitscherins in Rapallo auf. Er ist aber damals vor allem der Vertrauensmann Stalins. Je mehr sich dessen Macht festigt, desto mehr schiebt sich auch Litwinow in den Vordergrund. Auf der Abrüstungskonferenz in Genf erregt er 1927 mit seinen 14 Punkten Aufsehen, der Kellogg-Pakt bringt ihn an die Macht. Während Tschitscherin der zu allen Zeiten gefürchteten Koalition der Großmächte gegen die Sowjetunion durch die Schaffung eines Sicherheitsgürtels der durch Verträge gebundenen Nachbarstaaten den Weg verstellen und die Kleinen gegen die Großen auszuspielen sucht — der Höhepunkt dieser Politik ist Rapallo —, will Litwinow aus dieser Koalition einen Stein oder mehrere herausbrechen. Und dann sieht er zuerst im Fernen Osten, seit 1933 auch im Westen neue Feinde auftauchen: Japan und Deutschland. Alle diese Gründe lassen ihn den Kontakt mit Frankreich und England suchen. Der erste größere Erfolg ist der Nichtangriffspakt mit Frankreich vom November 1932. Nach der Machtübernahme Hitlers sieht Litwinow drei Aufgaben: die Verbindung Japans mit Deutschland zu verhindern, den Bestrebungen Mussolinis und Englands auf Bildung einer deutsch-italienisch-englisch-französischen Koalition mit antisowjetischer Spitze entgegenzuarbeiten und den gefürchteten Angriff Deutschlands zu verhindern, solange der zweite Fünfjahresplan mit' dem großen Aufrüstungsprogramm noch nicht vollendet ist. Der Eintritt in den Völkerbund und der Abschluß des französischsowjetischen Militärpaktes sind seine größten Erfolge. Das angestrebte Ost-Locarno erreichte Litwinow nicht mehr und die weitere Entwicklung in Mitteleuropa bis zum Pakt von München lassen auch Moskau die Überzeugung gewinnen, daß die Politik der kollektiven Sicherheit — Litwinows Schlagwort — gescheitert sei und die Sowjetunion in immer größere Isolierung gerate. So tritt Litwinow als Repräsentant der bisherigen westlichen Richtung ab, bevor sein alter Stellvertreter und Nachfolger Molotow den Pakt mit Hitler unterzeichnet. Als dann 1941 der Einmarsch der deutschen Truppen Moskau zu einer neuen Anlehnung an den Westen zwingt, erlebt er ein kurzes Comeback als Botschafter in Washington, aber der russische Nationalismus ist bereits zu stark geworden. Seine spätere Stellung als Stellvertretender Außenminister ist nur eine Geste. Die Hoffnungen westlicher Kreise. Litwinow könnte noch einmal eine neue Epoche sowjetischer Außenpolitik mit verstärkter, wahrer Zusammenarbeit mit dem Westen einleiten, haben sich nicht erfüllt.

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