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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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KLAGEN, NICHTS ALS KLAGEN, Bittschriften, Bittschriften, nichts als Bittschriften — es würde nicht wundern, wenn der Chef der österreichischen Unterrichts- und Kulturverwaltung die aufschlußreichen, fast monatlichen Presseaussprachen mit diesem klassischen Stoßseufzer eröffnen würde. Er tut es nicht. Er läßt beispielsweise zu Beginn der jüngsten Konferenz imposante Ziffern über den Neubau, Wiederaufbau und Zubau von Schulen nach 1945 aufmarschieren, drück! seine Freude und Genugtuung darüber aus, fügt aber in höchst eindrucksvoller Weise an, daß Schulpflege auf allen Gebieten noch viel, viel ernster betrieben werden müsse, wenn wir, besonders im Zeitalter der Automation, die notwendige Produktionssteigerung (und die Pflege der Schulen, besonders der fachlichen Mittelschulen, ist eine unerläßliche Voraussetzung dafür!) bestehen wollen. — Der Königsplan der Unterrichtverwaltung zur Rettung des Theaters an der Wien: Die Burgtheaterdependance aus der Akademie in das (raummäßig zu reduzierende und daher sehr billig zu adaptierende) Theater an der Wien abzusiedeln und im heutigen Akademietheater dafür Raum für ein Opernsfudio von europäischem Rang zu gewinnen, findet derzeit leider nicht die Billigung der Eigentümer des Hauses an der Wienzeile, die derzeit in anderer Richtung ziehen… Aber am Minoritenplafz ist man nach wie vor optimistisch-realistisch und hofft auf bessere Zeiten (und Einsichten). — In der Marboe-Nachfolge zieht der Unterrichtsminister drei volle Persönlichkeiten als Direktoren mit einem beamteten Konkordanten dem anderen Plan (ein Generalintendant mit drei Sachwaltern) vor. Jedenfalls schafft diese Lösung mehr Raum für die Entfaltung schöpferischer Initiativen. — Steuerfreiheit der kulturmäzenafischen Spenden, Kunsfsenat und Schöne-Künsfe-Aka- demie, Haushalt der Bundesfheafer, aber auch noch größere und heiklere Probleme stehen, wie man auf der Konferenz hörte, nach wie vor auf dem Programm dieses schwierigen Ressorts. Se:n Leiter ist nicht zu beneiden. Die ständigen Aussprachen mit der Presse jedenfalls scheinen uns geeignet, an seinen Sorgen teilzunehmen und an ihrer Beseitigung mitzuarbeiten.

AM GRABE GUIDO SCHMIDTS. Am 5. Dezember ist in Wien der letzte Außenminister Oesterreichs in der Epoche der Zwischenkriegszeit 1918—1938, Dr. Guido Schmidt, den Nachwirkungen einer Grippe erlegen, die sich zu einem bereits länger bestehenden Leiden geschlagen hafte. Dr. Guido Schmidt ist 57 Jahre alt geworden. Er hat nicht lange die Leitung ejnes der größten ;östörreichis hem;Tndustnekon- zerne innegehabtt, die ihm. nach einem durch steile Aufstiege und einem noch steileren Absturz gekennzeichneten Leben Zugefallen war. Dr. Guido Schmidt wurde im Jahre 1901 in Bludenz geboren und hatte den zähen Selbstbehauptungswillen, die Zielstrebigkeit, die nüchterne ‘Abschätzung der realen Tatsachen des alemannischen Stammes mit in sich aufgenommen und zu einer stark persönlichen Ausprägung gebracht. Schon mit 27 Jahren wurde Schmidt der Kanzlei des Bundespräsidenten Mi- klas zugefeilf, nicht lange darauf dessen Kabi- neftsvizedirektor. Bald wurde er zur Behandlung außenpolitischer Fragen herangezogen. Im März und im Mai 1936 begleitete er Bundeskanzler Dr. Schuschnigg auf dessen beiden Romreisen. Sehr rasch hat dann Dr. Schmidt die nächste Stufe erklommen: Nach dem am 11. Juli 1936 publizierten Abschluß der österreichisch-deutschen Ausgleichsverhandlungen wurde er, Fünf- unddreißigjährig, zum Staatssekretär für Aeuße- res ernannt. Der Herbst 1936 sah ihn im Auftrag der Regierung in Berlin zu Besprechungen mif den Machthabern des „Dritten Reiches”. Mit Dr. Schuschnigg verließ er in den tragischen Märztagen 1938 das Bundeskanzleramt und haf der „Regierung Seyß-Inquart”, entgegen einer sozialistischen Pressesfimme, nicht mehr angehört. Seine Tätigkeit in diesen unseligen Jahren hat nach der Befreiung Oesterreichs von der nationalsozialistischen Okkupation herbe Kritik erfahren. Sie wurde einem Volksgerichfsverfahren unterzogen, dessen von der österreichischen Slaafsdruckerei publizierte Akten einen Band von nahezu 700 Seifen füllen. Das Verfahren endete mif einem Freispruch. Als dann nach dem Volksgerichtsverfahren die Kämpfe um seine Persönlichkeit abgeklungen waren, wurde dem mit Intellekt wie mif Tatkraft gleichermaßen aus- gesfatfefen Manne, der wohl auch in wechselvollen Jahren manche neue Erkenntnis gesammelt haben mochte, eine Wiederkehr auf rein fachlich-konstruktivem Felde in einer seiner Begabung adäquaten Stellung zuteil. Nun wurde das Buch des Lebens für Guido Schmidt jäh geschlossen, und er wird keine Zeile mehr dem hinzufügen können, das darin bereits eingetragen ist. Den Oesferreichern aller politischen Bekenntnisse ziemt jedoch am Grabe dieses Mannes eine Besinnung auf das große Drama unserer Geschichte; die Tragödie dieses Mannes bildet ja einen bedenkenswerten Abschnitt unseres Weges in eine hellere Zukunft.

DER FEHLSTART LtEGT WEIT ZURUCK: „Vanguard” ist am vergangenen Freifag beim Start explodiert. Ein Ereignis von symbolischer Bedeutung. „Vanguard”, Avantgarde, Spitze des (nur technisch verstandenen) Fortschritts, hätte nicht eine „so tiefe Bestürzung” in den Kreisen der Regierung in Washington und im ganzen amerikanischen Volk hinterlassen können, wenn hier eben nur eine Rakete in der Kettenreaktion von hunderten Versuchen zerplatzt wäre. Hier ist mehr zerplatzt: eine „große Illusion”. Es war ja nicht nur Propaganda, was da vom goldenen Westen her zumal in den letzten zehn Jahren in alle Welt hinausposaunt wurde: die unanfechtbare Ueberlegenheif der technischen amerikanischen Zivilisation über alle anderen Kulturen und Hemisphären, das alte Europa und Asien eingeschlossen, bildete ein Glaubensbekenntnis der führenden Politiker und breitester Kreise des Volkes der USA. Dieses Glaubensbekenntnis ist nun auf das schwerste erschüttert worden. Die inneren und äußeren Reaktionen Amerikas darauf werden von Europa und allen Freunden der freien Welf sorgfältigst zu beobachten sein. Kurzschlüsse und Kurzschlußgefahren liegen da allzu nahe. Es mußte bereits bedenklich stimmen, als ein Symptom dafür, wie weit die Verwirrung auch in der westlichen Welf um sich zu greifen beginn), daß Generalissimus Franco einen Lobeshymnus auf die Sowjetunion anstimmte, mit dem Hinweis, daß das alte Rußland niemals einen Sputnik zustande gebracht hätte. Spanien sucht Handel mit Rußland, Polen, der DDR und anderen Ländern des Ostens. W i r suchen mehr: eine Politik, die wirklich zur Freiheit führt. Eine solche Politik isf aber nur möglich in entschiedener Absage an die Illusionen, die zum Fehlst-rf der „Vanguard” geführt haben. Der Fehlstart liegt weit zurück: die maßlose Ueber- schäfzung des materiellen Wohlstandes und technizisfischer Fortschritte hat dem Westen die schwersten Niederlagen bereits in China, Asien, und Afrika jeijjgqtrageh: di fadNririehr als äufjöreri, Wohlstand; siet vli lhen auch diesen, sie wollen aber Zeichen sehen, am Himmel und auf Erden, daß der Mensch nicht nur vom Brof allein lebt. Amerika muß tiefer schöpfen und sich auf seine eigenen freiheitlichen Grundlagen und Traditionen rückbesinnen, um dem eigenen Volk und der Welf den glaubwürdigen Beweis zu liefern, daß ein Leben in Freiheit und Demokratie immer noch tausendfältig schöner, reicher isf als in nah- und ferngesteuerten, mit Raketen, Propaganda und Schrecken bestimmten Bahnen.

ANARCHIE IN INDONESIEN. Der zweite Weltkrieg hat die Saat zur Reife gebracht, die im ersten unter der Devise nationaler Selbstbestimmung gestreut worden war: Das Zeitalter des klassischen Kolonialismus ist unwiederbringlich vorbei, und der Tag kann nicht mehr fern sein, da auch die letzte koloniale Besitzung des Westens ihre Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit erlangt haben wird. Das bedeutet aber nicht, daß diese Entwicklung, so naturrechtlich begründet und begrüßenswert sie an sich auch ist, nicht da und dort vorzeitig eingesetzt hat und zum Abschlufj kam, noch ehe das betreffende Volk zur Führung eines staatlichen Eigenlebens im heutigen Sinn befähigt war. Gewifj hat Holland aus seiner ostindischen Kolonie sehr reichen Nutzen gezogen, aber es hat auch, namentlich seit Beginn dieses Jahrhunderts, sehr Erhebliches für die Verbesserung des Lebensstandards und die Erhöhung des kulturellen Niveaus der Indonesier getan; und wenn seine planmäßigen Bemühungen, die Einheimischen schrittweise zur Selbstverwaltung zu erziehen, bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges noch nicht weit über den Kreis der Dorfgemeinde und des Distrikts hinaus gediehen waren, so lag das weit weniger am Fehlen guten Willens auf seiten der Holländer, als an der Indolenz der Malayen und ihrem mangelnden Sinn für Ordnung und Organisation. Als die für die indonesische Anarchie ursprünglich Verantwortlichen sind eher die amerikanischen und britischen Staatsmänner zu bezeichnen, die nach Kriegsende die Rückkehr der Holländer nach Indonesien so lange verzögerten, bis sich das Chaos unter dem Mantel eines völkerrechtlich anerkannten „indonesischen Staates” in Permanenz etabliert hatte. Um so mehr wäre es jetzt die Pflicht der USA und Großbritanniens, sich mit Holland in der Verteidigung seiner legitimen Interessen in Indonesien solidarisch zu erklären, statt weiter zu versuchen, aus anarchischen Zuständen, an denen sie ein gerüffeltes Maß von Schuld tragen, Kapital zu schlagen.

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