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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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MANDAT ZURÜCKGELEGT. Der ehemalige Wiener Parteiobmann der Volkspartei, Fritz Polcar, hat sein Mandat als Abgeordneter zum Nationalrat zurückgelegt. Damit fand ein Zwischenspiel seinen Abschluß, dessen letzter Akt — wäre es nach der Meinung Gutgesinnter nicht nur der Partei, sondern auch ihres ehemaligen Wiener Parteiobmannes gegangen — schon viel früher über die politische Bühne hätte gehen sollen. So aber wurde der Abschied vom politischen Leben auf Raten gewählt. Der Gegner hat seine Freude daran.

BILANZ DER FREIHEIT. Den unbestreitbaren Höhepunkt der diesjährigen, Vierzehnten internationalen Hochschulwochen des Europäischen Forum Alpbach bildeten das „Wirfschaffsgespräch zwischen Europa und Amerika“ über das Thema „Westliche Freiheit heute“ in der letzten Woche. Zwei Tage lang wurden in Vorträgen, gehalten von führenden Persönlichkeiten der europäischen und amerikanischen Wirtschaft, und durch die anschließende Round-table-Konferenz Wege aufgezeigt, die geeignet sind, die freie Wirtschaft und die Freiheit des einzelnen zu schützen und zu erhalten. Nachdem der österreichische Bundesminister für Handel und Wiederaufbau, Dr. Fritz Bock, in seiner Eröffnungsrede die Bedeutung der amerikanischen Wirtschaftshilfe für die österreichische Unabhängigkeit und die besonderen Aufgaben der österreichischen Neutralität im freien Europa hervorgehoben hafte, untersuchte Professor H a I I s t e i n, der Präsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, die Rolle des Gemeinsamen Markfes im Rahmen der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und Amerika. Der Präsident der Europäischen Kohle- und Sfahlgemeinschaft sowie prominente amerikanische und französische Sprecher trugen mit wichtigen Teilaspekten zur Diskussion bei. Der Frankfurter Volkswirtschaftler Professor Otto Veit sprach von der Schwierigkeit, den Begriff der Freiheit eindeutig zu bestimmen. Freiheit der Wirtschaft und persönliche Freiheit seien miteinander nicht immer in Einklang zu bringen. Der Wille zur Freiheit sei durch äußere Umstände wie etwa die technische Entwicklung beeinträch-'tlr?'ttrVd'1'cfle Scheu vor der Freiheit werde nur seifen überwunden. Der Mensch von heute müsse — durch Institutionen — zur Freiheit überlistet werden. Mit Recht wies der Leiter der Diskussion, Dr. Georg Zimmer-Lehmann, zum Schluß auf die lebendige Kraft des Geisfes der Freiheit hin, mit dem sich die ganze Welt, auch die Welt der Unfreiheit, mehr als je auseinandersetzen mufj.

FIEBERNDES FRANKREICH. Der Termin der grofjen Volksabstimmung über den Verfassungsplan — der '28. September — rückt näher, und die Erregung in Frankreich wächst. Sie griff nun von Afrika auf das Mutterland über, auf Paris, wo der General am 4. September auf dem Platz der Republik die Franzosen aufforderte, durch ihr Ja zur neuen Verfassung „die französische Nation aufblühen zu lassen“. Er sagte auch wieder, dafj bei der gleichen Abstimmung die überseeischen Gebiete darüber entscheiden sollen, ob sie sich zur „französischen Gemeinschaft“ bekennen oder nicht. Ueber den endgültigen Status Algeriens, der ja das Kernproblem der Zukunft Frankreich darstellt, sagte er wieder nichts Bestimmtes. Diese Versammlung auf dem Platz der Republik wurde nicht nur durch kommunistische Demonstranten erheblich gestört, sondern wurde durch einige andere Begleitumstände in eine Atmosphäre des Zwielichtes gehüllt, was durch aufmerksame Beobachter registriert wurde. So sah man auf der Tribüne hinter dem General eine Anzahl jener Politiker der Linken und der Rechten, die nach allgemeiner Meinung für die permanente französische Krise seit dreizehn Jahren verantwortlich seien. Auch dies schien einmal mehr die Meinung jener zu bestätigen, die glauben, daß General de Gaulle von dieser Polifikergarnifur für die Aufgabe auserkoren wurde, das „System“ zu retten, mit seiner großen Autorität den Rückzug aus Algerien zu verhindern und gleichzeitig den dortigen Putsch zu legalisieren. Die Politiker stehen in diesen Tagen einer nach dem andern auf und erklären sich in aller Oeffenflichkeif als Freund oder Feind des von dem General geforderten starken Regimentes, das dem französischen Staat „Macht, Beständigkeit urtd Ansehen“ geben soll. Das Volk, mit Ausnahme der Kommunisten, verhält sich noch schweigend. Eine Umfrage ergab, daß etwa die Hälft der Befragten den Verlust Algeriens für unabwendbar hält, die anderen glauben an guten Ausgang der Dinge — unter des Generals Führung. Und eine große Mehrheit glaubt, daß de Gaulle den Frieden für Algerien und für Frankreich bringen wird.

SCHWARZ UND WEISS IN ENGLAND. Während der Rassenkonflikt in den USA stagniert, neue Ausbrüche vielleicht unmittelbar bevorstehen (soeben kämpft man um das Leben eines Negers, der ob des Raubes von nicht ganz zwei Dollar zum Tode verurteilt wurde), ist um die 200.000 Farbigen in England der Streit entbrannt. Jugendliche Banden stürmen Wohnungen der meist aus Westindien und anderen Bereichen des Commonwealth eingewanderten Neger in Noiting Hill. Täglich kommt es in London zu Krawallen. Die Gewerkschaften suchen den Urheber der Unruhen in MosJey, dem Faschistenführer und seiner verstärkten Aktion für ein „rein weifjes England“. Tatsächlich sind aber weithin ganz unfaschistische Arbeiterkreise gegen ihre schwarzen Kameraden: Angst vor der Wirtschaffskrise, vor Arbeitslosigkeit, schürf den Rassenhaß. Dazu kommt eine uralte Fremdenfeindschaft des englischen Volkes, das bereits die Franzosen als „Frogs“ (Frösche), Angehörige der Miftelmeervölker als „Dagos“ (von spanisch Diego) und Aegypfer und andere Menschen östlicher Herkunft als „Wogs“ schimpfend ablehnt. Nassers Englandharj soll darauf zurückgehen, dafj er einst als junger Offizier von einem angetrunkenen englischen Kameraden als „Wog“ beschimpft wurde. — Immer wieder sind in Krisenzeiten solche Ausbrüche von Fremden-hafj in London und England festzustellen: so im 16. Jahrhundert und herauf bis zur Gegenwart. Eben als Symptom der grofjen Krise haben sie ihre unübersehbare Bedeutung: drastisch zeigen sie, wie auch der Westen das grofje Problem noch nicht wirklich gelöst hat: das Zusammenleben vielfarbiger Menschen in einer Arbeits-, Wirtschafts- und Lebensgemeinschaff.

DIE FISCHE UND DER FRIEDEN. Vor einigen Wochen war es noch möglich, den Streit der Fischer von Färöer als eine Randglosse zur Geschichte der Gegenwart zu kommentieren. Heute drohen die Konflikte um Island und nun auch die Färöer die NATO zu zersprengen. Das isländische Parlament will mit allen Mitteln die Ausdehnung der isländischen Hoheitsrechte auf zwölf Meilen um die Küste verteidigen, die Färöer haben sich angeschlossen, und Dänemark interveniert in diesem Sinne in London. Für Island geht es um die nackte Existenz. Die Abschliefjung des englischen Marktes für den isländischen Fisch hat bereits vor Monaten Island dem Osten geöffnet: sprunghaft stieg die kommunistische Partei an, heute ist der Minister für Fischerei in Reykjavik ein Kommunist, Moskau bietet Absatzmöglichkeiten und Kredite. Wenn Island unter kommunistischer Führung aus der NATO austritt, fällt ein für Amerika wichtiges Verteidigungsglied aus, im Zeitalter globaler Einkreisung und Verteidigung., Englqnd bleibt starr. Zar Zeit weif;, noch niemand, wie ..der Konflikt gelöst werden kann; der nicht in rosigerem Licht erscheint durch den Versuch Pekings, in der Nachfolge Islands die Dreimeilenzone seiner Hoheitsgewässer auf zwölf Meilen auszudehnen und dergestalt Quemoy und Formosa unter seine Hoheitsrechte zu vereinnahmen.

ISRAEL IM HINTERGRUND. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen besuchte während seiner Informationsreise alle Hauptstädte des Nahen Ostens, und im Laufe dieser Reise konferierte er am letzten Wochenende auch mit dem Ministerpräsidenten von Israel, Ben Gurion. Bei allen diesen Gesprächen handelte es siüh vorerst blofj um Meinungsaustausch; auch das fünfstündige Gespräch mit dem Präsidenten der Vereinigten Arabischen Republik, Nasser, hafte nur . eine freundliche Stimmung nachher am Flugplatz zur

Folge, ergab jedoch keine weitere Anhaltspunkte über das Wie der Verwirklichung der UNO-Reso-lufion. Trotzdem verstärkt sich immer mehr der Eindruck, dah im Nahen Osten eine, wenn auch vielleicht langsame Wandlung bevorsteht, die das von der UNO-Resolufion geforderte friedliche Zusammenleben der Nahostvölker ermöglichen wird. Es fällt besonders auf, dafj aus den israelischen Kommentaren zu politischen Schritten der Araberstaaten in letzter Zeit der nervöse, gereizte Ton von früher völlig verschwunden ist, ja, man vernahm aus dem Munde des Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Dr. Nahum Goldmann, die Versicherung, dah Israel, das nun einmal von arabischen Staaten umgeben ist und seine Zukunft trotzdem sichern muh, die Entstehung einer arabischen Grofj-republik unter Nassers Führung nur begrühen kann. Ein solcher Partner würde es sich nämlich leisten können, mit Israel Frieden zu Schliefjen, ohne von argwöhnischen Nachbarn des Verrates an der arabischen Sache beschuldigt zu werden. Wenn auch Ministerpräsident Ben Gurion diese optimistische Ansicht noch nicht ganz zu teilen scheint, ist er in letzter Zeit doch geneigt, das Heil Israels nicht ausschließlich bei seinen westlichen Verbündeten zu suchen. Der nach Meinung vieler politischer Beobachter unmittelbar bevorstehende Beitritt Marokkos und Tunesiens zur wiedererstarkfen Arabischen Liga trübt diese optimistischen Aussichten keineswegs. Unter dem Einfluh dieser beiden Regierungen könnte sich nämlich das politische Forum von zehn Staaten von dem Israel-Komplex befreien und eine weltweitere Sicht gewinnen — was im Interesse nicht nur aller Beteiligten sehr zu wünschen wäre.

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