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Randbemerkungen zur woche

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BEI GRAF & STIFT hat man Arbeiter auf die Straße geworfen. Nicht wegen Arbeitsmangels. Sondern aus Mangel an demokratischem und sozialem Gefühl. Dabei gingen in seltsamer Kombination Betriebsrat und Unternehmer gemeinsam vor. Zwischen unternehmerischer und gewerkschaftlicher Gewalt wurden drei Existenzen zerrieben. Im Namen des Gewerkschaftsgedankens und des Profits. Sind es nun neue Gewalten, neue Ausbeutungsformen, die da in der Arbeitswelt entstehen? Oder war alles nur eine böse Episode? Wir wollen das von der Episode glauben. Müssen es glauben, weil man hört, daß die OeGB-Führung den Terror, der in ihrem Namen ausgeübt wurde, mißbilligt. Es wäre auch ungemein bedauerlich, wenn gerade in diesen Tagen, da der dritte Bundeskongreß des Einheitsgewerkschaftsbundes stattfindet, im Namen der Gewerkschaften den Arbeitern das primitivste Recht, jenes auf Arbeit, verweigert würde. Auch wenn man von einem Einzelfall noch keine Schlüsse auf die Einstellung des ganzen Gewerkschaftsbundes ziehen möchte, to darf man verlangen, daß vom OeGB her alles getan werden muß, um in Hinkunft den Mißbrauch seines Namens zu verhindern. Wenn aber jetzt von übereifrigen Befürwortern eines Betriebsterrors auf die us-amerikanischen Verhältnisse hingewiesen wird, auf das System der „geschlossenen Werkstätte“ (wer aus der Gewerkschaft austritt, muß vom Unternehmer automatisch gekündigt werden), so sind wir der Meinung, daß die barbarischen Sitten des „wilden Westens“ für Oesterreich keineswegs passen, ganz abgesehen davon, daß die bestehenden Gesetze eindeutig auf selten der auf die Straße geworfenen Arbeiter stehen. Welcher Meinung auch der von den Sozialisten gestellte Justizminister zu sein scheint. Wer in Oesterreich das System des „closed shop“ will, der will — denken wir an die Zeit von 191g bis 1934 — den Terror. Und auch den Gegenterror. Also den Bürgerkrieg. Und den Faschismus. Es wurde auch davon gesprochen, daß man bei Graf Stift versucht habe, eine „gelbe“, das heißt eine unternehmerfreundliche, Gewerkschaft zu errichten. Wir sind gegen echte „gelbe“ Gewerkschaften. Sie schaffen Ungleichgewicht und sind eine indirekte Form der Ausbeutung der Arbeitnehmer. Aber bei Graf & Stift hat der Unternehmer willig den Forderungen des Betriebsrates entsprochen. Das hätte er doch kaum getan, wenn die Absicht bestanden hätte, eine „gräffreundliche“ Gewerkschaft zu errichten. Der einheitliche Gewerkschaftsbund ist in Oesterreich eine politische Notwendigkeit. Ebenso wie eine einheitliche Führung der Unternehmer. Wenn wir keine anderen Gründe als staatspolitische hätten, müßten wir schon gegen den Vorfall bei Graf 4t Stift sein. Weil offensichtlich Gewerkschaftsfeinde und Gewerkschaftsspalter am Werk waren. Aber im Betriebsrat. Während der Unternehmer sich als „Hehler“ betätigte.

SELTSAME NACHRICHTEN KOMMEN AUS GRAZ — mehr als seltsame. Und noch dazu aus den Gefilden von Frau Justitia. Vor einem Schöffensenat wird über den „Deutschen Soldatenkalender 1955“ verhandelt. Anlaß dazu ist der Abdruck eines üblen Machwerkes, in dem — wir haben seinerzeit darüber berichtet — jene Männer, die in den düsteren Tagen von 1945 ihr Leben in die Schanze schlugen, damit Wien das ihm von den abtretenden Macht-habern. zugedachte Schicksal von Budapest oder Breslau erspart werde, auf niederträchtige Art besudelt werden. Mit gutem Grund verfiel seinerzeit dieses Buch, das aus seiner antiösterreichischen Gesinnung kein Hehl macht, der Beschlagnahme durch die Republik. Nun beschäftigt dieses Pamphlet aus Anlaß seines Abdrucks in dem „Deutschen Soldatenkaieuder 1955“, der sich hiermit auch eindeutig qualifiziert (ist es möglich, daß seine Lektüre - seinerzeit den Gendarmen der B-Gendarmerie empfohlen wurde?), die Grazer Justiz. Und das Ungeheuerliche geschieht, wenn wir dem Bericht des Grazer Korrespondenten eines Wiener Blattes Glauben schenken dürfen: In Graz steht ein Staatsanwalt auf und wechselt die Rolle. Er wird zum Verteidiger. Die Argumente: Die Begriffe über Soldatentum und Pflichterfüllung hätten sich in letzter Zeit wieder geändert... Hierzu ist eindeutig festzustellen: Die Begriffe über Soldatentum und Pflichterfüllung sind stets gleichgeblieben. Allerdings gehört zu jedem Soldatentum auch ein Vaterland, demgegenüber man seine Pflicht zu erfüllen hat. Und über'den Namen dieses Vaterlandes sollte bei einem Staatsanwalt der Republik Oesterreich zuletzt Zweifel bestehen. Auf leisen Sohlen schleicht sich — von einigen kurzsichtigen Politikern stillschweigend geduldet — eine Geschichtslüge heran. Der Kampf der Oesterreicher in der Deutschen Wehrmacht wird zu einem Kampf für die Heimat umgefälscht. Bestimmt glaubten viele einfache Menschen zeitweise daran — die Wahrheit lautet aber anders. Ohne Zusammenbruch des Dritten Reiches und Sieg der Alliierten keine Wiedergeburt Oesterreichs. Mögen manche damals auch noch von der offiziellen Propaganda umnebelt gewesen sein — kein Mensch will heute darüber rechten. Eines aber ist für alle Zeiten abzustellen: daß gewisse Elemente an jenen Offizieren und Soldaten, die als erste dem Rufe des alten neuen Vaterlandes unter Lebensgefahr folgten, ungestraft ihre Schuhe abstreifen dürfen. In unserem Fall: der Justizminister sehe nach dem Rechten.

DIE BRITISCHE REGIERUNG WAR NICHT GUT BERATEN, als sie sich entschloß, über den „Absprung“ der beiden früheren Beamten des Foreign Office, Burgess und Maclean, ein Weißbuch herauszugeben, welches so ziemlieh alles verschwieg, was man hätte erwarten können, aus einer amtlichen

Veröffentlichung solcher Art zu erfahren: im konkreten Fall also die Umstände, die zur Aufnahme zweier schon früher zweifelhafter Personen in den diplomatischen Dienst geführt hatten, femer eine Erklärung dafür, weshalb die beiden, als bereits ein Verdacht ihrer verräterischen Tätigkeit vorlag, nicht nur nicht verhaftet, sondern weiter auf ihren wichtigen Vertrauensposten belassen wurden, und schließlich einen Hinweis auf die Maßnahmen, die beabsichtigt seien, um eine Wiederholung solcher fatalen Vorkommnisse nach Möglichkeit auszuschließen. Auch wurde da keine Auskunft gegeben über die sehr berechtigte Frage, ob die Regierung etwas unternommen hat, um die Funktionäre verschiedener Dienststellen, die im Falle Burgess-Mac-lean ihre Unfähigkeit erwiesen oder sich sträflicher Nachlässigkeit schuldig gemacht hatten, zur Verantwortung zu ziehen. Begreiflich daher, daß die öffentliche Meinung sich in dieser Angelegenheit fast einmütig gegen die Regierung gewendet hat und eine gründliche Perlustrierung und Reorganisierung vor allem des Foreign Office verlangt. Was dabei allerdings fast ganz übersehen wird, ist die historische Mitschuld der öffentlichen Meinung am Entstehen und der Verbreitung einer Atmosphäre, in der sich der Bazillus des Verrats ungehindert entwickeln konnte. Vom Beginn der dreißiger Jahre bis lange nach Kriegsende war in England wie in den Vereinigten Staaten ein Bekenntnis zum „Antifaschismus“ eine der wichtigsten und oft die entscheidende Voraussetzung, um eine amtliche Vertrauensstellung zu erlangen, ohne Rücksicht darauf, ob der betreffende „Antifaschist“ ein ehrlicher, vaterlandstreuer Demokrat war, oder ein Mann, der sich einer populären Devise als eines Deckmantels bedienen wollte, um ungestört die Ziele des Weltkommunismus zu fördern, die ihm höher standen als die vitalsten Interessen seines eigenen Volkes und Vaterlandes. So konnte ein Alger Hiss mühelos Eingang in den Kreis der Ratgeber Franklin Roosevelts finden, und so gelang es auch einem Burgess und vielen anderen, die gar kein Hehl aus ihren prokommunistischen Sympathien gemacht hatten, verantwortliche und einflußreiche Positionen, einschließlich sogar der Armee und der Geheimdienste, einzunehmen. Viele der schwersten Fehler der alliierten Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegspolitik, gegen die damals die öffentliche Meinung der beiden großen Demokratien keinerlei Einspruch erhob, sind auf jene blinde Vertrauensseligkeit der Regierenden zurückzuführen, und der noch heute wirksamen kommunistischen Infiltration des staatlichen Apparats wird -nicht durch organisatorische Maßnahmen oder durch Perlustrie-rungen nach dem Rezept MacCarthys — hier wird nach genau demselben Rezept verfahren und allein ein „Antikommunismus“ bewertet, der allein noch nicht den loyalen Demokraten macht — beizukommen sein, sondern nur durch eine viel genauere Ueberprüfung der Qualifikationslisten nach sittlichen und charakterlichen Gesichtspunkten.

ALS DER HEUTE VON VIELEN LANGST VERGESSENE PROZESS GEGEN DEN ERZBISCHOF VON KALOCSA, Jozsef Grösz, in Budapest am 22. Juni 1951 begann, waren die Gespräche um den Botschafter Malik in New York bereits im Gange. Der Grösz-Prozeß und nicht etwa der zwei Jahre früher stattgefundene Prozeß gegen den Kardinal Mindszenty bedeutete für Ungarn den sichtbaren Höhepunkt des kalten Krieges, so rücksichtslos, so unverhüllt zeigten sich die Ressentiments, die Aengste des Rakosi-Regimes damals, als es darum ging, den Erzbischof von Kalocsa der Verschwörung gegen die demokratische Staatsordnung und der Devisenschiebung zu überführen. Der Mindszenty-Prozeß war der Auftakt: dort ging es noch einigermaßen protokollarisch zu. Die kommunistische Presse bewahrte einen sachlich scheinenden Ton. Erzbischof Grösz und seine Mitangeklagten, darunter der Erzabt des Zisterzienserordens in Ungar, mußten Haßtiraden über sich ergehen lassen. Die Gespräche, die indessen Botschafter Malik auf den Korridoren des UNO-Palastes führte, mündeten schließlich in einer Kompromißformel, die die Beendigung des offenen Krieges in Ostasien ermöglichte. Die Kompromißbereitschaft beider Partner führte zu einer Festigung des Status quo ante mit geringfügigen Korrekturen (Oesterreich), aber sie ließ tiefere Schichten so gut wie unberührt. (Beide, der Osten wie der Westen, müssen es wissen, warum!) Wir leben heute in einer Zeit der Oberflächenlösungen. Eine solche aber stellt auch die am vergangenen Wochenende bekanntgewordene „Haftunterbrechung“ des am 28. Juni 1951 zu IS Jahren Kerker verurteilten Erzbischof Grösz dar. Auf Ersuchen des Erzbischofs von Eger, Dr. Gyula Czapik, so heißt es, hat der ungarische Justizminister „Jozsef Grösz“ die Unterbrechung seiner Kerkerstrafe bewilligt und zu seinem Aufenthaltsort ein kirchliches Gebäude bestimmt. Was hier auch gemeint ist, steht noch klarer fest als in der ähnlich lautenden Verlautbarung über Kardinal Mindszenty vom 16. Juli 1955; Der Präsidialrat der Volksrepublik hat zur gleichen Zeit vier katholische Geistliche (also: niederer Klerus.. .) auf die Bitte des Friedensausschusses katholischer Geistlicher begnadigt und ihre sofortige Freilassung verfügt... Man möchte jetzt wünschen, daß es einmal zu einer Wiederaufnahme des Grösz-Prozesses käme, um den erschütternden Haßausbrüchen von damals, die notorischerweise und so sehr zu Unrecht im Westen unbeachtet blieben, auf den Grund zu gehen. Denn man kann nicht an eine wirkliche „Entspannung“ zwischen „Ost und West“ glauben, solange in den Tiefen der Herzen die Haßzentren und ihre verborgenen Verbindungswege, die Völker und Jahrhunderte in Haß und Auflehnung verbinden, un-ausgelotet bleiben!

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