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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DER STAATSBESUCH Dean Achesons ist vorüber. Zum erstenmal hat ein amerikanischer Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten Österreich besucht. Der Mann, in dessen Hände die Fäden der Außen- fJOlitik einer Weltmacht zusammenlaufen, kam in ein heute armes und kleines Land, in eine Stadt, die noch nicht die Spuren des Krieges aus ihrem Gesicht tilgen konnte. Und doch wurde — und es ist gar nicht so lange her — einmal hier große Politik gemacht, lenkte am Ballhausplatz der „Kutscher Europas“ die Geschicke des Kontinents, mühten sich Diplomatie und Staatsweisheit um viele Probleme, die. ewig neu gestellt, heute Dean Acheson und sein Land zu bewältigen suchen. Ob der hohe Gast den Anruf der Geschichte wohl gespürt hat, als er in seinem Sonderzug die so unscheinbare, aber doch entscheidende Kette der Berge des Wienerwaldes hinter sich ließ und in das Wiener Becken einfuhr, Beginn der großen Ebene gegen Osten? Die Menschen, die dem amerikanischen Gast gegenübertraten, nahmen ihrerseits den überzeugenden Eindruck eines gelassenen Mannes , mit, der sich den alten kultivierten Formen der Diplomatie verpflichtet weiß. Am überraschendsten, und überzeugender als Serien von Propagandaschriften über westliche Demokratie und Freiheit, war wohl die Ungezwungenheit des Arrangements dqr Pressekonferenz. Kein einziger Posten hemmte den Weg der Journalisten in die Botschaft, nicht eine Frage galt der Legitimation. So etwas ist selten geworden in einer Welt der Barrieren, der Zonen und des Vorhangs. Und dies ist schon einer Bemerkung wert. Nicht nur am Rande.

MIT EINDRUCKSVOLLER MEHRHEIT hat der Außenpolitische Ausschuß der französischen Nationalversammlung, in dem bewährte Freunde Österreichs eine maßgebende Stimme besitzen, nach einer Debatte über das Österreichproblem nachstehende Entschließung angenommen:

„Der Außenpolitische Ausschuß ist besorgt über das Schicksal, das weiterhin Österreich, einem Opfer des Hitlerregimes, bereitet wird. Er erinnert daran, daß die volle Unabhängigkeit dieses Landes in dem Moskauer Abkommen des Jahres 1943 vorgesehen war. Er weist darauf hiri, daß Österreich, das politisch gefestigt ist und demokratische Institutionen besitzt, alle Voraussetzungen erfüllt, die notwendig sind, um Verhandlungen zwischen den vier Mächten zu einem Erfolg werden zu lassen. Die Lösung des österreichischen Problems würde den Beginn einer allgemeinen Regelung der verschiedenen Fragen darstellen, die zwischen den vier Mächten zu verhandeln sind. Die Regierung wird aufgefordert, keine Bemühung zu scheuen, um so schnell wie möglich die Wiederaufnahme der Verhandlungen im Hinblick auf die schnelle Unterzeichnung des Vertrages zu erreichen, der Österreich seine seit dem Jahre 1938 verlorene Freiheit wieder - geben wird.“

Dieser Entschließung ist von unserer Seite schlechthin nichts hinzuzufügen, nichts als Dank und Anerkennung. Mit ihr hat die französische Nationalversammlung einen Akt gesetzt, der in gleicher Weise für ihre staatsmännische Einsicht, ihre europäischhumane Gesinnung und ihre Freundschaft für Österreich Zeugnis legt. Die Vorenthaltung des Staatsvertrages, die Verewigung der Besetzung und der durch sie hervorgerufenen politischen und wirtschaftlichen Lasten sind ein Unrecht, das, sieben Jahre nach Einstellung der Feindseligkeiten, noch vor einem Menschenalter niemand einem selbst überfallenen Lande aufzuerlegen gewagt hätte. „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“ und verwandelt die Gesinnung des „Befreiten“ ganz natürlicherweise in jene ganz anders geartete des „Besetzten“. Diese Maßnahme ist daher ebenso ungerecht — wie unklug! Frankreich, das selbst durch Jahre fremde Truppen und fremde Autoritäten in seinem Lande schalten sehen mußte, hat in schöner Erkenntnis des gleichartigen Schicksals durch den Mund seiner Volksvertreter die richtigen Worte gesprochen. Immer wieder muß es gesagt werden: Nach zweimal sieben Jahren des Wartens möchte Österreich endlich frei sein!

