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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DIE STÄRKSTE JUGENDORGANISATION UNSERES LANDES, die „Katholische Jugend Oesterreichs", hat soeben ihre erste Oesterreich-Woche abgeschlossen, nachdem sie bereits ihre Jahresarbeit 195354 unter die Parole gestellt hatte: „In der Liebe zu Oesterreich soll uns niemand übertreffen." — Diese Veranstaltung verdient es, unter zwei Gesichtspunkten beachtet zu werden. Der erste betrifft unsere Jugend selbst im engeren Sinne: die letzten Jahrzehnte hatten sowohl eine Entfremdung dem politischen Leben wie einer bewußten Erschließung unseres Vaterlandes gegenüber gebracht. Oesterreich ist nicht nur für Europäer und Menschen anderer Kontinente, sondern für einen nicht geringen Teil seiner Jugend fast eine Terra incognita geworden, ein unbekanntes Land, zumindest seiner Geschichte, Tradition, seiner staatspolitischen Herkunft und Gegenwartsverpflichtung nach. Was aber diese Demonstration für Oesterreich sonst noch ‘bedeutet, hat der Bundeskanzler in seiner Ansprache an eben diese Jugend angedeutet, wenn er diese in die Worte ausklingen ließ: „In dieser Stunde, da ich im Bewußtsein meiner Verantwortung als Chef der Regierung eines europäischen Staates zu euch, der Katholischen Jugend Oesterreichs, spreche, richte ich den Appell an euch, über die Liebe zu Oesterreich hinaus eure Herzen als wahre Katholiken für alle Menschen offenzuhalten, die eines guten Willens sind, und so die geistige Front des Friedens und der Freiheit zu stärken. Ihr sollt in der vordersten Linie stehen, um den Weg in eine glücklichere Zukunft unseres Volkes und der gesamten Menschheit frei zu machen."

Während in diesen Tagen um den 1. Mai 1954 die Jugend nicht weniger Staaten „marschiert", gewaffnet mit nationalistischen Schlagworten und bewaffnet mit tödlichen Waffen, und dergestalt zu demonstrieren gezwungen wird für die Enge und Härte der Vergangenheit — sehr oft, ohne es selbst zu wollen —, weitet sich diese Demonstration für Oesterreich ganz natürlich, ohne falsche Berechnung, aus zu einer neuen, erneuten Darstellung des Friedens- und Freiheitswillens unseres Landes, das mitten in Europa und mitten in der Welt bereit ist, mit allen Menschen, jung und alt, zusammenzuarbeiten, die eben guten Willens sind. — Um wieviel besser wäre es um die Welt heute bestellt, wenn ihre Jugendverbände und -Organisationen allüberall in so friedsamer, schlichter Art ihren Willen bekundeten, aus einer verdüsterten Vergangenheit in eine hellere Zukunft zu wandern...

DIE ERSTE WOCHE DER GENFER ASIEN- KONFERENZ schien, nach außen hin, alle ungünstigen Aspekte zu bestätigen, die am Vorabend von Genf sichtbar geworden waren. Außenminister Dulles packte seihe Koffer, nachdem er in der Korea-Frage keine Unterstützung bei seinen westeuropäischen Kollegen gefunden hatte. Die öffentlichen Vollsitzungen brachten nur mehr oder minder heftige Rededuelle zwischen Tschu En Lai und Dulles, zwischen Bidault und Moiotow. Die Differenzen im westlichen Lager zentrierten sich um Indochina Hier zeigt sich die amerikanische „Politik der Stärke" Asien gegenüber im Scheitern. bereits seit geraumer Zeit. Wie aber sollen sie dies ihren Wählern, wie sollen sie es dem amerikanischen Volke sagen, das monatelang auigepeitscht wurde durch McCarthysten und Scharfmacher? — Dulles tat das beste, was er tun konnte: er kehrte nach Amerika zurück, um mit seinem Regierungschef die neue Sachlage zu beraten. Inzwischen strömen immer neue asiatische Gesandte, Politiker, Delegationen nach Genf. Das erste ganz große weltpolitische diplomatische Ringen um Asien s te ht e r s t in den allerersten Anfängen. Um in ihnen auch nur einigermaßen bestehen zu können, braucht Dulles viel größere Vollmachten, als .Eisenhower ihm bis jetzt geben konnte. Die USA bedürfen nämlich einer elastischen Politik, um im politischen Handel zu bleiben beziehungsweise ins Gespräch zu kommen mit den Mächten, die sich deutlich genug zu Wort melden. Soeben hat die Konferenz der Ministerpräsidenten von Indien, Pakistan, Burma, Indonesien und Ceylon in Colombo, ohne deren Schlagschatten Genf nicht zu verstehen ist, weitgehende Beschlüsse, gefaßt. Hier wird gefordert die sofortige Feuereinstellung in Indochina, die Aufnahme direkter Verhandlungen zwischen Frankreich, Vietnam, Laos und Kambodscha mit den Viet- minh unter Beiziehung der USA, Englands, der Sowjetunion und Rotchinas. Darüber hinaus aber fordert diese interne Asienkonferenz das Verbot aller Versuche mit Atombomben, die Aufnahme Rotchinas in die UNO, die G e- Währung des Selbstbestimmungsrechts für Tunis und Marokko.

