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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DIE WIENER DIPLOMATISCHE VERTRETUNG DES HEILIGEN STUHLES ist eine der ältesten ständigen Gesandtschaften des Papstes. Während beispielsweise die Münchner Nuntiatur erst 1785 errichtet wurde, besteht die Wiener Nuntiatur bereits seit 1529, dem Jahr der ersten Türkenbelagerung. Die eminent politische Bedeutung des habsburgischen Zentrums erklärt dieses frühe Datum ebenso wie die Tatsache, daß unter den Nuntien eine sehr große Anzahl glänzender Namen und hervorragender Köpfe anzutreffen war, die . fast überwiegend den Kardinalshut als Krönung ihrer Tätigkeit erhielten. Auch nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches blieb Wien für die katholische Kirche ein hervorragender Platz, auf den der Vatikan immer seine besten Vertreter sandte. So war der spätere Kardinaldekan Marchetti-Selvaggiani knapp nach dem Ende des ersten Weltkrieges Nuntius in Wien. Auch das feinprofilierte Gesicht des Nuntius Sibilia, der durch Jahre den Vatikan in Wien vertrat und später als Kardinal nach Rom ging, ist noch in aller Erinnerung. Seinem Nachfolger war nur eine kurze Tätigkeit beschieden, da bald der „Anschluß” erfolgte. Auch dem ersten Nuntius’der zweiten Nachkriegszeit war nur eine kurze Wirksamkeit gewährt, da ein früher Tod ihn bald hinwegraffte. Sein Nachfolger wurde Erzbischof Giovanni D e 11 e p i a n e, der am 21. Februar dieses Jahres seinen 65. Geburtstag vollendete. Die Feier des 65. Geburtstages ist das erste einer Reihe von Jubiläen, die Msgr. Dellepiane im heurigen Jahr feiern kann. Am 5. Mai werden es fünf Jahre, daß er beim damaligen Bundespräsidenten Dr. Renner sein Beglaubigungsschreiben als Internuntius überreichte, und am 30. November feiert der Nuntius sein silbernes Jubiläum (25 Jahre) als Erzbischof von Stauropolis. Am 25. Juli jährt sich zum 40. Mal der Tag seiner Priesterweihe. Erzbischof Dellepiane war nach seiner Konsekration zum Erzbischof vom Jänner 1930 bis zu seinem 60. Geburtstag im Jahre 1949 Apostolischer Delegat in Belgisch-Kongo. Er ist der 84. Nuntius der Wiener Vertretung des Heiligen Stuhles.

DIE ANGEHÖRIGEN DER FREIEN BERUFE, wie Aerzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftstreuhänder, Notare, freie Journalisten, sind dieses Jahr steuerlich erheblich benachteiligt worden. Der gewerblichen Wirtschaft, dem Handel und der Industriė wurden unter dem bescheidenen Titel eines „Ausfuhrförderungsgesetzes" — ob sie nun für den Export tatsächlich arbeiten Oder nicht — eine gewinnmindernde S ond e rabschreibung von 50 Prozent auf die in den Jahren 1953 und 1954 angeschafften beweglichen abnützbaren Anlagegüter und von 20 Prozent auf Unbewegliche Anlageguter bewilligt — außer der jeweils statthaften normalen Abschreibung. Die bis zur Errichtung der Schillingeröfinungsbilanz in Kraft bleibende Begünstigung der vierfachen, halbfachen und viertelfachan Sonderabschreibung für ältere Anlagegüter sei hier nur am Rande vermerkt. Die freien Berufe konnten ihre Einkünfte für die Jahre bis einschließlich 1952 durch Bildung einer 20prozentigen Investitionsrücklage wie die „Gewerbetreibenden“ kurzen. Sie waren durch das Verbot, die bei ihnen besonders wichtige Büroeinrichtung zu Lasten der Investitionsrücklage 1951152 anzuschaffen, ohnedies relativ viel härter getroffen als maschinenintensive Großbetriebe. Nun haben die freien Berufe für das Jahr 1953 weder die Möglichkeit, eine Investitionsrücklage zu bilden, noch sind sie in den Kreis der Begünstigten des „Ausfuhrförderungsgesetzes“ einbezogen. Schließlich sei erwähnt, daß nach den bisherigen Entwürfen die durch letztgenanntes Gesetz Begünstigten ihre außerordentlich mit 50 Prozent und normal zusätzlich mit 10 bis 20 Prozent abgeschriebenen Werte bei Errichtung der „Schillingeröffnungsbilanz“ weitgehend wieder aufwerten können — und sie dann neuerlich gewinnmindernd abschreiben dürfen. Wo bleibt da die Steuergerechtigkeit, die Gleichheit vor dem Gesetz?

DAS DRAMA DER ARBEITERPRIESTER in Frankreich hat sich in den letzten Tagen auch zu einer politischen Auseinandersetzung in Frankreich ausgefaltet, die in Parlamentsdebatten, in der Presse, in der gesamten Oeffentlichkeit Wellen schlägt, die zeigen, wie tief Frankreich aufgewühlt ist. Zur Reorganisation der französischen Dominikaner war aus Rom der Ördensgeneral, der Spanier Suarez, gekommen und hatte auf einem Generalkapitel in Paris die drei französischen Ordensprovinziale, residierend in Paris, Lyon und Toulouse, abgesetzt. Von den weiter hier beschlossenen Maßnahmen drang zunächst an die Oeffentlichkeit nur die Versetzung einiger der führenden Köpfe der französischen Dominikaner, unter anderen des R. P. Boisselot, der das bekannte Verlagshaus der Editions du Ceri mit 20 Zeitschriften geschaffen hatte. Das sind schmerzliche Ereignisse für den Weltkatholizismus — in Frankreich kommt noch hinzu, daß der Einkreisungskomplex ® dadurch weiter , gestärkt wurde, die Vorstellung also, daß Frankreichs Katholizismus, „die Avantgarde der Freiheit“, eingekreist sei von den „reaktionären militaristischen" Kirchentümern Spaniens, Italiens,

Südamerikas, Nordamerikas und Westdeutschlands. — In der Parlamentsdebatte erklärte der gaullistische Senator Michelet, daß die Regierung die Pflicht habe, die Aufmerksamkeit des Heiligen Stuhles auf die bedauerlichen Folgen des Verbotes der französischen Arbeiterpriester und der Absetzung der Leiter der drei Provinzen des Dominikanerordens in Frankreich zu lenken. Derartige Maßnahmen träfen unmittelbar das Ansehen der französischen Kirche und mittelbar auch das Ansehen Frankreichs in der Welt. Um solche Auseinandersetzungen zu vermeiden, schlägt der Nobelpreisträger Fran- ęois Mauriac im „Le Figaro" den Abschluß eines Konkordats zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl vor, damit Streitfragen von solcher Tragweite auf sicherer Grundlage gelöst werden könnten. Wörtlich sagt er: „Der Vatikan kann die Tatsache nicht ignorieren,

daß die Arbeiterpriester einen integrierenden Bestandteil des französischen Proletariats bilden. Man muß jedoch Rom eine neue Wahrheit sagen: Diese Wahrheit besteht darin, daß die katholische Jugend Frankreichs in weitem Ausmaß vom Orden des heiligen Dominikus geformt wurde." Dieser Orden habe vielleicht einige Unvorsichtigkeiten begangen, bedeute aber heute den Orden der Freiheit des Geistes. — Durch den Abschluß eines Konkordats — das letzte war bekanntlich vor 50 Jahren unter dramatischen Umständen von der Französischen Republik gekündigt worden -— hoffen auch andere rechtsstehende katholische Politiker Frankreichs, die Auseinandersetzungen in und um den neuen Geist in der französischen Kirche in Bahnen lenken zu können, die sowohl den Sorgen der Kurie wie den Anliegen des französischen Volkes gerecht werden .

DIE SCHWEIZ HAT IHRE EIGENEN SPIELREGELN DER DEMOKRATIE. Dies wäre an sich nicht als Besonderheit zu vermerken, wenn nicht in diesem kleinen, politisch, soziologisch und ethnographisch so vielgesichtigem Land sich 'alle, ohne Ausnahme, an diese Spielregeln hielten. Die Regierung, das Parlament und die — sehr oft zu Rat gezogenen und immer zur Tat bereiten — Wähler befleißigen sich eines „Fair play", das man anderswo bitter vermißt. Erst kürzlich ereignete' sich ein solcher nachdenklicher Fall: Der sozialistische Finanzminister der Schweiz brachte mit Zustimmung der Gesamtregierung eine Steuervorlage ein, die vom Parlament bestätigt, aber „sicherheitshalber“ (man wollte feststellen, ob die Willensmeinung der Abgeordneten auch tatsächlich derjenigen der Wähler entspricht) einer Volksabstimmung unterzogen wurde. Die Schweizer Bürger verwarfen die Vorlage mit großem Stimmenmehr. Hierauf trat der sozialistische Finanzminister zurück. Die Wähler, so sagte er, hätten nicht den Abgeordneten und nicht der Regierung, sondern ihm, der den Entwurf verlaßt, und seiner Partei, die ihn verlangt hatte, das Mißtrauen ausgesprochen. Er müsse nun, so leid es ihm und seiner Fraktion tue, einem bürgerlichen Kollegen Platz machen. — Bezeichnend war sodann, mit welcher Selbstverständlichkeit die Schweiz — und mit welcher Verwunderung das Ausland von dieser Haltung Kenntnis genommen hat.

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