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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DIE INTERNATIONALE PRESSE hatte in den Tagen um den Abschluß der Londoner Akte mehrfach auf ein erwartetes Ereignis hingewiesen, das bis heute nicht eingetrete'n ist. In Paris und London, in Bonn und nicht zuletzt in Wien war es bereits als ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung Mitteleuropas und der freien Welt günstig kommentiert worden. Paris ließ verlauten, daß das französische Mißtrauen gegen die „incertitudes allemandes“, die „deutschen Ungewißheiten", durch dieses Versprechen erheblich gemindert würde. Aus London hörte man, daß nach der Rückgabe Triests an Italien dieser erwartete staatspolitische Akt von hoher Bedeutung für die Beruhigung Europas an einer neuralgischen Stelle sei, an der der Balkan und der Osten sich mit Westeuropa und der deutschen Dynamik berühren. Bonner Stimmen erklärten, daß diese Erklärung sich in das deutsche außenpolitische Konzept einer engen Bindung an den Westen unter sorgfältiger Rücksichtnahme auf die gegebenen Gewichte in Europa einfüge. Deutschland habe am stärksten durch eine gewisse zügellose Dynamisierung früherer deutscher Ostpolitik zu leiden gehabt, die den Riegel Zum Balkan mit Gewalt aufgebrochen hatte. Also sah man in Wien, bei den Hauptbetroflenen, die es am meisten angeht, mit freundlicher Spannung der erwarteten Erklärung Bundeskanzler Adenauers über die Unabhängigkeit Oesterreichs entgegen, seiner Versicherung, daß diese auch im deutschen Interesse gelegen sei und schon deshalb von der deutschen Bundesregierung zugesichert werde wie von allen anderen Mitgliedern der freien Welt. Diese Demonstration Deutschlands für die freie Welt und für die Bereinigung einer der großen offenen Versehrungen im europäischen Raum ist bis zur Stunde nicht erfolgt. Wir wissen nicht, welche innenpolitischen, welche weltpolitischen Ueber- legungen den Bonner Bundeskanzler abgehalten haben. Wir hoffen aber zuversichtlich, daß sie früh genug veröffentlicht werden wird, um ihren wichtigen Beitrag in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West um Europa, die soeben in ein neues Stadium tritt, zu leisten.

DER STREIT UM TRIEST zwischen Italien und Jugoslawien wurde in London durch ein Abkommen beendigt, in London: England hat das allergrößte Interesse daran, seine europäische Front zu verstärken. Triest bildete nun die gefährlichste Lücke, von ihr aus könnte der gesamte Mittelmeerraum aufgebrochen werden. Churchill, seit dem letzten Krieg mit Tito verbunden, gleichzeitig ein aufmerksamer Beobachter der italienischen Flotte, hatte in der letzten Zeit auch andere Gründe, die Versöhnung zwischen Italien und Jugoslawien energisch weiterzutreiben: dieser Erfolg der englischen Diplomatie muß sich in der Stärkung der englischen Stellung den USA gegenüber auswirken. Wenn England seine eigenständige Chinapolitik gemeinsam mit Frankreich weiterverfolgen will, muß es sich heute in Europa wie nie zuvor engagieren. Auf dem Umwege über Peking ist so derzeit eine Festigung der europäischen Front erreicht worden wie — zumindest auf dem Papier — nie zuvor.

Oesterreicher haben gute Gründe, neben den militärischen und weltpolitischen Aspekten des Konkordats um Triest die mitteleuropäischen Aspekte nicht aus den Augen zu verlieren. Es hieße eine Vogel-Strauß-Politik betreiben und unseren Staatsbürgern Sand in die Augen streuen, wollte man über sehen, daß der Fall Triest auch ein Fall jahrelanger Inaktivität österreichischer Außenpolitik in den Jahren nach 1945 ist. Große Worte und Erklärungen gab es da genug — was fehlte, war die zähe weitsichtige, genaue diplomatische Arbeit, die gerade im Falle Triests Früchte für Oesterreich, Früchte für Mitteleuropa hätte tragen müssen. Churchill hatte Triest als „die Lunge Oesterreichs' bezeichnet — wir haben wenig genug getan nach 1945, um diese Lunge für uns zu erhalten! Oesterreichs wirtschaftliche Selbständigkeit hängt in einem hohen Maße von einer Freihandelszone Triest ab. Ein wirklicher Freihafen Triest — nicht nur gewisse Rechte, die jetzt die Anrainer, Jugoslawien, Oesterreich, auch die Tschechoslowakei, mit Italien werden, auszuhandeln haben — hätte Oesterreich die Möglichkeit geboten, von anderen Häfen unabhängiger zu sein. Der Oesterreich nächstgelegene Hafen wurde also preisgegeben... Man kann von Italien nicht verlangen, daß es Oesterreichs Interessen höher stellt als seine eigenen — und Oesterreich wird es sich sehr überlegen müssen, die jugoslawische politische Unterstützung, die mehrmals angeboten wurde, anzunehmen (soeben hat der Belgrader Außenminister darauf hingewiesen, daß nunmehr nach dem Abschluß über Triest der österreichische Staatsvertrag an die Reihe kommen sollte). In Absprache mit Italien und mit Jugoslawien werden wir aber trachten müssen, zu retten, was für uns noch zu retten ist: verbriefte Rechte im Hafen von Triest, der für Italien einer von sechs großen Häfen ist, für Oesterreich aber der Ort, den wir brauchen, um wirtschaftlich Luft holen zu können — und mit der wirtschaftlichen Verbindung in alle Welt unsere politische Unabhängigkeit zu erwerben. Nüchtern muß heute vermerkt werden: etwas weniger Reden und Reisen um den Staatsvertrag und etwas mehr Handeln und Verhandeln über Triest hätte uns in den entscheidenden Jahren nach 1945 besser getan ...

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