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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DIE HOCHZEIT IN BURGUND, die Vermählung des Kaisersohnes Erzherzog Robert von Habsburg mit der Nichte des letzten italienischen Königs Umberto strahlte Glanz und Atmosphäre aus, die nicht nur ihre Erklärung in einem großen gesellschaftlichen Ereignis haben. Da war einmal die Vergangenheit, eine große und stolze Vergangenheit, zu Gast. Nicht willkürlich war die Kirche von Brou von den Brautleuten gewählt worden, ist sie doch eine Stiftung der Tochter des „letzten Ritters“, Mar-. garete von Oesterreich, die sie über dem Sarkophag ihres Gatten, Philiberts des Schönen von Savoyen, errichten ließ. Das war in den Jahren 1511 bis 1536… Jahrhunderte liegen seit dieser Tat der gemeinsamen Ahnen, Jahrhunderte, in denen die Beziehungen zwischen den Häusern Habsburg und Savoyen nicht selten von dunklen Wolken überschattet waren. Für jeden geschichtlich Denkenden ist es eindrucksvoll, daß auch diese dunklen Schatten vergangener Tage nicht einfach übersehen wurden, sondern in den Hochzeitsreden sowohl des italienischen Exkönigs als auch des Chefs des Hauses Habsburg freimütige Erwähnung fanden. Bleibt nur noch ein Blick auf die vielen tausende Festgäste, vielfach einfache Menschen, die ebenso wie bei vergangenen Ereignissen weder Zeit noch Geld und die Strapazen der langen Reise gescheut haben. Unter ihnen waren nicht wenige aus Oesterreich gekommen. Die Freude am Schauen, die Lust und Liebe für große „Hof- und Staatsaktionen" ist zwar unserem Volk angeboren, allein sie ist in diesem Fall keine wirkliche Begründung. Eine Erinnerung: Hochzeiten im kaiserlichen Haus waren vor 1918 gar nicht so selten. Nie aber gab es solche „kleine Völkerwanderungen", selbst nach Ischl oder zu einem anderen österreichischen Ort, wie wir sie jetzt bei gegebenen Anlässen ins Ausland feststellen können. Die Erklärung ist einfach. Alle, die sich nicht mit billigen Antworten begnügen, können in ihnen nur eine Protestbewegung gegen die noch immer bestehenden Landesverweisungsgesetze gegen die Mitglieder des Hauses Habsburg, eine Familie, der Oesterreich wirklich besseren Dank wissen sollte, sehen.

„KATHOLISCHE BEVÖLKERUNG DER UdSSR FEIERTE WEIHNACHTEN. In den lettischen und litauischen Städten und Dörfern hat die katholische Bevölkerung überall das Weihnachtsfest begangen. Die Rigaer Sankt-Jakobs- Kathedrale war am Heiligen Abend besonders stark besucht… Zahlreiche Gläubige füllten am Weihnachtsabend die Peter-Pauls-Kirche in Vilnius. Feierlich ertönten die Klänge der Orgel und die Gesänge des berühmten Kirchenchors. Viele Gläubige wohnten dem Weihnachtsgottesdienst in der Kirche der Heiligen Anna, in der Dominikanerkirche und in den anderen katholischen Gotteshäusern der litauischen Hauptstadt bei. Aus den Fenstern vieler Häuser strahlten die brennenden Kerzen des Weihnachtsbaumes."— Der Bericht eines westlichen Heimkehrers aus der Sowjetunion? Die Meldung einer Untergrundbewegung aus der Weite des russischen Raumes? Ein Interview französischer Parlamentarier, die soeben aus der Sowjetunion heimkehren? Mitnichten: es ist ein Ausschnitt aus einem Bericht der TASS, der staatlichen sowjetischen Nachrichtenagentur, zweispaltig fett aufgemacht, mit obigem Titel, auf Seite 2 der vom sowjetischen Informationsdienst in Oesterreich herausgegebenen „Oesterreichischen Zeitung" vom 29. Dezember 1953. Wir verzeichnen dies.

DIE LETZTE SITZUNG DES ZENTRALKOMITEES DER KP IN PRAG hatte sich nicht nur mit dem Mißerfolg der Landwirtschaft, sondern auch mit Problemen der Forschung und Wissenschaft zu befassen. Der Erste Sekretär, Novotny, hat in seinem Referat erklärt, daß die Philosophie, die Pädagogik, die Staats- und Rechtswissenschaften und die Nationalökonomie hinter den Bedürfnissen des Volkes und den Erfordernissen des täglichen Lebens zurückgeblieben sind. Die Vertreter der Geschichtswissenschaft erfuhren hingegen uneingeschränktes Lob. Im historischen Institut de: Akademie der Wissenschaften in Prag und dem Slowakischen historischen Institut in Preßburg seien neue Forschungszentren entstanden. Eine große Kollektivarbeit, die Geschichte des tschechischen und des slowakischen Volkes vom marxistischen Standpunkt, sei in 'Vorbereitung; die Slowakische Akademie der Wissenschaften hat eben eine große Aulgabe vollendet, die neue slowakische Rechtschreibung, die seit 1. Jänner 1954 für alle Zeitungen, Zeitschriften und Bücher in slowakischer Sprache verbindlich ist und an allen Schulen gelehrt wird. Das.schwierigste Problem, vor das sich die tschechische Forschung gestellt sieht, ist die Nachwuchsfrage. Es ist freilich gelungen, eine ganze Reihe von Fachleuten der alten Generation für das neue Regime zu gewinnen. Die Akademie der Wissenschaften spiegelt die heutige Situation besonders deutlich: die treibenden Kraite sind junge Dozenten oder Professoren, die erst nach 1945 auf ihre Lehrkanzeln berufen wurden, die Posten des Präsidenten und der Vorsitzenden der einzelnen Sektionen aber werden von Gelehrten eingenommen, deren Namen in der

Welt noch von früher her einen guten Klang haben: Minister Nejedly, der Präsident der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, war schon vor einem halben Jahrhundert Mitglied der Königlichen Böhmischen gelehrten Gesellschaft und ist heute 76 Jahre alt, Dr. Wirth, der Vorsitzende der philosophisch-historischen Sektion war schon 1918 Sekionschef im Prager Unterrichtsministerium, Professor Hobza, der Vorsitzende der Sektion für Recht und Wirtschaft, heute 77 Jahre alt, war bereits im alten Oesterreich Dozent für Kirchenrecht und später Professor für Völkerrecht. Der „Akademiker" — das ist der Titel der ordentlichen Mitglieder der drei in der Tschechoslowakei bestehenden Akademien, nämlich der gesamtstaatlichen Akademie der Wissenschaften in Prag, der slowakischen in Preßburg, und der Landwirtschaftsakademie — Josef Hora, Professor für Zivilprozeß, ist

81 Jahre alt, der „Akademiker" Chlup, Professor an der pädagogischen Fakultät der Prager Universität 78 Jahre. Die mittlere Generation aber fehlt — sie fiel entweder der Säuberung des Jahres 1948 zum Opfer oder es gelang ihr die Flucht über die Grenze in die Emigration.

„DAS STEGREIFSTUCK VON VERSAILLES“ — „L'impromptu de Versailles“ — heißt ein berühmtes Stück von Moliėre. In diesem Stück versammeln sich die Schauspieler zur Probe, sie streiten und diskutieren aber miteinander solange, bis der König kommt und die Vorstellung begonnen werden muß: und noch weiß niemand seine Rolle… So wurden Moliėre und andere große Geister Frankreichs am Vorabend der Präsidentenwahl allenthalben zitiert: man wollte die Teilnehmer am neuen Spektakel in Versailles sowohl an die großen Zeiten und Männer Frankreichs als auch an ihre Mahnungen erinnern! Denn die Wahl des Präsidenten der französischen Republik wurde in der politischen Oeffentlichkeit des Landes von Anfang an als ein wichtiger Schritt am Wege zu einer innen- und außenpolitischen Konsolidierung angesehen. Wohl haben es die vergangenen sieben Jahre der Amtszeit Vincent Auriais gezeigt, daß bei der allgemeinen Zerrüttung, wo die Risse mitunter quer durch Parteien und — durch das politische Gewissen von nicht wenigen Persönlichkeiten gingen, die Person des Staatspräsidenten die einzige Gewähr der Kontinuität und Stabilität gewesen war, und man kann heute ohne Einschränkung feststellen, daß Präsident Auriol durch Konzilianz und diplomatische Verhandlungskünste wesentlich dazu bei trug, daß in Frankreich doch immer wieder eine Regierungsmehrheit zusammengebracht werden konnte. Dieser alte Sozialist aus dem Kreis um Leon Blum erwarb somit für die verfassungsgemäß sehr umzirkelle Stellung des Staatspräsidenten ein Ansehen im In- und Ausland — allein, Wunder konnte er freilich nicht wirken! Und dennoch erwarteten viele von dem neu zu wählenden Präsidenten, daß er Frankreich aus einer Lage, die man innen- und außenpolitisch, ja nicht zuletzt seelisch, langsam als eine Sackgasse bezeichnen darf, mit sicherer Hand hinausführen würde. Der Wahltag brach indessen unter anderen Auspizien an. Gewisse Nebenerscheinungen auf den Bermudas und die Dulles-Rede vor dem in Paris tagenden atlantischen Rat führten selbst dem politischen Laien den großen Prestigeverlust Frankreichs bei seinen Verbündeten vor Augen. Diese Einsicht versteifte aber die Fronten noch mehr, statt sie einander anzunähern. So war es in erster Linie die Frage der Europaverträge, woran sich die Geister schieden. Europa-Armee mit deutscher Beteiligung: dieser Zankapfel der französischen Parlamentarier droht zu Recht oder Unrecht zur Schicksalsfrage Frankreichs heraufzurücken. Die ungewöhnliche Langwierigkeit und Schwierigkeit der Wahl widerspiegelt die ungewöhnliche Tiefe des Risses. Die Lösung, die keine ist, kam endlich. Jene, hauptsächlich aus den Reihen der bürgerlichen Radikalen, die zwar eine gemeinsame Front mit den Linken ablehnten, aber zur Unterstützung Laniels sich doch nicht entschließen konnten, gaben im dreizehnten Wahlgang dessen Parteifreund Rene Coty ihre Stimme. Böse Zungen behaupten, vor allem deswegen, weil er während der Debatten um die Europaverträge kranlf war und keine Stellung bezogen hatte. Die Hoffnung, daß mit dem neuen Präsidenten auch Konturen der Zukunft am politischen Firmament Frankreichs aufscheinen werden, war vergeblich.

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