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Randbemerkungen zur woche

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AUS DER MITTE DER BEVÖLKERUNG sind dem Bundeskanzler zu seinem fünfzigsten Geburtstag Bezeugungen der Anhänglichkeit und Dankbarkeit von großer Herzlichkeit bereitet worden; sie galten einem Volksmann, der seit sieben Jahren an vorderster Stelle unsere Demokratie in allen Ungewittern behütet hat. Als Gratulanten erschienen auch die obersten Amtsträger der Sozialistischen Partei. Ihre Glückwünsche fielen durch manche freundliche Pointe um so mehr auf, als in den letzten Monaten eine Menge Geschirr zerbrochen worden ist. Viel darf nicht mehr geschehen, und es reicht nicht mehr für ein gemeinsames Tischgedeck. Noch gibt es Optimisten, die aus den Reden, in denen Sprecher aus der bisherigen politischen Arbeitsgemeinschaft den Bundeskanzler ehrten, den Sinn herauszuhören meinen, daß auch seitens der Spitzenführer des österreichischen Sozialismus

Übereinstimmung darüber besteht, Halt und Würde könne nur einem System innewohnen, das auf gegenseitiger Achtung gründet, und daß die politische Diskussion auch in Polemik und berechtigter Kritik hinfinden muß zu einer Ordnung, die der gemeinsamen Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl entspricht. Ist es so? Darüber bestehen nach den gemachten Erfahrungen Zweifel. Der Parteiobmann der Volkspartei, Minister Raab, hat die Antwort auf die Frage nach den künftigen Möglichkeiten politischer Zusammenarbeit der beiden großen Parteien sich noch Vorbehalten. Er macht sie abhängig von dem Ausgang der kommenden Neuwahlen. Das Ergebnis wird schon mitbestimmt werden durch die Vorbereitung und Führung des W ahlkampf es. Der Parteiobmann der Volkspartei gab der Wahlzeit auf dem Landesparteitag seiner Wiener Parteifreunde ein wertvolles Vorwort, als er das rückhaltlose Bekenntnis aussprach „zu der großen Parole von der Freiheit und Würde des Menschen, die am Katholikentag verkündet wurde“, und er fügte bei: „Wir nehmen seine Forderungen begeistert auf und sehen ihre praktische Durchführung als eine Verpflichtung der Österreichischen Volkspartei an.“ Die gefaßte Entschließung des Wiener Parteirates bezeichnete dieselbe Linie mit der Feststellung, die Wiener Volkspartei sei „entschlossen, den VJahlkampf fair und sachlich zu führen“. Das sind bündige, auch für die Gegenseite das rechte Maß bestimmende Erklärungen. Man möchte wünschen, daß sie das rechte Echo finden.

SALZBURG HAT SORGEN. Seit Wochen verhandeln Landeshauptmann und Bürgermeister mit der Besatzungsmacht wegen der Errichtung eines Panzerübungsplatzes, der wahrhaftig wenig geeignet ist, das schöne Land an der Salzach und die nahe Mozartstadt zu schmücken. Nun hat sich auch der Außenminister in das Gespräch eingeschaltet. Es ist zu hoffen, daß es den vereinten Bemühungen gelingt, die zuständigen militärischen und politischen Instanzen von dem zweifelhaften Nutzen eines solchen militärischen Unternehmens im Schatten der Türme und Giebel der Salzachstadt zu überzeugen. Ein Argument vor allem müßte | eigentlich überzeugen: Sieht man auf der hohen militärischen Kommandobrücke nicht, welche Kräfte durch einseitige militärische, die Gefühle und Interessen der einheimischen Bevölkerung zu wenig in Rechnung stellende Aktionen Material für eine nichtswürdige Propaganda direkt ins Haus geliefert bekommen? Ihnen jeden Anlaß oder auch nur Vorwand als Sprecher der österreichischen Bevölkerung von vornherein zu nehmen, liegt genau so im österreichischen wie auch im amerikanischen Interesse.

ALLEIN IM JAHRE 1951 und da allein in Wien wurden 4756 Ehen gerichtlich geschieden; den 16.321 neugeschlossenen ehelichen Verbindungen standen also fast mehr als ein Drittel im gleichen Zeitraum zerstörter gegenüber. Rund fünfzig Prozent der geschiedenen Ehen waren kinderlos, und in den anderen fünfzig Prozent verloren 3490 Kinder die Geborgenheit einer bestandfähigen Ehe. Ein sozialistischer Zeitungskommentar sagt dazu: „Die größten Leid tragenden der geschiedenen Ehen waren die Kinder.“ Leider schon eine Binsenwahrheit, aus der man die allgemeine, auch im sozialistischen Lager eingekehrte Erkenntnis folgern müßte, daß gegen leichtsinnige Eheschließungen und Ehescheidungen alle moralischen Kräfte der Gemeinschaft aufzurufen sind. Um den Stand der Dinge ganz deutlich zu machen: Nach der letzten Statistik haben die in Wien zivilrechtlich vermerkten Ehen durchschnittlich nur eine siebenjährige, in den jüngsten Altersstufen sogar nur eine fünfjährige Durchschnittsdauer. Aber die Nachtwächter ringsherum — sie wissen noch immer nicht, wieviel Uhr es geschlagen hat. Es ist höchste Zeit Zum Aufwecken!

DER BISHER ZWEITE MANN der deutschen Sozialdemokratie ist an die erste Stelle getreten. Der Dortmunder Parteitag hat Erich Öllenhauer als Nachfolger Dr. Kurt Schumachers bestätigt. Es gibt keinen anderen Mann, der wie er die ganze Partei repräsentiert und der gleichsam als Mensch für sie spricht, nicht nur als ihr Vorsitzender, nicht nur als ihr Geist, sondern eben auch mit dem, was in der Politik so außerordentlich selten ist, mit Wärme und Menschlichkeit Erich Öllenhauer ist einer der ganz Wenigen, die die traurige Humorlosigkeit in der Politik unserer Gegenwart nicht mitmachen. Man hat ihn im Bundestag auch schon über einen Witz lachen sehen, der auf seine Kosten oder die eines seiner Freunde ging. Dafür gibt es aber auch den anderen Öllenhauer, dessen Stimme zu ersticken drohte, als er am Sarge Kurt Schumachers sprach. Daß öllenhauer — Jahrgang 1901 •— schon in der Weimarer Zeit bekannt war, lag an seiner Tätigkeit in der Sozialistischen Arbeiterjugend. Der SAJ- Sekretär stand eigentlich schon auf dem Sprungbrett. Verbindungen zum Ausland entstanden. Die Zusammenarbeit der deutschen Jugendverbände brachte öllenhauer in Kontakt zu Prälat Mostert und später auch zu Prälat Wolker. Aber dann brach das Jahr 1933 über Deutschland herein. Erich Öllenhauer, soeben in den Vorstand der Sozialdemokratischen Partei gewählt, mußte fliehen. Prag, Paris, Lissabon und London waren die Stationen. Manch einer in Deutschland merkte auf, wenn hin und wieder ein Wort Ollenhauers durch die Zuchthausmauern hindurchbrach, mit denen Deutschland umgeben war. Der Sohn eines Maurers aus Magdeburg, der nach Volksschule und dreijähriger kaufmännischer Lehre aktiver Sozialist geworden war, reifte im Exil aus. 1946 wählten ihn die Sozialdemokraten zu ihrem stellvertretenden Vorsitzenden. Er ist, wie wenige, geborener Parlamentarier. Er ist dies viel mehr, als es Kurt Schumacher war. Man kann von ihm eine Wiederbelebung der fast schon erstarrten parlamentarischen Diskussion in der Deutschen Bundesrepublik erwarten.

GENAU ENTSPRECHEND DEM SCHEMA sind am 3. Oktober in einem Sofioter Schauprozeß der katholische Bischof von Philippopel und einer der letzten von den elf gewesenen Metropoliten Bulgariens, Josaphat Schischkoff, die zwei Priester Pavel Djijoff und Evgheni Bosichoff vor Gericht gezogen worden, haben sich der Spionage und der staatsfeindlichen Tätigkeit schuldig bekannt und sind deshalb zum Tod durch Erschießen verurteilt worden. Gleichzeitig und aus denselben Gründen erhielten der gewesene Direktor des katholischen Priesterseminars, Dr. Peter Sariski, und 19 weitere Priester Gefängnisstrafen zwischen 20 und 12 Jahren. Wiederum genau nach dem bekannten Schema haben alle Verurteilten um eine „gerechte Bestrafung und Gnade“ sowie um die Möglichkeit gebeten, „ihre Schuld vor der Nation wiedergutzumachen“. — Dem Ritus volksdemokratisch-kommunistischer Rechtspflege ist somit buchstabengetreu Rechnung getragen. Nur eine Stelle in dem Schema weist regelmäßig eine Liiclte auf und läßt unaufgeklärt, wie es denn kommt, daß diese Bischöfe und Priester, trotzdem sie das Schema kennen, demzufolge sie eines Tages todsicher der Spionage und des Hochverrates angeklagt werden und einem ent setzlichen Schicksal ins Auge blicken müssen, auf ihrem Posten bleiben und ihr furchtbares Los auf sich nehmen. Wären sie Spione und Hochverräter, sie wüßten, wie sie sich zu rechter Zeit davonmachen: so aber verzeichnet die katholische Kirche in ihren blutbesprengten Annalen neue Namen zu der langen Liste ihrer glorreichen Bekenner und Märtyrer, und ehrerbietig verneigt sich vor ihrem Opfer dH Christenheit des ganzen Erdkreises.

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