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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DIE HUNDERTJAHRFEIER des Instituts für Oesterreichische Geschichtsforschung in Wien wurde, unter Teilnahme und Anteilnahme von Staatsoberhaupt, Regierung und der gesamten internationalen gelehrten Welt, ein Ereignis, das die Strahlweite österreichischer Leistung bekundete. Wie wohl tat es manchem stillen Arbeiter im Weinberg der Wissenschaft in unserem Lande, bei der Festfeier in der Akademie der Wissenschaften aus dem Munde führender deutscher Geschichtsforscher und Repräsentanten des deutschen wissenschaftlichen Lebens (Friedrich Baethgen, Präsident der Monumentą Germaniae Histo- rica, -und Wilhelm Winkler, Präsident der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine), zu hören, daß es im ganzen deutschen Raume auch heute noch nichts Gleichwertiges zum Institut für österreichische Geschichtsforschung gibt. Alphons Lhotzky hat in seiner soeben erschienenen ungemein sorgfältig gearbeiteten Geschichte des Instituts (ein Band von über 400 Seiten) die ruhmvollen Leistungen in der Vergangenheit autgezeichnet, die wohl Papst Pius XII. bewogen haben, in einem ausführlichen Handschreiben an den gegenwärtigen Generaldirektor des Instituts, Leo Santifaller, herzlich dieser Anstalt zu gedenken, der sein Vorgänger, Pius XL, von Haus aus Historiker, so tief verbunden war wie der große Historiker der Päpste, Ludwig von Pastor. Von den Gratulanten müssen besonders erwähnt werden die Repräsentanten Frankreichs, Clovis Brunel, Direktor der Ecole des Charles in Paris, nach deren Vorbild das Institut gegründet worden war, und Raffaelo Morghen, Präsident des Istituto Storico Italiano in Rom, mit dem das Institut in Wien durch seine Römische Dependance in langer freundschaftlicher und fruchtbarer Zusammenarbeit verbunden ist. Deutschland, Frankreich und Italien bilden ja mit Oesterreich gerade für den europäischen Geschichtsforscher einen innigen Zusammenhang — eine Tatsache, die von weit mehr als archivalischem Interesse und Bedeutung ist. Nachdenklich und beherzigenswert stimmen die Glückwünsche des Bundespräsidenten, der der Hoffnung Ausdruck gab, daß in der Zukunft das Institut für österreichische Geschichtsforschung nicht nur der fernen Vergangenheit seinen Tribut abstatten möge, sondern seine reichen Kräfte auch der Geschichte des heutigen Oesterreich, unseres jungen Staatsgefüges, widmen möge — ein Wunsch, dem sich alle anschließen, denen es um eine echte politische Konsolidierung in Oesterreich und Europa geht.

UM DIE NACHFOLGE DES „WIENER KURIER", der Mitte Oktober sein Erscheinen einstellen wird, ist ein angeregtes Planen und Kombinieren im Gange. Kein Wunder, wird doch als letzte Auflage trotz des Rückganges der Zeitung in den letzten Jahren immer noch 60.000 Exemplare genannt. So sind also die drei fröhlich hinterbliebenen Mittags- bzw. Abendzeitungen am Sterbebett des „Kurier" versammelt und versuchen das Erbe ungeteilt jede für sich allein zu erhalten. Als die „Weltpresse", einst das Blatt der britischen Besatzungsmacht, liquidiert wurde, war der Erbe schon vorbestimmt. Ob es auch diesmal so ist, kann man noch nicht absehen, so daß alle drei,

der kommunistische „Abend“, die sozialistische „Weltpresse" und der auf Sensationen und Pikanterien eingestellte und daher weitgehend a-politische „Bildtelegraf“, die Chance haben, in den „Genuß“ einer Quote der Erbmasse zu kommen. Die „Weltpresse" hat bereits eine Proklamation an die Völker des „Kurier“ erlassen, in der sie ihr politisches Wohlverhalten und ihre stets strikte Neutralität betont. Darüber hinaus gibt es aber noch andere Pläne und Kombinationen. Und in diesem Zusammenhang muß wieder einmal auf die große Lücke im christlichen Pressewesen aufmerksam gemacht werden: Wir haben kein Montag- und kein Abendblatt, das unsere Belange herzhaft und eindeutig vertritt. Der „Kurier“ kannte die christliche, die katholische Bevölkerung Oesterreichs allenfalls noch, wenn sie im großen Schachspiel der Politik gegen Moskau einen schlichten Bauern abgeben sollte — sonst fand er herzlich wenig Verständnis für unsere Anliegen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn der Jugendstaatsanwalt Dr. Erhärt in seinem mutigen Kampf gegen Schmutz und Schund auf der ganzen Breitseite von liberal nach links eine, wie es so schön heißt, „schlechte Presse“ gehabt hat, so hat nicht zuletzt der .Wiener Kurier’ Anteil daran. Vielleicht gibt nun das Sterben dieses Blattes den Anlaß, in unseren Kreisen sich ernsthafter als bisher auch um eine Position in der Wiener Abendpresse zu bemühen — nicht sofort und sozusagen „über den Daumen", sondern wohlgeplant, erwogen und berechnet, wie es ein so verantwortungsvolles Unternehmen erfordert.

DIE BERUFSSTÄNDISCHE ORDNUNG ist h&ute kein Politikum mehr und kann auch nicht mehr als billiger Romantizismus abgetan werden. Zu dieser Einsicht ist man offensicht lich auch auf der Linken gekommen. So könnt Prof. Bayer auf der Linzer Tagung der Arbeiterkammern ohne Widerspruch das Verlangen nach Errichtung von Branchenausschüssen stellen, die aus Gewerkschafts- und Unternehmervertretern zu bilden seien. Da wir in Oesterreich auf höchster politischer Ebene ohnedies weitgehend von den Beamten und Repräsentanten der Berufskammern regiert werden, sind wir mit Billigung der Sozialisten heute faktisch einem Quasiständestaat näher, als es vor 1938 der Fall war. Der Gedanke der Errichtung von Branchenausschüssen stellt eine späte Rechtfertigung der Ideen von Engelbert Dollfuß dar. Ob man jetzt „Branchenausschuß" oder „Berufsstand" sagt, der prinzipielle Gedankengang ist der gleiche. Es wäre also hoch an der Zeit, wenn man auf der Linken vom Grundsatz abginge, daß, da der Gegner keine Ehre hat, Dollfuß unter allen Umständen unrecht gehabt hat. War der berufsständische Versuch mit dem Odium des Faschismus behaftet, wie klassifiziert man das Bemühen der Sozialisten, die Arbeit von Unternehmern und Arbeitern zu koordinieren? Oder hängt der Frontwechsel mit der Tatsache zusammen, daß die Sozialisten weitgehend in Unternehmerpositionen hineingewachsen sind und der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit nun auch eine innersozialistische Angelegenheit geworden ist?

DIE FREIHEIT DER PREISBILDUNG ist ein wesentlicher Bestandteil des Lehrgutes der liberalen Marktwirtschaft. Nun sind es aber gerade die Repräsentanten der freien Wirtschaft, welche sich oft und oft gegen die von ihnen vertretenen Prinzipien versündigen. Das gilt für die „freiwirtschaftlichen" Anhänger des Kartellgedankens um jeden Preis ebenso wie für manche Innungen, die zuweilen versuchen, gegen die jeweilige Marktlage und die Natur des Wirtschaftsprozesses die Preise zu diktieren. So hat das Landesgremium Wien für den Kleinhandel mit Schuhen seine Mitglieder vor kurzem unverblümt, wenn auch vorsichtig formuliert, aufgefordert, nicht wie bisher dem Einstandpreis der Ware 25 Prozent als Handelsspanne zuzurechnen, sondern 3® Prozent, also um 44 Prozent mehr als bisher üblicherweise gerechnet wurde. Und dies, obwohl zur gleichen Zeit bekannt wird, daß die Schuhindustrie im ersten Halbjahr 1954 um 4,3 Prozent mehr erzeugt hat als in der ersten Hälfte 1953. Man müßte doch annehmen, daß eine Mehrproduktion bei gleichem Einkommen der Massen nach den auf dem freien Markt herrschenden Gesetzmäßigkeiten zu einer Preissenkung führt. Aber die Gesetze des freien Marktes scheinen zuweilen die Gewohnheit zu haben, nur dann wirksam zu sein, wenn sie die Gewinne erhöhen. Nun entspricht es dem, was man die „Spielregeln" des freien Marktes nennt, daß auch die Konsumenten ihre Kaufkraft und insbesondere ihren Kaufwillen .als Gegenmacht gegenüber den Verkäufern einsetzen und auf diese Weise den Preis mit- bestimmen. Das ist zum Beispiel vor einiger Zeit in Stadl-Paura geschehen, wo die Arbeiter geschlossen jene Gaststätten gemieden haben, welche, dem Innungsbefehl folgend, ihre Bierpreise erhöht hat.

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