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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DIE EMPFEHLUNG DER KPOe, bei den kommenden Bundespräsidentenwahlen für Doktor Schärf zu stimmen, hat im ersten Augenblick vielleicht überrascht, ganz unerwartet kam sie jedoch nicht. Drei Wege standen der zusammengeschmolzenen Schar der linien- (da heifjt moskau-) treuen österreichischen Kommunisten für die kommenden Präsidentenwahlen offen. Die Aufstellung eines eigenen Kandidaten wurde wegen des dadurch offenkundig gewordenen Anhängerschwundes kaum ernstlich in Erwägung gezogen. Dann wäre auch die Parole „weiß" zu wählen, das heifjt ungültig zu stimmen, möglich gewesen. Im Zentralkomitee entschloß man sich aber für die dritte, schon beim zweiten Wahlgang der Bundespräsideritenwahl 1951 angewandte Methode. Man knirschte mit den Zähnen, sprach einen Fluch auf die „antikommunistische Hetze des rechtssozialistischen Partei- vorsfanden” und — empfahl nachher den Genossen — selbstlos wie immer! — „zur Verhinderung eines Präsidenten des Bürgerblocks gemeinsam mit den sozialistischen Arbeitern für den Kandidaten der SPOe zu stimmen”. Was die SPOe mit dem Danaergeschenk der kommunistischen Stimmen anfängt, ist nun ihre Sache. Eine Empfehlung des Zentralkomitees der KP ist wahrlich keine Rekommpndation für schwankende Randschichfen. Auch soll man selbsf bei ruhigen Ueberlegungen gewisse Gefahren nicht unterschätzen, die durch Kontakte auf mittlerer und niedriger Parfeiebene erwuchsen können. Ein Problem, das in etwas anderer und nicht so scharf akzentuierter Form übrigens auch für die erste Regierungspartei in ihrer Wahlkoalition mit den „Freiheitlichen" besteht. Für beide Parteiführungen gilt die Mahnung, gerade in diesen Wochen merkwürdiger Zweckgemeinschaften das Steuer fest in der Hand zu behalten. Auch ihre Propagandisten mögen sich gewisse Terminologien wohl überlegen. Es gibt keinen „Bürgerblock" und keine „marxistische Einheitsfront". Es gibt nur die Kandidatur Professor Denks und Vizekanzler Schärfs für das höchste Amt der Republik.

AUS DER WERKSTATT DES HEERESMINISTERS

berichtete Bundesministers Grat vor einigen Tagen der österreichischen Presse. Vor bald einem Jahr hatte sich der verantwortliche Leiter des Ressorts „Landesverteidigung" an der Spitze seiner Mitarbeiter das erstemal der Presse gestellt. Schon die verschiedenen Schauplätze dieser beiden Begegnungen sagen etwas über den Aufbau des Bundesheeres aus. Damals lud der Minister in das Heeresgeschichtliche Museum im Arsenal. Das junge Bundesheer der Zweiten Republik stak in den Kinderschuhen Also war man bei der großen Vergangenheit zu Gasf. Ein Jahr später ist Jas Bundesheer, W bescheiden auch Heute noch seine Mittel und seine Ausrüstung sein mögen, eine Realität. Daher ging man hinaus in die Fasangartenkaserne, mitten unter den Alltagsbefrieb der Truppe. Heute ist es so weit, daß der Minister, wenn auch etwas wehmütig,' demnächst von den ersten jungen Soldaten, die ihre neun Monate abgedienf haben, Abschied nehmen wird müssen. Dennoch hofft er, im Spätsommer an die 35.000 Mann, wie man früher sagte, „unter den Fahnen" zu haben. Zwischen der Begegnung im Arsenal und der in der Fasangartenkaserne liegt ein gutes Stück Arbeit am Aufbau des Heeres. Gerade wenn man — wie dieses Blatt wohl zur Genüge bewiesen hat — lauten Lobreden an bestimmte Adressen abgeneigt ist, so wird man dennoch nicht diesem Aufbauwerk seine Anerkennung versagen wollen. Besonders dann, wenn man nur zu gut weif), unter we ch grotesken Begleitumständen es sich mitunter vollzog. Man wird es nicht glauben, aber es ist die Wahrheit: Für die Waffen, die seinerzeit Oesterreich von den abziehenden Besatzungsmächfen geschenkt wurden, mußte der Landesverteidigungsminisfer treu und ehrlich aus seinem Budget Einfuhrzoll in den allgemeinen Staatssäckel tun... In der Uniformfrage — der Minister nannte sie selbsf ein „heikles Problem" — scheint man zur Beharrung entschlossen. Von der Einführung der Tellerkappe war jedenfalls nicht mehr die Rede. Und das ist gut so. Daß die österreichische Presse, genau so wie das österreichische Volk, sehr wohl Verständnis für ein der österreichischen Art entsprechendes reoräsenfatives Auftreten hat, bewies wohl deutlich die allgemeine Zustimmung, die die Vorführung von Soldaten und Offizieren der neuen Garde fand, als die sich demnächst das bisherige Heereswachbataillon vorstellen wird. (Ein kleiner Schönheitsfehler: feldmarschmäßige Gamaschen passen nicht gut zu weißen Handschuhen. Die Anregung aus den Reihen der Journalisten — sie kam bezeichnenderweise von einer Frau —, bei der Garde weiße Gamaschen einzuführen, sollte aufgegriffen werden.) Es hafte gar nichf der Beteuerungen des Ministers bedurft, daß auch ein kleiner Staat repräsentieren muß. Ein Zuwenig nimmt der Oesferreicher in diesem Punkt viel mehr übel.