UBER DEM STAATSARCHIV AM BALLHAUSPLATZ liegt der Schatten eines schweren Vergehens. Ein pflichtvergessener Beamter hat in barbarischer Weise mit Hilfe von Hehlern schwere Diebstähle begangen. Ebenso unglaublich erscheint es, daß ein namhafter früherer Archivar des Hauses, der 1945 im Laufe politischer Maßnahmen aus seiner wissenschaftlichen Laufbahn geworfen wurde, wertvollste Urkunden zur Geschichte der jüngsten Vergangenheit einer fremden Macht zur Auswertung lieferte. Mit Recht hat der Staatsanwalt von der „ungeheuren Schande“ gesprochen, die auf den Ehrenschild des Staatsarchivs gefallen ist. Denn schon seine Gründerin, die große Kaiserin Maria Theresia, hob einstmals die Beamten des Staatsarchivs besonders als die Hüter kostbarster Schätze und die Bewahrer geheimster Staatsakten aus den Massen der übrigen Staatsdiener hervor. Dem Staatsarchiv anzugehören war die höchste Ehre eines österreichischen Historikers, und die Reihe der Großen der österreichischen Geschichtsschreibung von Arneth bis Bittner bezeugt, daß Wissenschaft und Forschung im Archiv stets gepflegt wurden. Männer, die an verantwortungsvollen Stellen des ersten unserer wissenschaftlichen Institute tätig waren, haben sich schwer vergangen. Ihre Tat blieb nicht ungestraft. Nicht eine Sache für den Staatsanwalt, aber der Untersuchung durch eine Di s zi- plinarkommission bedürftig ist die Verantwortung jener Organe, die die Dienstaufsicht über das Staatsarchiv wahrnehmen. Die Frage, wie es zu jener „Herostratentat des 20. Jahrhunderts“ — abermals die Worte des Staatsanwalts — überhaupt kommen konnte, darf nicht ohne Aufklärung bleiben. Außerdem steht aber durch diesen Fall auch die materielle Not des Akademikers erneut zur Debatte. Es soll nicht mehr Vorkommen, daß die Beamten, welche die Schätze unserer Archive und Museen betreuen — nicht nur für Österreich, sondern auch für die europäische Wissenschaft — schlechter bezahlt sind als die ihnen zugeteilten Amtsdiener und Putzfrauen. Der Fall „Staatsarchiv“ verlangt auch gebieterisch neben der gerichtlichen und disziplinären Bereinigung eine parlamentarische Behandlung der Anfangsgehälter der Archiv- und Musealbeamten.

NACH SIEBEN JAHREN DER KOALITION stehen in der „Zukunft“, der sozialistischen Monatsschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, folgende Sätze: „Zu den tragischen Irrtümern unserer Zeit gehört die weitverbreitete Meinung, die Politik der Russen habe den Gegensatz zwischen Besitzbürgern und Arbeitern, zwischen Konservativen und Sozialisten, wesentlich verringert. In Wirklichkeit verschärft sich dieser Gegensatz, zumindest in Europa, von Tag zu Tag. Jene Bourgeoisie, die bereit wäre, ihre Profitinteressen auf dem Altar des Abwehrkampfes gegen den Kommunismus zu opfern, konnte noch nicht entdeckt werden. Scheinbar existiert sie nur in den Wunschträumen frommer Apostel der Klassenversöhnung.“ Nun, diese Worte stammen von Josef Hindels, einem jener jungen orthodoxen Klassenkampftheoretiker, von denen vor kurzem in der „Furche“ die Rede war — aber in Anbetracht dessen, daß das Ziel einer gefährdeten Menschheit nicht Aufspaltung in Klassen, sondern Vereinigung zur Abwehr drohenden Unheils sein muß, klängen sie dennoch weder schön noch wahr — wenn nicht, ja wenn dem Verfasser nicht ein Lapsus linguae widerfahren wäre, der ihnen manches an Schärfe nimmt. Seit Karl Kraus nämlich, und schon immer bedeutet „scheinbar“ etwas, was nur so scheint, es aber nicht ist. Jene „Bürgerlichen“, die in der Nachbarschaft des Eisernen Vorhangs den Sozialisten die Hand reichen, existieren — wie man weiter schließen darf — anscheinendin Wirklichkeit.

EIN WAHLGANG OHNE SENSATIONEN fand in Holland statt. Zwar haben sich die mehrfach von ausländischen Kommentatoren ausgesprochenen Hoffnungen auf weitere Stimmengewinne der Katholischen Volkspartei nicht erfüllt, ihre Mandatszahl ist sogar etwas gesunken, aber mit 30 Sitzen in der neuen Kammer hält sie den nun mit derselben Zahl von Abgeordneten einziehenden Sozialisten der „Partei der Arbeit“ genau die Waage. Die Kombinationen gewisser bürgerlicher Kreise auf einen „Ruck nach Rechts“, auf die Regierung eines „Bürgerblocks“, werden also aller Voraussicht nicht in Erfüllung gehen, Holland wird ähnlich wie Österreich ein von einer „Großen Koalition“, von der Koalition Völks- partei-SoZialisten, geführtes Land bleiben. Viel interessanter als die Gewichtsverlagerung um etliche Gramm von der rechten in die Unke Waagschale — sie kam übrigens nur dadurch zustande, daß gewisse betont konservative Elemente des katholischen Lagers sich entschlossen hatten, einen eigenen politischen Weg zu gehen — ist der heute bestimmende Einfluß des katholischen Elements im Land der Geusen und Wilhelms von Oranien. Auch in Österreich ist diese Veränderung des Gesichts eines Landes, das einmal als kalvinische Vormacht galt, noch nicht allgemein bekannt.

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