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RANDBEMERKUNGEN zur woche

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NUR SO WEITER! Wenig erfreut waren die Wiener Hausfrauen, als sie am Montag feststellen mußten, daß die neuen Brotpreise diverse andere mit in die Höhe gezogen hatten. Eierteigware zum Beispiel kostet jetzt pro Kilogramm 13 S statt 11.80 S, Semmelbrösel sind pro Halbkilogrammpackung von 4.80 S auf 5.50 S gestiegen, in der Vierfeikilogrammpackung sogar von 2.40 auf 2.90 S! Die einzige Grofjfirma Wiens, die Hefe erzeugt, hafte die Bäcker schon am Samstag davon verständigt, daß Hefe um 25 Prozent teurer geworden ist. Kein Wunder, wenn eine Brotfabrik ihre neuen Preislisten mit einem neuen Passus versah:

„Sämtliche Preise sind freibleibend, Lieferungen werden zu den am Liefertage geltenden Preisen berechnet.“ Womit auch schon für die Zukunft vorgesorgt wäre. — Ganz anders reagierte Vorarlberg auf die „braune Welle“. Die Vorarlberger Bäckerinnung beschloß, den Kilogrammwecken Schwarzbrot nicht zum amtlich festgesetzten Höchstpreis von 3.80 S, sondern lediglich zum Preis von 3.60 S zu verkaufen. Im weiteren wurde der Beschlufj gefaßt, daß in keiner Bäckerei Vorarlbergs die Preise für Weißgroßbrot, Mischbrot und Feingebäck erhöht werden sollen. Dieser Beschlufj wurde allerdings an die Bedingung geknüpft, dafj die gegenwärtigen Preise für Mehl, Backhilfsmittel, für Kohle, Strom und die sonstigen Kalkulations-kosten gleichfalls keine Erhöhung erfahren. — Man sieht, es geht auch anders.

DIE GROSSEN ITALIENISCHEN ZEITUNGEN

haben sich nunmehr auch mit der Frage Südtirol beschäftigt und teilweise sogar in anerkennenswerter Weise zugegeben, dafj „so manches noch nicht in Ordnung sei“. So hat der Mai-'änder „Corriera della sera“ durch einen der bekannfesten italienischen Journalisten, Indro Monfanelli, anerkannt, dafj man ifalienischer-seifs psychologisch Fehler gemacht und eine“ „Vogelstraufjpolifik“ betrieben habe, indem man die Existenz einer Frage Südtirol rundweg abgelehnt habe. Die Zeitung „II Giorno“ hat durch einen hervorragenden Journalisten, Umberto Segre (er stammt aus altem Triestiner Geschlecht), ebenfalls darauf hingewiesen, dafj die Politik Italiens in der Südtiroler Frage im grofjen und ganzen verfehlt sei. Im „Tempo“ hat der bekannte Schriftsteller Curzio Malaparfe den Vogel abgeschossen, indem er behauptete, an den ganzen Differenzen seien die 50.800 Südfiroler schuld, die von der italienischen Regierung wieder die italienische Staatsbürgerschaft erhalfen hätten. Das Innenministerium sollte streng gegen jene Beamten und Polizisten vorgehen, die noch Rückstände faschistischer Mentalität zeigen und in Südlirol nicht Süditaliener, sondern nur Norditaliener beschäftigen, da diese den Südtirolern weit näher stehen. Malaparte sieht nicht ein, warum die deutschsprachige Minderheit, die an die österreichische Verwaltung als die beste der Welt gewohnt war, die „antiquierte und feudale“ Verwaltung Italiens, die unstreitig die schlechteste aller europäischen Kulturländer sei, nichf kritisieren solle. — Aus diesen ernst zu nehmenden Vorhalten kann man die Meinung weiter italienischer Kreise herauslesen, dafj die italienische Polifik in Südtirol nichf Zustimmung finde). Man wendet sich vor allem gegen den immer wieder wiederholten offiziellen italienischen Regierungsstandpunkt, nach dem es eine Südtiroler Frage überhaupt gar nicht gebe. Diese Einsichten verstärken zugleich die Aussichten auf eine gründliche Bereinigung der längst fälligen Angelegenheit, an der alle Beteiligten gleichermaßen interessiert sind.

NICHT: WIE DIE ALTEN SUNGEN. Man hat die Rafsversammlung der „World Assembly of Youth“ („Weltversammlung der Jugend“), die in West-Berlin tagte, verschiedentlich als die „Vereinten Nationen der Jugend“ bezeichnet. Das stimmt zwar nicht ganz, da dieser Weltjugendorganisation der kommunistische „Weltbund demokratischer Jugend“ (mit dem Sitz in Budapest) gegenübersteht, doch haben sich immerhin in der World Assembly of Youth rund 50 Millionen Jugendliche aus 65 Nationen der freien Welt zusammengefunden. Die 360 Delegierten dieser jungen Leute hatten sich für ihre Berliner Versammlung das Thema „Nationalismus in der Nachkriegswelt“ gestellt. Die jugendlichen Rafs-milglieder, von denen ein Teil in malerischen Kostümen ihrer asiatischen oder afrikanischen Heimat erschienen war, haben sich gegen den Nationalismus und gegen den Kommunismus ausgesprochen. Es mufj angenehm berühren, dafj ein Afrikaner — ein farbiger Student der Volkswirtschaff aus Französisch-Guinea, der zum Präsidenten der Organisation gewählt wurde — als Ergebnis der Aussprachen die Frkennfnis bezeichnete, dafj der übersteigerte Nationalismus heute weniger die europäischen Staaten als die Nationen Afrikas und Asiens zu befallen drohe.

