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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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ÖSTERREICHS FENSTER ZUM MEER, der

Haien Triest, stand im Blickfeld der durch das österreichisch-italienische Abkommen vom 22. Oktober 1955 vorgesehenen Konferenz der paritätischen Subkommission. Wir haben an dieser Stelle am 13. April die Probleme und dringlichen Wünsche aufgezeigt, die Oesterreichs Wirtschaft bewegen, und können mit einiger — wenn auch nicht herzlicher — Befriedigung auf die Erledigung etlicher von uns aufgezeigten Fragen verweisen. Die Konferenz zu Beginn des Monats würdigte vor allem die Tatsache, daß Oesterreich mit vier Fünfteln am Umschlag in Triest beteiligt ist und daß es nur recht und billig wäre, vier Fünftel der Konzessionen, die nun einmal zu machen sind (in Hinblick aut die verlockenden Rute nördlicher Hüten an Oesterreich), in vollem Maße durchzuführen. Die Verhandlungen ergaben die gewünschte Verbesserung des Güterverkehrs Tar- vis—Triest durch Einführung zweier neuer „Lloyd- Züge (das sind Güterzüge, die nach feststehendem Fahrplan in Triest am Morgen und Nachmittag rechtzeitig zu den Arbeitsschichten einfreften). Die befürchtete Verminderung der Linienabfahrten (zugunsten der tyrrhenischen Häfen) wurde abgewehrt. Freilich muß darüber hinaus auf der nächsten Konferenz (die möglicherweise in Graz staftfinden wird) eine Verdichtung des Liniennetzes gefordert werden. Schließlich hat man in Triest eine Beschleunigung der Zollabfertigung, einen Ausbau der technischen Hafeneinrichtungen und einen verbesserten Tarif ausgehandelt. Oesterreichische Firmen werden sich in Triest (nach dortiger Autorisation) etablieren können, was für unsere Jugend gewisse Ausbildungsmöglichkeiten schafft, die das Binnenland nicht vermitteln kann. Zu der Erleichterung der Straßentransporte, die größtenteils über jugoslawisches Gebiet gehen, ist auf italienischer Grenzseite raschere Abfertigung zugesagt worden; es wäre angezeigt, nun mit Jugoslawien wegen des Transits Verhandlungen anzubahnen.

PARTEIKONGRESS DER CDU. „Ein selbstzufriedener Parteikongreß setzt seine ganze Hoffnung auf Adenauer und das Wirtschaftswunder": unter dieser Schlagzeile berichtet die größte westdeutsche Zeitung über den Hamburger Parteitag der CDU, der im Zeichen zehnjähriger Macht im Staat und eines imposanten Siegesbewußtseins stand. Die CDU ist fest entschlossen, den Wahlkampf zu gewinnen, und hat alle ihre Geschütze gegen den „Erzfeind", die deutsche Sozialdemokratie, gerichtet. Hier, in Hamburg, gab es keinen linken Flügel der Partei mehr; Karl Arnold, der ehedem als dessen Führer betrachtet Würde, ging völlig kontorm mit den starken Männern der Partei, den liberalen Wirtschaftsführern. Das Ahlener Programm, einst die Fanfare christlich-sozialer Gesellschaftsreform, wurde nunmehr offiziell begraben: der frühere Innenminister von Nordrhein- Westfalen tat es nun mit einem kurzen Satz ab: „Es war nur ein Programm zur Bekämpfung der Sozialisierung." Die neben Dr. Adenauer, der nur kurz, aber markant sprach, vielleicht profilierteste politische Gestalt der Partei, Bundestagspräsident Gerstenmaier, bekannte sich in seiner vielbeachteten Rede zur Enfideologisie- rung der Partei. Auf dem ganzen Kongreß wurde kaum ein ernsteres Wort der Selbstkritik lauf. Aus der Reihe tanzte nur der als Gast geladene Hamburger evangelische Theologieprofessor Helmuth Thielicke, der sich von den 44 Seiten seines Referates über „Gewissen und Verantwortung m Atomzeifalter" keinen Satz abkaufen ließ und unter dem betretenen Schweigen der Prominenten mit der Feststellung begann: Im Volk hat sich ein tiefes Mißtrauen gegenüber den Parteipolitikern eingefressen; „man sagt, diese Leute seien ferngesteuert. Site seien Bauchredner, aus denen eine ganz andere Stimme als ihre eigene käme. Sie seien lediglich Funktionäre von Gruppenentscheidun- gen". Thielicke erntete auch wenig Beifall mit seinem Bekenntnis zum Aufruf der 18 deutschen Afomwissenschatter.

