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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DAS FATALE DATUM. Der 11. März rückt nahe. Den zuständigen Gremien der bei'den Regierungsparteien bereitet dieses Datum, an dem sich zum 20. Male der Tag jährt, an dem der Name Oesterreich ausgelöscht wurde, anscheinend einiges Kopfzerbrechen. Bis heute hat man nämlich noch nichts davon gehört, wie man diesem Ereignis Rechnung tragen will. Dem Vernehmen nach soll der Plan einer Gedenksitzung des Nationalrates fallengelassen worden sein. Wird man sich auch mitten im allgemeinen Wohlergehen und der verschiedenen politischen Techtelmechtel nicht einmal zu einem Requiem für die für Oesterreich Gefallenen aufraffen? Und wie steht es mit der überfälligen Errichtung eines schlichten, Ehrenmals für jene Toten, von dem hier an dieser Stelle vor einer Woche schon die Rede war? Während jene Politiker, die nicht zuletzt ihre heutige Position dieser stummen Schar verdanken, es aus diesem oder jenem Grund — lies unangebrachte Rücksichten auf diverse Wähler — scheuen, öffentlich den Huf zu ziehen, denkt man in Kreisen der Parteijugend zum Glück anders. Mit der erfrischenden Offenheit, die gerade in letzter Zeil die „Oesterreichische Jugendbewegung“ in sfaatspolitischen Grundsatzfragen auszeichnet, hat man sich hier die Forderung nach einem würdigen Gedenken des düsteren 11. März zu eigen gemacht. Der 11. März 1938 war ein Schicksalstag. Wenn uns heute schon die Erinnerung „Schwierigkeifen“ bereitet, dann wären wir von ähnlichen fatalen Daten in der Zukunft nicht gefeit.

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MAHNUNGEN DER AKADEMIKER. „Die Akademiker sind an ihrer mißlichen Lage mitschuldig. Sie sind der Herausforderung der Zeit vielfach schuldig, geblieben.“ Mit diesen Worten leitete Minister Drimmel seine Rede ein, die .er kürzlich bei einer Wochenendfagung des Oesterreichischen Akademikerbundes gehalten hat. Er sprach von der außerordentlich schwierigen Engpahlage der österreichischen Hochschulen, die dadurch entstanden ist, dafj, während die Sozialisten „den Sturm auf die Hochschulen vorbereiten“ und deren Autonomie durch Einführung des Proporzes aufheben wollen, die heute noch autonomen Hochschulen in vieler Hinsicht reformbedürftig sind. Die Offensive der Sozialisten findet sie also gewissermaßen unvorbereitet. Die Akademiker müfjfen aus ihrer selbstverschuldeten

Abgeschiedenheit endlich heraustreten und das „harte Exerzitium“ einer Gemeinschaft auf sich nehmen. Das bedeutet klare, eindeutige Stellungnahmen zu den Schlüsselproblemen des österreichischen politischen Lebens. Die erwähnte Tagung des Akademikerbundes ist die Antwort auf viele dieser Fragen nicht schuldig geblieben. Es wurde unter anderem betont, dafj der Begriff der parlamentarischen Demokratie ein Nebeneinander von verschiedenen Meinungen voraussetzte, damit aber nicht der „Proporz“ gemeint sei... In diesem Sinne forderte die Schluhresolution der Tagung Freiheit für die wissenschaftliche Forschung und die Lehrtätigkeit, sie traf — über den wissenschaftlichen Bereich hinaus — für den Rechtsstaat, für die Trennung der Gewalten ein. Es wurde auch gefordert, Zuwendungen für Hoch-schulinstifufe und Stipendien steuerlich zu begünstigen. Da der Präsident des Akademikerbundes zugleich der österreichische Finanzminister ist, kommt diesem Beschluß erhöhte Bedeutung zu, zumal bekanntlich die diesbezüglichen Widerstände bisher nicht zuletzt von seifen des Finanzministeriums kamen.

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GIPFELKONFERENZ IM FRUHHERBST 19581

Nach dem Verebben der Brieiflut Bulganins an die Adresse fast aller Regierungschefs der Erde, nach den ersten und unruhigen Reaktionen auf den Rapacki-Plan beginnt sich nun der Westen im wesentlichen auf der von Eisenhower und Dul-les vorgeschlagenen Linie zu vergattern: Vor-

bereitung einer Gipfelkonferenz durch sorgfältige diplomatische Vorarbeit und eventuell eine Aufjenminisferkonferenz. England, das den sichtbarsten Vorstoß zunächst in Abweichung von Washington gemacht hatte, zog sich angesichts der heiklen Situation im Nahen Osten zurück. Bonn lehnte Warschaus Einladung, über den verbesserten Rapaoki-Plan direkt zu verhandeln, ab. Gleichzeitig demonstriert jedoch Westdeutschland sein Interesse an Ost-West-Verhandlungen durch Reden und Aeufjerungen der beiden CDU- beziehungsweise CSU-Minister Lemmer und Strauß, die den Rapacki-Plan sehr ernst nehmen. Auflockerung, mit großer Behutsamkeit, ist die Parole und die Praxis der führenden westlichen Politiker heute. Der USA-Botschafter Thompson, Wien wohlbekannt durch seine Verdienste um den österreichischen Staats-verfrag, sondiert als Botschafter in Moskau die russischen Absichten. Was bekanntlich nicht leicht ist. Nicht nur Bonn, sondern auch andere westeuropäische Partner der USA beobachten mit Sorge Weltpolitische Manöver und Umtriebe der Sowjets, die, tausendfach, in Afrika, Asien und Europa versuchen, dem Westen Ungelegenheiten zu bereiten, mit dem Ziel, allein mit Amerika am Verhandlungstisch zu sitzen. Eben deshalb wird der Rapacki-Plan jetzt im Westen immer ernster genommen, nicht nur als eine sowjetische List verstanden: Polen kämpft um seine Freiheit mit diesem Plan, denn wenn die atomwaffenfreie Zone nicht zustande kommt, errichten die Sowjets Raketenbasen auch auf polnischem Boden, was die totale Rückführung Polens in den Ostblock bedeuten würde. England und Frankreich wissen, daß sie ihr Versprechen von 1939, Polens Freiheit zu erkämpfen, noch nicht eingelöst haben... Zugleich aber wird die Sorge Amerikas verstanden: Gipfelkonferenzen waren, seit Stalins Zeiten, immer wieder Triumphe für die Sowjets. Sollen sie diesmal anders aussehen und zu einem echten Gleichgewicht führen, bedürfen sie der Vorarbeit und Abstimmung der Interessen in der westlichen Welt. Eben, weil sich nur mehr zwei Verhandlungsgegner gegenüberstehen: die USA und die UdSSR.

ÄGYPTEN UND SUDAN, INDONESIEN UND ZENTRAL-SUMATRA — diese außereuropäischen Konflikte sind nicht nur in sich, sondern auch für die künftige Politik der westlichen und freien Länder bedeutungsvoll. Zum erstenmal hat ein orabischer Staat gegen einen anderen arabischen Staat den Sicherheitsrat der UNO angerufen, Kräfte des Wachstums und der Zerstörung, ge,r,qda/fiuch0(der .Selbsfzersjör+M*)„jw de*&-,e|trf) wachenden Völkern? werden datb.die mi! größter Behutsamkeit vom Westen in Rechnung zu stellen sind. Der „Mussolini des Nils“, wie Nasser immer häufiger genannt wird, hat, so scheint es, momentan seine Annexionspläne dem Sudan gegenüber zurückgestellt. Der Versuch des Negus, des einst durch Mussolini bereits so schwer Getroffenen, zwischen Nasser und Sudan zu vermitteln, zeigte bereits, wer der nächst Betroffene in der Schußlinie der ägyptisch-panarabischen Expansion ist: Abessinien. Im Streit um die richtige Einstellung des von Mussolini Überfallenen Abessinien gegenüber hat 1936 die westliche Welt sich unheilbar geschwächt. Hitlers Aufstieg wurde durch die Genfer Abweisung des hilfesuchenden Negus entscheidend gefördert. Der Westen wird sich heute vorsehen müssen, soll dieses Vorbild nicht noch weiter Schule machen. Die momentane Verdrängung der syrischen Kommunisten durch Nasser ist kein Trost. Moskau opfert da einige seiner Gefreuen für eine kleine Weile, weil es Nasser gut zu gebrauchen gedenkt, den arabischen Nationalismus auch nicht in seiner gegenwärtigen Hochflut auffangen kann. Nicht weniger bedenkenswert sind auf die Dauer die politischen und militärischen Manöver in Indonesien, einem der reichsten Gebilde der Erde. Der kommunistenfreundliche Ministerpräsident Sukarno kämpft da mit der antikommunistischen Fronde in Zentral-Sumatra. Wenn in Indonesien ein Balkan des Ostens entsteht, dann ist er .nicht weniger gefährlich als in den letzten hundert Jahren der kleine Balkan Europas. Ohne Zweifel besitzen vor allen westlichen Mächten die USA die größten Chancen, in diesen außereuropäischen Gebieten die Sache der Freiheit zu vertreten, da sie allein durch koloniale Traditionen unbelastet sind. Eben deshalb ist ihre Verantwortung groß und heikel.

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