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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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P. b. b. Diese drei Buchstaben — unsere Leser finden sie auch stets rechts oben auf Seite 1 der „Furche“ — sind keine Zauberformel. Sie bedeuten nichts anderes, als daß das Porto für den Versand bar bezahlt ist. Ein ermäßigtes Porto, das allen österreichischen Zeitungen und Zeitschriften zugute kommt. Und nicht nur ihnen. Um das P. b. b. für nach Oesterreich importierte ausländische Zeitungen und Zeitschriften — vor allem aus der Deutschen Bundesrepublik — hat sich nun ein Streit erhoben. Die nicht gerade spärlich eingeführten bundesdeutschen Zeitungen und Zeitschriften — in der überwiegenden Mehrzahl Illustrierte und ähnliche inhaltlich anspruchslose Erzeugnisse der Druckerpresse — genießen in Oesterreich merkwürdigerweise genau so wie die inländischen Zeitungen die Privilegien des P. b. b., das heißt die eines verbilligten Versandes. Jenseits der roiweißroten Grenzen ist man allerdings gegenüber österreichischen Zeitungen nicht so großzügig. Es liegt daher nahe, daß man entweder dcfs Prinzip der Gegenseitigkeit anwendet oder den verbilligten Postversand von Zeitungen und Zeitschriften wieder auf die inländische Presse beschränkt. Dem Vernehmen nach soll man an zuständiger Stelle zu der letzteren Mafjnahme entschlossen sein. Das ist nur recht und billig. Um jedes Mißverständnis zu vermeiden: So willkommen uns die wirklich guten deutschen Zeitungen und Zeitschriften als Botschafter des geistigen Deutschlands sind, gegen die Springflut der deutschen Illustrierten und der sogenannten Groschenblätter kann eine Schleuse nicht schaden. Aus mehr als einem Grund.

KONTAKT DURCH HUMOR, ÖSTERREICHISCH.

Kaum etwas vermöchte drastischer das personale Element in der österreichischen Politik herauszustellen als die Tafsache, dafj unter andern auch der sozialistische Vizekanzler dem Buch der Karikaturen seines politischen Gegners Julius Raab ein Sprüchlein mitgegeben hat. Keine Lobhudelei, keine Addition von Phrasen, sondern der Art des Buches angemessen eine, man möchte fast sagen, ironisch-liebevolle Betonung eines trotz allen Gegensätzen bestehenden persönlichen Verhältnisses zweier „Feinde“, die es um der Sache willen sind, aber im Gespräch bleiben wollen. Das Unwägbare in den politischen Kontakten wird allzuoft übersehen, und nicht seifen findet die internationale Presse die Tatsache, dafj man hierzulande doch noch zu einem Kompromiß kommt,' unverständlich. Wenn man immer wieder das Wesen des Oesterreichischen sucht, hier ist es: Im Noch-immer-Mensch-Sein, auch in der'Härte des politischen Nahkampfes.

DER DRAHT NACH BELGRAD, an dem die

Techniker wirtschaftlicher Beziehungen seit Jahren basteln, soll nun im Sonderausschuß Oesterreich der jugoslawischen Handelskammer und im Unterausschuß Jugoslawien der österreichischen Bundeshandelskammer bei einer gemeinsamen Tagung einer Prüfung unterzogen werden. Man will dabei nicht nur beiderseitige Exportfragen besprechen, sondern auch die Möglichkeit erörtern, zu einer Kooperation südslawischer und österreichischer Firmen zu gelangen. In der Praxis hat sich eine solche Zusammenarbeit in den meisten Fällen durchaus bewährt, es wurden aber keineswegs alle Möglichkeiten ausgenützt, die sich bei der im Flusse befindlichen Sfruktur-änderung des Aufjenhandels zeigen. Die Verhandlungen mit Belgrad sind auch im Hinblick auf die Aussprache mit der Triester Delegation, die in Wien weilte und Ermäßigungen der Beförderungssteuer im grenzüberschreitenden Güterverkehr sowie die Aussicht auf Kooperation österreichischer und Triester Firmen mitbrachte, dringend geboten. Es wäre zu hoffen, daß bei der Gelegenheit der wirtschaftlichen Besprechungen mit Belgrad auch die Fragen des österreichischen Vermögens in Jugoslawien, konsularische und wohl auch kulturelle Angelegenheiten in einer Atmosphäre freundschaftlicher Nüchternheit diskutiert werden.