JEDEM SEINE BOMBEI England hat mit seinen eigenen Atomwaffenversuchen im Gebiet der Weihnachtsinseln im Pazifik begonnen. Vor einiger Zeit hatte die britische Regierung bereits ein Gebiet 1450 Kilometer nördlich und südlich und 1250 Kilometer ostwärts und westlich der Weihnachtsinseln für die Zeit vom 1. März bis zum 1. August 1957 zum Gefahrengebiet erklärt. Premierminister MacMillan erklärte im Unterhaus, daß der beim ersten Atombombenwurf beobachtete örtliche Ausfall an radioaktiven Substanzen „fast unbeachtlich" gewesen sei. Nicht darum aber geht es: der Strahlraum der britischen Atomwaffenversuche soll, nacß der Absicht seiner Veranstalter, offensichtlich nicht jene eben erwähnten 1450 und 1250 Kilometer um die Weihnachtsinseln sein, sondern jene politischen Räume umfassen, in denen die englische Politik gegenwärtig betroffen und umstritten ist. Die Debatte im Unterhaus um Suez, in der der englische Außenminister sehr schlecht abschnitt und die durch die Erklärung über die eben staft- gefundene Atomexplosion „beendet" wurde, weist bereits darauf hin: Die gegenwärtige englische Regierung hat den sehr problematischen Versuch unternommen, Englands politisches Weltgewicht (im Nahen Osten, in Europa, dem Ostblock und Asien gegenüber) durch das Ge wicht „seiner Bombe" aufzufüllen. Als „nukleare Macht", im Besitz der „eigenen" Bombe, glaubt England, auch in den gegenwärtigen Verhandlungen mit den USA und mit Deutschland, das sein wirtschaftliches Potential und seine strategische Position, umstritten und umworben von Ost und West, in die Waagschale legen kann, an politischer Autorität bedeutend gewonnen zu haben. Nun, nach den Protesten der 500.000 Japaner und der japanischen Regierung, werden vielleicht noch andere Proteste in Nahosf und in Fernost folgen. Das erscheint sicher. Weniger sicher ist, ob die englische „Selbständigkeit” in Atomwaffen nicht vielleicht eine Kettenreaktion auslöst, der zufolge jede NATO-Macht und jede andere Macht, die es sich leisten zu können glaubt, die Welt mit „ihrer" Bombe beglückt — und die Atmosphäre mit Angst, Mißtrauen und gefährlichen Spekulationen vergiftet.

HEIMKEHR ZU KADAR. Professor Georg Lukacs, der im Herbst in der kurzlebigen Regierung des Ministerpräsidenten Nagy ungarischer Unterrichfsminister war und dann zusammen mit Nagy von den Sowjets zunächst in das rumänische Siebenbürgen verbannt wurde, dart in das Ungarn des moskauhörigen Ministerpräsidenten Kadar zurückkehren, um in Budapest seine wissenschaftlichen Studien fortzusefzen. Es heißt, er habe ausdrücklich um diese Erlaubnis gebeten. Wenn diese Bitte in unseren Augen so etwas wie ein Kniefall vor Kadar und seinen Gönnern zu sein scheint, so gehört auch das wohl zu dem Bild des gelehrten und geistreichen Mannes r— samt seinem oft unsicher schillernden Charakter. Lukacs, keineswegs proletarischer Abstammung, sondern seiner Herkunft nach ein wirklicher „Bourgeois", ist heutę zweiundsiebzig Jahre alt. Er hatte in Heidelberg studiert und, bevor er nach dem ersten Weltkrieg ins kommunistische

Lager überging, eine Reihe beachtlicher Beiträge liferaturkritischer Art geschrieben, darunter eine „Theorie des Romans". Viele Jahre arbeitete er dann später in Moskau in wissenschaftlichen Instituten, und nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wurde er Professor (ür Aesthetik und Kulturphilosophie an der Budapester Universität. Auch in der zweiten, der kommunistischen Hälfte seines Lebens, schrieb er viel über deutsche Literatur, so über „Goethe und seine Zeit", über den „Jungen Hegel" und über Thomas Mann. Ein ganz richtiger Bolschewik ist er eigentlich nie geworden, so eitrig er auch seine kommunistische Literafurkritik mit dem Klassenkampf im Hintergründe aller geistigen Bewegungen verfocht. Von den Hütern der strengen Generallinie wurde er öfter getadelt, aber mehr geschah ihm auch nicht, er wurde immer wieder in Gnaden angenommen. So, wie offenbar auch jetzt, obwohl er noch kurz vor der Erhebung in Ungarn durch Vorträge und Aufsätze nicht wenig dazu beigetragen hatte, gerade die Intellektuellen und Studenten gegen die verknöcherte Starrheit des stalinistischen Denkens zu beeinflussen. — Entweder nehmen sie ihn drüben, im kommunistischen Bereich, nicht ganz ernst, indem sie ihm etwas Narrenfreiheit lassen, oder sie trauen sich an ihn doch nicht ganz heran, weil sein Name immerhin ein Stück geistiger Repräsentanz bedeutet, von dem auch sie profitieren möchten. Der reichlich biegsame Charakter dieses begabten Intellektuellen — so kommentiert die „Badische Zeitung" diese Heimkehr — mag den kommunistischen Grals- hüfern ihre scheinbare Duldsamkeit erleichtern.

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