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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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ZWISCHEN JUGENDWEIHE UND SEELSORGESTUNDE. Auf einer Forumsdiskussion zum Thema „Kirche und Sozialismus“ erzählte jüngst Nationalrat Neugebauer, dafj er als Obmann der niederösferreichischen Kinderfreunde in einem Ort Niederösterreichs ein Abkommen abgeschlossen habe, nach dem die Kind'erfreunde des Orfes einmal im Monat geschlossen an der Seelsorgestunde in der Kirche teilnehmen sollen. Nun denke man an die Zeiten vor 1932, an die Umzüge um die Zeit des Fronleichnamsfestes herum, also an Tage, in denen der Sozialismus in unserem Land Religionsersafz sein wollte. Nicht, als ob es den Atheismus in der SPOe nicht mehr gäbe. Was anders geworden ist, das ist das sicherlich nicht allein taktischen Erwägungen entsprungene neue Verständnis, das der Kirche in manchen sozialistischen Kreisen entgegengebracht wird. — Anders als die österreichischen Sozialisten zeigen sich jene der Bundesrepublik. Dort nimmt die weltanschauliche und politische Standortlosigkeit des Sozialismus oft groteske Formen an. In München diskutiert man mit den Katholiken, man läßt einem Wenzel Jaksch in der Parteiführung noch Sitz und Stimme, und auf der anderen Seite propagiert man die kommunistische „Firmung“, die Jugendweihen, die irgendwie demonstrieren sollen, daß der Sozialismus den Charakter einer Gegenkirche haben will. In Hamburg allein haben in diesem Jahr 2500 Burschen und Mädchen an den örtlichen Jugendweihen teilgenommen. Den Vorbereitungsunferricht (eine Art „Konfirmandenunterricht“) erteilten 90 Freidenkerfunktionäre, meist Mitglieder der SPD. Damit die Kinder nach der Jugendweihe weiterhin in der „Erleuchtung“ bleiben, wird ihnen die atheistische Vierteljahresschrift „Freier Blick, Blätter für freigeistige Lebensgestalfung“ zugesandt. In der letzten Nummer der Zeitschrift wird darauf hingewiesen, dafj es nur das Geltungsbedürfnis der (christlichen) Kirchen sei, das die Spannungen zwischen Ost und West verschärfe. Man hat lange gebraucht, um des schwarzen Pudels Kern zu finden. Das Christentum hat, nach der genannten Zeitschrift, für die gegenwärtige Situation den Charakter von „Sprengstoff“. Gleichzeitig wird für den Kirchen-austrift geworben. — Das alles geschieht nun mit Billigung der deutschen Sozialisten, ■— Wie' die „Bürgerlichen“ unseres Landes sind auch—-* das dürfen wir ohne Selbstgefälligkeit sagen — die österreichischen Sozialisten erheblich weiter als ihre bundesdeutschen „Brüder“. Das mag als dankbare Feststellung gewertet werden, auch wenn man sich vorläufig keiner übertriebenen Hoffnung hinzugeben vermag.

SPARSAMKEIT IM JUSTIZRESSORT, wie sie Im Verlaufe der letzten Jahre hinsichtlich des Sach-und Personalaufwandes gehandhabt wurde, könne nicht mehr länger verantwortet werden, erklärte der Präsident der Vereinigung der österreichischen Richter gelegentlich eines Presseempfanges. Es sei ein unwürd;ger Zustand, dafj sich die Richter angesichts des zahlenmäßig geringen Kanzleipersonals mit Dingen herumschlagen müssen, die nicht in die Kompetenz der Rechtsprechung fallen. Als weitere Voraussetzung für das klaglose Funktionieren der Justiz wurde die Reform eines Teiles der Ver-fahrungsvorschriften sowie die kritische Ueber-prüfung der Institution der Geschworenengerichte bezeichnet. Präsident Dr. Bröll kam im Verlaufe der Konferenz, die unter den Leitworten „Rechtsprechung und Presse“ stand, mit Recht auch auf kritische Entgleisungen einer gewissen Presse zu sprechen, die Richter und Gerichte in einem unangebrachten Ton und mit mangelnder Sachlichkeit angriff. Weder der Rechtsprechung als einer eminent öffentlichen Autgabe noch der Würde verantwortungsbewußter Presse, die eine allgemeine und ethische Erziehungsaufgabe ausüben soll, ist mit reißerischen Anwürfen gedient.

