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Randbemerkungen zur woche

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„BAROMETERWAHLEN“ nennt man jent Wahlgänge, die soeben in Salzburg und Villacl neue Gemeinderäte ermittelten und als vorläufigen Höhepunkt an diesem Wochenende die Tirolei an den Urnen eines neuen Land tages sehen werden. Gleich einem Baromelei sollen sie Auskunit geben, ob und wie starh sich das innerpolitische Klima in Ocstcrreicl seit den Nationalratswahlen in Oesterreich zl verändern beginnt . .. Nun, die Ergebnisse vor, Salzburg und Villach sind aulschlußreict genug. Sie sind geeignet, die schon nach der, Februarwahlen da und dort lautgewordene Meinung, wir streben in Oesterreich a u i weite Sicht finem Zweiparteiensystem zu, zu verstärken. Obwohl doch gerade lokale Wahlen mit ihren sehr diiiizilei; Interessengruppierungen die Bildung Meinet Gruppen und Fraktionen direkt herausfordern, zeigte sich in Salzburg vor allem ein verstärkter Trend zu den Großparteien. Die Sozialistische Partei hat sich hier, obwohl im Wahl-kampi deutlich in der Delensive, behauptet, die Volkspartei einen schönen Erfolg erzielen können, der ihr über 5000 neue Stimmen und zwei neue Mandate eingetragen hat. Stärker als der rein negativen Parole von der Wahl eines „nichtsozialistischcn Bürgermeisters“ darl dieser Fortschritt wohl auf die Persönlichkeit und die sachlichen Leistungen des VP-Spitzen-kandidaten als bisheriger Vizebürgermeister zurückzuiühren sein. Von einem solchen Mann darf man wohl erwarten, daß er in den kommenden schwierigen Verhandlungen keinerlei Lösung akzeptieren wird, die ihn und seine Partei dem ständigen und nicht bescheidenen Druck einer Minderheit aussetzt. Denn zur Minderheit selbst in der Stadt seiner Gründung ist heute auch in Salzburg der VdU geworden. Stimmenverluste gegenüber den letzten Gemeinde- und Nationalratswahlen trotz erhöhter Zahl der Wahlberechtigten: diese Sprache ist deutlich. Sie ist überdeutlich in Villach. Hier, in einer einstigen Heimstätte des „nationalen Lagers“, wurde der „Verband der Unabhängigen“ gar gedrittelt und von 3971 Wählern der Gemeindewahl 1949 blieben nur 1335 der alten Fahne treu. Ergebnis: Von acht auf zwei Mandate zurückgeworfen. Das hier bemerkte Auftreten kleiner Fraktionen, die sich vor allem an den Stammkader des VdU wandten — im Falle der sogenannten „Heimatliste“ mit Erlolg —, markiert hier den weiteren Weg. Schon am kommenden Sonntag wird ein Blick auf das Tiroler „Wahlbarometer“ weitere Schlußfolgerungen erlauben.

ACHTUNG, ACHTUNG! Hier Schwaizach-Si. Veit, Schwarzach-St. Veit, der D-Zug von Wien-Westbalmhof über Salzburg, Innsbruck nach Basel, mit der planmäßigen Ankunft um 19.55 Uhr, wird voraussichtlich 20 Minuten später eintreffen ... Nicht einmal, sondern beinahe regelmäßig konnte man in der vergangenen Reisezeit solche Meldungen in Oesterreich hören. Und nicht nur in Schwarzach-St. Veit ... Aber gerade hier, hinter Salzburg, sind Verspätungen aller nach dem Westen fahrenden Züge bis zu einer halben Stunde schon „fahrplanmäßig“. Früher einmal — es ist gar nicht so lange her — gab es die berüchtigte „Demarkationslinie“. Die für jene unnotwendige „Kontrolle“ in den Fahrplänen eingesetzte Zeit wurde nicht selten überschritten, die Züge bekamen Verspätung. Die Oesterreicher zuckten verständnisvoll die Schultern: höhere und fremde Gewalt ... Nun, die Demarkationslinie hei — und die Zugverspätungen blieben. Mehr noch: die im vergangenen Sommerlahrplan gleichmäßig zwischen Wien und Feldkirch aufgeteilte ehemalige Kontrollzeit von 20 Minuten genügte nicht. Verspätungen der Fernzüge sind nach wie vor auf der Tagesordnung. Und auch viele Lokalzüge halten dabei mit. Hier muß einmal Wandel geschaffen werden! Ein Vorschlag und zugleich eine Forderung: Berufung einer Expertenkommission durch den zuständigen Ressortminister. Ihre Aulgabe wäre es, die Ursachen der permanenten Zugverspätungen in Oesterreich zu untersuchen und bindende Vorschläge zu ihrer Abstellung zu unterbreiten. Der ausländische Gast im Fremdenverkehrsland Oesterreich, aber auch der österreichische Reisende haben, noch dazu, da sie ab Jänner bei jeder Bahnlahrl tieler in die Tasche greifen müssen, beinahe neun Jahre nach Kriegsende einen Anspruch auf sichere und pünktliche Beförderung. it.;.'-,- .... ■ '“ 'väffc..

DIE LONDONER KONFERENZ DER DREI AUSSENMINISTER kann allein schon dann als etwas Positives gewertet werden, wenn man von ihren tatsächlichen Ergebnissen, die ohnehin nicht aus Kommuniques, sondern nur aus den späteren folgenden Ereignissen herauszulesen sind, vorerst absieht. Man bedenke, daß es sich hier um eine ständige, routinemäßige Einrichtung handelt, dazu berufen, das Funktionieren dreier so unendlich komplizierter Apparate, wie dies Außenämter von Großmächten immer sind, von Zeit zu Zeit aufeinander abzustimmen. Die heikle Art dieser Operation steht aber lest: nicht bloß, weil jeder der drei Staaten trotz gemeinsamer Interessen in letzter Zeit immer mehr eine eigene außenpolitische i Konzeption verfolgt, sondern noch mehr deshalb,weil selbst diese eigenen Konzeptionen Spalten : und Widersprüche in sich aufweisen. Konkreter gesprochen: jeder der drei Minister vertritt die • Regierung eines demokratischen Staates, in : dem man nicht bloß auf die jeweilige Opposi-i tion mehr oder weniger Rücksicht nehmen muß, ! sondern wo innerhalb der Regierung selbst i latente Meinungsverschiedenheiten über wich-l tige Fragen nicht ganz zu vermeiden waren. i Am sichtbarsten ist das in Frankreich. Hier vertritt der Außenminister Bidault die „atlan-f tische“ Politik, während der Vizeministerpräsident und außenpolitische Berater des Minister-: Präsidenten, alter Freund und Anhänger Chur-: chiils, Paul Reynaucl, der Idee einer unabhängigen' französischen Europapolitik, der Liquidierung des Krieges in Indochina und einer Fünlerkonlcrenz unter Einschluß Pekings nachhängt. Der zweite Konlerenzpartner, Anthony Eden, vertritt ebenfalls wie Bidault eine elastischere Haltung aut eine weitgehende Koordinierung der Ansichten hin. Es hat damit den Anschein, daß er seinen Herrn und Meister, der gerne seine kriegerisch-politische Laufbahn mit einem Friedenswerk krönen möchte, leicht überspielt hat. Nicht nur, nachdem die westlichen Partner, sondern weil auch die Russen hiebei Zurückhaltung zeigten. So brachte die Rede Churchills in Margate nichts Neues. Und wie steht es mit der Positionsstärke des Außenministers Dulles? Sie scheint am solidesten zu sein — solange er „bei der Stange“ bleibt. Gedenkt er von seiner intran-sigenten Haltung zu einer echten Zusammenarbeit hin abzugehen, wie auch jetzt, um in der diplomatischen Front des Westens gefährliche Lücken zu schließen, so öffnen sich gtetch Lücken zwischen ihm und jener republikanischen Mehrheit des Senators Knowland, die, nicht ohne jede Hysterie, nach Stärke und hoch mehr Stärke rufen. In der USA-Oeffentlichkeit ist ohnehin nach der Kunde von der russischen H-Bombe eine wachsende Furcht und Reizbarkeit festzustellen: bekanntlich schlechte Ratgeher! Vieles muß also noch ins Klare kommen, bis die drei Minister nicht hur ihre persönlichen Ansichten,' sondern den gefestigten Kurs ihrer Regierungen aufeinander abstimmen können. Und erst dann könnte es zu einem echten Gespräch mit dem Osten kommen.

D1S SOWJETISCHE ARISTOKRATIE ist im Westen so gut wie unbekannt. Von der revolutionären Garde 1917 sind lediglich kümmerliche Reste geblieben und nur von den Spitzenfiguren kennt man die wichtigsten biographischen Daten. Nach dem Sturz Berijas stellte der Westen erstaunt lest, daß über den Nachfolger des allgewaltigen MWß-Chefs eine geradezu groteske Unkenntnis bestand. So stürzte man sich auf den Titel „Sir“, den sich Sergej N. Kr u g I o w zulegen kann, seit er die Konterenzen in Yalta und Potsdam erfolgreich vor Attentaten behütet hatte. Der entsprechende Orden eines Ritters vom Britischen Empire (K. B. E.) war ihm übrigens von dem jetzigen NATO-Generalsekretär, Lord jsmay, überreicht worden. Vergangene Zeilen ... Soviel ist sicher: Kruglow, heute 50 Jahre all, darf sich als „Fachmann“ bezeichnen. Er kommt sozusagen über die Ochsentour auf den Platz Berijas als Innenminister. Schon 1940 erhält er den Titel eines Generalobersten der Polizeitruppen. Bald darauf wird er Stellvertreter Berijas und löst ihn, als die MWD 1946 aus der Staatsverwaltung ausgegliedert und allein Berija unterstellt wird, aut dem Posten des Innenministers ab. Bei der Straffung der obersten Verwaltung in Moskau nach Stalins Tod verliert er wie andere auch seinen Minislerposten — an Berija, der nach Wie vor sein eigentlicher Chef geblieben war. Daß man nun auf ihn zurückgrili, um ihn an die Stelle des „bourgeoisen Renegaten“ Berija zu setzen, ist also kein Wunder. Als Russe ist Kruglow sicher kein Freund des Georgiers Berija gewesen, erst recht nicht, als dieser in den letzten Monaten den „Kampf gegen die Russifizierung“ zum Leitwort seines Ringens um die Macht mit dem Russen Malenkow machte. Als Angehöriger der nachrevolutionären Generation mag er sich seinem Altersgenossen Malenkow doppelt verbunden fühlen. Wie dieser kennt er den Westen nicht aus eigener Anschauung. Mit dem Sturz seines früheren Vorgesetzten hat er nun den Sprung in die Reihen der ersten Garnitur des Sowjetregimes geschallt. Daß er bisher als Fachmann außerhalb des Streits der Nachlolger Stalins stand, dürfte seine Karriere erleichtert haben. Aber ob Sergej Nikiloro-witsch Kruglow der Versuchung widerstehen wird, die aus der Verfügungsgewalt über eine der SS Himmlers vergleichbare schwerbewaffnete Polizeitruppe, über einen ins letzte Dorf verzweigten Polizeiapparat und über riesige industrielle Unternehmen erwächst? Noch eine Frage ist offen: Wie kann eigentlich ein Mann seines neuen Amtes froh werden, dessen Vorgänger eines unnatürlichen Todes- gestorben sind?

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