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Randbemerkungen zur woche

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ZUM ZWEITEN MALE IN DIESEM JAHRE bangten und beteten Millionen Menschen in diesen lagen um das Leben des Heiligen Vaters, der einen ernstlichen Rückfall seiner Gesundheit erlitten hatte. Die Besserung, die dem lebensgefährlichen Anfall vom 2. Dezember gefolgt ist, berechtigt zu Hoffnung. Von der beispielgebenden Willens- und Widerstandskraft, die der Heilige Vater in den kritischen Stunden bewies, zeugt seine Absicht, in einem geheimen Konsistorium die sechs neuen Kardinäle zu kreieren, damit das Kollegium im Falle eines Konklaves vollzählig sei. Dankbar dem Schöpfer, begrüßt die Christenheit jeden Tag, da ihr das Leben des Papstes neu geschenkt wird.

„DIE REGIERUNG DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND anerkennt die Unabhängigkeit und Selbständigkeit Oesterreichs und betrachtet den Anschluß Oesterreichs an das Deutsche Reich als aufgehoben." Dieser Satz steht in einer Erklärung des Bonner Bundeskanzleramtes vom Donnerstag, den

2. Dezember 1954, über das von Oesterreich an- gefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtshofes in Berlin vom 30. Oktober dieses Jahres, bezüglich der deutschen Staatsbürgerschaft von Oesterreichern, die in Deutschland leben. Bonn erklärt, dieses Erkenntnis noch nicht in schriftlicher Ausfertigung erhalten zu haben: „Nach Erhalt der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes wird die Regierung der Bundesrepublik die Frage studieren, welche gesetzgeberische Maßnahmen notwendig sind, um die Rechtslage in diesem Sinne unzweideutig zu klären.“ Die Bonner Erklärung vom 2. Dezember 1954 ist geeignet, jene „Besorgnis, die in der österreichischen Oeffentlichkeit durch dieses Erkenntnis hervorgerufen worden ist“ — so lauten ihre eigenen Worte, — zu beheben. Für Oesterreich ist bereits die Anerkennung dieser „Besorgnis“, dieser echten und ehrlichen Sorge durch Bonn, wichtig — wurde doch immer wieder in diesen letzten Wochen von fragwürdigen Sekundanten Bonns in Oesterreich diese Sorge bestritten, ja als ein kommunistischer Propagandatrick „erklärt“. Dem ist nicht so: es bestehen hier konkrete Bedenken und Sorgen. Diese sind, wie es zwischen Männern und gleichberechtigten Partnern Rechtsbrauch ist, durch offene Worte und freie Verhandlungen aus der Welt zu schaffen. Für solche gibt die Bonner Erklärung den Raum frei. Für

Oesterreich sind nunmehr drei Dinge zu tun:

1. Durch Verhandlungen mit Deutschland die Beziehungen zu normalisieren, dergestalt, daß es nicht fragwürdigen Grenzgängern überlassen bleibt, diese zu vergiften und sie auszubeuten für ihre politischen und kommerziellen Geschäfte. 2. Bundeskanzler Raab antwortete bei einer Pressekonferenz im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York an eben diesem 2. Dezember 1954 auf die Frage, ob

Oesterreich durch die deutsche Wiederbewaffnung bedroht sei: „Die Frage, ob Deutschland einen neuen Anschluß Oesterreichs versuchen wolle, muß an die Deutschen und nicht an die Oesterreicher gerichtet werden.“ Diese Antwort an die Adresse der Amerikaner bedeutet von Wien aus gesehen: Oesterreich muß den alldeutschen Bestrebungen, wie sie soeben wieder in Berlin mehrfach auf politischen Großkundgebungen vertreten wurden, bei denen auch ein Bundesminister teilnahm, hohe Wachsamkeit widmen.