DIE NEUERÖFFNETE AUTOBAHNSTRECKE SALZBURG—MONDSEE ist ein Markstein internationaler Verkehrsenfwicklung, aber auch innerösterreichischer Zusammenarbeit. Als „Straße des Friedens“ bezeichnete der Bundeskanzler die Verbindung zwischen West und Ost zu einer Zeit, als der erste Spatenstich erfolgte' und die Wetterfahnen der Politik durchaus nicht eindeutig auf Frieden wiesen. Nun waren es keine Panzer, die über das Betonband rollten — wie einzelne Besatzungsmächte vor dreieinhalb Jahren befürchteten —, es entfaltete sich am „Salzburger Tor“ kein militärisches Gepränge, sondern das Volk, seine Arbeiter standen links und rechts der Straße; und die Auszeichnungen galten Straßenarbeifern, Zimmerern, Raupenfahrern, Baggerführern und Steinmaurern. Eine nüchterne weitplanende Politik legte den Grund, und im Zeichen der Verständigung und gegenseitigen Achtung fügte sich Stein zu Stein. Die finanziellen Opfer von bisher 915 Millionen Schilling hat in der Tat „diese Generation nicht nur für sich selbst, sondern auch für die kommenden Generationen erbracht“. Berechtigt galt daher der Dank des

Ressortministers bei der Eröffnung „dem unbekannten Steuerzahler“. Für eine friedliche Zukunft, für eine fruchtbringende Zusammenarbeit hat Oesterreich diese Opfer gebracht und wird auch bereit sein, weitere zu bringen. Neun Arbeifer haben für dieses Werk des Friedens ihr Leben gegeben: sie stehen mahnend vor unseren Augen.

ORGANISCH GEWACHSENE URALTE STÄDTE WIE WIEN haben es schwerer als die jungen Emporkömmlinge, ihren Verkehr und ihre Bauweise den modernen Erfordernissen anzugleichen. Ihre Gewachsenheit, Geschlossenheil und Schönheil sind Hemmschuhe in der Entwicklung. Trotzdem sind Uebergangslösungen, ja sogar wohlüberlegte Dauerlösungen möglich. Im „Nachziehverfahren“ soll nun langsam der schwerfällige, verkehrsbehindernde und teure Strafjenbahnverkehr auch in Wien stufenweise reduziert werden und allmählich ganz aus dem Strafjenbild verschwinden; das letztere wohl erst, bis wir das Problem der Schnell- und vielleicht doch auch der U-Bahn gelöst haben. Den Anfang soll ein Autobusverkehr auf elf bisherigen Sfrafjenbahnrouten, darunfer den komplizierten Linien 5 und 13, machen. Drei verschiedene Autobustypen werden auf die besonderen Verkehrsverhältnisse der einzelnen Linien abgestimmt werden. Daneben gibt es noch eine Unmenge von Fragen zu klären, nicht zuletzt die Frage der Kosten, die sich wohl auf gröfjere Zeiträume werden verteilen müssen. Trotzdem: der Anfang ist gemacht, manche Raunzereien werden verstummen, neue auftauchen, aber langsam und sicher wird sich unser altes Wien dem Tempo, der Sicherheit und Zweckmäfjigkeit moderner Weltstädte anpassen. Es braucht dabei keineswegs sein ehrwürdiges, schönes Gesicht zu verlieren.

DER BESUCH MIKOJANS, des stellvertretenden Minislerpräsidenten der Sowjetunion, in Bonn und Westdeutschland will nach dem Augenschein dieser Visite bewertet werden. Mikojan besuchte die Deutsche Indusfriemesse in Hannover und südwestdeufsche Industrieanlagen, sprach unter vier Augen mit Dr. Adenauer und in aller Oeffentlichkeit mit den führenden Männern der Bonner Politik. Die Sowjets gaben zu seinen Ehren einen Monsterempfang in Bonn, zu dem mehr als tausend Deutsche geladen waren. Der Sowjetunion geht es um wirtschaftliche Kontakte und um einen besseren Leumund in Westdeutschland. Motto des Staatsbesuches: „Fürchtet euch nichtl“ Ein sehr ernstes Wort an die Adresse der Deutschen. Das ist „alles“: die Schwere des deutschen Weifproblems und die innere Labilität der innersowjetischen Verhältnisse, die eben wieder in dem Auf und Ab der sowjetischjugoslawischen Beziehungen zum Ausdruck kam, verbieten diesem Bonner Besuch, „Lösungen“ gerade jener Fragen anzusprechen, die für die Sowjets einfach nicht spruchreif sind: vor allem der Frage der Wiedervereinigung mit den Deutschen der „Zone“. Wir wissen nicht, wie lief sich Dr. Adenauer durch die Halfung der Sowjets, die an ihrer Politik der „zwei deutschen Staaten“ festhalfen, beeindrucken läfjt. Wahrscheinlich “ist, dafj Mikojan sich in seiner alten Hochschätzung des deutschen Wirtschaftspotentials neu bestätigt sieh); wahrscheinlich ist auch, dafj westdeutsche Wirfschaftskreise durch die Unterzeichnung der Verträge mit der Sowjetunion Zukunftsperspekfiven sehen. Mehr läfjt sich gegenwärtig noch nicht sagen: es isl genug, um die Staatsmänner in Washington, London, Paris, aber auch Osteuropa auf absehbare Zeit nachhaltig zu beschäftigen.

IN ACCRA, der Hauptsfadf von Ghana, hat sich auf der eben abgelaufenen Konferenz so etwas wie ein „Block der acht“ gebildet. Acht afrikanische Staaten, Ghana, Liberia, Marokko, Tunesien, Libyen, Sudan, Abessinien und die arabische Republik Nassers sprachen sich, in englischer und französischer Sprache, über eine gemeinsame afrikanische Politik in der UNO aus. Aus der Reihe tanzte, besser, schrie Aegypten, das die radikalsten Töne anschlug. Die anderen sieben drückten sich im ganzen recht mafjvoll und vernünftig aus. Die heftigsten Vorwürfe waren nicht einmal an die Adresse Frankreichs wegen Algerien gerichtet, sondern an die Adresse des eingeladenen, aber nicht erschienenen Südafrika, dessen Rassenpolifik schärfsfens verurteilt wurde. Der Gastgeber, Kwame Nkrumah, Ministerpräsident von Ghana, betonte, dafj die Sahara nicht mehr Trennungsfeld, sondern Bindeglied zwischen den Völkern Afrikas sein werde. Auch sonst fehlte es nicht an verbindlichen Worten. Verständlich: diese afrikanischen Staaten leben fast alle von amerikanischen und englischen Geldern, ohne die sie auf absehbare Zeit ihre Aufbauschwierigkeifen nicht meisfern können. Ghana isf zudem Mitglied des Commonwealth. Die Gefahr politischer Radikalisierung ist, wie bekannt, auch für diese Staaten grofj. Dennoch sollte der eben wieder sichtbar gewordene Versuch einer evolutionären Politik von Afrikanern für Afrika nicht unterschätzt werden. Die Accra-Konferenz zeigt der freien Welt eine Ansatzstelle. Das ist bereits viel, mitten in den Krisen und Spannungen der Weltpolifik, die gerade auch in Afrika nicht so bald stabile Verhältnisse zu scha'fen vermag.

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