Ueberhaupf haben sich bei dieser Weifversammlung der Jugend offenbar interessante Fronten herausgebildet, die der politischen Frontstellung der Eltern oft entgegengesetzt sind. So haben die Jugendvertrefer Frankreichs und Algeriens in einer Resolution gefordert, dafj in Algerien kein Blut mehr vergossen werden dürfe, und für eine baldige und friedliche Lösung der Zypernfrage sind gemeinsam die Vertreter Großbritanniens, Griechenlands und der Türkei eingetreten. Nun, schaden kann es gewifj nicht, wenn sich die Politiker von morgen — und das sind doch die Jungen von heute — lieber unter Mifjachfung der üblichen Schranken zusammenfinden, als dafj sie kritiklos in die oft blutigen Fußspuren ihrer Vorfahren freien.

JUDENTUM UNTER HAMMER UND SICHEL.

„Zu unserem Bedauern sind wir zu der traurigen Erkenntnis gelangt, dafj der Judenheif in der UdSSR ernste Gefahr des Unterganges droht.“ So haben zwei Mitglieder der Delegation des New-Yorker Rabbinerrales nach ihrem Besuch in der UdSSR auf der Rückreise in Paris der Presse berichtet. Es handelt sich um die beiden amerikanischen Rabbiner Morris Kerzer und David Golubinsky: sie erzählten, daß sie mit sowjetischen Staatsbeamten, mit religiösen Führern und mit einfachen jüdischen Sowjetbürgern aus den verschiedensten Berufen gesprochen und dabei festgestellt hätten, daß „trotz des Geredes der sowjetischen Behörden über Religionsfreiheit und trotz gewissen, auf diesem Gebiete gewährten Erleichterungen die Politik auch weiterhin eine Beschränkung und Abwürgung des jüdischen Lebens“ bezwecke. Interessante Einzelheiten der „Religionsfreiheit“, die die Rabbiner bemerken konnten: in Leningrad gibt es für 200.000 Juden — eine einzige Synagoge; in Moskau für 300.000 eine Synagoge und zwei kleine Betsäle! Keinerlei sonst übliche Gemeindeeinrichtungen existieren; keine jüdischreligiöse Presse; keine religiöse Literatur — nicht einmal so etwas wie ein Bulletin, wie es die orthodoxe Kirche verbreiten dürfe. Das seif langer Zeit versprochene Rabbinerseminar sei bis heute nichf eröffnet worden. Vom Leiter der Kulfurabfeilung in Moskau haben die amerikanischen Rabbiner erfahren, daß prinzipiell 20 Juden das Recht haben, eine eigene Synagoge zu besitzen, die aber nur für den Gottesdienst, nicht etwa für religiöse Erziehungszwecke zur Verfügung gestellt werden dürfe. Der sowjetischen Heuchelei entspricht es nicht minder, daß der sowjetische Botschafter in Israel dem dortigen Religionsminisferium eine Bestellung auf Lieferung von 1000 Stück rituellen Fruchten aus Israel (Lulawim und Efrogim) gemacht hat, die jeder Jude bei der kirchlichen Feier des Herbstfesfes in der Hand zu halfen pflegt: 1000 Stück — für die 500.000 Juden von Leningrad und Moskau allein!

SCHWARZE UND WEISSE SCHULEN. Der

Oberste Gerichtshof der USA erklärte vor einigen Monaten die Rassentrennung in den öffentlichen Schulen für verfassungswidrig und ordnete an, daß in diesem Herbst mit der Zusammenlegung der bisherigen „schwarzen“ und '„weißen“ Schulen begonnen werden müsse. Die Verwal-fungs- und Schulbehörden der Südstaaten haben diese Anordnung bis jetzt ignoriert, und infolge der immer noch patriarchalischen Gesellschaftsordnung in diesem Gebiet haben die dort ansässigen Neger auch nicht den geringsten Versuch unternommen, gegen die Weißen, die zumeist ihre Arbeitgeber sind, aufzubegehren. In den Randstaaten jedoch, in Texas, Tennessee und Kentucky, erschienen die farbigen Kinder am Tag der Einschreibung vor den bisher „weißen“ Schulgebäuden. Das Resultat: die Nationalgarde mußte aufgeboten werden, um Lynchaktionen zu verhindern, und in den wenigen Städten, wo mutige Schulmänner trotz un-verhüllfer Drohungen den gemischten Unterricht aufnahmen, boykottierten etwa zwei Drittel der Weißen die Schulen. Diese Reaktion einer während der Sommerferien aufgehetzten Menge konnte — wenn auch vielleicht nicht in dieser Heftigkeif — erwartet werden. Was hingegen befremdet, ist das Schweigen der amerikanischen Regierung und das Bemühen des Präsidenten Eisenhower, die Anordnungen des Obersten Gerichtshofes als eine Angelegenheit hinzustellen, die auf lokaler Basis gelöst werden müsse. Der Grund für diese Halfung liegt nur allzusehr auf der Hand: die Präsidentschaffswahlen stehen bevor und die republikanische Partei ist krampfhaft bemüht, die Wähler in den vielleicht entscheidenden Randstaafen nicht vor den Kopf zu stoßen. Die Angst vor einer möglichen Wahlniederlage Eisenhowers hat die politische Moral seiner Umgebung so tief sinken lassen, daß aus dem republikanischen Wahlprogramm ganz plötzlich der Passus gestrichen wurde, der versprach, daß man der farbigen Bevölkerung der USA wenn nötig mit Polizeigewalf zu ihren verfassungsmäßigen Rechten verhelfen werde. Dabei war es doch gerade ein Republikaner, der vor hundert Jahren in den Bürgerkrieg zog, um die Neger aus der Sklaverei zu befreien: Abraham Lincoln, als dessen großer Nachfolger Eisenhower von seiner Partei gepriesen wird.

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