6641128-1957_46_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

„CONCORDIA" SOLL IHR NAME SEIN...

Wir können uns die Wiener Journalisten und Schriftsteller leibhaftig vorstellen, die 1859 zusammentraten, um die Salzungen zu einer ersten Berufs- und Sfandesvertrefung zu beraten. Viele von ihnen waren ein Jahrzehnt zuvor, im „tollen Jahr" 1848, als junge Menschen auf den Barrikaden gestanden, andere hatten der Revolution ihre Feder geliehen. Das war vorbei. Und das Ministerium der vielgeschmähten „Reaktionszeit" zögerte seinerzeit nicht, sich im Gegensatz zu seiner ansonsten nicht gerade pressefreundlichen Tendenz von seiner besten Seite zu zeigen. Für den Namen stand Schiller — der literarische Jahresregent — Pate. „Concordia” soll ihr Name sein ... ? Die „Concordia" nahm bald im gesellschaftlichen Leben der Donaumetropole einen dominierenden Platz ein. Die „schwarze Kugel' bei der vor jeder Neuaufnahme vorgesehenen Ballofage bedeutete in späteren Jahrzehnten nicht nur eine gesellschaftliche Diskriminierung, sondern auch nicht selten — noch gab es keine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung — wirtschaftliche Existenzgefährdung. So blieb es durch beinahe 80 Jahre. Das Jahr 1938 zerstörte diese altehrwürdige Einrichtung der Wiener Presse und zerstreute ihre nicht unbeträchtlichen Vermögenswerte. Deshalb vergingen selbst nach der Wiederaufrichfung der Republik mehr als ein Jahrzehnf bis am vergangenen Sonntag — ein Zufall wollte es, daß es gerade der Presse- sonnfag der Katholiken war, woran der heutige Präsident der „Concordia", Hofraf Holzer, freundlicherweise zu erinnern nicht vergaß — die „Concordia” in ihrer ersten Generalversammlung wieder zum Sammeln rief. Die Zeiten sind andere als in den Tagen der Blüte jener Vereinigung. Dennoch: die im Vergleich mit anderen Ländern unbefriedigende Stellung der Journalisten im öffentlichen Leben eröffnet jenseits der rein materiellen Interessenvertretung, die mit wechselndem Erfolg von der Gewerkschaft wahrgenommen wird, ein weites Arbeitsfeld. Wird hier der neuen „Concordia" Erfolg beschieden sein? Eine Antwort zu geben wäre zu früh. Sie wird nicht zuletzt von der neuen Journalistengenerafion erfolgen müssen, die berufen ist, die alte Form mit neuem Leben zu erfüllen.

DER FALL STILLER. Westdeutschlands Presse und Oeffenflichkeit wird durch den Fall Stiller erregt. Der Journalist Stiller wurde im Gerichtssaal verhaftet, weil er eine Aussage verweigerte. Es ging um die Aufdeckung unziemlichen Verhaltens von städtischen Beamten11 weiblichen Angestellten gegenüber. Stiller hatte darüber Untersuchungen angestellt und In seiner Zeitung publiziert. Der betreffende Landgerichtsdirektor wollte nun durch „Beugehaft' den Journalisten zwingen, seine Quellen preiszugeben. Die westdeutsche Presse weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß man seit 1945 in etwa 60 bis 70 Fällen versucht hät, Journalisten wegen Zeugnisverweigerung gerichtlich zu belangen; in mindestens 15 Fällen wurden Journalisten auch verurteilt. Im Falle Stiller gelang es nur dadurch seinen Verteidigern, ihn aus der „Beugehaft" zu befreien, indem sie sich auf das Recht jedes Mannes, in eigener Sache die Aussage zu verweigern, beriefen. — Eine führende Westdeutsche Zeitung erklärt mit Recht in ihrem Leitaufsatz über das Thema „Ein Journalist wird gebeugt": „Heute ruft man Land auf

Land ab nach dem Bürger, der sich in Zivil wie in Uniform zeigen soll. Man tut es um so eifriger, je mehr sich herausstellt, daß der ,Bürger' in der Massendemokratie Seltenheitswert erlangt hat. Wenn jedoch ein Journalist solchen Bürgersinn zu betätigen versucht, wenn er Miß- sfände aufdeckt und dabei pflichtgemäß seine Informanten schützen will, die ihm ihr

Vertrauen geschenkt haben — was geschieht dann ... ? Wir haben wenig Freiheiten heutzutage. Die meisten von ihnen stehen nur auf dem Papier. Eine Freiheit, die noch wirksam ist, ist die Pressefreiheit. In der Massendemokratie, die ständig Züge des Autoritären und Totalen annimmt, isl die Presse im öffentlichen Leben einer der wenigen rechtmäßigen korrigierenden Faktoren. Darin liegt ihre Aufgabe.”

„DER HERR IST GOTT": unter diesem Leifwort stand das in beiden Teilen Berlins abgehaltene Herbsftreffen des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Die Kirchentage beider Konfessionen haben in diesen Jahren der Zerspaltung Deutschlands längst eine politische Bedeutung erlangt, die weit über ihre jeweilige spezifische Tagesarbeit hinausgeht. Gerade weil hier nicht Politik „gemacht” wird im Sinne einer Partei und einer Tageslosung, bildet diese stille und klare Demonstration der Einheit und Einung im Glauben für die Deutschen in West und Ost ein Zeichen der Hoffnung, der Zuversicht. Ein Zeichen eines stärkeren und höheren Glaubens. Diesmal war es das geglückte Bemühen der Kirchentagsleitung und der Teilnehmer, sich nicht einschüchtern zu lassen durch den Nervenkrieg und die mancherlei Versuche, zuletzt gerade von seifen Pankows her, durch Schikanen und Behinderungen das Klima des Kalten Krieges zu erneuern. Ohne Vorbesprechung stimmte dies eindrucksvoll mif der Antrittsrede des eben zum Präsidenten des Bundesrates gewählten neuen Berliner Bürgermeisters, des Sozialisten Willy Brandt, überein, der da er klärte: „Die andere Seite wird es schwer haben, uns in eine Stimmung des Kalten Krieges zurückzudrängen.” Eine Politik der Ruhe und Vernunft sei das Gebot der Stunde. — Beim Kirchentag plädierte Bischof Krummacher (Greifswald, DDR) an die Christenheit im Westen: die gesamte Christenheit müsse nüchtern und wach „jedem Spiel mit dem Gedanken an einen Kreuzzug, etwa zur Rettung des Abendlandes, widerstehen”. Je bestimmter der Christ einer Kreuzzugsideologie widerstehe, um so mehr könne auch die Kriegsgefahr „auf der anderen Seite gebannt werden, die darin ihre Wurzel hat, daß man heute die Ideologie des Marxismus zu einer modernen Welferlösungslehre erhebt, mit der die gesamte Menschheit auch gegen ihren Willen beglückt werden soll". — In diesen Tagen des roten Mondes, in denen die Sowjets und ihre erdgebundenen Satelliten eine globale Politik des Angstmachens betreiben, lebhaft unterstützt von Pankow, dem dies gerade besonders dienlich erscheint, um die innere Krise und Schwäche abzuschirmen, haf dieses Treffen des Evangelischen Kirchentages allen Deutschen gezeigt, welche Kraff die Frohe Botschaft auszustrahlen vermag; sie ist die einzig echte Mitte, von der aus der wahre Widerstand geleistet wird. Der Widerstand gegen jeden Ungeist, Terror, jedwede Verletzung der Menschenrechte.

„HAT AMERIKA DIE LETZTEN JAHRE GESCHLAFEN!" Wellen der Angst und Empörung laufen über den amerikanischen Kontinent. Es ist fraglich, inwieweit Präsident Eisenhower durch seine Rede vom 7. November diese Erregung beschwichtigen kann. Auch die Ernennung eines „wissenschaftlichen Zaren", Professor Killians, zum Chef der wissenschaftlichen und militärischen Forschung, hat zunächst nur optische Bedeutung. Die Regierung Eisenhower hält in einem Wellental ihres Ansehens. Was aber heute von allen Seifen her Washington angelasfet wird, nämlich ein immenser Aufwand von Worten und materiellen Mitteln und ein winziger Einsatz von „Phantasie”, von konstruktiven Plänen und politischen Initiativen zur friedlichen Einwirkung auf die Kontinente und Völker der Welt, gilt doch für alle Partner der westlichen Lebensgemeinschaft. London, Paris und Bonn haben, jeder in seinem Strahlkreis, wenig in diesen letzten Jahren gefan, um der Offensive des Ostens zu begegnen. Starr, eng, überaltert hat die englische Politik im Nahen Osten, die französische Politik in Nordafrika und die westdeutsche Politik in Zentraleuropa mit jenes Vakuum geschaffen, in dem täglich neue gefährliche Situationen geschaffen werden. Man täusche sich nicht: die gegenwärtige Proklamation intensiver wissenschaftlicher Zusammenarbeit Amerikas, Englands, Deutschlands und Frankreichs, um den russischen Vorsprung im

Raketen- und Rüstungswesen oufzuholen, genügt ebensowenig wie die Proklamierung des Ausbaus und Umbaus der NATO zu einer politischen Gemeinschaft der freien Völker, um wirksam der Offensive des Ostens zu begegnen. Die freie Welf muß zeigen, dafj sie mehr kann, als einen Vorsprung von Raketen und neuen Treibstoffen aufzuholen. Wenn darüber nichf gegenwärtig eine grundsätzliche Uebereinkunft erzielt wird, stehen wir in wenigen Jahren in derselben, vielleicht noch gefährlicheren Krise: es genügt also nicht, weder in Washington und Bonn, die technischen Schulen und Forschungs- ansfalfen Mit allem, was daranhängf, stärker zu subventionieren. Wenn nicht das gesamte Schul-, Erziehungs- und Bildungswesen des Westens, der freien Welt unvergleichlich reicher als bisher dotiert und entwickelt wird, wenn die Weltpolitik wiederum der mageren „Phantasie” von Bürokraten und Militärs überlassen bleibt, dann wird der Westen das einzige eben nichf „produzieren” können, das der Welt die immanente Ueberlegenheif der Freiheif über alle Formen der Unfreiheit beweisen kann: Menschen, die wahrhaft reicher sind als rne Typen, die in geschlossenen Gesellschaften Geltung besitzen: reiner an „Phantasie”, an Lebenskunst, an der Fähigkeit, in schweren Zeiten neue Wege zu finden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung