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RANDBEMERKUNGEN zur woche

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LANGSAM WIRD ES ERNST. Die Beratungen zwischen der Oesterreichischen Volkspartei und der Sozialistischen Partei Oesterreichs sind in ein entscheidendes Stadium getreten. Die ersten Uebereinstimmungen wurden bereits erzielt und

— soweit man es bei Redaktionsschluß beurteilen kann — zeichnen sich auch bereits aus dem Dunst der Verhandlungen, aus mancherlei Kombinationen und zweckgesteuerten „Personalnachrichten“ die Konturen der neuen Bundesregierung ab. „Die Furche“ hat sich in diesen Wochen bewußt am großen Rätselraten nicht beteiligt, sie möchte sich auch diesmal noch gedulden. Sie weif) Männer am Werk, die sich

— so hoffen wir — bei allen Aussprachen und Verhandlungen stets vor Augen halten, daß jetzt die Weichen gestellt werden. Daher ist es besser, zehn oder vierzehn Tage länger zähe, schwierige Gespräche zu führen, als Jahre später an den Folgen eines allzu eilig abgeschlossenen Pakfes zu laborieren. Wir haben dies bereits erlebt. 1949 und später.

UND WAS BLEIBT! Diese Gewissensfrage nach jeder Arbeitstagung und jedem Kongreß ziemt sich auch für die Veranstalter der „3. Tagung katholischer Publizisten aus Deutschland und Oesterreich“, nun da ihre Gäste wieder Wien verlassen haben. Die Antwort wird leichter zu finden sein, wenn man die Erwartungen kennt, die die einladende Arbeitsgemeinschaft katholischer Journalisten Oesterreichs an dieses Treffen knüpfte. Da war zunächst das Thema „Der katholische Publizist und die schweigende Kirche“. An Hand von sich ergänzenden Referaten, aufsteigend von der Philosophie und Theorie bis zur praktischen Nutzanwendung in der journalistischen Tagesarbeit, galt es, die Veranfwortung eben des katholischen Publizisten gegenüber der gerade Wien so nahen und doch so weifen schweigenden Kirche zu schärfen. Das war das Hauptanliegen und keineswegs, wie mitunter von außenstehenden Beobachtern erwartet wurde, eine Art geistiger Vergatterung, eine Befehlsausgabe für die weitere einschlägige Arbeit. Solche Interpretationen konnten nur aus der Unkenntnis katholischer journalistischer Arbeit heraus überhaupt laut werden. Unmöglich isf es, auf diesem gedrängten Raum die Gedanken und Anregungen der Referenten auch nur 'm Auszug wiederzugeben. Am besten ist dies noch Generaldirektor Karl M. Sfepan in seinem zusammenfassenden Schlußwort gelungen, in dem er die letzten Endes aus allen Referaten herauszuhörende These formulierte: „Koexistenz der Weltanschauungen: nein — Koexistenz der Menschen: ja.“ Die Arbeitsgemeinschaft katholischer Journalisten Oesterreichs gibt aber offen zu, dafj es ihr bei ihrer Einladung an ihre Kollegen hauptsächlich aus der Deutschen Bundesrepublik nach Wien auch noch um etwas anderes ging als um die gemeinsame Beratung des eben erwähnten bedeutsamen Themas. Es galt, Wien und das Oesterreich von heute unseren Gästen vorzustellen. Viele derselben kannten Wien bisher nur vom Hörensagen, andere hatten vor Jahrzehnten unter ganz anderen Voraussetzungen die Bundeshauptstadt das letztemal betreten. Welche Eindrücke sich in den knappen Tagen und Stunden zusammendrängten, das werden wir vielleicht in Wort und Schrift von unseren nun in ihre Heimat zurückgekehrten Gästen noch erfahren. Allein die Begegnung mit dem Bundeskanzler auf dem Ballhausplatz, die Konfrontation mit einem nicht immer bekannten, aber dafür um so echteren Stück Oesterreich, wie es die vielfach überraschten Gäste im Burgenland mit seinen nationalen Minderheiten erlebten, mag weiterwirken. Auch dann, wenn es nicht so starke persönliche Erinnerungen weckte, wie in dem Herausgeber des „Hochlands“ und Mitherausgeber der „Süddeutschen Zeitung“ Franz Josef Schöning h, die dieser in einem das Format üblicher Tischreden sprengenden Bekenntnis zum Ausdruck brachte. Und was bleibt? Zum driften und letzten der Wille, die Begegnungen zwischen deutschen und österreichischen katholischen Publizisten, die heute kein Teil mehr missen möchte, fortzusetzen. Für 1958 liegt bereits eine mit Dank angenommene Einladung der Gesellschaft katholischer Publizisten Deutschlands an die österreichischen Kollegen vor.

