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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DAS BU-VE-VE-BE, kurz Bundesministerium (ür Verkehr und verstaatlichte Betriebe genannt, hat der Oeffentlichkeit den Entwurf eines Rundfunkgesetzes vorgelegt, der von Wien bis zum Stillen Ozean einmalig sein dürfte. Nur Einfältige halten diesen Entwurf bloß für komisch, Wissende ahnen, daß damit zum erstenmal seit Bestehen der Zweiten Republik ein wirklich ernster und wohldurchdachter Griff nach der Freiheit des einzelnen und nach der Freiheit der öffentlichen Meinung getan wird. Denn dieser Entwurf verlangt nicht mehr und nicht weniger, als daß 24 — sage und schreibe 24 — nach dem Proporz ausgewählte, politisch orientierte Personen den zukünftigen Rundtunk leiten und, wie es so schön heißt, weisungsberechtigt Richtlinien geben sollen. Nach diesem Entwurf braucht der Rundfunk in Hinkunft keine Programmgestalter mehr, sondern Appa-rafschikis der politischen Rundfunkkommission, nicht mehr leitende Angestellte, sondern Erfüllungsgehilfen, nicht mehr verantwortungsbewußte Journalisten, sondern dirigierte Verbreiter amtlicher Meldungen, nicht mehr freie Schaffende, sondern Befehlsempfänger der „Willensträger“, die sich Rundfunkkommission nennen soll. (Vielleicht könnten sich die einzelnen Teilnehmer dieser Rundfunkkommission sinnig „Kommissare“ nennen.) Tafsächlich, dieser Entwurf zu einem Rundfunkgesetz, von dem man sich fragt, ob er ein Relikt aus der Reichskanzlei unseligen Angedenkens ist oder ob ihn eine der zahlreichen Delegationen aus Moskau mitgebracht hat, bedeutet praktisch und in Wirklichkeit das Ende jeder Programmfreiheit, das Ende jeder Nachrichtenfreiheit, und das Ende eines freien Rundfunks überhaupt. Bezeichnenderweise hat man in dieser Rundfunkkommission der Kirche, der Wissenschaf und der Kunst bloß beratende Stimme zugebilligt. Auf Deutsch gesagt, ihre Vertreter dürfen in den Sesseln sitzen und — schweigen. Was sonst noch alles In diesem ominösen Entwurf enthalten ist, entspricht dem Geist ihrer Verfasser. Das Nein, das einzelne Sprecher der Volksparfei schon gesprochen haben, genügt nicht. Denn stürzt die Freiheit des Rundfunks, dann reifjl dieser Sturz auch andere Freiheiten mit sich. Diese Tatsache geht nichf einzelne an, sondern die Gesamtheit. Die Volkspartei und alle wirklich frei“ denkenden Menschen werden gut daran tun, eine geschlossene Abwehrfront zy bilden. Sonst wird der Oesterreichische Rundfunk ein Rundfunk ä la Goebbels ■— nur dafj Goebbels ehrlicher war und sich nicht einen demokratischen Tarnmantel umgehängt hat.

„STILLSTAND WÄRE DER TOD!“ Die Wiener Sozialen Wochen scheinen nunmehr ebenso wie ihre ausländischen Vorbilder zu einem Zentrum des sozialreformaforisehen Gespräches in Oesterreich zu werden und die Renaissance einer christlich-sozialen Richtung vorbereiten zu helfen. Hunderte aus Wien und aus den Bundesländern, Akademiker und Arbeifer, Unternehmer und Politiker nahmen auch diesmal aktiv an der durch vier Tage dauernden Tagung teil und lieferten durch ihre Anteilnahme den Beweis, dah die österreichischen Christen, in Besinnung auf ihre große Tradition, versuchen, ihre Position im Ablauf der Sozialreform (die sich nun mit oder ohne Christen vollziehen wird) zurückzugewinnen. Diesmal stand die Frage des Eigentum* an den Produktionsmitteln im Mittelpunkt dv Tagung mit dem zentralen Anliegen: „Nich* Konzentration, sondern Strestt g des Eigentums.“ Das aber soll heißen: Nichf ein Minimum von Eigentümern, nicht e i n Eigentümer, sondern ein sachlich zu rechtfertigendes Maximum von Eigentümern, wobei die jeweilige Durchführung des Gedankens der Eigentumssfreuung selbstverständlich wirtschafts- und dadurch sozialkonform sein mufj. Im Einleilungsvortrag gab der Rechtshisforiker der Wiener Universität, Univ.-Prof. Dr. Hans Lenlze, einen umfassenden Ueberblick über die historische Entwicklung des Eigentumsrechtes, die durch die Etappen der Grundherrschaff und der Konstitution von Vertrags- und Tesfierfreiheit im Zusammenhang mit der ersten industriellen Revolution gekennzeichnet ist, als deren Konsequenz sich das „Abfallprodukt“ des Lohnarbeiters ergab. Der wohl beste Kenner der Ideengaschichte des österreichischen sozialreformatorisch gesinnten Katholizismus, Univ.-Prof. August M. K n o I I, legte eine geistreiche und immense Materialkenntnis zeigende Darstellung der Eigentumskontroverse der sogenannten „Wiener Richtungen“ zwischen den beiden Weltkriegen vor. Nikolaus Hovorka vermittelte an Hand umfangreicher Hinweise eine wertvolle Einführung in die Eigentumsformen vor allem in der Schauweise des kommunistischen Ostens. Die Uebereignung des Eigentums an den Produktionsmitteln auf die „Gesellschaft“ zeigt sich faktisch nur als Uebereignung an eine dünne Oberschichte, die an die Stelle der früheren Machthab er getreten ist. Wieder wurde so eine Chance, persönliches Eigentum zu schaffen, vertan, lieber „Die Unternehmungen der öffentlichen Hand“ sprach Bundesrat Dr. Josef T z ö b I. Der Referent verwies auf die bedingte Gültiakeit des Gedankens der Verstaatlichung und lehnte die Methode einer Efatisierung des Wirtschaftslebens um jeden Preis ab, um so mehr, als sie heute nicht mehr dem Menschen nützt, sondern sich im Kern als ein Politikum zeigt. Ebenso wie die alle Maße übersteigende-Vergesellschaftung

der Produktionsmittel sei die verdeckte Verstaatlichung abzulehnen, wie sie etwa durch den Finanzkapifalismus der großen Banken praktiziert wird. Nun sei es geboten, an eine Entstaatlichung zu gehen unter gleichzeitiger Schaffung von unterschiedlichen Formen des Kleineigentums. Der Leiter der Rechtsabteilung der Arbeiterkammer, Dr. Karl Kummer, ein hervorragender Kenner des Genossenschaftsrechtes, vermittelte eine ausgezeichnet gelungene Analyse des Phänomens der Genossenschaffen, wobei er scharf zwischen den zwei Formen der Hilfs- und Produktivgenossenschaften unterschied. In der gegebenen Situation geht es nach Ansicht von Dr. Kummer insbesondere um die Aktivierung des ■nsfitutes der Produktivgenossenschaften, da diese geeignet erscheinen, der Sozialreform entscheidende Impulse zu geben. Den Schlufjvortrag („Eigenfumselhik und Eigentumsrevisionismus“) hielt Prof. Dr. Anton Burghardt, der die Sysfemgedanken seines (jüngst in der „Furche“ besprochenen) Buches entwickelte““ und darauf hinwies, dafj die' „Eigentumskontroverse“ auf die Frage des Eigentumseffekfes reduziert werden müsse. Bundesminister Dr. Dri mittel rief in seinen Schlußworten zur Wiederbesinnung auf das verschollene Gedanken- und Sysfemgut der christlichen Sozialreform in Oesterreich auf. „Stillstand wäre de' Tod“, das sei angesichts der die bestehende ökonomische Wohlfahrt gefährdenden innerösterreichischen Auseinandersetzungen zu sagen.

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CHRUSCHTSCHOWS UND BULGANINS INDIENBESUCH ist ein Ereignis von außerordentlicher Bedeutung. Sowjetrußland treibt gegenwärtig vier politische Offensiven vor, die nun sichtlich darauf hinauslaufen, die Vereinigten Staaten einzukreisen. Das also, was die politische Propaganda der Sowjets den Amerikanern immer wieder vorgeworfen hat in der Aera des kalten Krieges und der bilateralen Militärpakte und Stützpunktsysteme, wird nun von der anderen Seite her versucht. Die vier Fronten sind: Europa, wo die sowjetische Politik in Frankreich und Italien Volksfrontregierungen schaffen, Skandinavien durch Freundschaftsbesuche von England lösen und die Bonner Bundesrepublik stärker an sich binden will. Zum zweiten der Nahe Osten, in dem die Gegensätze zwischen der Türkei und Griechenland, zwischen der arabischen Liga und Israel hinüberreichen bis zu den Kämpfen in Nordafrika. Westeuropa, das von England bis Schweden von einer Teuerungswelle überflutet wird, braucht Afrika ebensosehr als Rohstoffbasis, wie die USA Afrika als militärischen Stützpunkt brauchen. —Die dritte Front wird gegenwärtig in Südamerika aktiviert, wo Brasilien und Argentinien nicht zur Ruhe kommen, da beide mit dem Problem der Versorgung und Erziehung der Massen nicht fertig werden. Die vierte Front ist Asien: sie ist die, größte und wichtigste von allen. Die indischen Masse, ein Volk von Analphabeten, hat die russischen Staatsmänner begeistert begrüßt: als Brüder, als Helfer aus der Not. Die Inder haben keine Angst vor den Russen und den Chinesen, ihr Selbstvertrauen ist für den Europäer off fast unfaßbar; so unbegreiflich wie ihre Leidensfähigkeit. Also erwartet das indische Volk von Sowjefrußland Brot und Wirtschaftshilfe, die Chruschtschow denn auch reichlich zugesagt hat. Es ist an den Amerikanern, ruhiges Blut zu bewahren und die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind: In Indien besitzt die freie Welt eine einzigartige Möglichkeif, sich zu bewähren oder zu versagen. Wenn es der freien Wirtschaft des Westens gelingt, Indiens Wirtschaft aufzubauen und seine Massen aus Krankheit und Elend herauszuführen, wird der indische Raum ein Gewicht in Asien darstellen, wie es ihm jetzt nur seine ehrgeizigen Führer zudenken, gleichstark neben China und Rußland. Nehru wagte viel, als er Chruschtschow und Bulganin im Triumphzug durch Indien geleiten ließ. Nehru vertraut auf die Mentalität seines Volkes, auf die Tradition der Gewaltlosigkeif. Die Unruhen in Bombay und anderen Städten zeigten ihm und der ganzen Welt gleichzeitig, daß kein Volk heute gefeit ist von Verführung zur Gewalttat. Nehru ist kein Kommunist; er und die freiheitliche Presse Indiens haben denn auch aggresive Redewendungen der sowjetischen Staafsführer während ihres Besuches in Indien gegen den Westen entschieden zurückgewiesen, und Nehru hat in einem langen Glückwunschtelegramm Präsident Eisenhower zur Genesung gratuliert. Diese Einladung scheint in den USA verstanden worden zu sein; sie besagt: sendet uns nichf Waffen, sondern Wirtschaftshilfe. Die Umstellung des amerikanischen Hilfsprogramms von Waffenlieferungen und Militärpakten auf eine großzügige, weifplanende Wirtschaftshilfe für die unterentwickelten Staaten kann allein Asien aus einem Schauplatz kalter und heißer Kriege in einen Raum verwandeln, in dem für Jahrzehnte hinaus Ost und West im Konkurrenzkampf zeigen können, was sie zu geben vermögen: Freiheit und Brot oder Brot ohne Freiheit oder Brot und eine geminderte Freiheit. — Wenn die USA sich zu einer grofuügigcn ökonomischen Aktion in Indien aufraffen würden, wäre das zugleich die beste Chance, positiv auf einen Partner einzuwirken, der mit höchster Aufmerksamkeit den sowjetischen Besuch in Indien verfolgt hat: Rotchina.

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