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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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FAHRT NACH UTOPIA! Die Kosten der Lebenshaltung können steuerlich nicht abgesetzt werden. Käme es dazu, wäre bei den gegebenen Anforderungen, die alle Gruppen an den Staat stellen, ein finanzielles Chaos die Folge. Derzeit ist man dabei, weil man für die Zeit nach der Wahl im .Geschäft bleiben“ will, vom Parlament aus einer Schicht von Randwählern zu imponieren und ihnen zu versprechen, man würde für eine Reduktion der Einkommensteuer um die Kosten der Lebenshaltung eintreten. Einer anderen Wählerschicht, die man nicht vergrämen will, verspricht man — zum Ausgleich — Alterspensionen ebenfalls aus dem Staatssäckel. Freilich nicht jetzt, sondern nach dem .Endsieg“, der ja ohnedies keine selbständigen Gewerbetreibenden übriglassen würde. Wenn ein kleiner Handelsschüler nicht weih, daß man, um eine Bilanz in „Balance“ zu halten, einen Posten auf einer Seile de' Waage nur herausnehmen darf, wenn man auf der anderen Seite einen gleich grofjen Posten hinzugibt, würde er mit Schimpf und Schande vom Katheder herunter müssen. Volksvertreter, die es besser wissen mühten, können es sich aber leisten, ein gemeinsam beschlossenes Budget derart nachträglich zu bereinigen, daß man auf der Einnahmense.ife eine Milliarde wegnimmt und auf der Ausgabenseife zum .Ausgleich“ eine Milliarde hinzugibt. Dies alles nur, um, wie ein Jahrmarktbudenbesitzer, der seine Ware an die gaffende Menge offeriert, die Ware „Partei X“ der geneigten Wählerschaff anzubieten, jener Wählerschaft, über deren Köpfe hinweg man ohnedies nach de' Wahl entscheidet, wie dies bei den Sfraßenbahn-farifen geschehen isf. Damit man ja nicht nachsteht, wird auf der Unfernehmerseite wieder verlangt, dalj die Gemeinden einen Teil der Gewerbesteuer hergeben, um eine Altersversicherung zu finanzieren, ohne zu bedenken, dah es gerade die Gefährdung des Budgets ist, welche nicht nur die Altersversicherung der Unternehmer, sondern in der gegebenen weltpolitischen Situation die ökonomische Existenz eben jener Unternehmer gefährden kann, d'o jetzt in einem nicht ganz begreiflichen Hochmut Ultimaten stellen. Dabei isf es so, dah, wie in einem Karfell der schlechteste Unternehmer hochwillkommen isf, weil er bei gleichem Preis den besseren Unternehmern Renten verschafft, die kleinen Unternehmer als Beweis dafür herhalfen müssen, dah flugs und noch vor der Wahl hunderte Millionen versprochen werden sollen. Man sollte meinen, dah gerade Menschen wie Politiker und Geschäftsleute, die der Wirklichkeif srt nahe sind, verstehen, was es bedeutet, das fiskalische Gteichqev/icht zu gefährden. Tatsächlich scheint aber so mancher, der sich als Fachmann oder als Führer von morgen offeriert, in seinem Denken derart von Sonderinteressen überwältigt zu sein, dah er bereit ist, sein Vaterland um einen billigen Effekt auf das Spiel zu setzen.

RUNENSPRACHE. Vor dem Tod senkl sich die Klinge. Das ist guter Soldatenbiauch und wir Journalisten halten es ähnlich. Deshalb zögerte zunächst auch die Feder vor diesen Zeilen. Doch da in ihnen kein Worf gegen Verstorbene, dafür aber einige über gewisse Hinterbliebene gesagt werden müssen, erfüllt sie wieder ihre Pflicht. Beinahe vergessen sind schon die Bemühungen des 1945 abgetretenen Systems, die Menschen ihrem Glauben zu entfremden. Reli-qiöse Zeremonien sollten durch „nordisches“ Brauchtum ersetzt werden, „völkische“ Symbole sollten an die Stelle der christlichen treten, die durch zwei Jahrtausende den Weg der Menschen von der Wiege bis zum Grabe begleitet halfen. Die heidnisch-germanische Runensprache wurde neu entdeckt . .. Die Lebensrune zeigte die Geburf eines „dem Führer geschenkten“ Kindes an, und das Kreuz wurde so manchem, der seinen letzten Gang antraf, verweigert und durch die nach abwärts gekehrte Todesrune ersetzt. So hielt man es als „gottqläubia“, welches das dem Regime genehme Glaubensbekenntnis war. 1945 verschwand neben anderem auch dieser Spuk — auf Nimmerwiedersehen! Ja, so glaubte man es mehr als zehn Jahre. In letzfer Zeit aber kann man in verschiedenen österreichischen Zeitungen, da und dort, Parten lesen, die — wie einst im „Völkischen Beobachter“ — im Zeichen der Todesrune stehen. Es muh aber noch mehr befremden, wenn in einem angesehenen Salzburger Blatt diese neuheidnische Symbolsprache Eingang findet, an dessen Soitze und in dessen Redaktion namhafte Katholiken wirken.

DON GNOCCHI GAB DAS BEISPIEL. Weit über die Grenzen Italiens und Europas drinqt der Name des bescheidenen Priesters Don Carlo G n o c c h i, der mit seinem Beispiel einem Werk der Menschenliebe Kraft' und Wachstum verlieh. Im Kriege war er freiwilliger Geistlicher bei den Alpini und begleitete seine Truppe nach Ruhland. Zurückgekehrt, sammelte er die kleinen, vom Krieg Versehrten um sich — verslümmelte Kinder, off ihrer Eltern und ihres Heims beraubt, später auch die von Kinderlähmung Befallenen, schließlich die unehelichen und versfofjenen Negerkinder aus der Besalzungszeit. Ihnen allen schenkte er eine bergende Heimstaft und sein wärmende'; Herz. Diese Mutilcfini“ die kleinen Verstümmelten, aewannen neuen Mut und wurden mit Don Gnocchis Hilfe wieder ins praktische Leben eingegliedert. Als Don Gnocchi im Sterben lag, tat er noch ein letztes gutes Werk: er vermachte seine Augen zwei blinden Kindern, Das Beispiel zündete. Am 5. März 1956 wurde in Rom beim Istituto di Medicina legale del l'Universifä die „italienische Vereinigung der Augenspender“ ins Leben gerufen, der bereits 200 Angehörige aller Berufe — an der Spitze bedeutende Aerzfe, Juristen und Parlamentarier — als Mitglieder beitraten. Den Sinn und die Tragweite dieser Gründung der „Augenspender“ drückte eine Frau aus dem Volke, Angela Todini, aus, indem sie ihren Beitritt mit wenigen Worten begründete: „Ich will, dah meine Augen auch nach meinem Tode weiterleben und so den armen Blinden Licht und Daseinsfreude geb^nl“ Kein Zweifel, der vor wenigen Tagen dreiund-fünfzigjährig an Magenkrebs Dahingegangene hat mif der Hergabe seiner Augen den Anstoß zu dieser bemerkenswerten Vereinigung gegeben. Weitere zahlreiche Beitritte werden erwarte). Alle Mitglieder sind bereit, sofort nach ihrem Tod ihre Augen zur Verpflanzung der Hornhaut zur Verfügung zu stellen.

So dürfen viele bislang im Dunkel Lebende sich der Hoffnung hingeben, eines Tages wieder das Licht ihrer sonnigen Heimat zu erschauen. Trotz der Fortschritte der Medizin läßt sich die Möglichkeil nur in den seltensten Fällen, nämlich im geheimen, verwirklichen. Denn das italienische Strafgesetzbuch verbot und verbietet wegen des früher nicht einwandfrei festzustellenden Todes (Scheintod!) jegliche Eingriffe in den menschlichen Organismus auf die Dauer von 24 Stunden nach dem mutmaßlichen Tod. Heute aber ist diese Möglichkeif der Kontrolle vermittels des Kardiogramms gegeben. Deshalb hat das Gesetz in dieser Form seinen Sinn verloren. Eine dem Parlament vorbehaltene, seit langem geplante Reform gewinnt nunmehr Gesfalf. Führende Aerzfe und Juristen setzen sich dafür ein.

DIE ENTLASSUNG DES GENERALS GLUBB PASCHA, des in England zu einer fast legendären Gestalt gewordenen Kommandierenden der Arabischen Legion, und besonders die mehr als brüske Form, in der seine Verabschiedung erfolqfe, hat die englische OeffentÜchkeit wie ein Blitz aus heiterem Himmel gelrolfen. Durchaus begreiflich; galt doch der General mif der von ihm organisierten und geführten Truppe,der einzigen gut ausgebildeten und ausgerüsteten Streitmacht, die ein arabischer Staat besitzt, dem englischen „Mann auf der Strohe“ noch immer als ein sicherer Garant der britischen Vorherrschaft in Jordanien und des britischen Einflusses im gesamten arabischen Raum. Schwer verständlich hingegen ist es, daß auch die britische Regierung von dem Vorgehen des jugendlichen, in England erzogenen Königs Hussein völlig überrascht werden konnte. Im übrigen bedurfte es keineswegs der geheimdienstlichen Informationen, wie sie den Regierenden in Whitehall zur Verfügung stehen, um zu erkennen, welche Wirkung allein schon die Räumung der Suezkanalzone nach sich gezogen hatte. Der schwere Prestigeverlust, den Großbritannien damals in den Augen der arabischen Welt erlitt, hat dem Selbstbewußtsein, dem nationalen Chauvinismus und der latenten Englandfeindlichkeit nicht allein der in Aegypten herrschenden Junta einen mächtigen Auftrieb gegeben; bis ins letzte Beduinenlager verbriefe sich, zugleich mit dem Schwinden der Furcht vor dem britischen Löwen und gewiß nicht ohne Mitwirkung östlicher Agenten, ein wachsender Widerwille gegen jede weitere Abhängigkeif auch von britischer Hilfe und Unterstützung, deren Motive ja doch nur „kolonial-imperialistischer“ Natur sein konnten. Die Arabische Legion, von Glubb Pascha und seinen britischen Stabsoffizieren befehligt und für die Erhaltung des Friedens bestimmt, stand den arabischen Revanchegeliisfen gegenüber Israel im Wege; deshalb vor allem mußte der General beseitigt und die Legion dem britischen Einflufj entzogen werden. Die weiteren Folgen sind noch nicht abzusehen, aber etwas ist sicher: das. Ansehen Großbritanniens urd der Westmächfe überhaupt hat einen neuen Schlag erlitten und die Chancen für eine Stabilisierung der Lage im arabischen Raum sind noch um einiges rweifelhoffer geworden.

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