„VIVE LA REINE!" auf der Place Concorde. „Vive la Reine!" riefen die Pariser, als Königin Elisabeth II. von England auf dem Flugplatz Orty ihrem Sonderflugzeug entstieg. Es lebe die Königin! Dieser Ruf wurde aufgenommen, wohin immer die Königin von England während ihres Staatsbesuches in der französischen Hauptstadt kam. Er hallte entlang des Seineufers. Er wurde auf der Place Concorde von neuen Menschenmassen angestimmt. Place Concorde! Halfen wir einen Moment inne. Vor unserem geistigen Auge nähert sich der Place Concorde der Wagen einer anderen Königin. Ein trauriger Zug. Maria Antoinette wird durch eine johlende Menge, die sich das in der Geschichte bisher ungewohnte Schauspiel, eine Königin von Frankreich durch Henkershand sterben zu sehen, nicht entgehen lassen will, zu der auf der späteren Place Concorde aufgeslellten Guillotine geführt... Wozu so düstere Gedanken an einem so strahlenden Tag? Sie dürfen jedoch keineswegs verscheucht werden, wenn man sich bemüht, die Tiefen auszuloten, aus denen heraus der auch für das gastliche Paris überaus herzliche Empfang der Trägerin der englischen Krone allein verstanden werden kann. Wer Paris wenige Tage vor dem Eintreffen Elisabeths von England erlebt hat, konnte glauben, der alte Plan Churchills von der anglo-französischen Union — geboren in der Situation des Mai 1940 — sei in besseren Zeiten Wirklichkeit geworden. Kaum ein Geschäft, von den Häusern der Haute Couture angefangen bis zum kleinen Kramladen, das nichf ein Bild Elisabeths in die Auslage gestellt hatte. Und Fahnen, immer wieder Fahnen: den Union Jack und die Trikolore. Daneben das geschäftige Treiben der Festarrangeure, flinke Montagetrupps für die festliche elektrische Illumination der Seinestadt und als ein eigenartiger Kontrast dazu die roten Hosen, schimmernden Kürasse und flatternden Roßbüsche der berittenen Garde bei ihrem Probegalopp. Wahrhaftig: ein Besucher von einem anderen Stern mußte den Eindruck gewinnen, Frankreich rüste zum Empfang seiner lange Zeit abwesend gewesenen Herrscherin. Damit kommen wir zum Kern: Die große Haus-, Hof- und

Staatsaktion des Besuches Elisabeths II. in Paris war mehr als ein der Schaulust des Publikums entgegenkommendes spectacle; auch die nach der gemeinsamen Aktion von Suez gewiß nicht nur historische Besinnung auf die alte „Entente cordiale” sagt noch nichf alles. Wer die konservative Grundstimmung kennt, die zur Zeit überall in Frankreich anzutreffen ist, der kann in den Festlichkeiten anläßlich des Besuches Elisabeths II. in Paris nur ihre bezeichnende Manifestation sehen. Die Franzosen sind aber Realisten: Sie singen mit Ueberzeugung die Marseillaise — und lassen die Königin hochleben. Allerdings die englische.

