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RANDBEMERKUNGEN zur woche

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DIE FRAGE AN ÖSTERREICH. Das Schreiben des sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin an Bundeskanzler Raab, eines von den 82 Schreiben an die Regierungschefs der UNO-Staaten und der Schweiz, enthält neben den bereits bekannten Vorschlägen an die Adresse aller Staaten folgende bemerkenswerte Stellen: „Unserer Meinung nach, Herr Bundeskanzler, könnte das neutrale Oesterreich, das im Herzen Europas zwischen den beiden Mächtegruppierungen gelegen ist und schon allein auf Grund dieses Umstandes an der Erhaltung des Friedens interessiert sein muß, einen wesentlichen Beitrag zur Abschwächung der internationalen Spannung und zur Wiederherstellung des Vertrauens in den Beziehungen zwischen den Staaten leisten. Man wird daher den Worten des Herrn Bundespräsidenten Oesterreichs, Adolf Schärf, in seiner Neujahrsbotschaft nur beipflichten können, daß Oesterreich auf Grund seiner Neutralitätspolitik jetzt mit anderen Staaten zusammenarbeiten kann, ,wenn es um den Dienst am Frieden geht, den die Menschheit so heiß ersehnt'. Wir haben mit grober Genugtuung Ihre Rede vom 5. Jänner d. J. zur Kenntnis genommen, in der Sie Verhandlungen zwischen den Staaten des Westens und des Ostens zur Sicherung des Friedens bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1958 als zweckmäßig bezeichneten und erklärten, daß Oesterreich gern an solchen Verhandlungen teilnehmen würde. Diese Ihre Aeußerung berechtigt zu der Hoffnung, daf} die österreichische Regierung die Vorschläge der Sowjetregierung mit entsprechender Aufmerksamkeif prüfen, einer Teilnahme an der vorgeschlagenen Konferenz der Staatsmänner günstig gegenüberstehen und an der Einberufung und am Erfolg einer solchen Konferenz mitwirken würde.“ — Es ist gut, daß Bundeskanzler Raab sein Reiseprogramm für 1958, seit langem vorbereitet, bereits vor den gegenwärtig anlaufenden außenpolitischen Aktionen der Sowjetunion bekanntgegeben hat: Rom, Moskau und Washington sind die nächsten Reiseziele. Die langen Jahre des Ringens um den Staatsvertrag haben bereits gezeigt, wie eng die internationale Lage mit der besonderen Situation Oesterreichs zusammenhängt. Die klare Haltung der österreichischen Regierung während der ungarischen Katastrophe hat dem Westen gezeigt, wie ernst es Oesterreich mit der Verteidigung der Freiheit ist. Ständige wirtschaftliche und politische Verhandlungen mit der Sowjetunion, nicht zuletzt die Annahme einer Einladung österreichischer Offiziere zum Studium russischer Ausbildung und Anlagen in der Sowjetunion zeigen ide,nv0sfen, wie ernst es Oesterreich mit der. Behauptung der Neutralität ist. Bundeskanzler Raab hat sich zudem in Ost und West einen besonderen Kredit erworben als aufrechter Vertreter seines Landes. — Unser Volk sieht mit Zuversicht den Reisen und Verhandlungen in Moskau und Washington entgegen. Oesterreich wird seinen Beitrag zur Erhaltung und zum Ausbau des Weltfriedens leisten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verpflichten gleichermaßen zu dieser Friedensmission.

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„DUNKLE PLANE UM DONAUFÖDERATION“

glaubt das Blatt der kleinen österreichischen Rechfsopposition aufdecken zu können. In diesen düsteren Kombinationen spielt zunächst der Korrespondent des „Daily Telegraph“ für Zentraleuropa eine Rolle. In seinem vor einigen Monaten erschienenen Buch „The Ausfrian Odyssee“ sprach Gordon Shepherd nämlich in aller Nüchternheit die Gefahren, aber auch die Chancen Oesterreichs aus, die es angezeigt erscheinen lassen, das alte Schlagwort von „Oesterreichs Mission im Donauraum“ mit neuem Inhalt zu erfüllen. Wir haben damals an führender Stelle („Furche“ Nr. 44/1957) unseres Blattes unsere Leser mit den Gedanken eines durch vielfältige Bande mit unserem Land verbundenen englischen Freundes bekannt gemacht und mußten bekennen, daß dessen Sorgen und Hoffnungen zum guten Teil mit den unseren identisch sind. Gerade das aber war für die an der „Neuen Front“ (gar so neu ist diese Front eigentlich nicht) stehenden Leute Anlaß, die Alarmglocke zu schlagen. Das „perfide Albion“ und „Die Furche“ einer Meinung — da kann es sich doch nur um eine Art postumen Besuch Eduards VII. am Wiener Hof handeln. Grund genug, um wieder einmal die alte Leier von „deutschfeindlich“ usw. zu schlagen. Hier muß einmal Fraktur gesprochen werden: Unsere die deutschnationale Konkursmasse verwaltenden „Freiheitlichen“ und ihre Gesinnungsgenossen anderswo haben sich zwar nolens volens mit der österreichischen Eigenstaatlichkeit abgefunden. Sie ist aber für sie nach wie vor nur in einer Art „Ostmark'stellung begreiflich. Nichts scheint diesen seltsamen Patrioten abwegiger, als daß dieses Oesterreich eines Tages inmitten einer in Fluß kommenden Weltpolifik ein bescheidenes eigenes Gewicht bekommen könnte. Daß gerade dies aber nicht zuletzt auch den deutschen Interessen nur nützlich sein würde, wissen einsichtige Kreise in der Deutschen Bundesrepublik, wie wir von Gesprächen mit deutschen Freunden zur Genüge wissen. Wer soll das aber unseren spätgeborenen Enkeln Schönerers klarmachen können? Schon bei ihren Großvätern hat es ein Bismarck vergeblich versucht.

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BOTSCHAFT VOM „TOTALEN FRIEDEN“. Die

„Botschaft an den Kongreß“, die Neujahrsrede

des amerikanischen Präsidenten, wird Jahr für Jahr von der Weltöffentlichkeit mit Spannung erwartet, bildet sie doch die Perspektiven der Regierungspolitik oft weit über ein Jahr hinaus und spiegelt gleichzeitig die Reaktion Amerikas auf die Ereignisse des abgelaufenen Jahres. Diesmal wurde sie naturgemäß mit besonderer Aufmerksamkeit erwartet; kaum gehalten, tritt sie in den Schatten der globalen sowjetischen Aktion; sie verdient dieses Schicksal nicht. Präsident Eisenhower schlag* der Nation ein Achtpunkteprogramm vor für eine -Mobilisierung aller Kräfte Amerikas für den „totalen Frieden“. „Was die sowjetische Gefahr inzigartig in der Geschichte macht, ist ihr alles umfassender Charakter. Jede menschliche Tätigkeit wird in den Dienst als Waffe der Expansion gepreßt. Handel, wirtschaftliche Entwicklung, militärische Macht, Kunst, Wissenschaft, Erziehung, die ganze Geisteswelt — alles wird demselben Ziel der Expansion nutzbar gemacht. Die Sowjets führen, kurz gesagt, einen totalen kalten Krieg. Die einzige Antwort an ein Regime, das einen totalen kalten Krieg führt, lautet, einen totalen Frieden zu führen.“ So Eisenhower. Für diesen „totalen

Frieden“ will der Präsident gigantische Summen mobilisieren zur Verstärkung der Rüstung, der Auslandshilfen, der Schulbildung. Der Präsident fordert zudem ein einheitliches Oberkommando der US-Streitkräfte. — Das neue Budget sieht Ausgaben in der Höhe von mindestens 73,8 Milliarden Dollar vor. Wie weit der Kongreß Eisenhower entgegenkommen wird, wird die Zukunft zeigen. Ueber die innenpolitische Bedeutung dieser Kongreßbotschaft äußern sich die meisten amerikanischen Stimmen positiv. Ihr schwacher Punkt ist die Außenpolitik, die nur in vorsichtigen, allgemein gehaltenen Worten angedeutet wird: Bereifschaft zu Verhandlungen mit den Sowjets, aber ohne konkrete Präzisierung. Hier haken die neuen Schreiben Bulga-nins an die Adresse der UNO-Mitgliedsfaäfen und der Schweiz ein. Hier ist es, im Gegensatz zur Sparsamkeit der Eisenhowerschen Andeutungen, gerade die Ueberfülle konkreter Vorschläge und Forderungen, die bei den Wesf-mächten Besorgnis, ja „offene Bestürzung“ erregt. Wer vermag hier zwischen Propaganda und politischer Realität zu unterscheiden? — Wie immer die Reaktionen auf diese außenpolitische Offensive der Sowjetunion laufen mögen, über eines Jsindnifen, alle fctfroffeneri klar: die Weltpolitik dürfte in diesem Jahr in Bewegung geraten wie nie zuvor, seit Hitler in Polen einmarschierte .

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SORGEN IN MACMILLANS REISEGEPÄCK.

Der britische Premierminister befindet sich auf einer Auslandstournee, die ihn länger, als dies einem seiner Vorgänger tunlich erschienen wäre, von seinem Amtsbereich fernhalten wird. Er will versuchen, durch eingehende Gespräche mit einem möglichst weiten Kreis der führenden Männer Indiens, Pakistans, Ceylons, Australiens und Neuseelands das auch in diesen Ländern seit der Suezkrise notleidend gebliebene Vertrauen in die Stärke Großbritanniens und die Klugheit und Folgerichtigkeit seiner Politik neu zu beieben und eine Festigung des Zusammenhalts im Commonwealth zu erreichen. Für dieses Vorhaben konnte er sich von Haus aus mit einer Reihe beachtlicher Argumente wirtschaftlicher und politischer Natur equipieren; aber in seinem Reisegepäck mußte Harold Macmillan wohl oder übel auch etwas mitführen, was dem Zweck der Tournee keinesfalls dienlich sein konnte, nämlich ein gewichtiges Bündel innenpolitischer Sorgen. Sie betreffen Tafsachen, die durch einige an sich erfreuliche Aspekte der inneren Situation Großbritanniens nicht aus der Welt zu schaffen sind; und das erst recht nicht, wenn der derzeitige britische Regierungschef, wie es immer wieder den Anschein hat, ihre volle Bedeutung und Tragweite unterschätzt. Es ist wahr: die britische Industrie produziert auf vollen Touren, die Handelsbilanz ist hochaktiv und namentlich die Ausfuhr gegen Dollar hat eine Rekordziffer erreicht, das Pfund Sterling weist — noch, muß man sagen — eine bemerkenswerte Festigkeit auf. Das alles aber langt nicht hin, um das Malaise zu zerstreuen, das als dunkle Wolke auf allen Schichten der britischen Bevölkerung lastet. Eine geringe Abschwächung der amerikanischen Hochkonjunktur — und sie beginnt bereits ihre Schatten vorauszuwerfen — ist eine Gefah', die um so bedrohlicher ist, als der britischen Wirfschaff eine neuerliche schwere Belastung durch eine Reihe bereits angemeldeter massiver Lohnforderurigen bevorsteht. Hier liegt der eigentliche Kern des Problems, mit dem die Regierung Macmillan nicht fertig geworden ist. Das britische Volk ist zu großen Opfern und den höchsten Anstrengungen bereit, wenn ihm klargemacht wurde, was die gegebene Lage erfordert. Das ist nicht geschehen, und zwar deshalb, weil sich die Regierung über den zu verfolgenden Kurs selbst nicht im klaren ist. Dies wurde durch den kürzlichen Rücktriff des erfolgreichen Verteidigers des Pfundes, des Schatzkanzlers Peter Thorneycroft, neuerdings illustriert.

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