6635609-1957_13_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

KAUFT (MEINE) ÖSTERREICHISCHEN WAREN. Eins Werbung, darauf gerichtet, einheimischen Waren einen guten Absatz zu sichern, verträgt sich auch mit den Prinzipien der Liberalisierung und des gemeinsamen Marktes. Leider legen aber manche Unternehmer den Werbeslogan „Kauft österreichische Waren’ sehr subjektiv aus. So weist die Firma A darauf hin, dal; man sich, kaufe man ihre Erzeugnisse, um den Absatz österreichischer Waren sehr verdient mache. Anders ist die Sache aber, wenn die Firma A selbst z. B. Maschinen für ihre Erzeugung einkauft. Dann ist man nicht bereit, dem selbst so laut beim Absatz eigener Waren vor- gefragenen Werbeslogan Rechnung zu tragen, und setzt alle Hebel in Bewegung, um ja kein inländisches Produkt kaufen zu müssen. Auch wenn ein gleichwertiges auf dem Markt isf. Der Wirtschaftspatriofismus, der in vernünftigen Grenzen durchaus seine Berechtigung hat, wird also in einem unverzeihlichen Umfang mifjbraucht. Auch von verstaatlichten Unternehmungen. Ebenso von Unternehmungen, die zum Konzern der verstaatlichten Banken gehören, die, wie in einem bestimmten Fall, sogar eine staatliche Unfersuchungsanstalt bemühen, um ja ein Attest zu erhalten, das ihnen den Erwerb eines ausländischen Konkurrenzptoduktes möglich macht. Das aber heißt: Oesferreichische Unternehmungen, die den Mut haben, neue, auch im Ausland hergesfeilte Erzeugnisse in ihr Produktions programm aufzunehmen, sind vorweg an der Entwicklung gehindert. Die kurzsichtigen Unternehmer, welche die Bereitschaft der Oesfer- reicher, da, wo es sinnvoll ist, einheimische Waren zu erwerben, lediglich auf sich beziehen, sollten sich freilich vor Augen halfen, daß die Käufer ihrer Produkte im Inland nur so viel Kaufkraft haben, als sie über den Verkauf einheimischer Erzeugnisse und Dienstleistungen zu gewinnen Gelegenheit haben. Wir dürfen nur hoffen, daß die Verfrefungskörperschaften der Arbeitnehmer wie der Arbeitgeber so viel gesunden Egoismus aufbringen, um den vielfach sichtbaren Versuch der Kolonialisierung Oesterreichs nicht nur zu behindern, sondern unmöglich zu machen.

TRADITION IM ATOMZEITALTER. Bei diesen Worten lächeln bestimmte Zeitgenossen hierzulande mokant. Wer immer ihren auch für ein modernes Heer nicht zu überschätzenden Wert betont, begibt sich in Gefahr, entweder nicht verstanden oder ganz unzeitgemäßer Sentimentalitäten geziehen zu werden. Allen diesen Landsleuten sei der „Rheinische Merkur” (23. März) als Pflichtlektüre verschrieben. In ihm berichtet ein deutscher Fallschirmjägermajor über seine Eindrücke von einer Begegnung mit der US-Army. Welche Schlüsse zieht man hier aus den Erfahrungen von Korea? Wie stärkt man die Kampfkraft der Truppe?

„Entgegen der bei uns landläufigen Ansicht haben sich die Vorkämpfer dieser Bestrebungen von vornherein nicht ausschließlich mit Fragen der Rüstung und Waffentechnik im engeren Sinne beschäftigt. Schon General Ridgway forderte, die bewaffnete Macht mit militärischem Korpsgeist zu erfüllen, die Kräfte der Tradition zu wecken und zu festigen, kurz, einen militärischen Stil zu entwickeln, der alle Vorstellungen vom „Gummi-Soldatentum” Lügen straft… Es wird die Geschichte der Einheiten gepflegt, Militärmuseen entstehen, den Bataillonen werden Fahnen verliehen, die auf Erinnerungsbändern die Namen der militärischen Einsatzorfe tragen. Höhepunkt einer jeden Parade ist es, wenn die Flagge vor das Bataillon gebracht wird. Morgens und abends finden in den Garnisonen und Standorten Flaggenparaden sfaft, die durch einen Kanonenschuß eingeleitet werden. So weif dieser Schuß zu hören isf, machen alle Soldaten Front in Richtung der Flaggenzeremonie und erweisen die Ehrenbezeigung. In zunehmendem Maße beteiligen sich auch Zivilpersonen an diesem Brauch. In jüngster Zeit wurde eine besondere Ausgehuniform eingeführt, die der Uniform des amerikanischen Heeres aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg ähnelt. Wie vor hundert Jahren trägt der US-Soldat heute bei besonderen Gelegenheiten einen blauen Waffenrock zur grauen Hose mit breiten gelben Streifen. Nach britischem Vorbild soll der Soldat zeit seines militärischen Lebens immer zum gleichen Regiment gehören. Man mag das alles, wie auch die zunehmend straffere Form des militärischen Grußes, als Aeußer- lichkeit werten. Aber bezeichnenderweise laufen damit gewisse innere Entwicklungen parallel.”

Wohlgemerkf: das klingt wie eine Empfehlung der „Furche” an das Bundesminisferium für Landesverteidigung, ist es aber nicht. Es isf, wie gesagt, der Bericht eines deutschen Fallschirmjägermajors. Und das ist doch auch für gewisse Kreise ein unverdächtiger Zeuge. Nicht wahr? Wir verstehen uns.

