6594784-1952_50_09.jpg
Digital In Arbeit

Randbemerkungen ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

SCHAMROT MUSS JEDER ÖSTERREICHER, jeder aufrechte Mensch werden, wenn er von Zeit zu Zeit immer wieder ähnliche Meldungen lesen muß wie jene der letzten Woche: da kommen bei Nacht und Nebel Menschen über die österreichische Nordgrenze. Oft sind sie wundgeschossen, und düs Wort „von Hunden gehetzt“ ist in ihrem Fall keine literarische Übertreibung, sondern entspricht den harten Tatsachen. Endlich. haben sie die Minenfelder passiert, endlich sind sie durch den Stacheldraht hindurch und auf österreichischem Boden. Aber dürfen sie aufatmen, sich in Sicherheit ioiegen? Es wäre ihr Verhängnis. Aber — und hier beginnt die Schmach — diese Exulanten haben nicht nur die Soldaten der Besatzungsmacht zu fürchten, auch den österreichischen Gendarmen gehen sie besser aus dem Weg. Die Sicherheitsorgane unseres demokratischen Staates stehen nämlich unter dem Druck der Besatzungsmacht, jeden Flüchtling aus der Volksdemokratie zur Verfügung der zuständigen Kommandantur zu halten. So will es der Befehl des Stärkeren, das Gesetz des Schwertes, wehe den Befreiten . .. Schweren persönlichen Gefahren setzen sich die Beamten aus, die es nicht respektieren. Wie schwer mag Menschen die peinvolle Wahl fallen, dem Ruf des menschlichen Gewissens oder der auferlegten Vorschrift zu folgen? ... Warum muß man gerade aus gewissen Grenzbezirken immer wieder im besonderen solche Nachrichten hören, die gegen die Ehre jedes Österreichers — jawohl, auch so etwas gibt es noch — verstoßen und jeder Menschlichkeit hohnsprechen? Wir kennen die Zwangslage, in der sich die österreichischen 'Sicherheitsorgane befinden, wir wissen aber auch, daß selbst äußerer Zwang nicht immer als Entschuldigung für die Ausführung von Befehlen gegen die Menschlichkeit in Rechnung gestellt wurde...

KEINE INDISKRETION ist es wohl, wenn wir einen Auszug aus dem durch Zufall in unsere Hände gelangten Sonderrundschreiben des Wiener Landesparteiobmannes der ersten Regierungspartei einer größeren Öffentlichkeit vorlegen. An alle mit der Auswahl der Nationalratskandidaten beschäftigten Mitglieder seiner Partei gerichtet, kann es als Dokument einer erfreulichen politischen Gesinnung nicht bekannt genug werden:

„Allen verantwortlichen Funktionären der Partei muß es klar sein, daß die Wiener ÖVP der Wiener Bevölkerung, eine Liste von Persönlichkeiten als Nationalratskandidaten präsentieren muß. Diese Persönlichkeiten, diese besten Persönlichkeiten, ohne Rücksicht auf ihre hündische Herkunft, aber sehr wohl unter Berücksichtigung ihrer Stellung im kulturellen, religiösen, sozialen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Leben, unserer Stadt zu finden, sie unter Hintansetzung eigener persönlicher Wünsche mutvoll aus der Masse herauszuheben und in das Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stellen, ist die verantwortungsvolle Aufgabe... Auch die Frage der aktiven Parteiarbeit der bisherigen Na- tionplräte muß bei der Wertung ihrer Tätigkeit eine Rolle spielen. Ein Abgeordneter, der sich in der Vergangenheit mir wenig oder fast gar nicht in seinem Wahlkreis, in seinem Wahlbezirk, bei seinen Wählern blicken ließ, hat sich einen Schlechtpunkt in der Bewertungstabelle seiner politischen Leistungen erwirkt. Auch die Frage der Ämterkumulierung und der hiezu gefaßten grundsätzlichen Beschlüsse des letzten Bundesparteitages muß bei der Auswahl der Kandidaten ganz besonders berücksichtigt werden.., Die schwierige politische Arbeit, die Verantwortung und Verantwortlichkeit auf so viele Schultern als möglich zu verteilen, durch viele Ämter überlastete Mandatare durch ihr Ausscheiden aus der Kandidatenliste zu entlasten, ist ebenfalls die Aufgabe des mit der Kandidatenermittlung bestimmten Personenkreises.“ Persönlichkeiten... die besten Persönlichkeiten ... ohne Rücksicht auf ihre hündische Herkunft, aber sehr wohl unter Berücksichtigung ihrer Stellung im kulturellen, religiösen, sozialen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Leben auf die Kandidatenliste: das ist nicht nur eine alte, in den Spalten dieses Blattes wiederholt erhobene Forderung; es ist der Wuhsch aller Österreicher, die unverbesserlich genug sind, in der Politik die Sorge um das Gemeinwohl zu erblicken.

DIE WAHLEN ZUM SAARLÄNDISCHEN LANDTAG haben der Regierungspartei des Ministerpräsidenten Hoffmann die absolute Mehrheit (55 Prozent), den Nichtwählern rund ein Drittel der Stimmen eingebracht. Ein Ergebnis, das von allen Demokraten und allen Anhängern einer europäischen

Konföderation begrüßt werden muß. In beiden Teilen des Abstimmungsergebnisses. I Die Stimmen der Nichtwähler, das heißt der drei prodeutschen, nicht zugelassenen Oppositionsparteien besagen: im Saarland gibt es nach wie vor, trotz bitterer wirt- schaflicher Erfahrungen nach dem „Anschluß“ von 1935, als die Saarkohle plötzlich den Weg nicht mehr fand zu den Minette-Erzen Lothringens, eine starke, sehr ins Gewicht fallende Minderheit, die mit dem gegenwärtigen Status des Saarlandes nicht einverstanden ist. Diese Minderheit beklagt sich, mit einem gewissen Recht, über undemokratische Maßnahmen der Saarregierung und über den Druck Frankreichs. Frankreich hat an der Saar wirtschaftliche und politische Interessen. Letztere treten heute noch stärker in den Vordergrund, da Frankreich mit Sorge und Mißtrauen auf den wachsenden deutschen S Nationalismus blickt. Es fürchtet, über- spielt zu werden, und möchte für alle Fälle ein Pfand besitzen gerade für die künfti- I gen Verhandlungen mit Deutschland und I auch den USA. Trotz aller dieser verstand- liehen Interessen beobachtet man vom Westen, von Paris her, ziemlich leidenschaftslos die möglichen Entwicklungen. Anders sah man bis jetzt, zu den Wahlen, die Lage von Bonn aus. Weil oben von einem französischen Druck zu reden war: der Druck aus dem deutschen Raum hatte sich in der letzten Zeit zunehmend verstärkt. Dieser Druck richtete sich gleichermaßen gegen den Bonner Bundeskanzler, dem mehr oder minder offen Vaterlandsverrat vorgeworfen wurde, wie gegen Dr. Hoffmann, den saarländischen Ministerpräsidenten, dem alle Scheltnamen des Hoch- und Landesverrats, des politischen und kriminellen Verbrechertums (bezahlter Agent der Sürete usw.) zugeworfen wurden, die ehdem eine andere Propagandamaschine dem österreichischen Bundeskanzler vor dem März 1938 entgegengellte. Es kann hier nicht übersehen werden, daß Männer um das „Ministerium für gesamtdeutsche Fragen" (ein unguter Besitztitel an sich bereits) hier, wie auch in anderen Fällen, Kampfparolen verlauten ließen, die unliebsam an Dinge erinnern, die wir alle vergessen wollen. Dr. Adenauer blieb diesem Druck gewachsen; er gab ihm nicht nach; ohne Zweifel aber verhinderte dieser eine aktive positive Politik neuer Verhandlungen, sowohl mit Paris wie mit Saarbrücken. Nun hat das Wahlergebnis das Eis gebrochen: es zeigt nämlich den deutschen Heißspornen, daß mit den 55 Prozent der Saarländischen Volkspartei gerechnet werden muß; es zeigt Paris, daß das Drittel prodeutscher Stimmen beachtet werden muß. Und es zeigt also allen Dreien, in Bonn, in Saarbrücken und in Paris, daß sie aufeinander angewiesen sind. Als Partner, von denen jeder echte Gewichte in die Waagschale legen kann (was allein ein echtes Verhandeln ermöglicht). Unter den Auspizien dieser Einsicht beginnen nun neue 'Verhandlungen; zwischen Deutschland und Frankreich; um die Saar, um Europa.

DER GEGENSATZ TAFT-EISENHOWER gewinnt scharfe Konturen. Bedeutsam ist, daß dies zu einem Zeitpunkt geschieht, da der designierte Präsident sein Amt noch nicht übernommen hat und der konservative Senator aus Ohio noch nicht als Führer der Regierungsfraktion des Senats bestätigt wurde: während des innenpolitischen Burgfriedens, der traditionsgemäß vom 5. November des Wahljahres bis zum darauffolgenden 20. Jänner beobachtet wird, ist man persönliche Auseinandersetzungen von solcher Tragweite nicht gewöhnt. Taft ist mit der Ministerliste Eisenhowers nicht zufrieden. Das öffentliche Eingeständnis dieses Mißvergnügens ist ebenso überraschend wie die Zusammensetzung des künftigen US- Kabinetts: mit Ausnahme des Finanzministers Humphrey wird kein Republikaner des isolationistischen Parteiflügels einen Ministerposten erhalten, und das wichtige Staatsamt für Arbeit soll sogar einem demokratischen Gewerkschaftsführer anvertraut werden. Was das bedeutet? Nicht mehr und nicht weniger, als daß Eisenhower von den reaktionären Isolationisten seiner Partei sich völlig freizumachen verstand und gewillt ist, nach eigenem Gutdünken zu regieren. Wer diese Nackensteifheit des neuen Präsidenten zustande brachte, der während des Wahlkampfes Einflüsterungen der Taft- Leute nicht unzugänglich war und dadurch gerade in Europa manche- Befürchtungen laut werden ließ? Hier werden verschiedene Namen genannt, am öftesten jedoch derjenige von Lucius D. Clay, dem ehemaligen amerikanischen Oberbefehlshaber in Deutschland, dem Initiator und Erbauer der Luftbrücke nach Berlin. Sollte diese Vermutung sich bewahrheiten, wird man in Zukunft immer weniger über den Konflikt Taft-Eisenhower lesen — und schreiben — müssen; um so mehr jedoch über die Konstellation Eisenhower-Clay.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung