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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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MIT DEM BEGINN DES NEUEN JAHRES wurde die öffentliche Diskussion in Oesterreich über eine der heikelsten Fragen der Justiz wieder aufgenommen: über die-T odes- strafe. Das ist keine Parteifrage: es gibt Sozialisten und Bürgerliche, Legitimisten und Kommunisten unter ihren Anhängern, unter ihren Gegnern finden sich ebenfalls Vertreter aller Richtungen und Weltanschauungen. Mit Recht hatte in dieser Angelegenheit von außerordentlicher Bedeutung etwa der Nationälrats- klub der OeVP bei der entscheidenden letzten parlamentarischen Abstimmung über sie den Klubzwang aufgehoben und damit seinerseits anerkannt, daß es sich hier um eine Stellungnahme des Gewissens jedes einzelnen handelt, um eine innerste Entscheidung, die gar nicht genug überlegt werden kann. Die Verantwortung des Christen wird hier auf eine ernste Bewährungs- und Belastungsprobe gestellt, wobei festgehalten Werden muß, daß ihm, dem christlichen Staatsbürger, in diesem Falle die Theologen die Last der Verantwortung nicht erleichtern: es gibt in den bald zweitausend Jahren christlicher Geschichte sehr bedeutende Theologen, die für die Todesstrafe plädieren, und ebenso gewichtige Stimmen von Heiligen und Männern der Kirche, die Gegner der Todesstrafe waren. Man möchte also meinen, daß eine dem christlichen Raum nahestehende Publizistik mit der gebotenen Vorsicht und Umsicht an dieses heikle Thema herangeht. Leider ist dem nicht so. In den letzten Wochen mußte die österreichische Oeffentlichkeit Darlegungen und „Argumentationen“ vernehmen, die uns alle beschämen. Da hieß es etwa: „Die Todesstrafe muß her“; wer gegen die Todesstrafe ist, ist ein Defätist und Vaterlandsverräter. Ein Montagblatt bringt folgenden Beweisgang vor: Die Todesstrafe, das wird ün- ! verblümt zugegeben, dient nidit zur Abschreckung (mit der Abschteckungstheorie ! arbeiten sonst bekanntlich die meisten ihter ernsten Vertreter). Die Verbrecher unserer s Zeit lassen sich von ihr nicht imponieren. Dennoch muß sie wieder eihgeführt Werden: denn es muß Rache geübt weiden! Diese Rache- ! Idee (meisterhaft geübt heute in den Schauprozessen der meisterlichen Handhaber der Todesstrafe in totalitären Regimen; also etwa in China, wo hunderttausende von Regime- | gegnetn aUi diese Welse „gesetzlich“ liquidiert § werden), diese Racheidee sollte das letzte sein, | worauf sich heute ein im Westen und im Abendland lebender Europäer berufen sollte.

Hat man ganz Vergessen, daß überall dort, wo Von Rache Ungestraft ditch nur geredet wird, geschweige dehn wo sie von Amts Wegen gesetzlich geübt wird, alle Vorbedingungen geschaffen werden für die Entfesselung der Instinkte, für die Aufpeitschung des Untergrunds, den man doch sonst so gerne bannen und binden möchte? Die Sache des Volkes und die ernste Sache der Gerechtigkeit wird durch diese „Beweisführung“ nicht gefördert: ein abschreckendes Beispiel, das auch auf Repräsentanten der Abschreckungsidee nicht ohne Eindruck bleiben könnte …

UM.DEN „MENSCHEN“ UND UM DEN „GEBILDETEN 'MENSCHENVERSTAND“ geht es den letzten, namentlich im Ausland kaum bemerkten Initiativen der ungarischen Regierung. Es lut gut, einmal auch solche wenig erregenden, also nach Urteil von geeichten Zeitungslesern und Kinobesuchern durchaus langweiligen Berichte aus einem Nachbarstaat auf Herz und Nieren zu prüfen. So folgen sie der Reihe nach: Kaum, daß noch im alten Jahr die großen wissenschaftlich fundierten Projekte zur Entwicklung der Landwirtschaft — das Ergebnis einer monatelangen Enquete führender Fachleute — verlautbart wurden, erfährt man jetzt, daß die Regierung für den Bau von Einfamilienhäusern für das laufende Jahr einen Kreditrahmen (ein Kreditvolumen) von hundertachtzig Millionen Gulden sichergestellt hat. Die Verordnung steht nicht allein. Der aufmerksame Beobachter kann seit einigen Monaten feststellen, daß neben den in kommunistischen Staaten üblichen zweckbedingten, in einem höheren Sinne unmenschlichen Maßnahmen, die Arbeitsfähigkeit det Menschen — Mann und Frau — mittels Säuglingsheime, Kindertagesheime, Kulturheime zu fördern und damit letztlich das Heim entbehrlich zu machen, eine andere Strömung mehr und mehr um sich greift: die Achtung gewisser privater Zirkel, genau gesagt, die der Familie. Man kann heute noch nicht sagen, ob nicht auf lange Sicht die kollektivistische Lösung als Fernziel doch noch beibehalten wird. Ob ja oder nicht, darüber wird nicht in Ungarn und vielleicht auch nicht im Kreml entschieden; das Leben ist keine graue Theorie. Feststeht, daß die neuerlichen Erleichterungen für die selbständige Bauernschaft, die Neuverteilung von bisher mehr als achttausend Gewerbescheinen an Private und noch viele andere Maßnahmen, bis auf den kürzlichen Beginn der Modestoff- und Lederkoffererzeugung und der frühmorgendlichen Zustellung von Flaschenmilch und Gebäck vor die Wohnungstür, ausnahmslos weg vom Kollektiv führen. Aber wohin? Zur „Volksfront“ eines gesamteuropäischen Spießertums! Dieses kann ruhig toleriert, ja gefördert werden: eine Erkenntnis,

der der Scharfsinn nicht abzusprechen ist! Die gesamte Budapester Intelligenz, Lehrerschaft, Aerzteschaft, Technikertum, wird, so heißt es, im Rahmen eines großangelegten Volksbildungsprogramms „um den gebildeten Menschenverstand“ mobilisiert. Man spricht nicht mehr viel von Marxismus: um „das Wissen“ allein geht es. Und es gibt noch mehr. Die Zeitungsnovelle der Weihnachtsnummer verhöhnt den kommunistischen „Kulturverantwortlichen", der, hartgesotten, wie er ist, die Existenz von „Feen, Zwergen, Riesen hartnäckig leugnet. Im ehemaligen Palais B a 11 hy ä ny auf der Lenin- ringstraße wurde „auf allgemeinen Wunsch“ vor kurzem ein Standesamt zum Zweck feierlicher Eheschließungen eingerichtet. Marmorsäulen, Fresken, Brokat. „Ein Plattenspieler überträgt die schönsten Opernmelodien …“

DIE MÄCHTIGE MOSLEMBRUDERSCHAFT in Aegypten wurde von General Naguib aufgelöst, über hundert führende Personen verhaftet, das Vermögen beschlagnahmt. Wie ernst der starke Mann des Nillandes diese Maßnahme selbst beurteilt, geht daraus hervor, daß über das Land der Belagerungszustand verhängt wurde. Ebenso bemerkenswert wie diese Tatsache ist ihre offizielle Begründung: Die Moslembruderschaft habe mit Großbritannien konspiriert. Vergessen sind die Tage, da diese extrem nationale und religiöse Vereinigung eine Hauptträgerin des Kampfes gegen Großbritannien war und eine Bewegung entfachte, die wesentlich zum Auftrieb der nationalen Diktatur General Naguibs beitrug. Nach der Solidaritätserklärung der arabischen Liga im Kampf um den Suezkanal handelt es sich offenbar um eine Konzentrationsmaßnahme, die alle reale und ideelle Macht in einer Hand vereinigen soll. Manches läßt sich gerade aus der Regierungserklärung selbst ablesen. Denn so war es schon immer: Wer so groß war, daß er Hitler, Mussolini, Stalin usw. usw. gefährlich schien, der wurde und wird von heute auf morgen als „Söldling des Auslandes verfemt. Die Revolution frißt ihre Kinder, und wer hätte es nötig, den Kampf um den alleinigen Besitz der Volksgunst so verzweifelt ethst zu nehmen wie gerade ein Diktator? Mit rein mechanischen Machtmitteln wurde aber eine starke ideelle Bewegung noch nie für immer ausgemerzt, meist nur in den Untergrund gedrängt. Diese Erfahrung mußten noch alle Diktatoren machen. Nur die Idee überwindet die Idee. Aber an diese Wahrheit Will niemand glauben, der den lauten Ruf der Massen zu seiner Rechtfertigung benötigt. Der manchmal so gering geachtete unscheinbare Stimmzettel, in geheimer Wahl und im freien Wettbewerb der Parteien abgegeben, ist und bleibt die einzige Legitimation für die Legitimität einer Regierung. Vor dieser Realität verblassen alle Aufmärsche, Siegesfeiern und arrangierten Triumphe.

DER BENJAMIN IM KABINETT DR. ADENAUERS ist ohne Zweifel der 38jährige Bayer Franz-Josef Strauß. Seihe Blitzkarriere verdankt er allein der eigenen Kraft. Sein Vater, ein biederer Münchner Handwerksmeister, schickte den Jungen auf das humanistische Gymnasium. Studienrat sollte oder wollte er werden. Statt als Referendar in den Staatsdienst jedoch zog er 1939 in den Krieg. Langes Zagen und Zögern ist nicht seine Sache: so sprang er bei der Rückkehr herzhaft in die neue, kaum geborene Demokratie, als Mitbegründer der CSU und Landrat in Schongau, als Mitglied des Frankfurter Wirtschaftsrates, Leiter des Bayrischen Landesjugendamtes und endlich (1949) Generalsekretär der CSU. Die „Landesgruppe CSU“ in der Bonner CDU-Fraktion bestellte den 34jährigen zu ihrem Obmann. Als solcher machte er robust seinen Weg, in Bonn nicht weniger als in Bayern. Mit seinen Reden in der großen Wehrdebatte vom Februar 1952 und den folgenden Auseinandersetzungen um den EVG-Vertrag gewann er Popularität und den Ruf eines Mannes, der den „gemeinen Mann“ anzusprechen verstehe. So fiel ihm denn der Vorsitz im neugebildeten Sicherheitsausschuß des ersten Bundestages fast von selbst zu. Und nun ist er gar Minister, erklärter Rivale von Theo Blank als Verteidigungsminister in spe. Franz-Josef Strauß wird kein bequemer Minister im zweiten Kabinett Adenauers seih. Dem Bundeskanzler servierte er im vorigen Jahr die Forderung nach einer gemeinsamen Außenpolitik von Regierung und Opposition just in dem Augenblick, als die Westverträge im Bundesrat auf Schwierigkeiten stießen. Den Beginn einer gemeinsamen Sicherheitspolitik hat er als Ausschußvorsitzender schon erfolgreich praktiziert, so bei der Vorberatung des Freiwilligengesetzes. Nach dem 6. September präsentierte er als Chef Von hünmehr 52 Abgeordneten der CSU gegenüber genau der Hälfte im ersten Bundestag dem siegreichen Vorsitzenden der Schwesterpartei recht selbstbewußte Forderungen zur Regierungsumbildung, quasi als Dank für geleistete Wahlhilfe.

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