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Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN zur Woche

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ÄNDERUNG DES STRAFVOLLZUGES und harte Arbeit für unverbesserliche Gesetzesbrecher hatte Bundeskanzler Raab vor zwei Wochen im Rundfunk gefordert. Seine wohlbegründeten Vorschläge wurden in der Oeffentlichkeit nicht überall mit dem gebührenden Verständnis aufgenommen. Man versuchte, aus seinem Vorschlag so etwas wie eine Diffamierung der Arbeit herauszulesen, und mäkelte an der möglichen Durchführung mit Organisationsschwierigkeiten herum. Nun ist der Kanzler in einer zweiten Rundfunkansprache deutlicher geworden. „Ich habe“, erklärte er, „nicht von der Arbeit als Strafe gesprochen, sondern ich habe eindeutig dargelegt, daß die Arbeit ein sehr wertvolles Erziehungsmittel sein kann und soll. Dabei habe ich an die Arbeit als Erziehungsmethode nicht nur für die Jugendlichen, sondern im besonderen auch für

arbeitsscheue Erwachsene gedacht, die sich Verbrechen zuschulden kommen lassen.“ An die Arbeit im Straßenbau — wenn sie wirklich die vorgebrachten Schwierigkeiten autwerfen sollte — klammere er sich ganz und gar nicht. In der Land- und Forstwirtschaft beispielsweise gäbe es Arbeit in Hülle und Fülle, die kein Mensch als Entwürdigung empfinden könne. Im übrigen sei sein Plan, wie ihm Zuschritten bezeugten, gerade in Jugendkreisen zustimmend aufgenommen worden. Schließlich müsse doch endlich einmal etwas geschehen: bis jetzt hätten die Experten leider jahrelang umsonst debattiert. — Und hierin hat der Sprecher nur allzusehr recht. Von allen öffentlichen Testen und Presse-„Festen“ in den letzten Jahren ist die Anregung des Kanzlers die einzige reale, praktische: man möge sie nicht zerreden und zerraunzen, sondern herzhaft einmal ausprobieren. Es ist nach allen Richtungen hoch an der Zeit dazu geworden.

NICHT DIE „FAUST IM NACKEN“, sondern die Faust in der Tasche, die Jugendkriminalität, die erst vor Tagen wieder ein junges Leben gekostet hqt, ist derzeit Gesprächsstoff Nummer 1. Man bringt sie mit Recht u. a. auch mit einem bestimmten Typus von Filmen zusammen, in denen sich die Partner grundsätzlich mit Faust und Colt „unterhalten“. Die Unterrichtsverwaltung, die mit Klagen und Forderungen nach Abhilfe bestürmt wird, mufj entgegnen: Einfuhr-und Aufführungsverbote liegen außerhalb ihrer Macht, Ihnen stehen Verfassung, Gesetz und „Kompetenz“ entgegen. Vielleicht bleibt es überhaupt problematisch, in Erscheinungen so verwickelter und vielschichtiger Natur mit behördlichen Verfügungen hineinzuschlagen. Am Minoritenplatz jedenfalls versuche man derzeit mit aller Macht einen anderen Weg, den der produktiven Publikumsgeschmackssanierung. Sie mufj schon in der Schule beginnen. Ein Erlaß vom 28. Dezember 1957 bahnt eine bundeseinheitliche Einführung des Films in den Unterricht an (vorläufig vier Jahresaufführungen mit Vorbereitung und Auswertung). Die seit 1956 bestehende Aktion für Erwachsene und Jugendliche, „Der gute Film“, gewinnt ständig Raum und hat nunmehr seif 31, Jänner durch ein Kuratorium von fünf Ministern und sechs Landeshauptleuten auch Nachdruck und Autorität erhalfen. Die Auszeichnung mit lobenden Prädikaten biete wachsend Anreiz für Steuerbefreiungen durch Gemeinden und Länder. Schließlich werde das Unterrichtsministerium noch in diesem Jahr dem schon bestehenden Jahrespreis für Kulturfilme (25.000 Schilling) noch einen angemessen dotierten neuen Staatspreis für kulturell und künstlerisch werfvolle Spielfilme anfügen. Damit durchlaufen die Bemühungen des Unterrichtsministeriums die ganze filmeigene „Vertikale“ von der Produktion bis zum Publikum und lassen von unten her eine allmähliche Besserung der Gesamtlage erwarten, die anscheinend von oben her durch einen Streich nicht zu erreichen ist. (Worüber noch zu reden wäre).

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AN DIESER STELLE wurde in der letzten Folge unseres Blattes ein echtes Anliegen vieler Oesterreicher verdolmetscht. Es betraf die in letzter Zeit immer lauter gewordene Forderung, die österreichische Bundesregierung möge die bevorstehende zwanzigste Wiederkehr des „An-schluß'fages dazu nützen, um sich in würdiger orm zu jenen zu bekennen, denen die Unabhängigkeit dieses Landes lieber war als ihr Leben. Mit großer Freude und ehrlicher Genugtuung können wir heule registrieren, daß der Ministerrat zur gleichen Zeit die Einlösung dieser Ehrenpflicht sich zu eigen gemacht hat. An der dafür würdigen Stätte, an dem zum Heldendenkmal ausgestalteten Aeußeren Burgtor, wird also demnächst eine Tafel angebracht werden, den Toten zur Ehre, den Lebenden zur Mahnung — niemandem zum Trotz. Der Beschluß

der Bundesregierung ist dankenswert. Zwei Fragen sind jedoch noch offen. Die erste: „Wann und in welcher Form wird diese Tafel enthüllt werden?“ Es würde dem guten Willen gewaltig Abbruch tun, wenn man nicht alle Regeln, die das militärische Protokoll für eine Totenehrung vorschreibt, einhalten würde. Die zweite Frage betrifft die Anschrift. Die bisher im offiziellen Kommunique verlautbarte Formel, die Tafel soll das Andenken der „Opfer des Anschlusses“ ehren, ist nicht befriedigend. Geht es nicht vor allem darum, das Gedächtnis an jene zu bewahren, die in einer der dunkelsten Stunden unserer Geschichte, als niemand für Oesterreich befahl, dem „Ruf des Gewissens“ — so auch der Titel einer in diesen Tagen im Herold-Verlag erscheinenden Gesamfschau des österreichischen Widerstandes gegen Hitler — folgten und ihr oft sehr junges Leben für das Wiedererstehen dieses Landes gaben? „Opfer des Anschlusses“? Wir wollen kein falsches Heldenpalhos. Das überlassen wir gerne anderen. Aber wir wollen auch nicht die Harmlosigkeit so weit treiben, daß zulefzt der Eindruck bei künftigen Generationen entstehen könnte, es handle sich um die nicht weniger tragischen, aber rein zufälligen Opfer einer Verkehrs- oder Lawinenkafasfrophe.

DIE FREIHEIT DER SEEFAHRT wird durch die UNO-Kommission zur Ausarbeitung der neuen internationalen Seerechtskonvention in Genf voraussichtlich gefördert. Zehn Binnensfaaten, darunter auch Oesterreich, haben beschlossen, die G.währung voller Rechte als seefahrende Nationen auf allen Weltmeeren zu fordern. Die Auswirkung davon ist nicht bloß eine rein optische — wehende Flagge eines Landstaates auf See, sondern wichtig dadurch, daß Schiffe von Binnensfaaten gleiche Rechte auf Benutzen von Häfen und deren Einrichtungen sowie der übrigen Seefahrtseinrichtungen hoben, und der wirtschaftliche Nutzen eigener Tonnage letzten Endes der Preisgestaltung zugute kommt. Die Aufstellung einer eigenen österreichischen Handelsflotte, die in diesem Zusammenhang mitunter diskutiert wird, ist solange unmöglich, als auf den internationalen Frachtenmärkten die „Schiffsfriedhöfe“ anwachsen. In Hamburg, Bremen, Lübeck, Emden, Flensburg und Kiel allein liegen 220.000 Tonnen fest — von den großen seefahrenden Nationen gar nicht zu reden. Die Konjunktur im Transport über See — durch den Suezkonflikt aufgeflammt — ist einstweilen erheblich abgeflaut. Oesterreich, .wird,./jbigens gut daran, tun, „sich zunächst den, überhöhten Grenzspesen im Triestverkehr zuzuwenden und Abhilfe zu verlangen. Der Leiter der wirtschaftspolifischen Abteilung der Bundeshandelskammer hat kürzlich dazu deutliche Worte gesprochen. Es mutet sehr sonderbar in diesem Zusammenhange an, wenn man von Oeslerreich als Transitland von tschechoslowakischen Exporteuren nach Fiume besonderes Entgegenkommen verlangt. Erst gebe man uns, dann geben wirl

FANAL IN ARGENTINIEN! Argentinien hol einen neuen Staatspräsidenten, Arturo Frondizi. Bis vierzehn Tage vor der Wahl war das Rennen zwischen dem linksradikalen Frondizi und dem gemäßigten Baibin völlig offen. Da gab Peron aus seinem Exil seinen Anhängern die Weisung, für Frondizi zu stimmen. Drei Millionen Pero-nisten haben ihm den Wahlsieg eingetragen. Wird Argentinien wieder eine Diktatur, weil die Massen die Freiheit nicht erfragen, und die kleinen Gruppen Intellektueller und Mittelständler, in sich gespalten, mit den Massen, der Not und sich selbst nicht fertig werden? Die Zukunff wird es zeigen. Anlaß zur Sorge besteht. Frondizi hat bereits erklärt, nach seinem Amtsantritt am 1. Mai den Fall Peron im Kongreß wiederaufzurollen. Bürgerkrieg und eine Rückkehr Perons können dann zur Debatte stehen... Vielleicht geht es aber auch besser aus, haben, schmale Hoffnung, einige Menschen in beiden Fronten etwas gelernt. Das Programm des neuen Präsidenten, der sich übrigens vor seinem Amtsantritt auf eine Eurapareise, nach London und Bonn, begeben will, ähnelt in vielem dem Perons: vermehrte Nationalisierung der Wirfschaff und Kampf gegen die „Fremdinteressen“, Fortführung von Perons Sozialpolitik und anderes. Ein Hoffnungsschimmer: vielleicht führt ein gemäßigter „Peronismus“ ohne dessen Personenkult und Korruption das Land ein Stück Weges weifer, zu einer gewissen Hebung des Lebensstandards der Massen und zu einer gewissen kulturellen, geistigen und politischen Freiheit. Für Europa sind Frondizi und sein kommendes Regime aus vielen Gründen interessant. Nicht zuletzt deshalb, weil der neue Staatspräsident augenscheinlich europäische Gelder (siehe oben!) für Argentinien mobil machen will. Wie denn überhaupt in Südamerika seif langem bereits ein Wettstreit entstanden ist, in dem sich vor allem deutsche Industrie, deutsches Kapital und amerikanisches Kapital gegenüberstehen. Das sind Perspektiven, die nach 1945 kaum jemand im Westen so ersehen haf, Wohl aber klangen sie in Stalins Reden aus seinen letzten Lebensjahren immer wieder auf,..

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