Asien überschattet hier bereits Afrika und Europa, das ohne sein nordafrikanisches Glacis wirtschaftlich und militärisch unhaltbar ist. Man versieht nun den Hintersinn der Abreise von Dulles nach den USA: wenn nicht zwei Dutzend großer und kleiner asiatischer Staaten in Genf im Schlepptau Moskaus aufmarschieren sollen, dann bedarf es einer grundlegenden Aenderung der amerikanischen Asienpolitik. Diese kann aber auch Eisenhower heute noch kaum durch- führen, da das amerikanische Volk nicht dar-, auf vorbereitet ist. Wieder einmal zeigt sich, wie gefährlich die McCarthy-Kampagne gerade für die USA sich auswirkt: sie lähmt momentan die so notwendige außenpolitische Bewegungsfreiheit der Staatsführung selbst!, — Inzwischen landen auf dem Genfer Flugplatz immer neue asiatische Delegationen: offensichtlich, um mit ins Gespräch zu kommen, nicht aber, um auf etwaige Blitzaktionen amerikanischer Generäle vorbereitet zu werden. — Der Konferenz von Colombo ging eine eingehende Fühlungnahme der vorderasiatischen Ministerpräsidenten mit Eden voraus. Während Eden mit rotchinesischen Vertretern in Genf heftige Wortwechsel führte, bot Rußland der englischen Wirtschaft Geschäfte bis zu 100 Millionen Pfund an und verhandelt gleichzeitig mit westdeutschen Unternehmern über den Transfer nach China, das heute bereits wieder stark in den Vordergrund tritt als Käuier auf dem westdeutschen Markt. — Der Hamburger Hafen nimmt immer mehr sowjetische Schiffe auf, seit dem Flug von Vertretern . der Hohwald-Werft nach Moskau spricht man offener als zuvor in Westdeutschland vom kommenden Asienqeschätt. — Der große Handel um die Weltmacht und den Weltmarkt ist in Genf in ein neues Stadium getreten: Asien meldet sich nachdrücklich selbst zu Wort — 1 es kann offensichtlich warten, bis Europa und der Westen sich finden, um ihm neu zu-begegnen. Noch hält sich die Feste Dien Bien Phu: ein spätes Denkmal alteuropäischer soldatischer Tugend verkörpert in General - de Castries und den Männern um ihn, zugleich aber auch eine letzte Burg des alteuropäischen Kplonialsystems, das nicht mehr gehalten werden kann. Hier begegnen sich in denkwürdiger Uebereinstimmung die ameri- konischen Diplomaten, die wissen, daß nur freie Völker auf die Dauer Widerstand leisten und innere Kraft gewinnen können zur Selbstbehauptung, und jene französischen Politiker, die gegen den erbitterten Widerstand irp eigenen Lande um neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Europa und Asien ringen.

Ueber dies und über vieles andere wird emsig in Genf gesprochen: in streng vertraulichen Geheimsitzungen. Genf weiß heute, daß es, sehr im Unterschied zur Völkerbundszeit mit ihren rhetorischen Eskapaden, erst ein Anfang ist: ein schwieriger, aber wichtiger An-: fang einer neuen Weltpolitik, in der Asien im Mittelpunkt steht.

KAUM WAR DIE TINTE unter dem Vertrag trocken, durch den Pakistan in die Nahostverteidigung eingebaut wurde, als im Ostteil des Landes Wahlen stattfanden,, die der bisherigen Regierungspartei eine völlige Niederlage brachten. Dies hängt freilich keineswegs mit dem Vertrag oder seinen etwaigen psychologischen Auswirkungen zusammen, macht aber die Lage der Regierung ungewiß. Es zeigte sich, daß eine nationale Parole allein eine Regierung in Friedenszeiten nicht dauernd an der Macht halten kann. Die Moslemliga und ihr verstorbener Führer Mohammed Jinnah haben im Streit gegen Indien Pakistan geschaffen. Was sie nicht ändern konnten, war banal gesprochen daß Ost- und Westpakistan fast 2000 Kilometer weit aushinander- liegen und man einer Seereise von einigen Wochen bedarf, um von einem Landesteil in den anderen zu gelangen, sofern man nicht indisches Gebiet kreuzen will. Das steppen- und wüstenhafte Westpakistan spricht und schreibt Urdu, das tropische Gangesdelta Ostpakistans - dagegen Bengalisch. Auch ethnologisch sind die Unterschiede bedeutend. So bleiben die neuentstandenen außereuropäischen Staaten nicht von der Sprengwirkung des Nationalismus verschont, welche im alten Europa so viele Umschichtungen bewirkt hat. Das einigende Band der Kolonialherrschaft ist gelöst, und nun meldet nicht nur ein neues Ganzes, sondern es melden bald alle seine Teile Ansprüche auf Selbständigkeit an. Vielleicht wird so in einem Menschenalter eine Vielzahl kleiner und kleinster Staaten auf der Weltkarte erscheinen und das uns gewohnte Bild weitflächiger Abgrenzungen verschwunden sein. Werden in einem selbständigen Marokko Araber und Berber dauernd unter einem Dach leben? Wird das türkischsprechende Aserbeidschan immer eine Provinz Persiens sein? Das heterogene Nigeria, selbständig geworden, nicht zur Teilung neigen? Jedenfalls zeigen die Wahlen in Ostpakistan und in Indien, daß der Balkanisierung und Aufsplitterung Europas ähnliche Erscheinungen in den ehemaligen Kolonialimperien folgen können.

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