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RANDBEMERKUNGEN zur woche

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NEBENGERÄUSCHE. Um es gleich zu sagen: wir haben uns den Verlauf der seit langem geplanten großen Südtirolkundgebung in Wien etwas anders vorgestellt. Ruhiger, klarer, wirkungsvoller! Statt dessen müssen wir uns heute die Frage vorlegen, ob die österreichische Regierung in ihrer Bemühung und Verpflichtung, die Lebensrechte des Südtiroler Volkes zu sichern, durch die Versammlung am Rathausplatz Unterstützung gefunden hat — oder ob ihre Stellung im Gespräch mit Rom erschwert worden ist. Als wir in der Vorwoche die Liste der ihre Teilnahme angemeldeten Verbände sahen, bemerkten wir neben politisch honetten Organisationen auch unter anderem die rechts-exfreme DNAP, den sogenannten Ring volkstreuer Verbände, den Bund deutscher Staatsbürger in Oesterreich und den Hilfsverein deutscher Staatsbürger in Oesterreich und andere, deren politische Couleur eindeutig ist. Angesichts des Herzensanliegens, welches Südtirol für alle Oesterreicher nun einmal darstellt, schwiegen wir, jedoch nichts Gutes ahnend. Wir mußten leider recht behalten. Die freilich alles anders als glücklich gewählten Worte des Bürgermeisters (sein Fraktionskollege aus Tirol gefiel sich dafür nachher, sozusagen als Ausgleich, in Tönen zu reden, die wir bisher nur von Herrn Sfüber gehört hatten) waren nur ein willkommener Antafj für jene „Volkstreuen“, die sonst keine politische Plattform haben, sich lautstark in Szene zu setzen. Um Jahre zu spät. Als „der “Gröfjte aller Deutschen“ durch sein berüchtigtes Aussiedlungsabkommen mit Mussolini den Todesstoß gegen das Südtiroler Volkstum führte, herrschte freilich peinliches Schweigen in heute als „volkstreu“ sich vorstellenden Kreisen. Darauf dürfen wir nicht vergessen. Die verantwortlichen Männer des „Aktionskomitees für Südtirol“ werden aber im Interesse des grofjen Anliegens gut tun, künftig Vorsorge zu treffen, dafj die ehrwürdige Melodie des Andreas-Hofer-Liedes nicht durch ungute Nebengeräusche gestört wird.

NEUlR MANN IM KABINETT. Das durch die Berufung Dr. Bocks in die Leitung des Handelsministeriums freigewordene Staatssekretariat im Finanzministerium ist nicht länger verwaist: Doktor Hermann W i t h a I m heifjt der neue Staatssekretär. Damit wird ein Politiker Kabinettsmitglied, der als Abgeordneter zum Nationalrat, in dem der in Wölkersdorf ansässige Notar den Wahlkreis des Viertels unter dem Manhartsberg vertritt, schon ^anche Aufmerksamkeit erweckt hat. Mehrmals schickte ihn seine Partei als Berichterstatter oder Generalredner auf die Tribüne. Aber auch sonst gewann das Wort des bekenntnisfreudigen Katholiken Gewicht. Doktor Withalm verkörpert — diesen Eindruck konnten wir durch wiederholte Gespräche mit dem neuen Staatssekretär gewinnen — einen Typ des Politikers, dem es nicht so sehr um die Vertretung von Gruppeninteressen als um die Verantwortung für das Staatsganze geht. Seine neue Autgabe, zu der vor allem die Abwicklung der als „Deutsches Eigentum“ bekannten Vermögenswerte gehört, gibt ihm Gelegenheit, das Recht mit den österreichischen Interessen in Einklang zu bringen.

VON DER SALZACH IN DIE DONAU. D a s

Forschungsinstitut für Fragen des Donauraums ruft, wie in den vergangenen Jahren, wieder zu seiner Herbstfagung. Sie steht diesmal unter einem besonderen Stern. Der entscheidende Sprung von der Salzach an die Donau wurde gewagt. Wien war der Tagungsorf, an dem zwischen 16. und 18. Oktober namhafte Vortragende und Gäste sich versammelten. Wenn auch, bedingt durch die schwierige Frage der Unterkunft, die Ueber-siedlung von Salzburg in die Bundeshauptstadt nur allmählich durchgeführt werden kann. So stellt die Herbstfagung 1957 im Wiener Brahmssaal der Gesellschaft der Musikfreunde doch eine wichtige Etappe des vom Gesandten a. D. Theodor Hornbostel geleiteten Instituts dar. Eine Art geistiger „Brückenkopf“ ist geschaffen; ihn gilt es in den kommenden Monaten und Jahren auszubauen. War es auch der Leitung des Instituts, dessen vornehmste Aufgabe es ist, durch Forschungen auf allen einschlägigen Wirtschaftszweigen einerseits, aber mehr noch durch die Vermittlung der Ergebnisse dieser Forschungen den Kontakt zwischen den Völkern des Donauraumes aufrechtzuerhalten und gerade der österreichischen Oeffentlichkeit ihre Verantwortung nicht vergessen zu lassen, von Anfang an klar, dafj zum ehesten Termin der Weg an die natürliche Heimstatt jedes Wirkens im Donauraum, eben nach Wien, gefunden werden müsse: so sollen die Jahre in Salzburg nicht gering geachtet werden. Vielleicht war es gut, dafj hier, mehr in der Stille, eine Arbeit eingeleitet wurde,die, will sie erfolgreich sein, auf einem soliden Fundament ruhen mufj.

AUS DEM MASSEN- INS EHRENGRAB. Kaum waren die geheimnisumwitterten Krimgespräche Marschall Titos mit den Sowjetpolitikern, welchen auch der auf Urlaub dort weilende ungarische KP-Sekretär Ernö Gero beigezogen wurde, zu Ende, begann in Ungarn eine neue, durch beispiellose Dramatik gekennzeichnete “Phase der „Wiedergutmachung“ und der „Rehabilitierung“, wobei kaum jemand heute sagen kann, womit diese Entwicklung noch endet. Der Herbstnachmittag, an dem unter einer grauen Wolkendecke, bei Windstöfjen, welkem Laub und Regenschauer vier einstmals, vor sieben Jahren, Hingerichtete mit militärischem Trauerpomp und vor den Augen von zweihunderf-tausend Arbeitern, die auf den Hauptwegen des Kerepesi-Friedhofes dichtgedrängt standen, zu Grabe getragen wurden, war Zeuge einer hochpolitischen Aktion, zu welcher sogar die anwesenden Witwen und Kinder der Rajk, Szönyi und Genossen ihr Einverständnis zu geben schienen. Alle waren da: der Mann der Zukunft, Imre Nagy, umarmte ostentativ die Witwe Laszlo Rajks, und dieses Bild lief einige Tage später durch die Wochenschau aller Budapester Kinos. Die anderen, Gesinnungsgenossen Rajks oder Nagys oder Verfechter anderer Richtungen innerhalb des grofjen Konglomerats „Sozialismus“ — bereits heute (oder noch heute) Politbüro- oder Regierungsmitglieder —, standen in dieser Stunde im Friedhof nebeneinander und schworen feierlich den Methoden der sfali-nistischen Zeit ab. Die seither vergangene Woche stand im Zeichen der Verhaftungen und Begräbnisse. Rakosi, der im Juli nunmehr end-, gültig, und zwar, wie man weifj, durch Anastas

Mikojan persönlich abgesetzte Parteichef und Diktator, verlief} damals, eskortiert von sowjetischen Offizieren, Budapest auf dem Luftwege. Von seinen engsten Mitarbeitern der eine, General Mihaly Fqrkas, Schöpfer der ungarischen Volksarmee und oberster Inspektor auch der politischen Polizei bis 1953, wurde jetzt auf Befehl der Staatsanwaltschaft verhaftet. Rakosis Wirtschaftsplaner und neben ihm Nr. 2, heute aber Nr, 1 in der Parteihierarchie, Ernö Gero, erhielt zunächst die Aufgabe, an der Spitze einer grofjen Parfeidele-gafion nach Belgrad zu fahren und dort feierlich für die Sünden der acht Jahre der Tito-Feindschaff Abbitte zu leisten. Der Sohn Farkas', mit Vornamen Wladimir, wurde mit anderen hohen Polizeioffizieren, die sich bei grausamen Verhören zur Zeit der grofjen politischen Prozesse besonders auszeichneten, verhaftet. Anders Verhaftungen werden vermutlich noch folgen. Inzwischen wurden Feldmarschalleutnants, Generalleutnants und solche hohe Polizeioffiziere, die durch die vorhin Genannten zu Tode gemartert wurden, nunmehr mit militärischer Ehrenbezeigung in ihren neuen Ehrengräbern bestattet. Die Bevölkerung von Budapest stahf als stummer Zeuge bei diesen Begräbnissen Spalier. Was sie dabei denkt und ob ihre Gedanken von den Lenkern dieses Landes richtig erraten und befolgt werden können, ist die Frage der Zukunft.

HAKENKREUZ UNTERM BURNUS. Als kürzlich der Nazi-Theoretiker Johann von Leers als Leiter einer Propagandastelle Oberst Nassers in Kairo entdeckt wurde, erhob sich wieder einmal d'e Frage, wie viele von den früheren nationalsozialistischen Persönlichkeiten sich wohi rechtzeiiig „abgesetzt“ und nach dem ägyptischen Paradies gerettet haben mochten. Nun — es sind noch einige Namen aufjer Leers bekannt. Der frühere SS-Standartenführer Moser, ein Sudefendeufscher, dem verschiedene Verbrechen in Reichenberg zur Last gelegt worden sind, hat den ägypti: sehen Namen Nalisman angenommen; SA-Gruppenführer Buble aus Osfpreufjen, der während des Krieges in einer Spezialabteilung der Gestapo versteckten Juden nachspürte, heihf heute echt arabisch Aman — beide sind als Fachleute in den Pariser Büros der panarabi-schen Propaganda tätig, natürlich mit ägyptischen Pässen. Auch ein Spezialist der Gestapo namens Gleim, der während des Krieges !n Oberschlesien gearbeitet hat, eines der ältesten Mitglieder der NSDAP, ist in Paris als „Araber“ erkannt worden: er nennt sich gegenwärtig AI Nacher. Im Stockholmer Büro der rirabi<chen Liga arbeitet SS-Untergrupnerführer Bender,, ein Mann, der pe'fekt Jiddisch und ganz gut Hebräisch spricht: dieser Mann, der in der Nazizeit in jüdische Untergrundbewegungen in Polen und Rufjland „infiltriert“ wurde, hat sich jetzt mit Kairos Hilfe in einen waschechten Aegypter namens Ben Salem verwandelt. In Oesterreich befindet sich — unter noch nicht festgestelltem arabischem Namen — der führende Nationalsozialist aus der „Kampfzeit“ vor 1938, Hilthofer, ajs Agent der arabischen Liga. Zwei Propagandabüros Kairos gibt es auch in England, und zwar in London und in Glasgow. In einem von diesen ist der ehemalige Gestapobeamfe von Bordeaux und Lodz, Manz, führend tätig. Eine der neuesten Aufgaben der arabischen Propagandabüros in der westlichen Welt ist es, auf die sinnbildhafte Bedeutung des Namens von Oberst Nasser hinzuweisen: Nasser heihf auf arab!<ch nämlich — ausgerechnet'— Hüter des Friedens.

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