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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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OHNE REISEPASS! Maßgebende Stellen des Innenministeriums prüfen zur Zeit die Aufhebung des Reisepaßzwanges nach den Ländern der OEEC. Diese Nachricht ging vor kurzem durch beinahe alle Tageszeitungen. Nicht wenige klatschten dieser Nachricht Beifall. Die idyllische Vision der Welt von 1913 wurde beschworen, in der man, mit dem nötigen Kleingeld ausgerüstet, quer durch Europa reisen konnte. Nur für das Reich des Zaren aller Reußen war ein solches Dokument notwendig ... So lieblich dieses Stilleben ist, es gehört der Vergangenheit an. Unwiderruflich. Auch der fehlende Reisepaß in der Tasche bringt sie nicht zurück. Deshalb sei hier wieder einmal eine auf den ersten Blick recht unpopuläre Stellungnahme bezogen und f ü r die uneingeschränkte Beibehaltung des Reisepasses eingetreten. Jawohl: gegen alle Beschränkungen des freizügigen Reisens durch Visa, aber für den Reisepaß. Dieser hat noch niemandem die Rocklasche unnötig beschwert, sondern war als international anerkanntes Per-sonaldokumenf manchmal willkommen. Nicht zu vergessen auch die vermehrte Unsicherheit durch Ausländer, denen man im Zweifelsfall an den treuherzigen Augen ablesen muß, ob sie harmlose Touristen sind. Und noch ein Drittes: jene Zeitungen, die eben mit beinahe kindlicher Freude den Nachrichten über die Ueberprüfung der Aufhebung des Paßzwanges für gewisse Lärider Beifall geklatscht haben, schreiben in der nächsten Zeile, daß man dann natürlich auch an die Einführung eines „einheitlichen, behördlichen Lichfbildausweises“ denken müßte. Da haben wir den Pferdefuß. .. Steht uns ein neues Tohuwabohu wie nach der Ungültigerklärung der viersprachigen I-Ausweise bevor? Außerdem müßten d:e einfachen Staatsbürger dann auswendig lernen, in welche Länder mit paß und in welche ohne. Peinlich würde sich manche Vergeßlichkeit an irgendeinem Grenzschranken rächen. Also seien wir einmal „unpopulär“, aber praktisch: bleiben wir bei unserem rosavioletten Büchlein mit dem Staatswappen — beim Reisepaß.

ROTWEISSROT AUF DER PLAKATWAND. Der

Staatsbürger verhält seinen Schritt. Ein großes Plakat fesselt seine Aufmerksamkeit. „Dank und Bitte“ steht hier in dicken schwarzen Lettern und rund herum das Rotweißrot Oesterreichs. Dank und Bitte? Wendet sich mit diesem Anschlag der Bundespräsident an das Volk von Oesterreich? Dankt er ihm für die Anteilnahme während seiner vergangenen schweren Erkrankung, bittet er um weiteres Gedenken? Keineswegs. Wendet sich vielleicht die Bundesregierung an die jungen Wehrpflichtigen mit einem aufmunternden Wort? Mitnichten. Die Aussteller der ehemaligen Börse wenden sich auf diese Weise an die Oeffentlichkeit. . . Bei allen Sym-paihien finden wir diese Idee nicht gerade glücklich. Freilich: es gibt kein Gesetz außer dem guten Geschmack, das die Symbole und Farben unseres Staates dem Bundespräsidenten und der Regierung vorbehält. Der Anlaß ist gegeben, daran zu erinnern, daß hier eine Lücke zu schließen ist.

KEIN ENDE IN ZYPERN. Als man die Waffen-siillsfandsbedingungen erfuhr, die Sir John Har-ding durch Flugzettel, die überall auf der Mittelmeerinsel verteilt oder ausgestreut wurden, der griechisch-zyprischen Untergrundbewegung EOKA bekanntgeben ließ, war sofort klar, daß diese von den nationalstolzen, fanatisch freiheitsliebenden Widerstandskämpfern niemals akzeptiert werden konnten. Schon daß sie einen Waffenstillstand, ja eine Einstellung ihrer Tätigkeif angeboten hatten, um Verhandlungen über den künftigen Status Zyperns zu ermöglichen, kam vielen überraschend und schien zunächst als Bestätigung der festen Politik des britischen Gouverneurs, der sich früher schon in Singapur bewährt hatte und mit der Mau-Mau-Bewegung fertig geworden war. In einem Augenblick, da England alle seine Anstrengungen auf das Suez-Problem konzentrieren muß, wäre ihm wohl nichts willkommener gewesen, als den Rücken frei zu haben und ohne die Hypothek eines revoltierenden Zypern Nasser und der arabischen Welt entgegentreten zu können. Man hätte also annehmen dürfen, daß der britische Gouverneur alle Schritte unternehmen würde, die auf Zypern herrschende Atmosphäre des Hasses, Mißtrauens und nationaler Sentimenfs zu entgiften; ja, eine in Aussicht gestellte Rückkohr des ins Exil verbrachten griechisch-orlhodoxen Erzbischofs Makarios — den man nun als Hauptschuldigen der Unruhen hinstellen möchte — hätte die Anhänger der EOKA ohne Zweifel längere Zeit bewogen, Ruhe zu halfen. Der juridisch gerechtfertigte, politisch aber höchst unglückliche Uebergabeappell Hardmgs, der praktisch auf eine bedingungslose Kapitulation der Rebellen hinauslief, hat die Lage neuerlich verschärf). In einem wieder für die Engländer unannehmbaren Ultimatum drohte Digennis, der Führer der aufständischen Griechen, damit, daß „weiteres englisches Blut, und zwar diesmal eine ganze Menge Blut“ fließen werde, wenn nicht unverzüglich Verhandlungen über die Selbstregierung Zyperns — die später zur völligen Unabhängigkeit und Selbstbestimmung erweitert werden soll — aufgenommen werden. Schon hört man von einer neuen, noch radikaleren Untergrundorganisation und von einem Wiederaufleben der Sabotage- und Terrorakte. Es wird vieler Phantasie und eines gänzlich neuen Konzepts seitens Großbritanniens bedürfen, wenn es will, daß wieder Friede und Ordnung auf der leidgeprüften „Insel Aphrodifes“ einkehrt. Im Hinblick auf die kommende Auseinandersetzung mit Aegypten würde eine solche Befriedung auch moralisch eine nicht zu unterschätzende Rückendeckung bedeuten.