DER GANG NACH BERGEN-BELSEN. Soeben ist in Westdeutschland die diesjährige „Woche der Brüderlichkeif” zu Ende gegangen. Wieder haben, wie in den Vorjahren, namhafte Dichter, Publizisten (die prominenten Politiker bleiben dieses Jahr etwas zurück) Worte der Mahnung und Besinnung an das deutsche Volk gerichtet: nicht, im Taumel der Konjunktur und Sättigung, ganz zu vergessen auf das Gewissen und die Vergangenheit. Versöhnung mit dem Judentum, Begegnung zwischen Katholiken und Protestanten, ehrendes Gedenken für die Toten, die an der inneren Front fielen. Diese, nunmehr bereits „gewohnten” und, wer könnte es leugnen, efwas papieren gewordenen Themen der Wochen der Brüderlichkeit und ihrer nicht allzu gut besuchten Veranstaltungen (wer befaßt sich in einer Zeit solcher Betriebsamkeit schon gerne mit seinem Gewissen?) haben dieses Jahr einen lebendigen, überraschenden Akzent bekommen, durch die Wallfahrt vieler lausender deutscher Jugendlicher nach Bergen-Belsen. Zu den Massengräbern also der Juden, Deutschen und Ausländer, die da den Henkern zum Opfer fielen. Woher auf einmal diese Anteilnahme, zumal der deutschen Jugend, der man gemeiniglich nicht ein allzu großes Interesse für unangenehme, politische und öffentliche Angelegenheiten nachsagf? Nun, allein in Hamburg haben 40.000 Jugendliche das dramatisierte „Tagebuch der Anne Frank” auf der Bühne gesehen, das Originalwerk Isf in weif über hunderttausend Exemplaren in viele deutsche Hände gekommen. Das sollte doch zu denken geben. Zeigt sich hier nicht klar und deutlich, daß an dem vielberedeten „Nichtinteresse” deutscher Menschen für die Vergangenheit, so wie sie nämlich wirklich war, nicht einfach nur der Wille zur Verdrängung und die Lusf, in den Tag hinein zu leben und die Vergangenheit zu vergessen, schuld sind, sondern noch andere Mächte. Vielleicht sind sie mit in der kommerziell bestimmten Massenpublizisfik zu suchen, in der Kon- iunkfurqesinnung und Praxis nicht weniger Politiker, die das leichte Geschäft der nationalen Erregung dem schweren Geschäft der nationalen Selbstbesinnung vorziehen … Daß die Bevölkerung Westdeutschlands ansprechbar isf für Menschlichkeit, tiefes Leid, Recht und Gerechtigkeit, hat die Stimme dieres kleinen zwölfjährigen Mädchens aus dem Grabe bewiesen. Anne Franks Grab in Bergen-Belsen ist nicht mehr , nusfipdig ąu machen. Ihre Stimme aber, sprich! iirnaa Menschen an. Eli Mahnung fy,r die Aelferen und „Alfen”, diese Jugend nicht wieder zu verleiten zu jenen blutigen Spielen, denen wir alle eben erst entronnen zu sein wähnen.

KADAR IN MOSKAU. Eine große ungarische Partei- und Regiei-ungsdelegation mit Janos Kadar an der Spitze weilt gegenwärtig in der Sowjetunion, um neue Abmachungen über die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten zu treffen und, was vielleicht beiden Partnern vor allem wichtig erscheinen wird, die Richtlinien für die neue ungarische Schwesferpartei abzusprechen. Die Schwierigkeiten der ungarischen Kommunisten sind in der Tat nicht gering. Im Oktober vergangenen Jahres mußten sie erleben, daß die Jugend ihnen offen den Kampf ansagfe und sie vor aller Welt der Möglichkeit, sich mit der! vermeintlichen Zielen und Sehnsüchten dieser Jugend zu identifizieren, beraubte. Um die stark gelichteten Reihen irgendwie zu schließen, appellierte Janos Kadar an den — in Wirklichkeit längst eingetrocknefen und verbitterten — Enthusiasmus der alten Illegalen und Spanienkämpfer, es noch einmal zu versuchen… Unter seinen gegenwärtigen Anhängern findet man nun auch Ueberlebende des Vernichtungskrieges, den die moskauhörige Clique um Rakosi gegen diese Revolutionäre aus dem Schlage eines Rajk geführt hatte. Schon allein die Tatsache, daß es sich dabei um Ueberlebende handelt, weist in die Richtung des Duckmäusertums, welche Eigenschaft bei einer Partei, die sich revolutionär nennt, keine besondere Empfehlung sein sollte. Noch ärger sfehf es mit der Tradition. Der abgelaufene Monat März, dieser Monat der Revolutionen, zeigte, daß die Partei in Ungarn, noch immer in der Defensive, nicht einmal die zur Wahrung des Gesichtes nötige Kraft aufbringen kann. Der 15. März verlief indessen „ohne Zwischenfall”, aber motorisierte Truppen zogen durch die qrößeren Städte, und der Platz um das Petöfi-Denkmal, vor dem die Prominenten ihre Kränze niederlegten, war bis auf die bewaffneten Polizisten leer. Am 21. März, am 38. Jahrestag der Ausrufung der Räterepublik, wurde versucht, bei Bela Kun und seinen Genossen anzuknüpfen. Es wurde auch erklärt, niemals mehr darf Rakosi in der Partei- und Staatsführunq eine Rolle spielen. Bela Kun — er wurde 1937 als .Trotzkist” unfer Stalin hin- gerichfet — isf indessen tot — und es isl zweifelhaft, ob Verhandlungen ,auf höchster Partei- und Regierungsebene’ mit der Sowjetunion das qeeiqnefe Mittel sind, in die Kommunistische Partei Ungqrns neues Leben einzuflößen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung