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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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WAHLEN UND ZAHLEN. Die Wahl ist vorüber. Kommt nun das Zahlen an die Reihe? Die Bevölkerung ist beunruhigt über gewisse in letzter Zeit laut gewordene Pläne, welche out eine Erhöhung der Tarife bei den Oesterreichischen Bundesbahnen hinzielen. Die Ziffern, welche hier genannt werden, reichen von 25 Prozent bis 40 Prozent. Das Defizit — iq diesem Jahre rund 172 Mill. Schilling Voranschlag und damit um 68 Prozent höher als der vorjährige Budgetplan — wird wieder einmal als Begründung herangezogen. Nun entsinnen wir uns sehr wohl der letzten Tariferhöhung — schamhaft’wird gewöhnlich bloß von einer „Regulierung’ der Tarife gesprochen —, jener beträchtlichen Hinauf- setzung um 25 Prozent ab 1. Jänner 1954. Das Beispiel der Bahn wäre geeignet, Schule zu machen. Die Wiener Verkehrsbetriebe sind sichtlich von den Plänen der Bahn Inspiriert und stellen ebenfalls eine „Regulierung” in Aussicht. Auch die letzte Erhöhung der Tarife bei den Wiener Verkehrsbetrieben ist den Bewohnern der Bundeshauptstadt in keineswegs bester Erinnerung. Nun mutet es in diesem Zusammenhang und bei der Begründung der erheblichen Defizite höchst sonderbar an, wenn man die „sozialen Tarife” anführt. Darunter sind die verbilligten Fahrscheine für die Arbeiter, Angestellten, Studenten und Schüler sowie für Invalide und die kostenlosen Fahrscheine für die Arbeitslosen zu verstehen, womit diese zum Arbeitsamt und zur Auszahlung fahren müssen. Noch sonderbarer, wenn schon nicht peinlich, ist es, wenn die verschiedenen Instanzen sich untereinander her- umsfreiten, wer denn die soziale Gesinnung der Tarifbewilliger bezahlen und damit einen Teil der entgangenen Einnahmen ersetzen soll. Es braucht nicht ausgeführt zu werden, welche Folgen eine Erhöhung der Bahntarife nach sich ziehen müßte. Jede Preisbewegung bringt Unruhe in die Wirtschaft — wie off hat dies nicht der Bundeskanzler ausgeführt! Gerade jetzt, wo man an verschiedenen Stellen über ein Nachlassen der Konjunktur klagt, ist Disziplin nötig. Die so oft zur Disziplin gemahnten Arbeitnehmer, und auch in diesem Fall die Wirtschaft, haben ein Recht darauf, daß man auch „oben” sich der Verantwortung für das Preisgefüge bewufjt ist.

DIE JUGEND BRINGT SICH IN ERINNERUNG.

Die junge Generation macht es der zweiten Republik bestimmt nicht schwer. Es gibt heute’ zum Unterschied von vergangenen Jahrzehnten kein politisches „Jugendproblem” in Oesterreich. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Zum Unterschied von verschiedenen noch immer da und dort anzufreffenden geistigen Unklarheiten bei dtF’3„Wtfeigenerd?rö’fi ‘ hat die pbfifftöh geschlossene Jugend unserer Tage ein eindeutiges staatspolitisches Konzept angenommen. Das darf aber nicht dazu verführen, die Wünsche und Anliegen der Jungen unter „ferner liefen’ zu behandeln. Wie die Jugend selber denkt, können wir in den letzten Mitteilungen des „Oesterreichischen Bundesjugendringes”, in dem alle demokratischen Jugendorganisationen vorbildlich Zusammenarbeiten, lesen:

„Niemand hat sich seit dem Wiedererstehen Oesterreichs so rückhaltslos für dieses Land eingesetzt wie gerade die Jugend, voran deren aktivster Teil, die Jugendorganisationen. Freilich, die Jugend ist heute realistisch, die Zeit jener romantischen Ideale, für die noch viele unserer Väter im Leben ein verspätetes Lehrgeld zahlen mußten, ist endgültig vorbei. Aber gerade deshalb sollte doch das Wollen dieser aufgeschlossenen Jugend eher Anklang finden, müßten doch die Elfern und Lehrer alles daransefzen, die Jugend der Gegenwart irrfumsfreier zu erziehen, müßten doch die Erzieher darüber glücklich sein, diese Jugend den Anforderungen des Tages gewachsen zu sehen! Dos Gegenfeil ist leider vielfach der Fall. Weil wir die Gegenwart zu verstehen trachten, weil wir uns zum Sosein unseres Vaterlandes, der österreichischen Republik, rückhaltslos bekennen, werden wir nicht entsprechend gewertet, weil wir nicht wie viele unserer Vorfahren romantischen Irrlehren huldigen, werden wir als Interesse- und idealios gescholten und weil wir staatspolitisoh so brav’ sind, sind wir uninteressant.

Erst kürzlich haben wir an dieser Stelle die Notwendigkeit aufgezeigt, die österreichische Jugend durch tatsächliche Hilfe aus jener materiellen Beengtheit zu befreien, in die sie heute durch unzureichende Mittel geraten ist. Wir haben auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland verwiesen, wo die dringendsten materiellen Forderungen der Jugendorganisationen durch einen sogenannten ,Bundesjugendplan’ jährlich verwirklich) werden. Während wir um diese Selbstverständlichkeit noch kämpfen müssen, wird wieder einmal die Notwendigkeit einer Einrichtung im Ausland früher erkannt, obwohl auch in Oesterreich keine ernsten Einwände gegen diese Institution vorliegen. Wir müssen es klar und deutlich aussprechen: wenn weiter so wenig Interesse für die Anliegen der Jugend in Oesterreich gezeigt wird, wenn es unwichtig ist, ob die kommende Generafion zu diesem Staat stehf, dann kann cs sein, daß auch die Jugendarbeit staatspolitisch negativ wird.” Richtige Worte, aber auch ernste Worte. Man beherzige sie bei den Adressen, an die sie gerichtet sind.

NEUE MANNER UM KADAR. Bei der Versammlung der Arbeitermiliz und der durch diese herangeführte Arbeiterschaft auf dem Buda- pester Heldenplafz am 1. Mai sprach vor Janos Kadar, der dann die Festrede hielt, ein Mann einige einleitende Worte, der erst Zwei Tage vorher erster Sekretär der Budapester kommunistischen Parteiorganisation wurde. Dieser Mann heifjt György Marosan, ist 49 Jahre alt, war einst Bäckergehilfe und Sozialdemokrat, brachte es dori bis zum stellvertretenden Generalsekretär der Partei und wurde im schicksalsschweren Jahr 1948 einer der Aktivsten unter den Befürwortern der Eingliederung der Sozialdemokratischen Partei Ungarns in die „Partei” Rakosis. Marosan wußte damals anscheinend nicht, In welche veränderte Atmosphäre er sich damit begab; er erkannte die Gefahren nicht, die aal einen aktiven Politiker damals in der gefährlichen Nähe Rakosis lauerten.. Er wurde nach nicht ganz zwei Jahren „Arbeitereinheit” mit zahlreichen anderen ehemaligen Sozialdemokraten verhaftet und sechs Jahre gefangengehalten. Mit vielen tausend politischen Gefangenen, Sozialdemokraten und Kommunisten, verlief; er das Gefängnis, als der milde Kurs aus Moskau im vergangenen Jahr in Ungarn die Gefäng- nisfore öffnete. Ein Angebot Rakosis schlug Marosan stolz ab. Nach dem Sturz des Diktators wurde er über Nacht stellvertretender Ministerpräsident und Mitglied des ungarischen Politbüros. Während der Oktoberrevolution schloß er sich Janos Kadar an. Er ist seither Staatsminister, hält häufig politische Reden, die sich durch Ideenarmut und sonst durch „Linientreue” auszeichnen — wenn man von politischer Linie im Fall des Regimes Kadar überhaupt reden kann. Es hat eher den Anschein, dafj Marosan dazu ausersehen wurde, mit geschicktem Herumreden — darin ist er ein Meister — über diesen Mangel des gegenwärtigen Regimes in Ungarn hinwegzutäuschen. Einige Schicksalsgenossen, wie der ehemalige Staatspräsident Szakasits, dessen früherer Kabinettschef Kaliai und noch einige ehemalige Sozialdemokraten und Kommunisten des nationalen Flügels, die alle zwischen 1951 und 1956 im Gefängnis saßen, helfen Marosan dabei. Diese Ueberlebenden der grofjen Säuberungen zögerten, gleich nach ihrer Freilassung hohe Aemfer aus der Hand Rakosis anzunehmen. Heute sind sie der eigentliche Führungskader einer Partei, In deren Namen heute in Ungarn eine politische Konsolidierung im Zeichen der Vorherrschaft Moskaus noch immer erfolglos versucht wird. Diese Versuche lassen alle Zeichen einer echten Reform vermissen. Niemand spricht heute zum Beispiel davon, dal; die nur mehr dem Namen nach exir stilerepden Ärbeiferrö’fe die ihnen Ursprünglich auch von \ehin zu gedachte Rolle erhalten würden. t

JOSEPH P. MC CARTHY WAR POLITISCH LANGST TOT, als er vorige Woche in Washington, erst 47jährig, an einem Leberleiden sfarb. Ob sein unheilvoller Geist weiterleben wird, ist eine andere Frage. Lange Jahre hindurch hat dieser „öffentliche Ankläger von eigenen Gnaden” seiße Landsleute in nicht geringe Verwirrung versetzt. Die sonst auf ihre Bürgerrechte so stolze Nation, deren demokratisches Selbst- bewußtsein nach 1945 so hohen Pegeisfand erreichte, war manchmal geradezu gelähmt und zum Widerstand unfähig, wenn McCarthy seine Verdächtigungen „unamerikanisch’ und „kommunistisch” zu sein, die für den Betroffenen verhängnisvoll waren, in die Luft stiefj. Aus völkerpsychologischen Klüften war der Rauch gestiegen, der sich zur Wolke der Hexenjagden und Denunziationen verdichtet hatte. Am Anfang stand das Gefühl der Enttäuschung über Rufjland, den Verbündeten von gestern, dem man wie einen Freund vertraut hatte und der sich nun als „der” Antipode erwies, dann, 1950, alarmierten die Spionagefälle Alger Hiss und Klaus Fuchs die amerikanische Oeffentlich- keif. Man fühlte sich verkauft, verraten und bedroht und sah in den Kommunisten — und man wurde sehr leicht in diesen Monaten und Jahren in den Augen des McCarthy und aller Welf zum „Kommunisten” — eine Art trojanischer Kavallerie. Herbe Kritik an der Aera Roosevelt, die zu sehr glorifiziert wurde, setzte ein. Da schlug die Stunde McCarthys. Die an die Macht gekommenen Republikaner vertrauten dem Senator den Vorsitz des ständigen Untersuchungsausschusses an, der zwar einige veritable Kommunisten in hohen Stellungen auf- spürfe, aber sehr bald durch seine gehässige Ideeschnüffelei und seine plumpen Einschüchterungen dem Ansehen der Demokratie schwer schadete. Endlich fand er in Präsident Eisenhower, der sich klar und konsequent vor die von McCarthy zu Unrecht, angegriffene Armee stellte, seinen Meister, der damit auch den auf Amerika lastenden Bann der Angst und des Mißtrauens brach. Der „McCarfhysmus”, die Tragödie des amerikanischen Konformismus, hatte damit seine Wirkkraft eingebüßt, 1954 tadelte der Senat seinen eifernden Jünger, 1955 mußte er den Vorsitz des Untersuchungsausschusses niederlegen; jetzt ist er gestorben. — Sein letztes Opfer: der kanadische Botschafter in Kairo, Norman, floh vor kurzem wegen unbegründeter Beschuldigungen in den Tod.

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