3. Diese Wachsamkeit muß in noch höherem Maße innenpolitischen Umtrieben in Oesterreich gelten. Die Krise in den deutsch-österreichischen Beziehungen in den letzten Wochen hat gezeigt, wie weitgehend die Irreführungsversuche und Täuschungen einer gewissen Presse in Oesterreich gingen, die alles tat, um die Sachlage zu verunklären und im trüben zu fischen. Nur eine Legcfttsi’erüng der deutsch-österreichischen Beziehungen und eine Betrauung verantwortungsvoller Persönlichkeiten mit der Einleitung deutsch-österreichischer kultureller Beziehungen wird, verbunden mit verstärkter Wachsamkeit nach innen, Oesterreich das Schicksal ersparen, das erste Opfer einer Dynamik zu werden, die nur in einer gesamteuropäischen Konföderation, im Bunde mit der ganzen freien Welt, in geregelte Bahnen geleitet werden kann

FAHNEN UND STANDARTEN auf den Schindacker der Geschichte mit ihnen; Sterne und andere Distinktionen . . . herunter damit; bunte Uniformen und glitzernde Orden .:. überlebtes Zeug: so oder ähnlich scholl es aus dem Lager des österreichischen Sozialismus noch vor wenigen Jahrzehnten. Im schlichten grauen Alltagsgewand zeigte sich die RepublikI Sie zeigte sich auch - allerdings nur solange, bis sie es erleben mußte, daß die Massen wieder flatternden Fahnen nachliefen, die dann allerdings nicht die österreichischen Farben zeigten. Die Ratlosigkeit war gerade im Lager der klassischen Linken allgemein. Am schnellsten reagierte freilich in ähnlicher Situation der kommunistische Diktator Rußlands. Als fremde Heere in sein Land eindrangen, parierte er mit dem . Vaterländischen Krieg“, mit Armeebefehlen, die zunächst statt Material- und Lebensmittelnachschub die traditionellen breiten Schulterstücke für die Offiziere, die vor gar nicht so langer Zeit einmal Inbegriff der Reaktion und des verhaßten Zarismus waren, brachten. Unser österreichischer demokratischer Sozialismus war bisher nicht sehr glücklich im Amalgamieren der Vergangenheit. Tradition, Symbole oder gar Zeremonien waren Dinge, die man zwar heute bei anderen tolerierte, freilich nicht ohne ein mokantes Lächeln darüber zu verlieren. Ein jüngstes Ereignis, der Besuch des Kaisers von Aethiopien mitsamt seinen Reaktionen in der österreichischen Bevölkerung, hat nun hier zunächst Staunen und dann ernste Ueber- legungen ausgelöst.

„Die Demokratie darf diese Sehnsüchte ihrer Bürger nicht übersehen; und wie gesagt, das gilt von der Demokratie, ob an ihrer Spitze ein Präsident oder ein Dekorationsmonarch steht. Das ist die große Bedeutung von Symbolen, seien es nun Persönlichkeiten oder Institutionen, die Bedeutung von Traditionen und feierlichem Zeremoniell, auch von Schaustellungen. A tch die Demokratie braucht sie; und eine junge Republik, die eigentlich noch nicht Zeit hatte, eigene anziehende Darstellungen, Rituale ihrer Würde zu entwickeln, daran erinnert zu haben, " ist vielleicht ein Verdienst des jüngsten Monarchenbesuches in Oesterreich. Sonst könnte es geschehen, daß die unbefriedigte Sehnsucht aus jedem ungeeigneten Anlaß ein Spektakelstück macht. Ist cs nicht schon geschehAt, daß alles, was über die Mariahilfer Straße zieht, delirierend begrüßt wurde: sei es ein weißer Zirkuselefant, ein exotischer Potentat oder der erstbeste ,Führer?“

Um kein Mißverständnis auf kommen zu lassen: nein, diese Sätze stammen nicht aus der „Furche“, wo seit Jahr und Tag für die Weckung eines lebendigen österreichischen Traditionsgefühls geschrieben wurde, sie sind wortwörtlich aus der Feder des Chefredakteurs der „Arbeiter-Zeitung“ geflossen. Man könnte sich freuen über diese Einsicht, wenn sie praktische Folgerungen zeitigen würde. Nein, Hurrapatriotismus, Backhendelseligkeit und Burgmurrer sind keineswegs österreichische Tradition — aber wie wäre es — um nur ein Beispiel zu nennen —, wenn wir mit der dem österreichischen Volk lieben Haydn-Hymne die Probe aufs Exempel machen würden

