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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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BEDAUERLICHES MISSVERSTÄNDNIS. Die sonn-iägliche Stellungnahme des Bundeskanzlers zum Aerztesfreik hatte gerade in breiten Schichten der Bevölkerung, die dem Kanzler weltanschaulich und politisch nahe stehen, schmerzliches Betroffensein erregt. Es ist ja kein öffentliches Geheimnis, daf) sich unter den heute verproletarisierten jüngeren Aerzten im Spitaldiensf gerade viele überzeugte opferwillige Katholiken und Familienväter befinden. Staat, Regierung, Landesregierungen und Gemeinden haben an unseren Aerzten seit langem viel gutzumachen, jahrelang haben diese antichambriert und durch gütliche Verhandlung ihre unwürdige Stellung zu verbessern gesucht. Ihr Streik fand nicht zuletzt das Verständnis gerade der zuerst von ihm Betroffenen, der Patienten. Hir lag vielleicht der wundeste Punkt der unglücklichen Anklage des Regierungschefs gegen die Aerzte, denen ein unerlaubter Druck auf die Aermsfen, die bedürftigen Patienten vorgeworfen wurde: dieser Druck wird nämlich sehr konkret von jenen Aemtern ausgeübt, die unsere Spitalärzfe zwingen, überarbeitet, übermüdet und schlecht bezahlt, eine immer noch steigende Arbeitslast zu bewältigen. Patienten und Aerzte sind die Getroffenen. Ihnen beiden muh geholfen werden: durch eine wirkliche Verbesserung der ärztlichen Besoldung. Nun vernehmen wir, dafj dies nicht das letzte Wort des Bundeskanzlers in dieser leidigen Sache darstellt; und wir hoffen sehr, dafj die Taten, die diesen und jenen Wortgefechten iolgen, sie recht bald vergessen lassen.

DER KONFLIKT MIT UNGARN, gipfelnd in dem aufsehenerregenden Vorfall auf offener Strohe in Wien, wo ein mit einem Diplomaten-pafj ausgestatteter Offizier der ungarischen Geheimpolizei einen ungarischen Flüchtling zur Mitarbeit am Nachrichtendienst mit der Drohung veranlassen wollte, dafj im Weigerungsfalle die Angehörigen Repressalien zu erwarten hätten, fand mit der Ausweisung der sogenannten Diplomaten, die keineswegs diplomatische Umgangsformen bewiesen, sein vorläufiges Ende. Der außerordentliche österreichische Ministerrat unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers haf damit klar zu erkennen gegeben, dafj der Wiener Boden, dafj das Staatsgebiet eines neutralen Staates keinesfalls dazu mißbraucht werden darf, ausländische Divergenzen mehr oder minder gewalttätig auszutragen. Wir haben schon aus der Vorkriegszeit unliebsame Erinnerungen an ähnliche Vorkommnisse, welche in der auswärtigen Presse dem Wiener Boden den Ruf eines balkanischen Vorzimmers eintrugen. Es steht jeder auswärtigen Macht zu, Einfluß auf eigene 3ttta*sanghige 'Wnahmen und zu diesem Äw*ckeX0l4MNote'-'an dfe ösfeft'eichische Regierung zu senden, welche reiflich und ganz nüchtern prüfen wird, ob gewisse Verlangen oder Beschuldigungen nach internationalem Recht auf sicherem Boden ruhen. An einem unsicheren Boden kann auf die Dauer weder die ungarische Regierung im Interesse der nachbarlichen Beziehungen Anfeil nehmen, noch ein souveräner freier Staat wie Oesterreich, das unter einer „Betreuung von Staatsangehörigen“, von der die ungarische Profestnote spricht, eben etwas anderes versteht.

OFF LIMIT1 Lobeshymnen klingen dem Ohr besser als kritische Worte. Zugegeben. Da gibt es so böse Zeitgenossen wie die „Furche“ und den „Volksboten“, die seinerzeit nicht in den Jubelchor einstimmten, der die neue „Betonschlagader“ durch die Wachau als die höchste Offenbarung begrüfjte. Im Gegenteil: Was taten diese Bösen? Sie warnten vor einer Zerstörung des Landschaftsbildes, besonders an gewissen „neuralgischen Punkten“. Das büfjen sie jetzt bilfer. Sie stehen anscheinerid unter „Wachauverbot“. Denn anders können wir uns es nicht erklären, warum ausgerechnet die beiden katholischen Zeitungen zur Pressebesichtigung der bisherigen Arbeiten in der Vorwoche nicht eingeladen wurden. Das ist ungewöhnlich. Zwei Möglichkeifen gibt es als Erklärung: 1. Das Ergebnis gewisser Bauabschnitte — St. Michaeli — ist so, dafj man es kritischen Augen lieber vorenthält. 2. Für Redakteure der „Furche“ und des „Volksboten“ ist die Benützung der neuen Wachausfrafje grundsätzlich gesperrt. Wachtposten wurden aufgestellt, Strafjensperren errichtet, damit nur ja keiner dieser Verruchten die neue Strohe betrete. Nun, wie es wirklich Ist, werden wir uns ja demnächst überzeugen. Wenn wir hinauffahren, um unseren Lesern objektiv zu berichten,

ATOMRUSTUNG SPALTET DEUTSCHLAND.Bundeskanzler Dr. Adenauer droht jenen Ländern, die mit der Volksbefragung über die deutsche Afomrüsiung Ernst machen wollen, mit einer Klage auf Bruch der Verfassung vor dem Verfassungsgerichtshof. In dieser heiklen Situation kommt der Erklärung von sieben führenden katholischen deutschen Moraltheologen zur At' --üstungfrage Bedeutung zu. Sie bekennt sich einerseits zu „Pflicht und Recht der Verteidigung“, auch mit Atomwaffen, solange kein Abrüstungsabkommen besteht, stellt aber zum andern fest: „Christliche Friedenspolitik bedeutet aber weit mehr als nur die Einschränkung des Waffenbesitzes und der Waffenherstellung. Sie erfordert darüber hinaus, den Abbau des Hasses, der Begehrlichkeit, der mafjlosen Geltungssucht und der Verachtung des Rechfes.Stehen diese Ziele einer christlichen Friedenspolitik unstreitbar fest, so sind doch über die Wege zu ihrer Verwirklichung Meinungsverschiedenheiten unter Christen möglich: Meinungsverschiedenheiten über das Mafj der tatsächlichen Gefährdung des Friedens; Meinungsverschiedenheiten darüber, ob eine bestimmte Mahnahme geeignet ist, das Risiko eines Krieges zu steigern oder herabzusetzen; Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die berechtigten Interessen einer Nation ... in Einklang zu bringen sind mit den übergreifenden Erfordernissen einer VVell-friedensordnung; Meinungsverschiedenheiten über die von den modernen Kampfmitteln zu erwartenden Zerstörungen und über das Verhältnis dieser Zerstörungen zu den gefährdeten Werten; Meinungsverschiedenheiten darüber, ob und in welchem Umfang bestimmte Verträge ein Volk in die Irrwege oder Gefährdungen anderer Völker verstricken.“ Diese Erklärung stellt sich im wesentlichen hinter die Regierungspolifik Dr. Adenauers, läfjt aber, und hier isf ihre größere Bedeutung zu ersehen, Raum offen für die Anerkennung eines anderen christlichen politischen Denkens, das der Verketzerung enthoben wird durch die bedeutsame Anerkennung von fünf schwerwiegenden möglichen Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Atomrüsfung: der Riß in Deutschland geht ja mitten durch das Wissen und Gewissen seiner ganzen Christenheit.

SEIT DEN TAGEN VON DREYFUS ... Was für Deutschlands Christenheit die Frage der Atomrüstung bedeute), ist für Frankreich die Frage des Algerienkrieges, der überseeischen Herrschaff und des „Integrismus“. Seit dem Krieg in Indochina ist der französische Katholizismus offen gespalten. Das Ringen um den Krieg in Algerien hat soeben zu drastischen Erscheinungen geführt. Integralisfische „Rechts'-Katholiken haben einen Priester geteerf, gefedert, mißhandelt, der gegen Frankreichs Kriegführung in Nordafrika auftrat, und haben soeben in Terror-und Verbrennungsaktionen die Verbreifung der katholischen Wochenzeilung „Temoignage Chre-tien“ zu verhindern gesucht. Obwohl Kardinal Gerlier gegen diese Aktionen öffentlich aufgetreten und obwohl Ämter anderem der Bischof von Langres mutig., gegen die permanente Denunziation dieser mutigen Wöchenschrifreines offenen Katholizismus in Rom, ständig erneuert durch rechtsextremistische Laienkreise, aufgetreten isf, gehen diese Aktionen weiter. Seit dem Dreyfus-Prozeß isf der französische Katholizismus nicht mehr in diesem Maße engagier) im Drama, in der Tragödie seiner Nation.

KAMPF UM TITO, KAMPF UM CHRUSCHTSCHOW. Der Weltkommunismus bietet der Welt gegenwärtig das Schauspiel bitterer innerer Auseinandersetzungen, wobei als Hauptkämpfer auf der einen Seite Tito und Chruschtschow, auf der anderen Seite die Stalinisten in Moskau, ihre Verbündeten in Ungarn, Prag, Peking auftreten. Weltpolitisch führend in der Offensive gegen Tito und Chruschtschow sind die Chinesen. Die Pekinger „Volkszeitung“ hat in einem aufsehan-erregenden Artikel nicht nur Tito, sondern Chruschtschows, und Mikojans These auf dem 20. Parteitag vom friedlichen Uebergang vom Kapitalismus zum Sozialismus als erzketzerisch angegriffen und den Invektiven des Moskauer „Kommunist“, der Parfeizeitschrift unter Suslows Führung, gegen Tito sekundiert. Chruschtschow erreichte nur, daß ein Teil dieser Auflage des „Kommunist“ eingestampft wurde, nicht mehr bis Warschau kam. Der gefährliche Angriff der chinesischen Kommunisten gegen Chruschtschow hat unter anderem folgende Ursachen: man wirft in Peking Chruschtschow vor, Chinas Interessen in seinem Bemühen um einen Ausgleich mit den USA zu vernachlässigen, und möchte deshalb, im Bunde mit Moskaus Stalinisten, eine Gipfelkonferenz verhindern. Das russische Lavieren spiegelt in dieser Hinsicht den Machtkampf in Moskau. Pekmg will dann die Führung der kommunistischen Weltbewegung übernehmen, und sieht sich hier gleichzeitig voTghffiitQ wie von Chruschtschow behindert, die eine breitere, föderalistischere Basis anstreben, wobei bei dem sowjetischen Staatsführer die Sorge um eine möglichst weit gelagerte Verteidigung des russischen Raumes mitspricht. Die Gipfelkonferenz wird, das kann heute schon gesagt werden, zustande kommen, wenn es Chruschtschow gelingt, diese gefährliche Allianz chinesischer und mos-kowitischer Integralisten zurückzudrängen. In diesem Ringen fällt vielleicht eine weltpolitische Entscheidung: ob sich, wie in Bandung und auf mehreren afrikanischen und asiatischen Konferenzen bereits spürbar war, die Sowjetunion als eine Vertreterin der weißen Rasse zu verstehen sucht oder ob sie sich auf die Dauer ins Schlepptau ihrer immer heftiger fordernden asiatischen großen Brüder begibt.

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