MAUERN UND WACHE. Die hohen Parteifunktionäre und die Minister wohnen hinter hohen Gartenmauern. Außerhalb der Mauern stehen Soldaten der Politischen Polizei mit Gewehr in der Hand. Man wagt es nicht, sie anzusprechen und zu fragen, wer hinter diesen Mauern in den großen Parks wohnt. Wenn die Diener des Staates nicht in ihren Villen auf dem Budapester Schwabenberg (der, seitdem sie dort wohnen, offiziell Freiheitsberg heißt), sondern auf Urlaub am Plattensee sind, ist es auch dort dasselbe: Mauern und Wache. Die Familienangehörigen dieser Leule kaufen in besonderen, für sie reservierten Geschäftslokalen ein, und es gibt Schneider, die nur für sie arbeiten. Die Kinder gehen nicht in öffentliche Schulen — obwohl früher sogar die Kinder des Erzherzog Jozsef Ferenc in die öffentliche Schule gegangen sind. Seif den letzten Beschlüssen der Partei, die mit den letzten Resfen des Personenkults aufräumen sollten, sah man „bereits zweimal“ auf der Budapester Ringstraße hohe Parteiführer Spazierengehen. Beide Male waren ihnen diskref Autos mit verhängten Fenstern nachgerollf. Der Artikel, in dem all das zu lesen war, steht in der letzten Nummer der Budapesfer „Irodalmi Ujsag“ und fragt den Tifel „Heikle Fragen“.

Diese Zeitung erscheint wöchentlich einmal in dreifjicjjausend Exemplaren und ist, seitdem sie vor allen anderen ungarischen Zeitungen am mutigsten zu „heiklen Fragen“ Stellung nimmt, jedesmal schon frühzeitig ausverkauft. Der Herausgeber beklagf die zu niedrige Auflagenziffer. Das Zentralkomifee der Parfei sollte das Papierkontingent erhöhen. Das hiehe aber, dafj man von dem Prinzip, dem Druck von unten nur schrittweise und zögernd nachzugeben, abgeht. Damit ist vorderhand nicht zu rechnen. Es ist wichtig, auch bei diesem und bei jedem Anlafj immer wieder darauf hinzuweisen, welche immense, weltweite Folgen das Phänomen der „Kritik von unten“, wie es in den kommunistischen Staaten heute beobachtet werden kann, haben wird. Der Zeitungsleser, der Samstag an der Budapester Strafjenecke Schlange steht, um zu einer „Irodalmi Ujsag“ zu kommen, haf eine bestimmte, vielleicht nicht in allem, aber im wesentlichen doch richtige Vorstellung von den Spielregeln der Demokratie. Es ist etwas Wunderbares daran, dar} Völker, die bisher nur Kümmerformen der Demokratie erlebt haben, sich auf einmal auf den Unterschied zwischen Erscheinungen der wahren Auforitäf und der substanzlosen, unverdienten Macht besinnen. Niemand mehr kann sich heute diesem elementaren Zug der Zeit entziehen.

In unserem Schaufenster

(in der Passage) finden Sie:

Rudolf Henz

Das Land der singenden Hügel

Roman, 344 Seifen, Leinen, S 68.— Die Erlebnisse eines Funkreporters in fernen Landen dienen dem Dichter zum Anlaß für seine fesselnde Abrechnung mit den Mächten der Zeit: dem „Humanismus ohne Gott“, der „seelenlosen Technik des Apparates“ und der sektiererischen Gnosis.

Nicola Lisi

Erde, preise den Herrn

Chronik eines Dorfpfarrers 248 Seilen, Leinen, S 42__

Wenn der franziskanische Don Antonio auch nicht pointiert schreibt, seine Aufzeichnungen haben Pointen, die so leise aufspringen wie Fruchtkapseln seiner geliebten Blumen. Wer könnte so schnell das Erlebnis mit dem Schmetterling vergessen? Don Antonio ist ein Hirf auf dem Felde, dem neben der großen Freude auch die kleinen Freuden verkündet sind.

Maria Veronika Rubatscher Der Lusenberger

Roman eines Künstlerlebens 230 Seiten, Leinen, illustriert, S 48.— Man spricht viel davon, Kunst ins Volk zu tragen. Kein Werk kann solch große Aufgabe schöner erfüllen als dieses Buch. Es ist vom Leben eingegeben und vom heiligen Geist wahrer Kunstergriffenheit beseelt.

Francis Stuart Das Lächeln

Roman, 344 Seiten, Leinen, S 61.—

Ein Mann kehrt in das pharisäische Dasein seiner verschonten Heimat zurück. Seine Berichte aus dem Kriege lösen das latente Laster aus. Der Liebe zweier Frauen und der weisen Güte eines Priesfers geling! es schließlich, das Böse zu überwinden.

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