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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DER ENTSCHLUSS DER GEMEINDE WIEN, durch eine Jährliche, auf zehn Jahre sidi erstreckende Zahlung von 300.000 S die notwendigen Wiederherstellungsarbeiten am Wiener Stephansdom zu fprdefn, sollten nicht nur qjs eine Geste oder eine „Selbstverständlichkeit“ bemerkt werden. Es gibt eine ganze Reihe von Ąrįzeięhęn, die auf eine Aufgeschlossenheit der unter sozialistischer Führung stehenden Kulturpolitik der Gemeinde Wien für die Anliegen des christlichen Teils unserer Bevölkerung hinweisen. Das Entgegenkommen des Stadtschulrates beim gesgrntösterreichi- schen Katholikentag ist noch in Erinnerung. Soeben hat sich nun die Gemeinde Wien entschlossen, in das mit der Durchführung und Förderung des 2. Internationalen Kongresses für katholische Kirchenmusik, der vom 4. bis 10. Oktober dieses Jahres in Wien stattfindet, betraute Exekutivkomitee einen Vertreter zu entsenden. — Wenn dann noch die Post eine Eipladung ins Haus flattern läßt, zu einem Abend, den die Wiener Kinder freunde, ehedem bekanntlich der Herzkern gegenchristlicher sozialistischer Gruppen, veranstalten, der dem Gedenken des „Thomas Morus, Heiliger, Philosoph, Staatsmann' gewidmet ist und an dem neben dem bekannten sozialistischen Fürsorgefachmann, Prof. Tesarek, Pater Grader OSB das Wort ergreifen wird, wobei der Wiener Polizeipräsident Josef Holaubek als Obmann für die Einladung zeichnet, dann wollen wir diese Schwalben begrüßen. Vorboten, wie wir hoffen, eines offenen Horizonts, in dem sich die sozialistische Bewegung treffen kann zur wirklichen Begegnung mit Oesterreichs, mit Wiens Christentum, ja Kirchentum- Jenseits der Politik von gestern.

DIE ABWANDERUNG ÖSTERREICHISCHER WISSENSCHAFTLER ersten Ranges ins Ausland beleuchtet in der „Oesterreichischen Hochschul-Zeitung" ein Leilaufsatz von berufener Seite:

„Dje Oeffentlichkeit ist nun gerne geneigt, alle diese Verluste auf das Konto der Unter - richtsverwaltung zu schreiben, also dem Bundesministerium für Unterricht Mangel an Vorsorge vorzuwerfen. — Sieht man aber jeden dieser Fälle der Abwanderung in der Nähe an, erkennt man bald, daß fast keine dieser Persönlichkeiten, über deren Verlust die Oeffentlichkeit jammert, auf der Vorschlagsliste irgendeines Professorenkollegiums figuriert hat. Da die Unterrichtsverwaltung aber an das Vorschlagsrecht der Professorenkollegien gebunden ist, kann ihr demnach kein Vorwurf gemacht werden. — Aehnlich, wenn auch in unterschiedlicher Weise, verhalt es sich mH den übrigen oben gezeigten Verlustfällen. Es tragen daher die einzelnen Professorenkollegien, und das muß einmal offen gesagt werden, selbst ein gerütteltes Maß von Schuld, wenn die in der Oeffentlichkeit so oft gerügte .geistige Verkarstung' weitere Fortschritte macht. Die Berufungsmöglichkeiten erfahren allerdings durch die Tatsache, daß eine Ernennung zum ordentlichen oder außerordentlichen Professor nur im Rahmen des im Bundeshaushaltsgesetz vorgesehenen Dienstpostenplanes möglich ist, von vornherein eine starke Einschränkung … Trotz dieser gewiß ungünstigen Ausgangsstellung werden aber immer wieder durch Emeritierung, Ableben oder Wegberufung Stellen frei, für deren Wiederbesetzung in erster Linie die Professorenkollegien zu sorgen haben. Die Vorschlagslisten dürften, sofern sie guf Sachlichkeit Anspruch erheben, allerdings auch nicht Spuren der Sozial- und Freundeshilfe, der Gefälligkeits- und Höflichkeitsnennung aufweisen. Dies hieße nämlich, der Unterrichtsverwaltung die Urteils- und Beschlußfassung fast mutwillig erschweren, dies würde der Unterrichtsverwaltung zumuten, bei Vorlage einer Berufungsliste langwierige psychologische Untersuchungen anzustellen und zeitraubende Rückfragen zu veranlassen, warum der oder jener Kandidat an erster, zweiter, letzter Steile oder überhaupt nicht genannt sei, oder wen die engsten Fachleute nun wirklich für den geeignetsten Anwärter halten."

Hier wird eine Wunde aüfgezeigt, die allen Eingeweihten seit langem bekannt ist, aber selten so offen auszusprechen gewagt wird wie eben hier: die Erneuerung unserer Hochschulen sowie die Besetzung wichtigster Lehrkanzeln scheitert allzumeist am erbitterten Widerstand von Gruppen innerhalb der Hohen Schulen. Prof. Otto Brunner, ein Historiker von europäischem Format, mußte ins Ausland gehen, weil die Hochschule für Welthandel einen Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte nicht mit „einem Mann van der Universität“ besetzen wollte, in anderen Fällen werden auf Professorenvarschlag bestenfalls stadt bekannte Personen auf Lehrstühle berufen, die einst Männer von europäischem Ruf innehatten. Der eben zitierte Aufsatz, wahrhaftig eine Mahnung von berufener Seite, schließt mit den Worten: „Denn die Zeit scheint gekommen, in der die berufenen Repräsentanten der Wissenschaft stärker als bisher ihre wahren Kräfte spielen lassen und sich dahin begeben sollten, woher sie diese Kräfte geschöpft hatten — zur Sachlichkeit zurück.“ Eine im gegebenen Falle zu Veröffentlichende Statistik der in den letzten Jahren und Jahrzehnten erfolgten Nicht berufungen und Berufungen könnte ein erschreckendes Bild erstellen: wie viele Kapazitäten gingen Oesterreich verloren und wie wenig wurde oft dafür eingetauscht.

DEM PROZESS GEGEN KARDINAL MIND- SZENTY sollte am fünften Tag die Urteils- sprechung folgen. Eine tieferschütterte, aufgewühlte Welt von Katholiken hielt den Atem an. Die Rotationsmaschinen, seit Tagen und Wochen mit der „Materie“ vertraut, warteten auf das neue, auf das letzte Material. Dann war es geschehen. Der Sondersenat des Budapester Volksgerichtes verurteilte den Fürstprimas von Ungarn, Kardinal Josef Mind- s z e n ty, zu lebenslänglichem Kerker. So geschehen vor fünf Jahren, am 8. Februar 1949. Der Abgeurteilte wurde zurück in seine Zelle geführt. Der Verhandlungssaal leerte sich, die grellen Lampen wurden gelöscht, das Mikrophon ausgeschaltet. Die großen Boulevardblätter der westlichen Metropolen wechselten das Thema. Für die Kirche folgte eine Zeit von Prozessen, Ordensauflösungen, immer neuen und neuen „Vereinbarungen", bis der rüde, zynische, frohlockende Ton der Parteizeitungen verstummte und über „kirchliche Belange" das große Schweigen eintrat. Sollen aber dieses Schweigen, diese „Schonzeit“ von heute und der neue, konziliante Ton in Presse und Diplomatie uns Grund genug sein, unsere Augen nur auf Gegenwart und Zukunft zu richten und den Schleier des Vergessens über alles zu breiten, was in jenen Winterlagen und nicht nur damals geschah? Ist nicht vielmehr das mahnende und Klarheit und scharfe Trennung heischende Wort gerade heute am Platz, da man hüben wie drüben gerne gewisse Grenzen verwischt, indem man Wesentliches von Unwesentlichem nicht trennen will? Was erscheint uns im Fall Mindszenty, heute, über langsam vergilbende Zeitungsblätter hinweg, als wesentlich, als eminent wichtig? Nicht eine nochmalige Erwiderung auf die erbärmlich ausgeklügelte und längst belanglos gewordene Dialektik von damals. Was uns heute bewegt und bewegen soll, ist dies: Mindszenty war auserwählt worden, gegenüber der Selbstgenügsamkeit des Westens und dem Haß des Ostens sein „Hier stehe ich" laut auszusprechen. Er stellte sich als miles Christianas, als Soldat des Reiches, das nicht von dieser Welt ist, und siegte, indem er sich der unverschuldeten Demütigung unterzog. Die Welt wollte aus seinem Fall Kapital schlagen. Das konnte niemals gelingen. Auch darin erblicken wir seinen Sieg.

„GIBRALTAR GEHÖRT SPANIEN!" riefen die demonstrierenden Madrider Studenten zusammen mit Slogans, die der englische Premierminister beim besten Willen nicht als Komplimente auffassen konnte, am ersten Tag ihrer großen Demonstrationen. Dabei bedrängten sie verschiedene britische Objekte. Am zweiten Tag mischten sich in die antienglischen Demonstrationsrufe plötzlich Forderungen nach „Pressefreiheit“ und nach dem Rücktritt verschiedener falangistischer Minister. Der Madrider Sender wurde belagert, Parteizeitungen verbrannt, ernsthafte Zusammenstöße mit der Polizei fanden statt. Am dritten Tag aber breiteten sich Demonstrationen und Hörerstreiks über andere Hochschulstädte aus. Das Phänemen des „Umschlags“ ist nur scheinbar rätselhaft. Schon oft geschah es, daß von einer Regierung geduldete oder sogar initiierte Aktionen plötzlich in Bahnen gerieten, die ihren Urhebern mehr als Mißvergnügen bereiten mußten. Erinnern wir uns nur, daß der große Berliner Aufstand vom 17. Juni des vergangenen Jahres sich aus einem von Funktionären des Pankower Regimes und der Besatzungsmacht wohlwollend geduldeten Protestmarsch der Arbeiter in der Stalinallee — er sollte die Begründung für den „neuen Kurs" schaffen — entwickelt hat. Goethes Geschichte vom Zauberlehrling und seinem Besen sollte eben unter der Pflichtlektüre der verantwortlichen Männer „starker“ Regierungen niemals fehlen… Da die Polizei ausländischen Reportern die Filme aus den Kameras nahm, wird kaum ein Bildbericht den tragischen Versuch der spanischen Studenten übermitteln. Und morgen schon werden die Beschwichtigungshofräte das große Wort an sich reißen: „Es ist ja im Grunde gar nichts geschehen…" — Doch. Es geschieht etwas: Spanien kommt nicht mehr zu einer schlechten Ruhe. Zu jener Schläfrigkeit und Verantwortungslosigkeit, welche die Studentenprediger in Salamanca, Madrid und Barcelona vor kurzem noch anprangerten als das Kainsmal einer aus den „besten Familien“ des Landes rekrutierten Studentenschaft, die ohne genügende Verantwortungsbereitschaft für das Schicksal der Nation sei. — Spanien ist auf dem Wege.

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