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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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EIN STILLES BEGRÄBNIS hat in der vergangenen Woche die Regierungsinitiative zur Verlängerung der Funktionsperiode des Nationalrates von vier aut fünf Jahre gefunden. War dieser Anfrag schon der Resf eines viel größe-ren Planes, der in seinen Zielsetzungen eine „Gleichschaltung“ aller Wahltermine und womöglich auch noch eine weitere Erschwerung der Auflösungsbedingungen des Nationalrates zum Ziel hatte, so verschwand jefzt auch die vom Ministerrat bereits einmütig beschlossene Vorlage sfill in der Versenkung. Was war geschehen? Die öffentliche Meinung ist jedem Herumbasteln an der Verfassung mit gutem Recht abgeneigt. Der Plan hafte deshalb schon keine gufe Presse. Dazu kam die ehrliche Sorge um eine weitere „Versteinerung“ unseres an sich nicht allzu lebendigen politischen Lebens. Die Entscheidung aber brachte die ablehnende Stellungnahme des sozialistischen Klubobmannes, der sich in Gegensatz zu den sozialistischen Regierungsmitgliedern setzte. Hart knirschten die Räder des Koalitionsmechanismus. Da blieb nichts übrig, als rasch die Bremse zu ziehen — und das war gut so.

BUDGETDEBATTE: TENDENZ ANHALTEND LUSTLOS! Als sich der Abgeordnete Strasser während der Budgetberatungen des Nafional-rates bei seiner Rede zum Kapitel „Aeußeres“ den nur sehr spärlich besetzten Abgeordnetenbänken gegenübersah, versuchte er dies damit zu entschuldigen, daß zur gleichen Zeit die Eröffnung eines Teilstückes der Autobahn Wien— Salzburg stattfand, der beizuwohnen anscheinend zahlreiche Abgeordnete für wichtiger fanden. Aber offensichtlich ist nicht die Autobahn allein daran schuld, dafj die Budget-debaffe im Nationalrat heuer größtenteils ohne echte Anteilnahme der Abgeordneten planmäßig abrollt. Das Bewußtsein, dah im Parfeien-sfaat faktisch nur die wenigen Teilnehmer der Koalitionsverhandlungen einen entscheidenden Einfluß ausüben können, lähmt offensichtlich die Arbeitsfreudigkeit zahlreicher Mitglieder der Volksvertretung. Einige Starredner machen aus dieser Nof eine Tugend, indem sie lange Vorlesungen halten. Von einer Budget d e b a 11 e im Nafionalrat ist im großen und ganzen wenig zu bemerken. Daran vermögen auch die etwas lebhaften Auseinandersetzungen bei den Kapiteln „Landesverteidigung“ und „Inneres“ nichts zu ändern. Charakteristische bzw. bedauerliche Erscheinungen: erstens, dah sich kein Abgeordneter fand, der zu den konkreten Anregungen des sozialistischen Klubobmannes, Abgeordneten Olphüber die Aenderung ätu, Gesetzgebungsperiode des Nafionalrates und die Stärkung der Stellung des Parlaments einen Beitrag geliefert hätte; zweitens, dafj der Herr Abgeordnete Probst an der Entscheidung des Präsidenten Dr. Gorbach, der ihm einen Ordnungsruf erteilt hatte, Kritik übte und dies tun konnte, ohne eine neuerliche Rüge zu erhalten. Denn wenn auch der Präsident einer parlamentarischen Körperschaft nicht immer recht hat, so haf er doch jedenfalls das letzte Wort, und zwar nur e r, weil sonst eine endlose Auseinandersetzung bedeutend mehr Schaden als Nutzen bringen könnte.

BEI DER „HAUTE CQUTURE“ DES BUNDESHEERES war vor kurzem die Presse zu Gast geladen. Die bevorstehende Ausgabe des modernen Kampfanzuges für die Einheiten des Bundesheeres war eine gute Gelegenheit, die Oeffenf-lichkeif mit der vielfach unbekannten Arbeit der Heeresbekleidungsanstalt in Brunn am Gebirge bekannfzumachen. Hier werden nämlich nicht nur Monturen und Ausrüsfungsgegenstände zentral verwaltet, hier werden auch die in Ausschreibungen ermittelten Sfoffe angenommen und zur Verarbeitung weitergegeben. Der Kontakt Wirtschaft—Bundesheer hat hier seine Schalfstation. In einem modernen Laboratorium haben außerdem alle angebotenen Textilien ihre Probe auf Herz und Nieren zu bestehen. Daß entgegen den diplomatischen Komplimenten ausländischer Beobachter unser junges Heer in seinem äußeren Auftreten noch keinen „Stil“ gefunden hat, der österreichische Tradition mit modernen Anforderungen und mit gutem modischen Geschmack — ja, auch mit dem — zu verbinden verstand: dafür fragen andere Instanzen die Verantwortung. Verschiedene Hoffnungen, unser junges österreichisches Heer früher oder später doch noch „unter die Tellerkappe“ zu bekommen, müssen nach der erfreulich entschiedenen Absage des Landesverteidigungsminisfers auf eine Anfrage im Budgetausschuß nun endlich aufgegeben werden. Man scheue sich nicht, dieser „negativen“ Maßnahme die positive folgen zu lassen.

VOR DEM LANDESGERICHT FELDKIRCH ist der sogenannte Dobrita-Prozeß abgerollt, der auch „Luminos'-Prozeß genannt wird, weil der in Wien durch „Befürwortung“ in Rekordfrist eingebürgerte Rumäne Stephan Dobrita zusammen mit seinem Schwager Wierzbowsky in Rankweil eine Röntgenfilmfabrtk unter diesem Namen eingerichtet hat, die nun in Konkurs ist. Es handelt sich um den Prozeß mit der größten Schadenssumme, der je in der Republik Oesterreich durchgeführt wurde: Laut Anklage haf der Sfaal voll 19 Millionen Schilling für Ausfuhrrückvergütung (Exportprämie) verloren, die ihm betrügerisch entlockt wurden. Wie so etwas geschehen konnte? Die Anklage gab u. a. an, daß sich leitende Finanzbeamte von den Angeklagten ständig in Gaststätten bewirten und freihalfen ließen. Das haben die Finanzbeamfen, als Zeugen befragt, auch nicht bestritten. Einem von ihnen wurde von Wierzbowsky eine Reise nach Frankfurt geschenkweise bezahlt. Mitten in der Verhandlung wurde ein anderer leitender Finanzbeamter verhaftet, weil er einen wichtigen Erhebungsbericht aus Berlin angeblich nicht der Staatsanwaltschaft weiter-geleitef hatfe. In Wirklichkeit hafte er dies getan, der Bericht geriet dann aber in ein Akten-grab. Merkwürdig: Man hat bisher nicht ein Wort disziplinarer Mißbilligung der Bewirtungs-vorgänge ver nommen. Kein Mensch hat zwar behauptet, die Beamten hätten sich etwa bestechen lassen, sie waren offenbar nur zu vertrauensselig. Dem Ansehen der österreichischen Beamtenschaft wäre es aber dienlicher gewesen, wenn man die Annahme von Geschenken Steuerpflichtiger an die mit deren Steuerproblemen befaßten Finanzbeamten amtlich mißbilligt und vor Wiederholung gewarnt hätte. Vor dem Jahre 1914 wären solche Dinge jedenfalls unmöglich gewesen. Aber das war eben eine finstere, rückständige Zeit.

ECHTE FREIZEIT ODER LEBENSSTANDARD!

Diese Frage wurde bei der dritten gewerk-schaftskundlichen Tagung des Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform in Wien vom Vertreter des Internationalen Arbeitsamtes in Genf, von der Seite des Nationalrafes und jener der Arbeitnehmer und Unternehmer eingehend diskutiert, ohne daß sich eine einmütige Ansicht ergeben hätte. In Westeuropa selbst haben die Versuche zu einer Angleichung der Arbeitszeit im Zuge der engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu keinen Ergebnissen geführt. Unsere Unternehmer lehnen es ab, die Arbeitszeit ehereflwarirend'?rjer nächsten fünf Jahre auf 40 Stunden zu vermindern, mit der Motivierung, die Verkürzung der Arbeitszeit sei Angelegenheit der Sozialpartner, man solle nicht die Staalsallmachf noch vergrößern. Bei allen diesen Diskussionen wurde aber eine wichtige Frage umgangen: Wenn man „echte Freizeit“ sagt, dann dürfte der 45 Stunden und vielleicht einmal nur noch 40 Stund'n Arbeitende (in den USA haben einzelne Industrien 36 Arbeifs-wochensfunden) nicht als „Hobby“ oder als Erhöhung des Lebensstandards (Kühlschrank, Fernsehapparat, Einbauküche, Eigenheim, Motorfahrzeug) einen zweiten oder gar dritten Nebenberuf annehmen. Was nützen auf dem Papier gesetzliche 40 Stunden, wenn die erlassenen acht Stunden eine unreglemenfierte Fach- oder Pfuscharbeit statt echter Erholung und Beisammenseins mit der Familie durch eine Nebenfüre eintreten lassen?

NACHRUF AUF DAS „STUDIUM GENERALE“

Als letzte deutsche Universität hat nun aucl Tübingen offiziell das Ende des „Studium Gene rale“ bekanntgegeben. Wir erinnern uns: in der ersten Jahren nach dem Kriege wurde ii Deutschland und andernorts viel von einer Re form der Universität gesprochen. Dann wurde ei still. Als ein Rest der Reformversuche hielt siel hier und dort eine Art „Studium Generale“: di( Bemühung, eine gewisse humanistische und zeit offene Grundausbildung für alle Studenten zi schaffen, durch einen Grundstock allgemeine Vorlesungen. Nun ist auch das letzte „Sfudiun Generale“ in Tübingen gescheitert. Wie eir Nachruf auf dieses und auf die deutsche Hochschulreform klingen sechs Thesen, die de frühere bayrische Kultusminister, Prof. Augus Rucker, in eben diesen Tagen zur Diskussior gestellt hat: „1. Die höhere Schule bringt wedei alle Begabten zur Universität noch verhinder! sie, daß Unbegabte zur Universität gelangen 2. Ein erheblicher Anteil der heutigen Studierenden ist nicht geeignet, ein Universitäfssfudkim zu absolvieren. 3. Die Universität such) zu verschweigen, daß sie in den meisten Fakultäter Fachhochschule geworden ist. 4. Die ursprüngliche Lehrform der Universitäten läßt sich in den meisten Fachgebieten nicht mehr aufrechterhalten. 5. Die Erziehungsaufgabe der Universität wird von einem Großteil der Professoren nicht erfüllt. 6. Die Universität hat ihre Bedeutung als Erzieherin der Nation nicht erkannt.“ — Das sind sechs Thesen eines vielgeprüften deutschen Kultusministers! Sollten sie nicht auch hierzulande, in Oesterreich, Beachtung finden? Bei allen, die sie angehen?

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