DER GAST AUS MOSKAU. Einer aus der höchsten Moskauer Parfeiprominenz, M. A. S u s I o w, Mitglied des Präsidiums der sowjetischen Kommunistischen Partei, verbrachte die vergangene Woche in Ungarn. Es war eine Urlaubsreise, hieß es. Aber der Tag, an dem sein Flugzeug neben Budapest landete, wurde von vielen als Lostag für Ungarn gedeutet. Damals waren die Verhandlungen zwischen dem jugoslawischen Staatschef und den sowjetischen Führern in Moskau gerade angelauten. Man folgerte also, Tito hatte da allsogleich seine Wunschlisfe präsentiert, auf der, wie dies aus Belgrader Zeitungskommentaren der letzten Zeit zu entnehmen war, die Entfernung des ungarischen Kommunistenführers Rakosi unbedingt aufscheinen mußte. Was liegt also näher, als daß Genosse Suslow gekommen war, um Rakosi die seidene Schnur zu überbringen? Indessen hörte man aus Budapest oder aus Moskau nichts, was diese Annahme bestätigt hätte. Der russische Gast besuchte gleich nach seiner Ankunfl Rakosi. Später unternahm er eine Besichfigungs-reise durch Fabriken und Kolchosen, wobei er bei den reichlich gedeckten Tischen, zwischen Gulaschschüsseln und Weinflaschen — laut Zeitungsphotographien — den breit lächelnden Rakosi immer neben sich hafte. Er fuhr schließlich ab. Es wäre selbstverständlich voreilig, aus diesen Episoden auf die Position Rakosis endgültige Schlüsse zu ziehen. Es ist aber möglich, daß der Besuch Suslows während der Rußlandreise der Jugoslawen eine Demonstration für Rakosi war, und man sollte es nicht für so sicher halfen, daß die Russen nunmehr Tito zuliebe ihre bewährfesten Statthalter auf so wichtigen Abschnitten ihrer Interessensphäre, wie Ungarn, so schnell opfern. Zuerst oder gleichzeitig müßten sie dann einen anderen Wunsch Titos erfüllen, der sich auf unmittelbar reale, weithin sichtbare Erscheinungen bezieht, während die weitere Existenz eines „demokratisierten“, des „Personenkultes“ beraubten Rakosis in der Tat kaum mehr als eine reine Prestigefrage für den stolzen jugoslawischen Marschall sein kann, die er vielleicht gelegentlich noch einhandeln würde. Die erwähnte Realität isf aber die Anwesenheit starker sowjetischer Militäreinheiten an der Sudgrenze Ungarns und ebenso an der Westgrenze Rumäniens. In kleinen ungarischen Sfädfen, die vor 1945 in Friedenszeifen nie einen Soldaten gesehen haben, liegen jetzt starke Einheiten, unter ihnen Pioniere und Truppen mit amphibischen Fahrzeugen, die anläßlich der Ueberschwemmungskatastrophe an der unleren ungarischen Donau in diesem Frühjahr durch ihre Reftungstätigkeit vielfach in Erscheinung getreten waren. Allerdings :st die Frage, ob Rakosi und die sowjetischen Truppen in Ungarn bleiben oder nicht, eine wichtige Testtrage, die in Moskau sicherlich im Rahmen weltweiter Zusammenhänge, beurteilt werden wird.

AMERICAN WAY OF LIFE! Die furchterregende Möglichkeit, daß sich der Oberste Bundesgerichtshof der USA gegen den Widerstand der südsfaaflichen Rassenfrennungsfanatiker schließlich doch durchsetzen könnte, hat einen Mister Vinson, Mitglied des Repräsentantenhauses, nicht ruhen lassen, bis er auf ein geniales und dabei doch höchst einfaches Mittel verfiel, um eine solche Gefahr verläßlich auszuschließen. Er hat den Entwurf eines Gesetzes eingebracht, welches den bundesstaatlichen Gerichtshöfen kurzerhand untersagen würde, Entscheidungen umzustoßen, die bereits seit fünfzig oder mehr Jahren in Geltung stehen; sollten sie solches unternehmen wollen, dann müßten sie vorher in jedem einzelnen Fall erst die Genehmigung des Kongresses einholen. Aber nicht genug an dem. Nach Ansicht des Antragstellers müßte die ,lex Vinson“ bis zum 1. Jänner 1954 rückwirkend sein; zu dem Zweck natürlich, um das oberstgerichtliche Verdikt, welches die in den meisten südstaaflichen Schulen und Hochschulen praktizierte Rassentrennung als verfassungswidrig erklärte, außer Kraft zu setzen und aufzuheben. Man könnte Mr. Vinsons Vorschlag als einen schlechten Witz betrachten, läge nicht Grund genug vor, zu befürchten, daß erhebliche Teile des amerikanischen Volkes ihn durchaus in Ordnung, ja begrüßenswert finden, und nicht erfassen, was der da versuchte Anschlag auf fundamentalste Rechtsbegriffe bedeutet. Ein wesentlicher Bestandteil des „American way of life“, der amerikanischen Auffassung des staatlichen wie des persönlichen Lebens, war bisher, dessen glaubte man sicher zu sein, das unbedingte Festhalten an der demokratisch-klassischen Trennung der Gewalten, der strengen Scheidung zwischen den Sphären der Legislative, der Exekutive und der Judikatur. Isf der Bestand dieser Trennungslinien einmal in Frage gestellt, oder werden sie gar durchbrochen, dann isf der erste Schrift gefan a'uf dem Wege, der unter der verhängnisvoll trügerischen Devise „Recht ist, was dem Volke nützt“ in den Abgrund eines Rechtschaos führt; mit den Folgen, die uns in der Gestalt des Tofalitarismus verschiedensfer Prägung drohend vor Augen steht.

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