6591691-1952_30_09.jpg
Digital In Arbeit

Randbemerkungen ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

zu EINER ERNSTEN SOZIALPOLITISCHEN GEWISSENSERFORSCHUNG sollte die Bewegung unseres Außenhandels Anlaß geben. Die österreichische Außenhandelsbilanz war stets passiv, und das innere Gleichgewicht unserer Wirtschaft mußte auch in den besten Zeiten durch die „stummen Aktiven“ ausgeglichen werden, die sich nicht in den Ziffern des Handelsverkehrs ausdrücken, sondern zum Beispiel durch Einnahmen aus dem Ausländerfremdenverkehr erbracht werden. Aber das ist kein Trost für die jetzige Gestattung unseres Außenhandels, der gehemmt ist aus Ursachen, die nicht nur in einem verringerten Kaufbedürfnis des Auslandes für österreichische Waren gegeben sind. Von dem „Mindest-Soll“ einer monatlichen Milliarde Schilling exportierter österreichischer Güter ist der tatsächliche Ausfuhrwert tm Mai dieses Jahres, wie der letzte Monatsbericht des Instituts für Wirtschaftsforschung feststellt, um 155 Millionen zurückgeblieben; die Spannung zwischen Ein- und Ausfuhr ist erheblich, sie betrug 1251 Millionen Einfuhr- gegen 845 Millionen Exportwerte. Ihr böses Gesicht bekommen jedoch die Dinge vor allem dadurch, daß das österreichische Preis- und Kostenniveau in den letzten eineinhalb Jahren bedeutend über das Weltmarktniveau hinausgewachsen ist und dieses heute um 63% überhöht. Auch andere Staaten beanspruchen gegenwärtig für ihre Exportgüter gegenüber dem Weltmarkt überhöhte Preise: die Schweiz solche um 12%, die USA um 16%, Großbritannien um 29% und Deutschland um 31%. Auch diese Staaten empfinden die Steigerung ihrer Ausfuhrpreise als exporthemmend und machen Anstrengungen, sie herabzusetzen. Um wieviel mehr muß Österreich davon betroffen sein, das um das Doppelte, ja zum Teil um das Fünffache die Exportpreissteigerung dieser Staaten übertrifft. Dabei kamen der österreichischen Produktion noch Auslandshilfen zustatten. Stockende Ausfuhr bedeutet Rückschläge für die einheimische Industrie, Verminderung des Beschäftigten- standes, Arbeitslosigkeit. Und jįaą sind nur die Anfänge einer abzuwehrendin Entwicklung. — Warum produzieren wir aber zu teuer, warum schalten wir uns aus der Konkurrenzfähigkeit aus? Leben wir Österreicher über Unsere Verhältnisse? Wenn die Volksvertretung und die BerufskÖrf)ershhafiSn ifiipdif’Höhe ihrer Aufgaben sind, so müßten sie mit allem Ernst, mit Freimut und Entschlossenheit sich mit der Erkundung der Antwort beschäftigen.

WOHIN GEHT DER WEG? möchte man fragen. Nicht wegen der dieser Tage vom Nationälrat beschlossenen Gewerbenovelle, welche die Sperre des Untersagungsgesetzes von 1933 aufhebt, um für die junge gewerbliche Generation die Bahn freizumachen, sondern wegen der überraschenden Töne, die man in der parlamentarischen Debatte über diese Novelle vernahm. Da hörte man Sprüche aus dem Katechismus der einstigen liberalen Zeit, das Rühmen „des gerechtfertigten Verlangens nach der freien Konkurrenz“ im Gewerbe und die Anpreisung des „leistungssteigernden und preisregulierenden“ Segens dieser Konkurrenz, an der in der Maienzeit des Liberalismus ganze Schichten des kleingewerblichen Mittelstandes zugrunde gegangen sind. Sie waren ruiniert worden durch einen in Freiheit dressierten unredlichen Wettbewerb, schwindelhafte Sechskreuzermagazine, Ausverkäufe und die Freiheit eines von unsolider Industrie gespeisten Pofelmarktes. Nun werden Parolen Wiederholt und als die Weisheit der Gegenwart verkündigt, die von den Führern der christlichen Gesellschaftswissenschaft und den Praktikern der christlichsozialen Wirtschaftsreform längst als rhetorische Vermummung eines volksschädlichen Wirtschaftssystems, des Vorrechtes des Starken gegenüber dem Schwachen, des rücksichtslosen Großen gegenüber dem kleinen Mann aus dem Volk bewiesen und abgetan worden sind. —- Nur ein wenig weiter auf dieser Bahn, bloß ein Ausgleiten der Gesetzgebung auf diesem Geleise, und die frohlockenden Nutznießer dieses Zugunglücks, bei dem alle Warnsignale der Vergangenheit und der Volkswirtschaftslehre überfahren wurden, und die herrlichen preisregulierenden und leistungssteigernden Wirkungen der freien Konkurrenz werden Sichtbar werden in den — USIA-Geschäften.