ÜBER DIE ZULÄSSIGKEIT VON ERDBEBEN befand weiland der Herzog von Modena nach dem Wiener Kongreß. Wenn wir dem ausgezeichneten Buch unseres Mitarbeiters Janko Musulins, „Degen und Waage“, glauben dürfen, war Serenissimus dagegen und untersagte derlei für sein Residenzgebiet. Man kann juristisch und moralistisch durchaus der Meinung sein, daß eine gesetzliche Verfügung, die grundsätzlich und nach Menschenermessen nicht durchsetzbar ist, nicht nur unnütz, sondern sogar schädlich ist, weil sie das Ansehen der Gesetzgebung und ihre Autorität im Ganzen zerstört. Ein höchster deutscher Gerichshof ist zur Zeit damit befaßt, die Verfassungsmäßigkeit der Kommunistischen Partei in der Bundesrepublik zu untersuchen und im Falle der Verneinung dieser Frage der deutschen Bundesregierung die juristische Möglichkeit eines generellen Verbotes zu geben. Bereits zu Beginn des Verfahrens, das wegen des internationalen Charakters der KP über die Grenzen Deutschlands hinaus symptomatische Beachtung findet, waren aus dem Mund ernst zu nehmender Gegner des Kommunismus Stimmen des Bedenkens zu hören. Der Verlauf des Prozesses, der erwartungsgemäß von den kommunistischen Anwälten zu Propagandareden über alte möglichen, nicht zur Sache gehörenden Themen .benutzt wurde, bestätigte diese Befürchtungen in dreifacher Weise. Zum ersten ist dem Wesen des Kommunismus und seiner immanenten Dialektik nicht beizukommen, wenn man ihn mit abendländischen Rechts- und Freiheitsbegriffen konfrontiert, die ihm genau so wenig gerecht werden können, wie uns beispielsweise die Speisevorschriften der Mohammedaner. Es muß also gezwungenermaßen aneinander vorbeigeredet werden Zum zweiten ist es grundsätzlich falsch, in einer kommunistischen Partei eine Gruppe von Staatsbürgern zu sehen, die sich ihre konkreten Ziele selbst wählt. Sie gehorcht den Anweisungen einer ausländischen Macht. Wer also hier wirklich etwas ausrichlen will, muß mit dem Kreml direkt anbandeln (wenn er kann). Wie wenig den Kommunismus als Ganzes die deutschen Genossen interessieren, zeigt die Seelenruhe, mit der selbst nach dem Ribbentrop-Stalin-Pakt von 1939 die Kommunisten in den Hitler-KZ gelassen wurden, ohne daß Moskau den Finger für sie rührte. Zum dritten aber — und das scheint uns entscheidend — schafft man durch die Abdrängung der KP In die romantische Illegalität eine gefährliche unterschwellige Strömung. Der Sowjetpropaganda ist es möglich, die fünf Prozent von Kommunisten, deren offene Niederlage bei jedem Wahlgang sichtbar wird, zu einer geheimen „Massenpartei" umzufälschen. Somit könnten die letzten Dinge schlimmer sein als die ersten. Oesterreich wird nicht in die Lage kommen, ein ähnliches Verfahren zu eröffnen, und dies nicht nur wegen unserer Besatzungsverhältnisse, sondern auch aus grundsätzlichen Erwägungen und praktischen Erfahrungen heraus. Die offene Niederlage der Kommunisten, die bereits im Herbst 1945 unter einem kommunistischen Innenminister und einer damals von der KP durchsetzten Exekutive mit den klassischen „Fünf Prozent“ begann, scheint eine wirkungsvollere, humanere und zugleich unwiderlegbare Waffe zu sein. Wenn man schon etwas gegen Erdbeben hat, dann soll man sie nicht durch Dekrete verbieten, wie der gute Herzog von Modena, sondern man soll die Stimme des trotz aller Ohnmacht menschlich ergreifenden Protestes, die Stimme des Geistes und des empörten Gewissens gegen sie erheben, wie dies einst Voltaire mit dem Beben von Lissabon im Jahre 1755 — und für die Geschichte wirkungsvoller als der Herzog — getan hat

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