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MOSKAUS LETZTER MANN. Es wäre reizvoll, zu wissen, ob die Erklärungen, die Ende März in Moskau nach Abschluß der sowjetisch- ungarischen Verhandlungen von Bulganin, Chruschtschow und Janos Kadar abgegeben wurden, die wahren Erkenntnisse der Verhandlungspartner widerspiegeln oder zur Verschleierung derselben dienen sollten." Wenn ersferes zutrifft, dann ist es um die Zukunft des Kommunismus, insbesondere in Ungarn, schlecht bestellt. Mit einer erstaunlichen Unbekümmertheit werden hier Tatsachen auf den Kopf gestellt, für die Revolution in Ungarn die westlichen „Imperialisten und ihr Helfershelfer Imre Nagy" verantwortlich gemacht, Tito dėr j,Mit- täterschaft" bezichtigt, als letzter Schluß der Weisheit neben einer Wirtschaftshilfe beträchtlichen Ausmaßes der Verbleib der sowjetischen Truppen in Ungarn als Beitrag der Sowjetunion zur Konsolidierung der Lage dargebofen. Die „Fehler" der letzten zwölf Jahre, wie die ungeheuerlichen Rechtsbrüche des Rakosi-Regimes genannt werden, wiegen die großen sozialistischen Errungenschaften dieser Zeitspanne bei weitem nicht auf. Daß dabei das „werktätige Volk" zumindest mit gleichgültiger Miene zusah, wie dieses Regime binnen Stunden zusammenbrach, wenn es nicht an der elementaren Volkserhebung aktiv mitwirkte, diese Tatsache, scheint die Führer in Moskau nicht im geringsten zu beunruhigen. Sie flicken am einmal „aus unbekannter Ursache" gekenterten Schiff ruhig weiter. Dabei müßte cfer krasse Dilettantismus der Kadar-Leute selbsf aus Moskauer Sicht kaum tragbar erscheinen. Oder läßt man ihn „sich ausfoben", um zu einem geeigneten Zeitpunkt sich mit seiner Entlassung ein Alibi zu verschaffen? Kadar ist dabei offensichtlich bemüht, einen Status quo herbeizuführen. Er verhaftet den Bischof Petery, der seit Jahren in einem oberungarischen Dorf konfiniert gewesen war, er sperrt auch den greisen, vollkommen geschwächten Zisterzienserabt Vendel Ėridredy, eines der Opfer des Grösz-Prozesses aus dem Jahre 1951, wieder ein. Andere Meldungen sprechen von weiteren Verhaftungen. Die Modalitäten des Religionsunterrichtes werden auf den Stand der Jahre nach 1951 zurück- geführf. Alles, was nicht pariert, sei „Gegenrevolutionär”. Das Verhältnis mit Belgrad läßt man auf den Gefrierpunkt absinken. Kadar bedenkt offenbar nicht, daß den letzten Stoß zum Abstieg Rakosis seine allzu eifrige Gegnerschaft mit Tito gegeben hat. Seine Chance ist, daß er das letzte Aufgebot darstellt, das noch in Ungarn mit Moskau auf der bisherigen Basis zusammenzuarbeifen gewillt ist. Die schlimmen Bezeichnungen, mit welchen besonders Bulganin des „Verräters" Imre Nagy gedachte, fielen nichf von ungefähr. Moskau hätte den Volksführer Imre Nagy mit Freuden akzeptiert, wäre dieser nur bereit — oder fähig — gewesen, eine sanfte Ueberleifung in die neue Aera der zwischenstaatlichen Beziehungen der Ostblockstaaten zu gewährleisten. Da dies, aus Gründen wie immer, nicht geschah, blieb als Verlegenheitslösung Janos Kadar. Ob noch andere, konstruktivere Pläne vorliegen, weiß man nicht. Die Moskauer Deklarationen bezeugen das Gegenteil.

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