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Randbemerkungen zur woche

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DER KAISER VON ÄTHIOPIEN stattet Wien einen Besuch ab und ist mit allen, dem Souverän eines alten christlichen Staates gebührenden Ehren empfangen worden. Das abessinische Volk, dessen Regent und Symbol Haile Selassie ist, hat einen mit grausamen Methoden geführten Krieg und eine harte Okkupationszeit hinter sich. Marschall Graziani hat bekanntlich, zur Sühne für ein gegen ihn versuchtes Attentat, die Elite des besetzten Landes dizimiert. Oesterreich, das außerhalb des weltpolitischen Kräftespieles steht, kann zum Aufbau eines unabhängigen, modernen Aethiopien in Wissenschaft und Technik manchen Beitrag leisten, anknüplend an alte kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen. Die äthiopische Sammlung, die der Oesterreicher Bieber in langjähriger Forscherarbeit unseren Museen gewonnen hat, kann als Gegenstück zur weltbekannten Neuseeland-Sammlung des Oesterreichers Reischek gelten. Und wie lange ist es her, daß das Wiener Münzamt Taler mit dem Bilde der großen österreichischen Kaiserin prägte, welche in Aethiopien das gültige Zahlungsmittel waren? Die Vertreter unserer Republik haben den, wie man sagt, recht schwierigen repräsentativen Pflichten mit vollendeter Courtoisie entsprochen, Vizekanzler Dr. Schärf, der sozialistische „zweite“ Regierungschef, hat den Monarchen nach den Regeln des äthiopischen Hofzeremoniells im alten österreichischen Kaiserschloß Schönbrunn empfangen

DER SOGENANNTE „WIENER POLIZEISKANDAL endet mit einem echten Ehrenzeichen für Oesterreichs Justiz und die Führung des österreichischen Polizeikorps. Der Sachverhalt will nämlich im richtigen Lichte gesehen werden: Da haben vier Polizisten einige friedliche Staatsbürger mißhandelt, und der zuständige Polizeiarzt „übersah" bei seiner .routinemäßigen" amts ärztlichen Untersuchung einen Nasenbeinbruch und schwere Verletzungen, die von den Schlägen der Polizisten herrührten. — Solche Dinge kommen leider, immer noch, bei fast allen Polizisten der Welt vor. Die englischen Bobbies machen wohl eine Ausnahme. Soeben laufen in München Prozesse gegen Polizisten: einer hat, unter anderem, einen Mann bei hellem Tag erschossen, weil dieser nicht sofort stehenblieb. Polizist sein ist ein hartes Geschäft. Auf dieser einen Erde werden Polizisten zur Härte erzogen, da sie es ja auch mit harten Kerfs zu tun haben. Fehlgriffe und Fehlschläge sind, leider, wir bedauern es, nicht selten, im Raum zwischen Shanghai, Rio de Janeiro, Chikago und Wien. Das Außergewöhnliche am „Wiener Polizeiskandal“ ist also keineswegs im unpassenden Benehmen von vier Polizisten zu sehen, wohl aber im prompten Eingreifen der obersten Polizei- und Justizbehörden, die der Untersuchung freien Lauf schufen. Darauf kommt es nämlich an: das allein vermag dem Staatsbürger die Zusicherung zu geben, daß die Polizei zu seinem Schutze und nicht zu seinem Verderben da ist. An vielen Orten und in vielen Staaten dieser einen Erde ist nicht ungewöhnlich, daß die höheren Behörden alles tun, um .ihre’ Polizisten zu decken, und wenn dann der Fall noch weitere Kreise zieht, etwp ein Polizeiarzt eingreift, kann man fast sicher sein, daß die jeweils höhere Stelle die Deckung für die niedere übernimmt! Dieser Ballung von Macht, Einfluß und schlecht verwalteter Autorität steht der einzelne, der einsame, der zivil unbewaffnete Staatsbürger nur zu oft dann wehrlos gegenüber. Zur Ehre unserer Polizei und Justiz muß festgehalten werden: in jener sauberen Art, die für sehr große und sehr kleine Prozesse in Oesterreich üblich ist, und die auch durch diese Nachkriegszeit nicht unterbrochen wurde in ihrer wahrhaft ehrwürdigen Tradition, wurde der Prozeß von Wien durchgeführt. Er gibt der Bevölkerung das Vertrauen, der Polizei die Ehre und, wie wir hoffen, den armen, nunmehr abgeurteilten Teufeln, die ja doch irgendwie Opfer ihres Berufs sind, in absehbarer Zeit die Gnade, die Begnadigung. So daß dieser Fall wirklich zur Gänze aus der Welt geschafft wird.

DIE REGELUNG DER ALTERSVERSICHERUNG DER SELBSTÄNDIGEN wird allmählich zu einem der stärksten Beweise dafür, daß das oft zitierte Bürgertum nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst, ohne Zuhilfenahme des Staatsapparats, zu ordnen. Die Arbeitnehmer haben heute eine Altersversicherung, die, wenn die Neuregelung der Sozialversicherung wirksam geworden ist, doch eine auskömmliche Altersversorgung garantiert. Der Selbständige dagegen arbeitet immer noch unter dem Risiko, als alter Mann unversorgt dazustehen, zumindest aber seine Angehörigen der öffentlichen Fürsorge überlassen zu müssen. Daher war es ein begrüßenswerter Gedanke der Verantwortlichen in den Unternehmerkammern, durch eine Umlage einen Fonds zu schaffen, aus dem Unterstützungsbeiträge an alte Gewerbetreibende gezahlt werden sollen. Vorausgesetzt, daß sie ihre Gewerbeberechtigung zurücklegen. Die Kammern der Freien Berufe haben solche Versorgungssysteme —

und wie man hört, mit gutem Erfolg — bereits geschaffen. Anfangs überließ man die Zahlungen an den Unterstützungsfonds (30 S im Monat!) dem Belieben der Gewerbetreibenden. Der Erfolg war derart, daß man schleunigst zu einer Neuregelung schreiten mußte, einer Eintreibung mit sanfter Gewalt. Die Eingänge sind aber weiterhin derart niedrig, daß der Altersversorgungsfonds der Kammern notleidend geworden ist und andere Kammermittel herangezogen werden mußten. Nicht weniger als 50 Prozent der Beitragspflichtigen verweigerten bisher die Beitragszahlung. Nunmehr besteht die Absicht, sehr gegen den Willen der Mehrheit der Beitragspflichtigen, beim Inkasso das Finanzamt, das heißt den Staat, einzuschalten und damit gegen Zahlungsunwillige die Erzwingungsgewalt der Behörden einzusetzen. Das nennt man Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips! Insbesondere sind gegen die Altersversicherung die Angehörigen des rechten Flügels der Unternehmerschaft. Bei größtem Wohlwollen ist es nun, wenn man die Argumente gegen die Einführung einer Altersversorgung der Selbständigen zusammenfaßt, nicht möglich, zu erfahren, wie es anders gemacht werden soll. Man scheint vergessen zu haben, daß der Begriff „Proletarier" keineswegs mit dem Unselbständigen gleichgesetzt werden darf, sondern daß unter den „Selbständigen" ein hohes Maß an Elend anzutreffen ist. In der Uneinigkeit in einer Frage, die durchaus keine politische ist, liegt eine gewisse Tragik, das Zeichen des Unvermögens der sogenannten „bürgerlichen Welt", sich zu behaupten. Und dies wenige Kilometer vor dem Eisernen Vorhang, hinter dem die Frage der Altersversorgung der Selbständigen in einer sehr einfachen Weise geregelt wurde.

DIE DIPLOMATEN UND STAATSMÄNNER VON HEUTE wissen nur zu genau, daß den Cocktails und Champagnergetränken unserer Tage kein Wahrheitsserum beigegeben ist, daß keiner der Partner gleich dem Siegfried mit Drachenblut getauft und also besonders hellhörig geworden ist. So sind Trinksprüche heute eine gefahrlose und immer wieder beliebte Sitte. Nur dürfen sie nicht einen solchen Grad an Verklausulierung erreichen, daß sie nicht einmal mehr im Doppelsinn verstanden werden. Als nämlich beim kürzlich im Kreml abgehaltenen Oktober-Revolution s - Bankett der französische Botschafter Joxe von jenen Tagen der Zukunft sprach, jn denen man „auch die Pariser Verträge verstehen werde", erwiderte ihm sein sowjetisches Gegenüber (mit Recht), „daß er diese Worte nicht verstanden habe". Tableau! Etwas vorsichtiger geworden, gab der US-Botschafter Bohlen, der eben eine schwungvolle und gute alte Zeiten der Waffenbrüderschaft beschwörende Festrede gehalten und darin der Hoffnung Ausdruck gegeben habe, Molotow in Washington begrüßen zu dürfen, diesem rhetorischen Erguß sofort einen verblüffenden Nachsatz: Damit sei natürlich keine Einladung Molotows zu einem Besuch in den USA ausgesprochen. Ueber die Rückantwort Molotows auf diesen neuen logischen Schnörkel steht nichts im Protokoll zu lesen. Zugegeben, daß sich ein Bericht wie der vorstehende, obwohl den offiziellen Verlautbarungen entnommen, für den „Kleinen Mann’ ein wenig verwirrend liest. Die Frage, wozu das alles eigentlich gut sein soll, liegt nahe. Hinter dem Geplauder an russischen Kaminen erheben sich außerdem die Silhouetten der Wachttürme von Konzentrationslagern, tauchen die rauchgeschwärzten Trümmer eines zur nämlichen Stunde im Fernen Osten abgeschossenen amerikanischen Flugzeuges noch einmal aus dem Meere. Und es erhebt sich die Frage nach der doppelbödigen Wahrheit für die „Großen’ und die „Kleinen". An radikalen Rufern nach der Abschaffung jedes direkten Kontakts zwischen den Spitzen hat es vor allem in unserem Jahrhundert nicht gefehlt. Fragt sich nur, wer dann an die Stelle treten soll. Die großen Apparate der Verwaltung, der Wirtschaft, des Militärs, aller Menschen beraubt? Dann wäre die Katastrophe der geteilten Menschheit erst vollständig. Bibliotheken sind gefüllt, tausende Filmmeter abgedreht worden, um die pikante und leichtfertige Frivolität des Wiener Kongresses mit seinen weinseligen und amourösen Kontakten, mit seinen der vorgeblichen Laune entspringenden Entscheidungen zu ironisieren Wir sind inzwischen gleich dem Siegfried mit reichlich viel Drachenblut getauft worden, um die Verlogenheit des politischen Gesprächspartners zu durchschauen. Aber was Ist damit erreicht worden? Die Friedensmacher von 1815 haben immerhin genau 100 Jahre lang einen allgemeinen europäischen Krieg verhindern können. Heute wirkt ihr, von Monsieur Joxe zu Moskau konservierter Stil bereits so, daß ihn der Partner nicht mehr versteht Und da beginnt das Unheil. Was hätte Molotow erst für ein Gesicht gemacht, wenn Joxe aus den Bekenntnissen seines diplomatischen Vorgängers Talleyrand das wehmütige Wort zitiert hätte, „daß uns die Sprache gegeben sei, um unsere Gedanken zu verbergen".

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