ZWEI HERREN ZU DIENEN... Es ist schwer, zwei Herren zu dienen. Auf diese Schwierigkeit macht bekanntlich bereits das Evangelium aufmerksam. Hart erfahren sie täglich die Bewohner der Deutschen Demokratischen Republik, der ostdeutschen „Zone“. Die Massenflucht nach West-Berlin hat in der letzten Zeit wieder außerordentlich zugenommen. Vor allem fliehen die Jugend und die Intelligenz. Nun hat sich der West-Berliner Oberbürgermeister Brandt in einem Appell direkt an Moskau gewandt: die Unfreiheit und der Terror schreien zum Himmel. Brandt und übrigens auch Lemmer, der erfahrene Berliner und Bundesminister für die Probleme der Wiedervereinigung, wenden sich in ihren Appellen durchaus an die rechte Adresse. Im Spannungsfeld zwischen den beiden Herren Chruschtschow und Ulbricht wird ja die Bevölkerung der „Zone“ zerrieben. Nun hatte schon eine Rede Chruschtschows während seines letzten Deubchlandbesuchfis Aufsehen erregt, in der er die Wissenschafter und technischen Intelligenzen der Zone einlud, in die UdSSR, zu kommen, dort frage niemand nach ihren persönlichen politischen und weltanschaulichen Ueber-zeugungen. Vom zuletzt stattgefundenen Besuch Ulbrichts bei Chruschtschow in dessen Sommer-qwartier erfährt man, daß der Ober-Herr in Moskau dem Unter-Herrn in Pankow drastische Vorwürfe machte ob seiner ungeschickten Handhabung der Intelligenz in der Deutschen Demokratischen Republik. Rußland kann nicht gleichgültig zusehen, wie „wertvollstes Material“, „Menschen-material“, durch tölpische Handhabung abhanden kommt. So weit ist es also bereits gekommen: die durchaus nicht ob sanfter Manieren weltbekannt gewordenen Moskauer Herren müssen deutsche „Staatsmänner“ Mores lehren: wie man sachgemäß mit Menschen, hochwertigen Menschen umgeht, ohne sie zu verlieren. So weit ist es gekommen mit der Selbsfent-fremdung des Menschen: in einem marxistischen Kernraum Europas, nicht zuletzt deshalb, weil diese deutschen Kommunisten immer wieder, wie schon zu Hitlers Zeiten, auch potentielle Selbstmörder sind, die sich selbst ruinieren durch ihren sklavischen Sinn, der sie antreibt, ein Ueberplansoll zu erfüllen: im ängstlichen Schielen nach oben, nach Moskau, und im brutalen Treten nach unten, auf das leibeigene Volk ...

DAS INTERESSE FÜR NACHRICHTEN AUS UNGARN ist auf dem internationalen Zeikings-markt gering, denn man gewöhnte sich daran, daß die Regierung Münnich wenig von sich reden läßt, in ihren Handlungen sich meistens auf die roufiinmäßige Besorgung der Regierungsgeschäfte beschränkt und manchen Dingen auf eine ganz und gar unorthodoxe Weise freien Lauf läßt.. Die Zeitungen aus Budapest veröffentlichen Berichte von „Friedensversammlungen“ katholischer Priester. Das Friedenskomitee der katholischen Priester wurde in veränderter Form nun doch wieder ins Leben gerufen, die alten Vorkämpfer einer Bundesgenossenschaft Kirche-Kommunistischer Staat erschienen einer nach dem andern wieder und sitzen friedlich neben den Bischöfen, die, im Gegensatz zur früheren Praxis, bei diesen Friedensversammlungen in letzter Zeit immer häufiger erscheinen und soqor sprechen. Man würde glauben, daß diese zur Schau getragene „Toleranz“ den Realitäten des Tages gegenüber die in ihrer überwiegenden Mehrheit scharf antikommunistisch eingestellte Bevölkerung gegen den Klerus stimmt. Dem ist aber nicht so. Zuverläßliche Meldungen berichten von Aktionen der Bevölkerung, die Kirchen, meist durch freiwillig geleistete Arbeit, zu restaurieren, neue Orgeln, ja, sogar neue Kirchen zu bauen, wie etwa in Baracska, südwestlich von Budapest, wo seit dem 15. Jahrhundert keine Kirche mehr stand. Andere Meldungen sprechen von Firmungen, zu denen so viele Gläubige sb-Vnen, dafj die Kirche sie nicht fassen konnr. So firmte der Biscof in Györ vor kurzem an einem Tage 1400 Menschen. Gerüchte wollen wissen, daß dieser Bischof, Msgr. Kaiman Papp, seif einigen Tagen verhaftet sei, die Meldung wurde aber nicht bestätigt. Eine solche Maßnahme wäre allerdings nichts Außergewöhnliches. Man weifj, daß die Regierung, der die politische Polizei nichf immer folgt, manchmal außerstande ist, ihre eigene Politik durchzuhalten. Es gibt im kommunistischen Land, wie dies auch der Fall Nagy-Maleter zeigte, eine noch höhere, zentralgelenkte Staatsraison, die mit den lokalen Interessen der Budapester Regierung keineswegs immer identisch ist.

DER RASSEXSTREIT: EINE EXISTENZFRAGE DES COMMONWEALTH. Während in USA der Konflikt Weih-Schwarz durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zugunsten der farbigen Schüler in ein neues Stadium tritt (Eisen-hower kontra Gouverneur Faubus), faltet er sjch in Afrika und England zu einer Lebensfrage des Commonwealth aus. Die Regierungen von Jamaika, der westindischen Förderation und Ghana sind, erstere durch ihre Ministerpräsidenten persönlich, in London vorstellig geworden. Gleichzeitig breitet sich, von Südafrika her, unter der weihen Bevölkerung der von England abhängigen Gebiete Afrikas die Tendenz zur Rassentrennung aus: man will ein „weißes Afrika“ streng getrennt von einem schwarzen Afrika, als Herrscher über letzteres. Diesen gefährlichen Bestrebungen, die das Lebensprinzip des Commonwealth umzustürzen drohen, kommt eine innerenglische Bewegung entgegen, die unter der Parole „Haltet Britannien weih“ nicht nur von Mosleys Faschisten, sondern auch von der Rechtsopposition in der Konservativen Partei, von den Empire Loyalisfs, vertreten wird. Die Rassenunruhen in London werden hier benützt, um die Idee eines „rein weihen Commonwealth“, ohne Indien, Pakistan, Ceylon, Ghana, Nigeria und die Westindische Förderation, zu propagieren. Die starke Persönlichkeit des neuen südafrikanischen Ministerpräsidenten Verwoerd, der in Deutschland studiert hat und während des letzten Krieges in seiner Zeitung „Die Trans-valer“ jeden deutschen Sieg über den „britischjüdischen Liberalismus“ gefeiert hatte, kommt dem merkwürdig entgegen. So bietet sich heute, denkwürdiges, beunruhigendes Schauspiel, der englische Raum als Aufmarschgebiet des Rechfs-radikalismus dar, während Frankreich am Vorabend der neuen De-Gaulle-Regierung, nach dem Ende der Vierten Republik, einer undurchsichtigen innenpolitischen Zukunft entgegengeht. Die ältesten Zentren der Demokratie in Europa enthüllen sich als Krisenherde, in denen die Demokratie einer schweren Belastungsprobe ousgeisetzt ist.

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