•ft

GEWERKSCHAFTERN IN TOTALITÄREN STAATEN ist eine ungeheure Machtfülle in die Hand gegeben, sie haben aber auch die undankbare Aufgabe, den Arbeitern die Weisungen der Staatsführung schmackhaft zu machen. Wenn das nicht so ganz gelingt, dann geht es auch hohen Gewerkschaftsfunktionären an den Kragen, wie das eben der Sturz des oberfiten Gewerkschaftsführers in der Tschechoslowakei, Frantiįek Zupka, zeigt. Während seinem Vorgänger Zäpotockf die Gewerkschaft Sprungbrett für den Sessel eines Ministerpräsidenten war, kostet Zupka die Nichterfüllung des Plan-Solls im Mährisch-Ostrauer Kohlenrevier Und in einigen Rüstungsbetrieben des Staates Existenz und Freiheit. Dabei spielt es gar keine Rolle, daß Zupka keineswegs etwa zu den Emporkömmlingen des Februar- putsches von 1948 gehört, die man damals dringend benötigte, jetzt aber leichten Herzens zum alten Eisen werfen kann, vielmehr ist Zupka ein „Kommunist der ersten Stunde“, der schon im Heer Bėla Kuns sein Leben für die revolutionäre Bewegung einsetzte und vom ersten Augenblick des Bestehens einer KPČ ihr angehörte, bald Schon als höherer Funktionär und nach gründlicher Schulung in Moskau seit 1935 als Abgeordneter im Prager Parlament. 1939 steckten ihn die Deutschen für 74 Monate ins Gefängnis — eine ähnliche Zeit ist jetzt für ihn neuerlich angebrochen, nachdem es ihm nur zwei Jahre lang vergönnt war, an führender Stelle jener Bewegung zu stehen, für di er sich sein Leben lang eingesetzt hat.

„DER ZERFALL DER PARTEI DE GAULLES wird, so die beginnende Genesung Europas fortschreitet, einmal zu den ersten bedeutenden Anzeichen einer Renaissance der Demokratie in Europa gezählt werden. Was bedeuten die parlamentarischen Zahlen, die eine jüngste Vergangenheit aus Frankreich meldet? Da hören wir also, daß 30 Abgeordnete zur französischen Nationalversammlung sich von de Gaulle völlig unabhängig gemacht haben und daß von den verbliebenen 87 es nicht weniger als 70 ablehnen, bei entscheidungsschweren Abstimmungen im Parlament sich strikt durch die Parteidisziplin als gebunden zu. erachten. Aus dem französischen Senat erfährt man, daß 56 gaullistische Senatoren der Partei des Generals den Rücken kehren wollen. Blicken wir kurz zurück auf die innenpolitische Misere Frankreichs in den letzten Jahren — sie durfte und mußte ja, leider, symbolhafte Geltung besitzen für eine typische Nachkriegssituation der westlichen Demokratie in vom Kieg verelendeten Ländern: jedwede Aufbauarbeit einer Regierung der Mitte scheiterte, wurde zumeist schon im Keim erstickt, weil die extreme Linke und die extreme Rechte, beide zur antidemokratischen Aktion entschloss jede, konstruktive Arbeit verhinderten. Der „Fall“ der Kommunisten ist zu weltbekannt, um in diesem Zusammenhang einer näheren Erörterung zu bedürfen, der Fall de Gaulles Steht reif zu neuer Erörterung heran. Der General hatte es für richtig gehalten, eine politische Linie zu verfolgen, die bei aller Behutsamkeit in der Ausdrucksweise mehr oder minder direkt ein außerdemokratisches autoritäres Regime anstrebte. Und fand hiebei die Gefolgschaft nicht weniger bürgerlicher Gruppen, die in ihm die einzige innenpolitische Hoffnung wider einen Staatsstreich Von extrem links erblickten. Das war also der Ausgangspunkt: das Nicht - mehr - Trauen breiter Massen auf die „schwache Demokratie“. Nun aber ist folgendes geschehen: gestützt dur&i Marshall-Plan, Atlantikpakt und eine wieder enger werdende Zusammenarbeit mit England, beginnt sich die Vierte Republik dank der zähen opferwilligen politischen Arbeit einiger demokratischer Politiker der Mitte — hier sind vor altem Pinay, Schu- man, Bidault Und Teitgen zu nennen — langsam, gewiß nicht m ohne Rückschläge, aber sichtbar bereits auch für die Ängstlichsten, emporzuarbeiten. Die gaullistische Rechte hatte nun bisher die einzigartige Chance, immer wieder — und sie hat von dieser Chance reichlich oft Gebrauch gemacht — die wesentlichsten Aufbaumaßnahmen zu Fall zu bringen; durch eine faktische „Allianz“ mit den Kommunisten, deren Stimmen sich zu ihrer totalen Opposition gesellten. Diese Chance freut nun seit geraumer Zeit einen beträchtlichen Teil der gaullistischen Abgeordneten nicht mehr, die sich zur Fahne des Generals gesellt hatten, mit dem Versprechen, mit ihm in hoher Not das Vaterland zu retten. Das Ergebnis: Abspaltung eines großen Teils von de Gaulle, und, Nachrichten aus Paris zufolge, ein ernster Versuch der Bewegung de Gaulles selbst, sich zur parlamentarischen Demokratie zu bekennen — und demgemäß bereit zu sein zu einer politischen Koalition — mit dem MRP, ja sogar mit den Sozialisten. De Gaulles Gruppe steht also am Scheidewege: sie kann sich selbst „behaupten“ als permanente Obstruktion, und sie kann einen entscheidenden Beitrag liefern zu einer echten Konsolidierung der französischen Demokratie. Bange blickt also nicht nur die extreme Rechte in Italien, Deutschland und jenseits der Pyrenäen auf Paris — sie sieht hier Felle schwimmen, die sie schon gesichert wähnte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung