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RANDBEMERKUNGEN zur woche

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DER BALKANZUG HAT VERSPÄTUNG. Schon vor zwei Jahren hatte Belgrad eine Einladung zu einem Besuch österreichischer Regierungs-mifglieder ausgesprochen. Diese Einladung ist erneuert worden, und es besteht die Aussicht, dafj in nächster Zeit unser Aufjenminister und sein Staatssekretär in den Balkanzug steigen. Der Versuch, mit Oesterreich zu einem Gespräch zu kommen, war vor Jahren bereits der Teil des Bemühens, eine eigene außenpolitische Aktivität zwischen den Blöcken, zwischen West und Ost, zu entwickeln. Damals war der Belgrader Besuch nicht zuletzt an der Weigerung Jugoslawiens gescheitert, Oesterreich für das durch den Staatsvertrag an Jugoslawien abgetretene Privatvermögen in angemessener Weise zu entschädigen. Der österreichische Botschafter in Belgrad hat seinerzeit lediglich erreicht, dafj Teile des kirchlichen Vermögens sowie der Guthaben karitativer Organisafionen auf jugoslawischem Staatsgebiet — aber unter ziemlich ungünstigen Bedingungen — zurückerstattet werden. Es handelt sich um keinen Pappenstiel in der Vermögensfrage — rund drei Milliarden Schilling, für die der österreichische Staat seine Bürger irgendwie entschädigen mufj. Es heifjt, dar; Belgrad in dieser schwerwiegenden Frage erneut mit sich reden lassen will. Als zweiten Punkt des Besuchsprogramms dürfte wohl oder übel die jugoslawische Pressepropaganda aufs Tapet kommen, von der wir anläßlich des Memorandums der Kärntner Slowenen in der Schulfrage eine Kostprobe serviert bekamen. Diese Diskussionen, die sich beiderseits schließlich auf ein völlig unsachliches, national überhitztes Propagandagebief schlugen, haben weder in Kärnten noch in Laibach eine freundnachbarlichen Beziehungen günstige Atmosphäre geschaffen. Aus Belgrad verlautet schließlich, daß man in den Besprechungen mit Oesterreich die Frage der Beteiligung der Länder zwischen den Blöcken — wozu sich Jugoslawien zählt — an der, von Bulganin angeregten Gipfelkonferenz unter die Lupe nehmen möchte. Auch der Reiseverkehr und der Güferfransit über jugoslawisches Gebiet nach Triest und eine entsprechende tarifliche Begünstigung könnten Gegenstand der Unterhaltungen werden, obschon hier gerade Jugoslawien den Konkurrenzhafen Fiume (Rijeka) in den Vordergrund schieben wird.

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DIE SANIERUNG DER KRANKENKASSEN soll durch drei Maßnahmen garantiert werden. Erstens durch die Einführung des bereits 1956 beschlossenen bezahlten Krankenscheines — man spricht von fünf Schilling zweitens-durch eine Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge der Rentner und drittens durch gesteigerte Beiträge der Unfallversicherungsanstalt für die Behandlung von Arbeitsunfällen. Das ASVG wird man also novellieren und zweifellos nicht zum letztenmal. Denn diese sogenannte Sanierung ist genau besehen nur eine Ueberbrückungshil/e. Der Bankkredit, den man für die Kassen flüssigmachen will, muß zurückgezahlt und verzinst werden; die Beträge dafür muß man aus den Beiträgen der Arbeiter und Angestellten abzweigen. Es bleibe dahingestellt, ob die Grippewelle mit dem durch sie verursachten Mehraufwand von etwa 120 Millionen Schilling die Schuld an der prekären Lage trägt, und ob es angesichts dieses Zustandes zu verantworten ist, wenn sich die Steier-märkische Gebietskrankenkasse zehn Prozent mehr Personal leistet, als tunlich (wie behauptet wird), und ob die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse ein Großambulatorium bauen muß, das 60 Millionen erfordern dürfte. Die Kassen verweisen darauf, daß die Zahl der Rezeptverschreibungen von 44 Millionen im Jahre 1955 auf 48 Millionen im Jahre 1956 gestiegen sei, daß in diesem Jahre mehr als 15 Millionen Krankenscheine honoriert wurden (was heißt, daß alle Versicherten einschließlich ihrer Familienangehörigen neun Monate in ärztlicher Behandlung standen) und sie verweisen weiter darauf, daß für 1958 die Aerztekammer eine Erhöhung der Honorarforderungen um 25 Prozent angemeldet habe. Die Kassen wollen staatliche Zuschüsse. Wohin sich diese Welle der Erhöhungen und Forderungen an den Staat entwickeln wird, haben sich die Maßgebenden nicht überlegt. Sie haben auch noch nicht verlauten lassen, ob man den Rentnern höhere Sozialversicberungsbeifräge von der gegenwärtigen Rente abziehen will, was einer Verminderung der bekanntermaßen ärmlichen Rente gleichkäme. Erhöht man aber die Renten um die kongruenten Beträge, dann muß man sich klar sein, daß die Zahl der Rentner, die 1927 noch 75.000 betrug, heute bei 800.000 liegt und weiter ansteigen wird. Das Hinauflizitieren haf einmal sein Ende.

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DAS „MÜNCHNER GESPRÄCH“. In der Deutschen Bundesrepublik wurde es als eine innenpolitische Sensation empfunden, als in der ersten Jännerhälfte die Katholische Akademie in Bayern führende katholische Sozialdenker und Slaatsphilosophen und führende Sozialdemokraten zu einem Gespräch einlud, das als „Münchner Gespräch“ in die Geschichte der innerdeutschen Selbstfindung nach diesem Kriege eingeht. Noch vor kurzem hatten westdeutsche kirchliche Kreise heftigst gegen eine Teilnahme katholischer Persönlichkeite an einer von der sozialdemokratischen Akademikerschaft veranstalteten Vortragsreihe über das Thema „Der Christ und die Politik“ protestiert und die Ansicht vertreten, dies verwirre den katholischen

Wähler im Wahlkampf. Nun war diese Befürchtung nicht mehr gegeben, und so kam es, daß an zwei Tagen sich so prominente Persönlichkeiten, wie P. W. Gundlach, der Berater des Heiligen Vaters in vielen wichtigen Staats- und kirchenpolitischen Angelegenheiten, und auf der anderen Seite Carlo Schmid und Dr. Adolf Arndt gegenüberstanden. P. Gundlach legte eingangs zum Zeichen, daß er nicht für „Rom“ spreche, sondern als Privatmann, seine römische Stahlbrille ab und eine Hornbrille, Zeichen, wie “er sagte, des Wirtschaftswunders, an, und seine sozialistischen Partner betonten ihrerseits, daß sie nicht als parteioffizielle Vertreter, sondern ihrer persönlichen Ueberzeugung nach sprächen. — Das „Münchner Gespräch“, hinter dem politisch doch die jahrelange gute Zusammenarbeit sozialistischer und christlich-demokratischer Staatsmänner und Politiker atmosphärisch steht (in Bonn oder Köln wäre dies wohl kaum denkbar gewesen), vielleicht auch eine gewisse Nähe zu Oesterreich, war eindrucksvoll durch das Bemühen beider Seiten, klar Stellung zu beziehen und auf den Gegner Rücksicht zu nehmen durch saubere und nüchterne Darstellung des möglicherweise Verbindenden wie des Trennenden. Das Trennende wurde vor allem in der Schulfrage sichtbar: die Katholiken bestehen auf der Bekenntnisschule, die Sozialisten auf der Gemeinschaftsschule, — Der Friede, auch der innere Friede, ist teuer; das bewies auch dieses Münchner Gespräch. Beide Seiten werden sich sehr anstrengen, es sich innerlich viel kosten lassen müssen, soll es in Zukunft einen wirklich großen Abgleich und eine fruchtbare Zusammenarbeit geben. P. Gudlach gestand offen ein, daß er etwas in Verlegenheit sei bei der Beurteilung des „demokratischen Sozialismus“; ebenso gestanden sozialdemokratische Teilnehmer zu, daß sie bereits bei der Vorbereitung auf dieses Gespräch viel gelernt hälfen, was ihnen vom katholischen Denken unbekannt gewesen sei. Ein Anfang aber ist gemacht; in München, im Jänner 1958, zu einer Begegnung zwischen katholischer Kirche und Sozialismus. Wäre diese vor etwa über einem Vierteljahrhundert erfolgt, hätte es nicht zum 30. Jänner 1933 kommen können, zur Machtübernahme Adolf Hitlers; der dann beide zermalmt hat, demokratische Sozialisten und demokratische Katholiken. Ein Mahnmal für morgen.

DIE WELTPOLITIK GEHT ZU FUSS. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man die Aeuße-rungenund Reden Eisenhowers und Adenauers, ihre Antwort an Bulganin auf dessen „Brieflawine“ hin studiert. Beide rufen Moskau ein „Stop“ zu: so müssen wohl die vielen Nein gedeutet werden, die in der Antwort Washingtons und Bonns sehr offen gesagt werden. Beide Staatsmänner hatten dabei das Bedürfnis, sich der Oeffentlichkeit direkt zu stellen. Eisenhower hielt die erste Pressekonferenz seit seiner letzten Erkrankung im vergangenen Spätherbst ab. Die Journalisten vermißten seine frühere Schlagfertigkeit und Reaktionsfähigkeit. Gereizt erklärte er, daß er nicht daran denke, John Foster Dulles zu entlassen, den er für den klügsten Kopf hälfe. Dr. Adenauer stellte sich in einer Rundfunkrede über alle deutschen Sender der Oeffentlichkeit. Seine vielen Nein kamen für manche überraschend, die nach seinem Auftreten bei der NATO-Konferenz in Paris von ihm so etwas wie den Versuch eines eigenen Weges erwartet haften. Wie man hört, wurde Adenauer zu seiner neuen Absage an Moskau durch ein Gutachten des Verteidigungsministeriums mitbestimmt, das auf die Lücken in den russischen Vorschlägen bezüglich einer Verminderung der konventionellen Streitkräfte und einer Kontrolle rund um die atomwaffenfreie Zone hinwies. Zudem fürchtet man da den Abzug der amerikanischen Truppen aus Deutschland. Intern spricht man auch davon, daß noch einmal Brentano und Hallstein über Blankenborn als maßgebende Berater des Bonner Kanzlers gesiegt hätten. — Nun, vielleicht ist das Nein Dr. Adenauers nicht so tragisch zu nehmen; es kommt Eisenhower und Dulles sehr weif entgegen, entfernt sich aber nur im Tonfall von den Antworten Frankreichs, Italiens und anderer Mächte, die sich alle darin einig sind, daß nützliche Verhandlungen seriöser Vorbereitungen bedürfen. Die Weltpolifik geht zu Fuß im Zeitalter des Düsenflugzeuges und des Sputnik; kein schlechtes Zeichen, wenn man es richtig versteht. Die großen Fragen der Weltpolitik sind so heikel, daß man viel übersieht und viel überfährt (so wurden lebenswichtige Interessen der Völker Mitteleuropas in den Friedensverträgen nach dem ersten und dem zweiten Weltkrieg „überfahren“), wenn man sich nicht Zeit läßt, „zu Fuß“ zu gehen. Redliche Verträge setzen redliche Verhandlungen voraus, in jener Rückkehr zur „Geheimdiplomatie“, die Bundespräsident Heuss in seiner Neujahrsansprache gefordert haf. — Washington, Bonn, Paris und London sind sich einig; wenn die Russen eine offene Tür zeigen, wird man vorsichtig in sie hineingehen. Englands Premierminister hat als einziger darauf hingewiesen, daß dieser Spalf vielleicht schon aufgetan wurde im Rapacki-Plan, über den sich reden läßt, über den gesprochen werden sollte. Hinter verschlossenen Türen.

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