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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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EINE BERICHTIGUNG, DIE KEINE IST. In der Nummer vom 1. Juni d. J. nahmen wir die Gelegenheit wahr, um uns eingehend mit der systematischen Ausschaltung der christlichen Gewerkschafter aus der Arbeit der Arbeiterkammern zu beschäftigen. In diesem Zusammenhang wagte es der Autor unseres Artikels, auch die von der Arbeiterkammer in der Hinterbrühl bei Wien unterhaltene Sozialakademie zu erwähnen und sie als eine „Insel altmarxistischer Wortverkündigung’ zu bezeichnen. Das hätte er nicht tun sollen, denn gerade in der Zeit, in der die SPOe alles unternimmt, um für die gläubigen Christen wählbar zu werden, ist es nicht gut, wenn Sozialisten als Marxisten bezeichnet werden. In der von der Arbeiferkammer herausgegebenen Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft” wird jedenfalls der „Furche” vorgeworfen, dafj sie „das Mausen nicht lasse”. Als Beweis für die Anfechtbarkeit der Feststellungen der „Furche” werden alle Dozenten der Sgzialakademie zitiert, die keine Marxisten sind. Nun hat unser Autor seinerzeit nicht behauptet, dafj nur Marxisten unterrichten, erfuhr aber wohl auf Grund von Befragungen ehemaliger Absolventen, dafj in der Hinterbrühl wohl sehr viel vom Marxismus die Rede ist und keineswegs in jener Objektivität, wie sie jetzt Herr L. von der Arbeiferkammer behauptet. Wenn man den Ausführungen von „Arbeit und Wirtschaft” Glauben schenken will, müljfe man fast davon ausgehen, daß in der Hinterbrühl bereits so etwas wie eine katholisch-liberale Sozialakademie geschaffen wurde. Nun war aber der Anlafj dafür, dafj seinerzeit eine Darstellung der Verhältnisse in den Arbeiterkammern veröffentlicht wurde, keineswegs die Hinferbrühler Sozialakademie, sondern der vom Standpunkt echter Demokratie abzulehnende Zustand, dafj entgegen dem Sfärkeverhältnis, wie es sich bei den Arbeiterkammerwahlen gezeigt hat, die Zahl der christlichen Angestellten der Kammern eine minimale ist. Wir wiederholen daher: Obwohl etwa 18 Prozent der Kammerräfe der christlichen Fraktion angehören, sind in ganz Oesterreich von ungefähr 650 Angestellten der Arbeiferkammer nur 30, das sind kaum fünf Prozent, der christlichen Fraktion zuzurechnen. In der Steiermark sind 120 Angestellte in der Arbeiterkammer, aber nur einer gehörte zur Zeit der Ermittlung der christlichen Fraktion an. Im Burgenland, das ungefähr 30 Prozent christlicher Kammerräte hat, ist kein einziger Angestellter der Arbeiterkammer Mitglied der christlichen Fraktion. Es kann sein, dafj man noch einige Angestellte der Kammern tauft und — wie das heute im Interesse der Herstellung einer freund ’ liehen Stimmung im Kontakt mit der Kirche geschieht — sie einfach zu „christlichen Sozialisten” umfärbt. Am Tatbestand, dafj der Einflufj der christlichen Gewerkschafter in der Arbeiferkammer (und zwar in ihrem täglichen Leben) so gut wie Null ist, kann auch eine Polemik, wie sie in den Glossen von „Arbeit und Wirtschaft” üblich geworden ist, nichts ändern. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dafj die SPOe zwar sich anschickf, den Marxismus als Parfeiweltanschauung aufzugeben, dafj aber auf der anderen Seife die Arbeiterkammer den von „Herrschaften abgelegten” Marxismus treulich konserviert: Einfach dadurch, dafj sie den in der SPOe uninteressant gewordenen Marxisten bei sich Unterschlupf gibt, auf dafj die reine Lehre getreulich überall da, wo es sich schickt, an den Mann gebracht wird. Das aber wäre ein Doppelspiel.

EINE NIEDERLAGE EUROPAS: nur so können wir das Urteil gegen die Burschen aus Pfunders verstehen. Italiens Jurisprudenz ist seit Jahrtausenden weltberühmt. Eine lückenlose Kette von Rechtsgelehrten führt von römischer Zeit über das Mittelalter zum 19. und 20. Jahrhundert herauf. Klarheit, Sachlichkeit, Objektivität sind in ihrer Schule beheimatet. Die berühmteste Rechtsnation Europas setzt nun in einer Zeit, in der alles darauf ankommt, die Gerichte rein zu halten, rein zu kämpfen vom stickigen Atem des Hasses, vom Druck der politischen Macht, vom Terror von Parteien und anderen Interessengruppen, in Südtirol Urteilsakte, die nur tief bedauert werden können. Da ist also eine Handvoll Bauernburschen wegen eines „Mordes”, der nicht bewiesen wurde, der aber hochwahrscheinlicherweise in Zusammenhang steht mit einer Wirtshausrauferei und sehr wahrscheinlich ein Sturz nach grofjer Erregung ist, zu Kerkerstrafen von insgesamt mehr als hundert Jahren verurteilt worden. Und gleich zwei Tage nach diesem Urteil hat das Gericht in Trient die Voruntersuchung gegen dreizehn Südtiroler abgeschlossen, denen „antinafionale Propaganda” und andere verwandte Delikte zur Last gelegt werden. Acht der Angeklagten wurden in Vorbeugungshaft genommen. Es geht also in „einem Aufwaschen”. Besonders deprimierend und nachdenklich stimmend ist am Urteil über Pfunders die merkwürdige Zusammenarbeit der juristischen Spezialisten mit dem politischen Affekt: Uns allen aus vielen Beispielen in unserem Raum in jüngster Vergangenheit und aus dem Terror der Oststaaten bekannt, kann aber nicht oft genug aufgezeigf werden. Es gibt tatsächlich, in beiden Hemisphären eine ziemlich breite Schicht von Rechtsdenkern und Richtern, die persönlich mehr oder minder überzeugt sind, streng juridisch, rechtlich ihre „Fälle” zu erledigen, in Wirklichkeit aber die Sklaven und willfährigen Diener des persönlichen nationalistischen und politischen Affekts sind. Diese uralte Versuchung des Richters und der Justiz wird bereits in dem alten römischen Spruch „Summum jus, summa iniuria” angedeutet. Es kann da eben alles formal prächtig „stimmen”, Gesetze, Paragraphen, Untersuchung, juridische Begründung, alles ist parat, „stimmt”, nur das Ganze ist verfehlt: die Rechtsfindung, da der Geist, der hinter dem emsigen Suchen nach Paragraphen, die zu einer Verurteilung dienlich sein können, nicht der Geist des Rechtes, sondern der Rache ist.

SOMMERGEDANKEN FÜR PARLAMENTARIER. In Bonn und in Wien sind Bundestag beziehungsweise Nationalrat soeben in die Ferien gegangen. Nun hat besonders der Bonner Bundestag herbe Kritik in der Oeffentlichkeif erhalten, da er in den letzten Wochen seiner Tätigkeit sich als eine Gesetzgebungsmaschine demonstriert hatte, die in gröfjter Eile eine Fülle von Gesetzen „erledigte”. Wobei die Kritik die Mangelhaftigkeit der hier geleisteten Arbeit durch den Hinweis auf die rasche Revisions- bedürffigkeit zahlreicher wichtiger Gesetze, die in den letzten Jahren erlassen wurden, aufzeigte. Oft ein Dutzend von Zusätzen und Abänderungen mufjte da in kurzer Zeit versuchen, das flüchtig ausgearbeifefe Gesetz zu reparieren. Nun, bereits diese Hinweise sind auch für Oesterreich interessant: dasselbe gilt für einige Vorschläge zur Verbesserung der künftigen parlamentarischen Arbeit, die der Geschäfts- ordnungsausschufj des Bundestages dem künftigen, aus den Wahlen vom 15. September hervorgehenden neuen Bundestag empfiehlt. Da empfiehlt der Ausschufj eine strengere Handhabung des Grundsatzes der freien Rede. Es sollte niemand in das Hohe Haus kommen, der nicht fähig sei, frei zu reden. Das Verlesen langatmiger Vorträge ermüdet die Aufmerksamkeit, legt eine echte Aussprache lahm. .. Vereinfachung und Konzentrierung der Arbeit sollen das Hohe Haus befähigen, wieder Parlament zu werden, zu sein: der Ort, an dem offen gesprochen wird, an dem die wirklich wichtigsten Probleme des Staates und Volkes zur Aussprache kommen — nicht ein Abstimmungslokal, das sanktioniert, was hinter verschlossenen Türen ausgehandelf wurde. — Aufgabe der Fachausschüsse ist es sicherlich, die unbedingt nötige fachliche Vorbereitung von Gesetzen zu leisten. Diese Vorarbeit kann aber nur dann ihren guten Sinn finden, wenn sie gekrönt wird durch die echte politische Diskussion über den Geist und die Gesinnung, über den Willen, der hinter dem Gesetz steht. — Freiheit für das Hohe Haus, Freiheit im Hohen’Haus und Freiheit des Volkes, unteilbar sind sie, nicht zu trennen. Das gilt für Bonn und für Wien, für das Schicksal der Demokratie in beiden Ländern. Die beiderseits im Gange befindliche Selbsfentmach- tung und Selbstaufhebüng des Parlaments kann nur durch entschiedene Selbstkritik und folgende Aenderung der Methoden und Arbeitsweisen aufgehalten werden.

UNABHÄNGIGKEIT KOSTET GELD. Das Kommunique, welches zum Abschluß der zehntägigen Minisferkonferenz des Commonwealth in London herausgegeben wurde, ist ein auf den ersten Blick enttäuschendes Dokument. Es sagt noch weniger, als Veröffentlichungen solcher Art zu tun pflegen, und der einzige klare Eindruck, den es vermittelt, ist der, dafj in den dringendsten Fragen der Weltpolitik, wie Nah- osflage, Abrüstung, kommunistische Infiltration, zwar gewisse Aehnlichkeiten der Auffassung, aber keine wirkliche Uebereinstimmung erzielt werden konnte. Trotzdem wä’e es verfehlt, diese Konferenz als werf- oder ergebnislos zu betrachten. Die meisten der auf ihr vertretenen Staaten sind Neugründungen, repräsentiert durch Männer, die an der Staatwerdung, an der Befreiung ihres Landes von der britischen Herrschaft entscheidend mitgewirkf haben und sich heute vor die Aufgabe gestellt sehen, dafür zu sorgen, dafj die Unabhängigkeitsbewegung, die sie zum Sieg geführt, nicht wirksam werde gegen die Einheit des Staates selbst, die sie erkämpft. In rassenmäfjig und sprachlich so heterogenen Gebieten, wie Indien oder Ceylon oder Ghana, deren staatsrechtliche Einheit keineswegs naturgegeben ist, sondern eine Folge britischer Politik, sind separatistische und parfikularistische Tendenzen immer latent; Tendenzen, zu deren Abwehr auch einem Jawaharlal Nehru, einem Premierminister Bandaranaike, einem Doktor Nkrumah die Zugehörigkeit zum Commonwealth als eine wesentliche Hilfe erscheint. Begreiflich daher, dafj sich gerade die Konferenzteilnehmer nichfeuropäischer Abstammung über die bei den Londoner Besprechungen hergestellten Kontakte sehr befriedigt gezeigt haben. Dazu kam freilich noch ein anderer, wichtiger Grund. Namentlich die jüngeren Mitgliedsstaaten des Commonwealths haben durchweg sehr weitreichende Investitionsprogramme, zu deren Durchführung der englische Kapitalmarkt bestenfalls 70 Prozent der erforderlichen Geldmittel beistellen kann. Sie werden sich also um Geldquellen außerhalb des Commonwealth umsehen müssen, und je ungetrübter ihre Beziehungen zur führenden Macht in dieser Gemeinschaft erscheinen, desto besser werden ihre Aussichten sein, die benötigten Anleihen zu planieren.

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